VGH München, Beschluss v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211
Titel:

rechtmäßige Ausweisung eines kubanischen Staatsangehörigen

Normenketten:
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 8 lit. a, Abs. 2 Nr. 9
SKG Art. 6 Abs. 5
SDÜ Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Das schwerwiegende Ausweisungsinteresse wegen Falschangaben nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 lit. a AufenthG dient typischerweise generalpräventiven Interessen; es ist daher nicht vorrangig auf spezialpräventive Zwecke gerichtet, sondern zielt maßgeblich darauf ab, verhaltenslenkend auf andere Ausländer einzuwirken, indem ihnen aufenthaltsrechtliche Nachteile im Falle eines pflichtwidrigen Verhaltens aufgezeigt werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine geringe strafrechtliche Schuld schließt die Ausweisung eines Ausländers nicht ohne Weiteres aus, denn einer Straftat kann ordnungsrechtlich größeres Gewicht als in strafrechtlicher Hinsicht zukommen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung eines kubanischen Staatsangehörigen, Unerlaubte Einreise, Repatriierung, Generalpräventive Gründe, Spezialpräventive Gründe, schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, visumfreie Einreise, Erschleichen eines Aufenthaltstitels, Repatriierungsverfahren, Schengener Grenzkodex, Schengener Durchführungsübereinkommen
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 23.03.2022 – AN 5 K 20.1746
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29782

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Berufungszulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
2
Der am ... 1987 geborene, nach eigenen Angaben am ... 2019 zur Geburt seines am ... 2019 geborenen (die kubanische Staatsangehörigkeit besitzenden) Kindes (Vaterschaftsanerkennung in S. am ....2019; Eheschluss mit der ebenfalls die kubanische Staatsangehörigkeit besitzenden Kindsmutter am ...2020) in das Bundesgebiet eingereiste und sich seitdem (mit Kind und Ehefrau) im Bundesgebiet aufhaltende Kläger, kubanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2022, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2020 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1 des Bescheids), ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von zwei Jahren ab Abschiebung bzw. Ausreise erlassen (Nr. 2 des Bescheids), die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Nr. 3 des Bescheids), die Erteilung einer Duldung abgelehnt (Nr. 4 des Bescheids), dem Kläger unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung insbesondere nach Kuba angedroht (Nrn. 5 und 6 des Bescheids) und die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten einer eventuellen Abschiebung ausgesprochen (Nr. 8 des Bescheids).
3
Zur Begründung des Bescheids wurde ausgeführt, der Kläger habe gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AufenthG und § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verstoßen. Ausweisungszweck sei die Generalprävention. Es liege ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG vor. Der Kläger habe falsche bzw. unvollständige Angaben in einem Verwaltungsverfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels bzw. einer Duldung getätigt, indem er nichts Wesentliches oder Schlüssiges zur Sachverhaltsaufklärung beigetragen habe. Insbesondere habe er es unterlassen, schlüssige und nachvollziehbare Ausführungen zu den Umständen seiner Einreise in das Bundesgebiet, zum Voraufenthalt in S. und zum Vorhandensein von Reisepass und Aufenthaltserlaubnis zu machen. Der Sachvortrag, nicht mehr im Besitz der kubanischen Staatsangehörigkeit und alleine deswegen nicht rückkehrberechtigt zu sein, sei nach Aktenlage erkennbar falsch gewesen, da der Kläger binnen kurzer Zeit ohne Probleme einen neuen Reisepass erhalten habe. Zudem sei der Sachvortrag, mehrere Jahre ohne die erforderlichen Dokumente im Schengen-Raum aufhältig gewesen zu sein, mindestens unvollständig gewesen. In der Niederschrift zur notariellen Erklärung der Anerkennung der Vaterschaft sei von einer Meldeadresse in S. und einer Erwerbstätigkeit die Rede. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei es nicht vorstellbar, dass ein nicht-EU-Bürger einer legalen Erwerbstätigkeit in einem Mitgliedsstaat nachgehe, dort ordnungsgemäß Wohnsitz nehme und Beurkundungen vornehme, ohne im Besitz der notwendigen Dokumente zu sein. Die Einlassung, in S. keinen Aufenthaltsstatus gehabt zu haben, sei als Schutzbehauptung zu klassifizieren. Es liege auch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach §54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor, da der Kläger ohne gültigen Nationalpass und Aufenthaltstitel eingereist sei und sich in der Folge unerlaubt in der Bundesrepublik aufgehalten habe. Dass es zu keiner strafrechtlichen Verurteilung gekommen sei, sei ohne Belang. Es lägen schwerwiegende Bleibeinteressen nach §55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG bzw. §55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vor. Die Ausweisungsinteressen seien jedoch gegenüber den Bleibeinteressen überwiegend. Zwar halte sich der Kläger seit nahezu einem Jahr in Deutschland auf, er sei jedoch unerlaubt eingereist. Er habe einen wesentlichen Teil seines Lebens in K. verbracht. In Deutschland habe eine weitergehende Sozialisation nicht stattgefunden. Der Kläger habe weder Sprachkenntnisse noch berufliche Qualifikationen. Andere Beziehungen als zu seinem Kind und seiner Partnerin habe er nicht. Das alleinige Personensorgerecht liege bei der Kindsmutter. Zwar lebe der Kläger mit dem Kind und der Mutter zusammen. Mangels Sachvortrag bleibe aber völlig offen, welchen spezifischen Erziehungsbeitrag der Kläger leiste. Die Auswirkungen der Ausreise könnten durch eine gemeinsame Ausreise der Familie gemildert werden. Das Kind könne auch allein mit der Kindesmutter im Inland bleiben und der Kontakt über Besuche aufrechterhalten werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der familiären Umstände des Klägers auf zwei Jahre befristet. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe bereits die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegen. Eine außergewöhnliche Härte nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei nicht erkennbar. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (Lebensunterhaltssicherung, kein Ausweisungsinteresse, Einreise mit dem erforderlichen Visum) lägen nicht vor. Die Abschiebung sei nicht aufgrund Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK auszusetzen. Es sei völlig unklar, wie intensiv die familiäre Gemeinschaft gelebt werde. Auf der anderen Seite habe der Kläger durch seine illegale Einreise massiv gegen die Rechtsordnung verstoßen, weswegen die Interessen an der Durchsetzung der Ausreise überwögen. Die Abschiebung werde nach § 59 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 bis 3 AufenthG angedroht.
4
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung auf die Ausführungen im die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss der Kammer vom 15. März 2022 und ergänzend auf den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2020 Bezug genommen und lediglich ergänzend ausgeführt, dass auch der Vortrag des Klägers bzw. seiner Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung keine andere Betrachtungsweise gebiete. Der Einwand der Bevollmächtigten, dass die schwerwiegenden Ausweisungsinteressen ausschließlich mit rechtlichen Erwägungen zur Bedeutung des geduldeten Aufenthaltes und der unterlassenen Meldung beim Einwohnermeldeamt sowie mit einer Unterstellung, der Kläger habe nicht beabsichtigt, seinen Reisepass abzugeben, begründet worden seien, sei inhaltlich nicht vollständig richtig. Der Kläger erfülle die Voraussetzung aus § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, insbesondere da er sowohl wiederholt, als auch in nicht lediglich geringfügigem Maße gegen Rechtsvorschriften verstoßen habe. Der Kläger habe sich entgegen § 17 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) nicht innerhalb von zwei Wochen beim Einwohnermeldeamt der Beklagten angemeldet, was nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 BMG eine Ordnungswidrigkeit darstelle. Der Einwand der Bevollmächtigten, dem Kläger sei die Meldepflicht in Deutschland nicht bekannt gewesen, erscheine als verfahrensangepasstes Vorbringen bzw. Schutzbehauptung. Er sei in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgebracht worden. Die Bevollmächtigte habe mit E-Mails vom 29. Oktober 2019, 6. November 2019 und im Schreiben vom 20. November 2019 zur Anhörung gegenüber der Beklagten noch geltend gemacht, der Kläger habe sich nicht anmelden können, da er keinen Pass besitze und ging auf eine fehlende Kenntnis des Klägers von diesem Erfordernis nicht ein. Im Übrigen erscheine es unplausibel, dass der Kläger - der zu seiner ordnungsgemäß gemeldeten späteren Ehefrau zugezogen sei - nicht wenigstens im Zuge der Geburt seines Kindes am ... 2019 und der in diesem Zusammenhang zu erledigenden Formalitäten vom Erfordernis einer Anmeldung beim Einwohnermeldeamt Kenntnis erlangt habe. Unabhängig davon genüge für die Verwirklichung des Ordnungswidrigkeitentatbestandes nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 BMG auch fahrlässiges Verhalten. Darüber hinaus habe der Kläger gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG i.V.m. §48 Abs. 2 AufenthG verstoßen (strafbar nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Auch aus den Angaben der Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ergebe sich, dass der Kläger nicht unverzüglich (die Wahrheit des Vorbringens des Verlustes des alten Reisepasses unterstellt) einen neuen Pass beantragt habe. Die Bevollmächtigte habe vorgetragen, der Kläger habe im September 2019 bei der kubanischen Botschaft angerufen, um einen neuen Pass zu erhalten. Dort habe man ihm erklärt, er müsse zuerst eine Verlustanzeige bei der Polizei erstatten. Der Vortrag der Bevollmächtigten sei insofern schon unsubstantiiert. Die Bevollmächtigte habe nicht erklärt, wann der Kläger die Verlustanzeige erstattet haben wolle. Außerdem biete auch das Erfordernis, eine Verlustanzeige bei der Polizei zu stellen, keine hinreichende Erklärung, warum der Kläger ca. zwei Monate mit der Beantragung eines neuen Passes gewartet habe. Eine Verlustanzeige könne bei der Polizei unkompliziert an einem Tag aufgegeben werden. Der Kläger sei zudem ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel und damit unerlaubt eingereist und halte sich weiterhin ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Soweit die Bevollmächtigte des Klägers einwende, der Kläger habe von der Deutschen Botschaft in S. Ende Mai/Anfang Juni 2019 die Auskunft erhalten, dass er dort kein Visum zum Familiennachzug erhalten könne, habe sie schon nichts dazu vorgetragen, warum der Kläger dann nicht - der errechnete, voraussichtliche Geburtstermin sei erst am ... 2019 gewesen, also ca. vier Monate später - in sein Heimatland gereist sei, um dort bei der Deutschen Botschaft ein Visum zu beantragen. Soweit die Bevollmächtigte des Klägers geltend mache, der Kläger sei nicht unerlaubt eingereist und dazu auf Art. 6 Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) sowie auf das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (SDÜ) verweise, greife dies nicht durch. Art. 6 Abs. 5 lit. c des Schengener Grenzkodex erlaube keine visumfreie Einreise des Klägers in die Bundesrepublik. Zum einen dürften beim Kläger nicht humanitäre Gründe, sondern familiäre Gründe für die Einreise vorgelegen haben. Zum anderen eröffne Art. 6 Abs. 5 lit. c des Schengener Grenzkodex lediglich einen Spielraum für die Vertragsstaaten („kann“), die Einreise etwa auch ohne Visum zu ermöglichen. Ein Anspruch könne sich nicht direkt aus dem Schengener Grenzkodex ergeben. Eine entsprechende gesetzliche Regelung, die im vorliegenden Fall anwendbar gewesen wäre und eine visumfreie Einreise ermöglicht hätte, gebe es im deutschen Recht nicht; vielmehr seien hier die Vorschriften über die Erteilung von Visa zur Einreise aus familiären Gründen (§§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. §§ 27 ff. AufenthG) einschlägig. Auch aus Art. 5 Abs. 2 SDÜ folge nicht, dass der Kläger habe visumfrei einreisen dürfen. Denn auch diese Vorschrift enthalte lediglich eine Grundlage für eine nationale Regelung, die eine visumfreie Einreise insbesondere aus humanitären Gründen ermöglichen könne. Sie selbst enthalte eine solche Regelung aber nicht. Soweit die Bevollmächtigte des Klägers - wohl im Hinblick auf die Ausführungen im Prozesskostenhilfebeschluss zur (fehlenden) Geringfügigkeit der Rechtsverstöße des Klägers - geltend mache, der Kläger habe nicht die Absicht gehabt, seinen Pass zurückzuhalten, sondern sei davon ausgegangen, dass entweder das Standesamt den Pass weiterleite oder ihm zurückgeben werde, sodass er ihn im Anschluss an die Ausländerbehörde zurückgeben könne, folge daraus, dass der zu diesem Zeitpunkt bereits anwaltlich beratene Kläger zumindest billigend in Kauf genommen habe, der Aufforderung der Beklagten, seinen Pass vorzulegen, entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung, nicht unverzüglich nachzukommen, indem er den Pass statt der Ausländerbehörde zuerst dem Standesamt zugeschickt habe. Im Übrigen erkläre die vorgetragene Motivation des Klägers hinsichtlich des Zurückhaltens des am 19. November 2019 beantragten und am 29. November 2019 ausgestellten Reisepass Nr. ... nicht, warum das Ausländeramt der Beklagten trotz vielfacher Nachfrage nach einem Reisepass des Klägers Informationen über den am 4. September 2018 ausgestellten und beim Jugendamt am 2. September 2019 vorgelegten Reisepass Nr. ... erst durch Einsichtnahme in die Akten des Jugendamtes, in der eine Kopie des Reisepasses enthalten sei, bekommen habe. Im Übrigen liege, wie bereits im Prozesskostenhilfebeschluss ausgeführt worden sei, auch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG vor. Soweit die Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung ausführe, beim Kläger bestehe ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, sei dem - wie bereits im Prozesskostenhilfebeschluss ausgeführt worden sei - zuzustimmen. Es überwögen jedoch - wie ebenfalls im Prozesskostenhilfebeschluss detailliert ausgeführt worden sei - die Ausweisungsinteressen. Soweit die Bevollmächtigte die Ansicht geäußert habe, aus §55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG folge, dass dem Kläger die unerlaubte Einreise nicht vorgeworfen werden könne, gehe dies fehl. Aus dem Regelungszusammenhang der §§ 53 Abs. 1, Abs. 2, 54, 55 AufenthG werde deutlich, dass die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die gesetzlich normierten Bleibe- und Ausweisungsinteressen nebeneinanderstünden und gesondert berücksichtigt und abgewogen werden müssten. Das Vorliegen eines Bleibeinteresses führe nicht dazu, dass Ausweisungsinteressen in eine Abwägung nicht mehr eingestellt werden dürften, wie umgekehrt auch Ausweisungsinteressen nicht automatisch die Bleibeinteressen überwögen.
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1. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der (sinngemäß) ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 - 10 ZB 15.1804 - juris Rn. 7), liegt nicht vor.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - juris Rn. 9).
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Zur Begründung des (sinngemäß) geltend gemachten Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils lässt der Kläger vortragen, ihm sei kein wiederholter nicht geringfügiger und vereinzelter Verstoß gegen die Rechtsordnung vorzuwerfen. Ein (besonders) schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG bestehe nicht. Die Vorwürfe, er habe sich nicht rechtzeitig wohnhaft gemeldet, stelle eine Ordnungswidrigkeit dar und sei durch die sachnäheren Strafgerichte nicht einmal versucht worden zu ahnden. Ebenso sei auch die Einreise ohne das erforderliche Visum nicht zu umgehen gewesen. Dem Kläger sei es wegen der Einreisegesetze nicht möglich gewesen, durch Ausreise nach Kuba bei der Botschaft ein Visum zu beantragen. Der Kläger halte sich nachweislich länger als zwei Jahre außerhalb Kubas auf. Ihm sei eine Rückkehr daher unmöglich. Lediglich über ein von ihm zu beantragendes erfolgreiches Repatriierungsverfahren wäre es möglich, seine Rechtsposition in Kuba derartig wiederherzustellen, dass er ausreisefähig würde. Die Voraussetzung für einen erfolgreichen Repatriierungsantrag nach kubanischem Recht sei jedoch die Existenzsicherung des Klägers samt seiner Familie durch die Lebensunterhaltssicherung entweder durch eine vorhandene Immobilie oder aber durch eine im Land lebende Referenzperson, die den Kläger und seine Familie bei sich aufnehmen würde und sich verpflichten würde, den Lebensunterhalt des Klägers und den seiner Familie zu sichern. Auch diese Bedingung erfülle der Kläger nicht. Diese Voraussetzung sei durch ihn selbst nicht zu beeinflussen. Er könne daher nicht ausreisen und habe es auch vor der Einreise zur Geburt seines Sohnes nicht tun können. Hier sei ihm kein rechtswidriges, weil gerechtfertigtes Verhalten durch die anstehende Geburt seines Sohnes vorzuwerfen. Auch in S. hätte der Kläger auf Grund seines nichtgeregelten Aufenthalts keine Möglichkeit gehabt, die deutsche Botschaft anzurufen, um ein Visum zu beantragen. Die deutsche Botschaft in einem anderen als dem Land, dessen Pass ein Drittstaater besitzt, sei nur in den Fällen zuständig, Visumanträge entgegenzunehmen, wenn der Kläger in dem Land eine Aufenthaltserlaubnis besitze. Dem Kläger wäre es gar nicht möglich gewesen, seine Rechte und Pflichten als Vater eines zu gebärenden Kindes wahrzunehmen, wäre er nicht ohne Visum eingereist. Dies berücksichtigend habe das Strafgericht das Verfahren eingestellt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Umstand der Geburt eines ersten eigenen Kindes einen einmaligen Sachverhalt darstelle, der sowohl das Verhalten rechtfertige, ebenfalls eine Wiederholung implizit ausschließe. Ebenso habe das Bundesverfassungsgericht die Geburt eines Kindes als Zäsur anerkannt. Zudem werde dem Kläger vorgeworfen, er habe sich geduldet im Bundesgebiet aufgehalten. Eine Ausreise sei ihm aufgrund der obigen Ausführungen unmöglich. Jedoch sei festzustellen, dass der geduldete Aufenthalt nicht strafbewehrt sei. Bei der Duldung handle es sich um eine Genehmigung des Aufenthalts durch die Ausländerbehörde. Dieser Aufenthalt sei auch ebenso gerechtfertigt gewesen, da seine Position des erziehungsberechtigten und das Sorgerecht ausübenden Vaters verfassungsrechtlich und -gerichtlich geschützt sei. Der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters sei nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich. Der geduldete Aufenthalt sei daher kein Verstoß gegen Regeln Normen oder das Gesetz. Er sei ein vom Gesetz legitimierter Aufenthalt. Ebenso habe das Strafgericht diesen Umstand gewertet und die angeklagte unerlaubte Einreise sowie den daran anschließenden Aufenthalt bis zur Meldung des Beschwerdeführers gem. § 153 StPO eingestellt. Wegen des Aufenthalts nach Meldung bei der Beklagten sei aus rechtlichen Gründen gar kein Ermittlungsverfahren geführt worden. Das sachnähere Gericht habe weder die Verwirklichung der Strafnorm noch eine notwendige Sanktion zur Verhinderung einer Wiederholungsgefahr gesehen. Und das zu Recht, denn die Einreise sei aus einem durch EU-Recht legitimierten humanitären Grund, dem Beistand bei der Geburt seines Kindes erfolgt. Die Zulassung zur visumbefreiten Einreise ergebe sich aus der Verordnung (EU) 2016/399 vom 9. März 2016 (SGK). Gemäß Art. 6 (5) lit. c) VO/EU Nr. 2016/399 sei eine Einreise unabhängig von dem Bestehen eines gültigen Visums, und damit visumbefreit, zu gestatten, wenn humanitäre Gründe vorlägen, aufgrund derer die Einreise in das Unionsgebiet erfolgt sei. Zu demselben Ergebnis gelange auch das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990 (Stand: 31.3.2006) in Art. 5 Abs. 2. Seit der Antragstellung stehe der Kläger in Kontakt mit der Ausländerbehörde und erfülle alle Auflagen und Weisungen. Insbesondere zu berücksichtigen sei es, dass die Anwendung der Regel des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG auf den vorliegenden Fall bereits gesetzessystematisch fragwürdig sei. § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG setze ein Mindestmaß an Strafe voraus. Hier sei zu berücksichtigen, dass alle ordnungswiderrechtlichen Verstöße durch eine Handlung bzw. durch ein Unterlassen verwirklicht worden seien. Das sachnähere Strafgericht habe die Strafverfolgung eingestellt. Mithin sei durch die Vorrangigkeit der Prüfung des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auch der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gesperrt. Wenn dieser nicht vorliege, könne § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG nicht als Auffangtatbestand greifen. Wie bereits oben angeführt, sei auch die Wiederholungsgefahr ausgeschlossen, sowohl wegen der Einmaligkeit des Anlasses des Verstoßes als auch des im Anschluss gezeigten Verhaltens des Klägers. Hieraus sei eben keine Wiederholungsgefahr und daher auch die Annahme der möglichen generalpräventiven Notwendigkeit der Ausweisung ausgeschlossen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
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1.1 Die klägerische Auffassung, es bestehe kein Ausweisungsinteresse, trifft nicht zu.
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1.1.1 Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum bestehenden schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG hat der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht in Frage gestellt. Daher ist die Ausweisung schon aus diesem Grund generalpräventiv gerechtfertigt (dass eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich auch auf generalpräventive Gründe gestützt werden, greift der Kläger schon nicht an, vgl. dazu BT-Drs 18/4097, S. 49). Aus der Norm ergibt sich insbesondere, dass das Gesetz generalpräventive Ausweisungsinteressen berücksichtigt sehen will. Denn gerade das im vorliegenden Fall einschlägige, nach der Einstufung des Gesetzgebers schwerwiegende Ausweisungsinteresse wegen Falschangaben nach §54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG dient typischerweise generalpräventiven Interessen. Dieses Ausweisungsinteresse ist daher nicht vorrangig auf spezialpräventive Zwecke gerichtet, sondern zielt maßgeblich darauf ab, verhaltenslenkend auf andere Ausländer einzuwirken, indem ihnen aufenthaltsrechtliche Nachteile im Falle eines pflichtwidrigen Verhaltens aufgezeigt werden (BVerwG, U.v. 12.7. 2018 - 1 C 16/17 - BVerwGE 162, 349-363, Rn. 20). Der Wahrheit und Vollständigkeit der Angaben der Ausländer kommt ein hoher Stellenwert zu, die der Gesetzgeber mit der Strafandrohung des §95 Abs. 2 AufenthG (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) noch einmal verdeutlicht hat. Daher ist es gerechtfertigt, auch anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass das Erschleichen eines Aufenthaltstitels durch falsche Angaben nicht nur zu strafrechtlichen Konsequenzen führt, sondern auch die Aufenthaltsbeendigung sowie ein nachfolgendes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach sich ziehen kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2021 - 10 B 18.943 - juris Rn. 60).
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1.1.2 Entgegen der klägerischen Auffassung liegt auch ein Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor.
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Das Ausweisungsinteresse wiegt nach §54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist. Ein Rechtsverstoß ist demnach immer dann beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 18.11.2004 - 1 C 23/03 - juris Rn. 19 ff.; B.v. 27.4.2020 - 10 C 20.51 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 14.2.2019 - 10 ZB 18.1967 - juris; B.v. 19.9.2017 - 10 C 17.1434 - juris Rn. 6; B.v. 17.5.2017 - 19 CS 17.37 - juris Rn. 5). Bei Straftaten, die nur durch einen Ausländer begangen werden können, gilt insoweit nichts Anderes.
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Der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ist - entgegen der klägerischen Auffassung - auch dann eröffnet, wenn das Strafmaß bei einem Verstoß gegen Strafvorschriften nicht das in § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG genannte Mindestmaß erreicht (vgl. SächsOVG, B.v. 17.2.2020 - 3 A 44/18 - juris Rn. 10). Die in den Katalogen der Absätze 1 und 2 des § 54 AufenthG konkretisierten Ausweisungsinteressen sind vom Bundesgesetzgeber alle als schwerwiegend bewertet worden. Die zugrundeliegenden Handlungen sind aber ersichtlich nicht gleicher Art und auch nicht in gleicher Weise sanktioniert oder pönalisiert. Die numerisch aufgeführten schwerwiegenden Ausweisungsgründe des §54 Abs. 2 AufenthG stehen in keinem Stufenverhältnis zueinander, sondern begründen bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen jeweils für sich genommen ein entsprechendes Ausweisungsinteresse. Gleiches gilt für die in §54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG geregelten Alternativen inlandsbezogener Verstöße oder Handlungen im Ausland. Nach den Gesetzesmaterialien kommt dem Ausweisungsinteresse des §54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ausdrücklich eine eigenständige Auffangfunktion zu (BT-Drs. 18/4199, S. 6; BT-Drs. 18/4097, S. 52; vgl. OVG Sachsen, B.v. 17.2.2020 - 3 A 44/18 - juris Rn. 10; NdsOVG, U.v. 14.11.2018 - 13 LB 160/17 - juris Rn. 41; B.v. 20.6.2017 - 13 LA 134/17 - juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 11.1.2019 - 18 A 4750/18 - juris Rn. 6 ff.).
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Nach diesen Maßgaben ist die verwaltungsgerichtliche Auffassung, der Kläger habe wiederholt zu verschiedenen Zeitpunkten Rechtsverstöße begangen und jedenfalls die unerlaubte Einreise sei nicht als lediglich geringfügig anzusehen, nicht zu beanstanden.
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Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Der Kläger war bei der Einreise in das Bundesgebiet unstreitig nicht im Besitz eines zur Einreise berechtigenden Visums. Eine nationale Vorschrift, die dem Kläger eine visumfreie Einreise ermöglicht hätte, benennt das Zulassungsvorbringen nicht. Soweit es auf Art. 6 Abs. 5 Schengener Grenzkodex (SGK) und Art. 5 Abs. 2 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) verweist und lediglich behauptet, beim Kläger habe ein humanitärer Grund i.S.d. Vorschriften vorgelegen, setzt es sich bereits nicht substantiiert und umfassend mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil auseinander.
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Soweit der Kläger vortragen lässt, die Einreise ohne das erforderliche Visum sei nicht zu umgehen gewesen, weil ihm eine Rückkehr nach Kuba (zur Visumbeantragung) wegen der kubanischen Einreisegesetze und seines nachweislich länger als zwei Jahre andauernden Aufenthalts außerhalb Kubas ohne ein von ihm zu beantragendes Repatriierungsverfahren, dessen Voraussetzungen er nicht erfülle, nicht möglich gewesen sei, dringt er mit diesem Vorbringen nicht durch. Der Kläger hat vor seiner Einreise in das Bundesgebiet offensichtlich keinen Kontakt mit Behörden seines Heimatlandes aufgenommen, um zu klären, ob zur Visumbeantragung überhaupt ein Repatriierungsverfahren erforderlich ist und - für den Fall einer erforderlichen Repatriierung - welche Voraussetzungen insoweit zu erfüllen wären. Der Kläger kann folglich nicht substantiiert darlegen, welche Voraussetzungen - gerade für ihn - gegolten hätten. Ein entsprechendes amtliches Dokument hat er im Zulassungsverfahren nicht vorgelegt. Dies erscheint schon deshalb erforderlich, weil die Frist des zweijährigen Auslandsaufenthalts nicht starr zu sein scheint (vgl. https://www.kubakunde.de/neues/zehntausende-von-im-ausland-lebenden-kubanern-haben-repartriierung-beantragt-corrected-181023: die Zweijahresfrist sei verlängerbar; zuletzt am 20.10.2022 abgerufen). Außerdem soll der Ablauf der Frist Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit haben (vgl. https://amerika21.de/2018/10/216540/kuba-rueckkehr-emigranten: „Die Dauer von Auslandsaufenthalten wurde auf zwei Jahre erhöht, wobei eine Verlängerung möglich ist. Wer innerhalb dieses Zeitraums nach Kuba zurückkehrt, behält seine Staatsbürgerschaft.“; https://amerika21.de/meldung/2013/01/75613/kuba-auslandsreisen: „Wie die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina vermeldet, können sich Kubanerinnen und Kubaner fortan bis zu 24 Monate im Ausland aufhalten, ohne dass dies Auswirkungen auf die Staatsbürgerschaft hat.“; zuletzt jeweils am 20.10.2022 abgerufen). Dem Kläger ist aber (offensichtlich ohne Probleme) kurz nach der Beantragung ein entsprechender Reisepass ausgestellt worden (am 19.11.2019 beantragt und am 29.11.2019 ausgestellt), sodass von einem Ablauf der Frist beim Kläger nicht automatisch ausgegangen werden kann.
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Die unerlaubte Einreise ist auch nicht als geringfügig i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG anzusehen. Dem Kläger war (mangels entgegenstehender Anhaltspunkte) vor der Einreise ins Bundesgebiet das Visumerfordernis bekannt. Er hat folglich vorsätzlich gegen die maßgeblichen Visumvorschriften verstoßen. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG setzt insoweit nicht zwingend voraus, dass eine rechtskräftige Entscheidung des Strafgerichts vorliegt. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, die etwa wegen Einstellung nach §§ 153 ff. StPO nicht zu einer Verurteilung geführt haben, können einer Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG zugrunde gelegt werden (Nr. 55.2.2.5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009 - AVwV-AufenthG, zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG). Nur unter engen Voraussetzungen kann es bei - wie hier - vorsätzlich begangenen Straftaten Ausnahmefälle geben, in denen der Rechtsverstoß als geringfügig zu bewerten ist. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine vorsätzlich begangene Straftat wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist oder, wenn besondere Umstände des Einzelfalles zu der Bewertung führen, dass es sich um einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften handelt (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 - 1 C 23/03 - juris Rn. 22 ff.). Zwar hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 11. Februar 2020 ein Ermittlungsverfahren nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt (ausdrücklich erfasst ist § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zwar nicht; aufgrund der Gesamtumständen muss aber - zugunsten des Klägers - davon ausgegangen werden, dass auch die unerlaubte Einreise Bestandteil der Verfügung ist). Den Verwaltungsbehörden und den Gerichten ist aber nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung zu unterziehen (BVerfG, B.v. 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90 - juris Rn. 21), etwa im Hinblick darauf, ob der Aufenthalt eines Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. §53 Abs. 1 AufenthG gefährdet. Insoweit ist festzustellen, dass die strafrechtlichen und die ordnungsrechtlichen Maßstäbe nicht identisch sind. So schließt z.B. eine geringe strafrechtliche Schuld die Ausweisung eines Ausländers nicht ohne weiteres aus, denn einer Straftat kann ordnungsrechtlich größeres Gewicht als in strafrechtlicher Hinsicht zukommen (BVerwG, U.v. 26.3.1996 - 1 C 12/95 - juris Rn. 25). Dies ist vorliegend der Fall, zumal nicht mit der notwendigen Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die zuständige Staatsanwältin die im Schreiben der Beklagten vom 7. Februar 2020 (Freitag) als „verspätete Rückmeldung“ bezeichnete Stellungnahme auf das Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 29. Januar 2020, in dem die beabsichtigte Einstellung des Verfahrens mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Stellungnahme innerhalb einer Woche nach Zugang des Schreibens eingeräumt worden ist, vor der Einstellung des Ermittlungsverfahrens mit Verfügung vom 11. Februar 2020 (Dienstag) noch zur Kenntnis nehmen konnte. Der Kläger ist vorliegend nicht - wie er auch im Zulassungsvorbringen den Anschein erwecken will - lediglich (nach seinen Angaben am 7.8.2019) eingereist, um „seine Rechte und Pflichten als Vater eines zu gebärenden Kindes wahrzunehmen“. Ihm ging es bereits bei seiner Einreise um die Begründung eines dauerhaften Aufenthalts im Bundesgebiets. Neben dem Umstand, dass eine Ausreise des Klägers bislang nicht erfolgt ist, verdeutlicht dies auch die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 11. September 2019 (wobei offengelassen werden kann, ob auch der gut einmonatige unerlaubte Aufenthalt bis zur Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis <strafbar gem. §95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG> einen nicht geringfügigen Verstoß i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG darstellt). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die vom Kläger am ... 2020 geehelichte Mutter des am ... 2019 geborenen Kindes, für das der Kläger bereits am ... 2019 in S. die Vaterschaft anerkannt hat, bis zur Aushändigung ihrer Niederlassungserlaubnis am 29. April 2019 (und damit im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Einreise des Klägers) gegenüber der Beklagten den Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen vorgetäuscht hat (Rücknahmebescheid vom 13.10.2020; vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 21.6.2022 im Verfahren 19 ZB 22.592 betreffend den Antrag der Kindsmutter auf Zulassung der Berufung gegen das die Klage gegen den Rücknahmebescheid abweisende verwaltungsgerichtliche Urteil), um sich ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erschleichen.
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Der Kläger hat zudem wiederholt gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Die Ausführungen im angegriffenen Urteil zum Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG i.V.m.§ 48 Abs. 2 AufenthG (strafbar nach §95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) greift das Zulassungsvorbringen schon nicht an. Zudem ist in diesem Zusammenhang auch die Ordnungswidrigkeit nach § 54 Abs. 2 Nr. 2 BMG zu berücksichtigen. Anhaltspunkte dafür, dass ein Verstoß nicht vorliegt, bringt der Kläger im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht vor. Auf den Umstand, dass - soweit ersichtlich - ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet worden ist, kommt es vorliegend insoweit nicht an. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG knüpft dem Wortlaut nach nicht an eine Verurteilung oder sonstige Sanktionierung an, so dass es entgegen der Auffassung des Klägers nicht notwendig ist, dass der Verstoß tatsächlich geahndet worden ist (BVerwG, U.v. 17.6.1998 - 1 C 27.96 - juris Rn. 30; BayVGH, U.v. 15.12.2003 - 10 B 03.1725 - juris Rn. 17 jew. zu § 46 Nr. 2 AuslG; BayVGH, B.v. 24.6.2019 - 10 ZB 19.990 - juris Rn. 6). Erforderlich ist nur, dass sich der Rechtsverstoß aus den getroffenen Feststellungen ergibt. Das ist hier der Fall.
19
Im Übrigen macht sich der Senat die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu eigen und schließt sich diesen an.
20
1.2 Ebenfalls nicht zu beanstanden, ist die verwaltungsgerichtliche Auffassung, auch spezialpräventive Gründe stützten die Ausweisung.
21
Das Verwaltungsgericht hat völlig zurecht angenommen, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Neben der Tatsache, dass der Kläger wiederholt Rechtsverstöße begangen hat, um seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu festigen, ergibt sich die Wiederholungsgefahr auch daraus, dass er sich - nach eigenen Angaben - bereits vor seiner Einreise in das Bundesgebiet mehrere Jahre unerlaubt in S. aufgehalten hat und dass er schon bei Einreise in das Bundesgebiet einen Daueraufenthalt zusammen mit seinem Kind und der Kindsmutter angestrebt hat. Von einer Zäsur durch die Geburt des Kindes ist beim Kläger schon deshalb nicht auszugehen, weil alle Rechtsverstöße (abgesehen von der unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet) jedenfalls auch nach der Geburt des Kindes begangen worden sind. Der Senat teilt daher die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es hinreichend wahrscheinlich ist, dass er wieder die Rechtsordnung und insbesondere ausländerrechtliche Vorschriften missachten wird, sobald er sich davon einen persönlichen Nutzen verspricht. Dies ist schon deshalb wahrscheinlich, weil die (alle die kubanische Staatsangehörige besitzenden) Familienangehörigen (Kläger, Ehefrau und Kind) vollziehbar ausreisepflichtig sind, sie nur aufgrund der Passlosigkeit des Kindes geduldet sind und die Beschaffung eines Passes für das Kind von den Eltern abhängt. Insoweit ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass ein Pass für das Kind bereits beantragt ist.
22
2. Die übrigen Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil greift das Zulassungsvorbringen nicht an. Insoweit wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.
23
3. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren war wegen nicht hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung (vgl. insoweit die obigen Ausführungen) gemäß §§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO abzulehnen.
24
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
25
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).