Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 04.11.2022 – 2 WF 167/22
Titel:

aktiver Nutzungszwang zur Einreichung elektronischer Dokumente für die Staatskasse

Normenketten:
FamFG § 113 Abs. 1 S. 2
ZPO § 127 Abs. 3, § 130d
VertrV § 5 Abs. 1 Nr. 7 lit. e
Leitsätze:
1. Der Freistaat Bayern als beschwerdeführende Staatskasse gem. §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 3 ZPO wird nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 lit. e der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern vom 26.10.2021 (Vertretungsverordnung - VertV), A. 3. der Gemeinsamen Bekanntmachung zum Vollzug der Vertretungsverordnung (VollzBekVertV) durch den Bezirksrevisor vertreten. (Rn. 8)
2. Für den Freistaat Bayern als juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt § 130d ZPO. Der dort geregelte aktive Nutzungszwang gilt also auch für schriftliche Verfahrenshandlungen der “Staatskasse“. (Rn. 9)
3. Bezirksrevisoren als Vertreter des Freistaates Bayern müssen eine VKH-Beschwerde als elektronisches Dokument beim Empfangsgericht einreichen. (Rn. 10)
4. Verfahrenshandlungen, die unter Verstoß gegen den aktiven Nutzungszwang nicht als elektronisches Dokument eingereicht werden, sind unwirksam und führen bei einer Rechtsmittelschrift zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. (Rn. 10)
Schlagworte:
aktiver Nutzungszwang zur Einreichung elektronischer Dokumente für die Staatskasse, Einreichung elektronischer Dokumente, aktiver Nutzungszwang, Freistaat Bayern, beschwerdeführende Staatskasse, Vertreter, Bezirksrevisor, juristische Personen des öffentlichen Rechts, schriftliche Verfahrenshandlungen, Verfahrenskostenhilfe-Beschwerde, Unzulässigkeit
Vorinstanz:
AG Gemünden, Beschluss vom 07.04.2022 – 002 F 643/21
Fundstellen:
AnwBl 2023, 49
MDR 2023, 459
FamRZ 2023, 210
RPfleger 2023, 114
JurBüro 2022, 667
FuR 2023, 96
LSK 2022, 30096
MMR 2023, 720
BeckRS 2022, 30096

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Staatskasse (Freistaat Bayern) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gemünden vom 07.04.2022 (Az. 002 F 643/21) wird als unzulässig verworfen.
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 07.04.2022 hat das Amtsgericht Gemünden a.M. der Antragsgegnerin in einem Scheidungsverbundverfahren Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Y. bewilligt.
2
Hiergegen hat die Bezirksrevisorin beim Landgericht Würzburg als Vertreterin der Staatskasse im Rahmen der Überprüfung, ob entgegen der VKH-Bewilligung Monatsraten oder Einmalzahlungen aus dem Vermögen anzusetzen wären (§§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 3 ZPO), mit Schreiben vom 01.06.2022 sofortige Beschwerde mit dem Ziel der Anordnung eines Einmalbetrages eingelegt, indem sie das Beschwerdeschreiben in die Verfahrensakte (Beiheft Verfahrenskostenhilfe) eingeheftet und diese an das Amtsgericht zurückgeleitet hat.
3
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 14.09.2022 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
4
Die Bezirksrevisorin ist mit Verfügung der originären Einzelrichterin vom 12.10.2022 auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels wegen Nichtwahrung der Pflicht zur elektronischen Einreichung hingewiesen worden. Mit Schreiben vom 03.11.2022, das als elektronisches Dokument übermittelt worden ist, hat sie hierzu Stellung genommen. Sie vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass § 130d ZPO auf Bezirksrevisoren nicht anwendbar sei, da diese keine Behörde im Sinne dieser Vorschrift seien. Auch als Vertreter der Staatskasse seien sie ein Organ der Justiz. Auf das Schreiben wird Bezug genommen.
5
Mit Beschluss vom 4.11.2022 hat die Einzelrichterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
6
Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist unzulässig. Sie ist nicht in der durch §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 130d ZPO vorgeschriebenen Form eingelegt worden, da sie nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden ist. Das zur Akte geheftete Beschwerdeschreiben stellt keine formgerechte Beschwerdeeinlegung dar.
7
Auf die Frage, ob die Bezirksrevisorin als Behörde i.S.d. § 130d ZPO anzusehen ist, kommt es ebenso wenig an, wie auf ihre An- oder Eingliederung in die Justiz und ihre Dienststellung. Denn Beschwerdeführer ist der Freistaat Bayern, der von der Bezirksrevisorin vertreten wird. Maßgeblich ist daher auf den Freistaat Bayern abzustellen und nicht auf die Bezirksrevisorin.
8
Der Freistaat Bayern ist gem. §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 3 ZPO als „Staatskasse“ beschwerdeberechtigt, wenn Verfahrenskostenhilfe bewilligt wird, ohne dass Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Dabei wird er nach § 5 Abs. 1 Nummer 7 lit. e der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern vom 26.10.2021 (Vertretungsverordnung - VertV), A. 3. der Gemeinsamen Bekanntmachung zum Vollzug der Vertretungsverordnung (VollzBekVertV) durch den Bezirksrevisor vertreten. Der Bezirksrevisor ist insoweit innerorganisatorisch dem Freistaat Bayern zugeordnet und tritt als für diesen Handelnder auf.
9
Für den Freistaat Bayern als juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt § 130d ZPO. Danach unterliegen u.a. juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden seit 01.01.2022 für schriftlich einzureichende Erklärungen der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs. Der dort geregelte aktive Nutzungszwang gilt also auch für schriftliche Verfahrenshandlungen der “Staatskasse“ wie die vorliegende sofortige Beschwerde.
10
Die Bezirksrevisorin als deren Vertreterin (Vertreterin des Freistaates Bayern) hätte die sofortige Beschwerde deshalb als elektronisches Dokument übermitteln müssen (vgl.- insofern zu § 4 JVEG - Landgericht Lübeck, Beschluss vom 28.09.2022, 7 T 341/22 - juris). Verfahrenshandlungen, die unter Verstoß gegen den aktiven Nutzungszwang nicht als elektronisches Dokument eingereicht werden, sind unwirksam und führen bei einer Rechtsmittelschrift zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels.
11
Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist damit als unzulässig zu verwerfen.
12
Ausführungen zur Frage der Begründetheit des Rechtsmittels sind daher nicht veranlasst.
13
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Der Freistaat Bayern ist von der Zahlung von Gerichtskosten befreit, § 2 Abs. 1 FamGKG. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten schließen §§ 113 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO aus.
14
Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 574 ZPO hinsichtlich der Frage zugelassen, ob § 130d ZPO für die Einlegung der sofortigen Beschwerde nach § 127 ZPO durch die Staatskasse anwendbar ist. Diese Verfahrensfrage (siehe zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde in Prozesskosten- bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren BGH, Beschluss vom 22.11.2011 - VII ZB 81/11, MDR 2012, 114) hat grundsätzliche Bedeutung und stellt sich entsprechend auch bei weiteren in Betracht kommenden Rechtsmitteln oder schriftlichen Anträgen der Staatskasse (z.B. §§ 56 RVG, 4 JVEG, 66 GKG, 57 FamGKG, 81 GNotKG, 5 GvKostG, 33 iVm 45 RVG, 304 FamFG). Höchstrichterliche Rechtsprechung liegt hierzu bisher nicht vor.