LG Würzburg, Beschluss v. 11.02.2022 – 3 T 1907/21
Titel:

Übrige Miteigentümer als Beteiligte im Verfahren über die Zwangsversteigerung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück

Normenkette:
ZVG § 9 Nr. 1
Leitsatz:
In dem Verfahren über die Zwangsversteigerung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück sind die Eigentümer der übrigen Miteigentumsanteile aufgrund ihrer Stellung als im Grundbuch eingetragene Miteigentümer als Beteiligte im Sinne von § 9 Nr. 1 ZVG anzusehen. (Rn. 10 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsversteigerung, Grundstück, Beteiligte, Miteigentumsanteil, übrige Miteigentümer
Vorinstanz:
AG Würzburg, Beschluss vom 27.10.2021 – 3 K 8/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 22.09.2022 – V ZB 8/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29941

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 27.10.2021, Az. 3 K 8/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 107,50 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Mitglieder der Erbengemeinschaft an dem Miteigentumsanteil Ziffer 1 e zu 1/4 an dem Grundstück …. Die im Grundbuch eingetragenen Eigentümer der übrigen Miteigentumsanteile Ziffern 1 a bis 1 d und 1 f sind inzwischen verstorben. Sie wurden - soweit dem Antragstellervertreter aufgrund umfangreicher und aufwändiger Ermittlungen bekannt - von insgesamt 71 weiteren Miteigentümern bzw. Miterben beerbt.
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Die Antragsteller zu 1) und 2) beantragten mit Schriftsatz vom 02.03.2020 die Teilungsversteigerung des Miteigentumsanteils Ziffer 1 e zum Zwecke der Aufhebung der Miteigentümergemeinschaft nach § 180 ZVG. Durch Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 19.10.2020 wurde auf Antrag des Antragstellers zu 3) dessen Beitritt zugelassen.
3
Der Verkehrswert des Gesamtgrundstücks wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 15.03.2021 auf 430,00 € festgesetzt.
4
Das Amtsgericht Würzburg ist der Ansicht, dass im vorliegenden Verfahren neben den Antragstellern und Antragsgegnern auch die Miteigentümer der Anteile Ziffern 1 a bis 1 d und 1 f zu beteiligen sind. Die Antragsteller vertreten demgegenüber die Auffassung, eine Beteiligung der Miteigentümer des zu versteigernden Anteils Ziffer 1 e sei ausreichend, und beantragten mit Schriftsatz vom 07.09.2021 eine rechtsmittelfähige Entscheidung.
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Daraufhin erließ das Amtsgericht Würzburg am 27.10.2021 den Beschluss, wodurch der Antrag auf Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens 3 K 8/20 ohne Beteiligung der Miteigentümer zurückgewiesen wurde.
6
Gegen diesen Beschluss, der dem Antragstellervertreter am 29.10.2021 zugestellt wurde, legten die Antragsteller mit Schriftsatz vom 29.10.2021, bei Gericht eingegangen am 04.11.2021, sofortige Beschwerde ein und beantragten, die Teilungsversteigerung ohne die Erben der anderweitigen Miteigentumsanteile 1 a, 1 b von jeweils einem weiteren 1/8 und 1 f von 1/4 zu beteiligen.
7
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Würzburg als zuständigem Beschwerdegericht vorgelegt.
II.
8
Die zulässige sofortige Beschwerde erweist sich in der Sache als unbegründet. Zu Recht lehnt das Amtsgericht die Durchführung des Teilungsversteigerungsverfahrens ohne die Beteiligung der Miteigentümer der weiteren Miteigentumsanteile ab.
9
Gemäß § 9 Nr. 1 ZVG gelten im Zwangsversteigerungsverfahren neben dem Gläubiger und dem Schuldner auch diejenigen als Beteiligte, für welche zur Zeit der Eintragung des Vollstreckungsvermerks ein Recht im Grundbuch eingetragen oder durch Eintragung gesichert ist.
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1. Es ist umstritten, ob in dem Zwangsversteigerungsverfahren über einen Grundstücksbruchteil die übrigen Miteigentümer aufgrund ihrer Eintragung im Grundbuch als Beteiligte anzusehen sind (BGH, Beschluss vom 07.06.2018 - V ZB 221/17 -, juris).
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a) Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht sind die Miteigentümer, deren Bruchteile nicht zur Versteigerung stehen, nur dann als Beteiligte anzusehen, wenn auf dem in Vollstreckung befindlichen Miteigentumsanteil gemäß § 1010 Abs. 1 BGB eine Regelung über das Verhältnis der Miteigentümer untereinander eingetragen ist (vgl. Böttcher, ZVG, 7. Aufl., § 9 Rn. 8 b; Schneider, ZfIR 2012, 613, 617).
12
b) Die herrschende Meinung wendet hingegen § 9 Nr. 1 ZVG auf weitere Miteigentümer unmittelbar an (OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.08.1965 - 8 W 147/65, NJW 1966, 1036, beck-online; Jaeckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 9 Rn. 3; Rellermeyer in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 16. Aufl., § 9 Rn. 11; Stöber/Keller, ZVG, 22 Aufl., § 9 Rn. 44).
13
c) Der Bundesgerichtshof hat in dem oben genannten Beschluss die Frage dahinstehen lassen und entschieden, dass bei der Zwangsversteigerung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück die übrigen Miteigentümer jedenfalls dann als Beteiligte i.S.v. § 9 Nr. 1 ZVG anzusehen sind, wenn das Grundstück mit einem Grundpfandrecht belastet ist (BGH, a.a.O.).
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d) Die Beschwerdekammer schließt sich mit der herrschenden Meinung dem Amtsgericht an, wonach sämtliche Miteigentümer Beteiligte sind.
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Stöber/Keller (a.a.O.) führt hierzu Folgendes aus:
Auf das Gemeinschaftsverhältnis der Miteigentümer (§§ 741-758, §§ 1008-1011 BGB) mit den sich aus dem Bruchteilseigentum ergebenden Ansprüchen gegen Miteigentümer (Früchteanteil und Gebrauchsbefugnis, gemeinschaftliche Verwaltung und Benutzung usw.) und auch gegen Dritte wirkt sich die Bruchteilsvollstreckung aus. Für Gesamtrechte haften sie (dinglich) mit. Bei Beendigung der Gemeinschaft haben sie bei Teilung mitzuwirken; sie haben die Teilungsversteigerung zu betreiben oder unterliegen ihr als Antragsgegner. Im Grundbuch ist ihr Recht (§ 9 Nr. 1 ZVG) oder Recht an dem Grundstück (§ 9 Nr. 2 ZVG) als Miteigentum eingetragen; das ihm entsprechende Interesse wahrt § 9 ZVG mit der Beteiligtenstellung. Nicht erfordert ist schon nach dem Gesetzeswortlaut, dass es sich um ein Recht „auf Befriedigung aus dem Grundstück“ (z.B. § 10 Abs. 1 ZVG Einleitungssatz) handeln müsse.
16
Dem schließt sich die Kammer vollumfänglich an.
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2. Kein Unterschied in der Bewertung ergibt sich daraus, dass die im Grundbuch eingetragenen Miteigentümer bereits verstorben sind. Gleichwohl sind deren Erben und Erbeserben zu beteiligen. Da die Erbfolge jeweils feststeht, handelt es sich bei der Eintragung um einen lediglich formalen Akt; dieser rechtfertigt keine anderweitige Behandlung.
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3. Die Kammer verkennt nicht, dass der zeitliche und finanzielle Aufwand, den die Antragsteller bei Beteiligung aller Miteigentümer hinsichtlich der Ermittlung der - infolge Versterbens von ehemaligen Miteigentümer und auch bereits von deren Erben - aktuellen Miteigentümer betreiben müssen, kaum in einem vernünftigen Verhältnis zu dem Verkehrswert des Grundstücks steht.
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Das Zwangsversteigerungsrecht unterscheidet jedoch nicht - worauf das Amtsgericht zu Recht hinweist - hinsichtlich der Verfahrensweise zwischen wertvollen und weniger wertvollen Grundstücken. Dem stünde bereits das grundgesetzlich geschützte Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) entgegen.
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Darüber hinaus sind die Miteigentümer der übrigen Miteigentumsanteile im Zuge des von den Antragstellern im Nachgang zur hiesigen Zwangsversteigerung angestrebten weiteren Verfahrens im Hinblick auf das gesamte Grundstück ohnehin unstreitig zu beteiligen.
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Schließlich wären diese Miteigentümer auch bereits im hiesigen Verfahren zu hören gewesen, würde die Kammer der Rechtsansicht der Antragsteller folgen; denn dann würde durch diese Entscheidung in deren prozessuale Rechtsposition formal eingegriffen worden, so dass ihnen zuvor rechtliches Gehör zustünde. Bei der hier getroffenen Entscheidung konnte mangels Beschwer der übrigen Miteigentümer hiervon abgesehen werden.
22
4. Das Amtsgericht hat somit zu Recht die Durchführung des Teilungsversteigerungsverfahrens ohne die Beteiligung der Miteigentümer der weiteren Miteigentumsanteile abgelehnt. Die sofortige Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.
III.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren auf § 3 ZPO.
24
Die Rechtsbeschwerde war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen, § 574 Abs. 2 Nummer 1 ZPO. Die Rechtsfrage wurde vom Bundesgerichtshof - wie dargelegt - noch nicht entschieden und wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet.