VG Würzburg, Urteil v. 25.07.2022 – W 7 K 21.130
Titel:

zur Zumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses

Normenketten:
AufenthV § 5 Abs. 1, Abs. 2
Qualifikations-RL Art. 25 Abs. 2
Leitsatz:
Die Stellung als subsidiär Schutzberechtigter begründet nicht per se die Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses im Sinne von § 5 Abs. 1 AufenthV. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reiseausweise für Ausländer, Syrien, Zumutbarkeit der Passerlangung, subsidiärer Schutzstatus, Flüchtlingseigenschaft des Ehemanns bzw. Kindsvaters, Qualifikationsrichtlinie, RL 2011/95/EU
Fundstelle:
BeckRS 2022, 28397

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet  

Tatbestand

1
Die Kläger begehren die Erteilung von Reiseausweisen für Ausländer.
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1. Die Kläger sind syrische Staatsangehörige. Die 1997 geborene Klägerin zu 1) reiste am 25. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Kläger zu 2) und 3) sind in der Bundesrepublik Deutschland geboren und die gemeinsamen Kinder der Klägerin zu 1) und ihres im Jahr 1990 geborenen Ehemanns syrischer Staatsangehörigkeit.
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Dieser reiste nach eigenen Angaben erstmals Anfang 2014 aus Syrien aus, kehrte im Mai 2015 dorthin zurück und heiratete die Klägerin zu 1). Nach erneuter Ausreise reiste er nach eigenen Angaben am 28. Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 28. September 2015 einen Asylantrag stellte. Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Oktober 2015 wurde ihm ohne persönliche Anhörung die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt; in der Akte findet sich ein Vermerk des Bundesamts vom 23. Oktober 2015, wonach mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass Rückkehrern nach längerem Auslandsaufenthalt grundsätzlich eine oppositionelle, regimefeindliche Haltung unterstellt werde. Er verfügte zuletzt über eine Fiktionsbescheinigung, die bis 31. Mai 2021 gültig war. Zuvor war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG, die bis 6. November 2018 gültig war. Ausweislich seiner Angaben in der Anhörung vom 24. Februar 2022 im Rahmen eines ihn betreffenden asylrechtlichen Widerrufsverfahrens ist er als Friseur selbständig und betreibt zwei Friseurläden. Er gab an, wenn er nach Syrien zurückkehre, müsse er Wehrdienst leisten. Ausweislich des vorgelegten Wehrdienstbuchs wurde der Wehrdienst zuletzt aufgrund des Studiums für das Jahr 2011 bis 2012 ausgesetzt. Ein Abschluss des eingeleiteten Widerrufsverfahrens aufgrund sicherheitsrelevanter Erkenntnisse bzw. Ausschlusstatbestände ist aus der Akte nicht ersichtlich.
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Der Klägerin zu 1) erkannte das Bundesamt mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. Juli 2016 den subsidiären Schutzstatus zu (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG), sie ist derzeit im Besitz einer bis 2. August 2023 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG. Für die Kläger zu 2) und 3) wurde kein Asylantrag gestellt, sie sind derzeit im Besitz von bis 2. August 2023 gültigen Aufenthaltserlaubnissen nach § 33 AufenthG.
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Mit Schreiben vom 3. Januar 2020 wurden die Kläger zur Passbeschaffung bei der Syrischen Botschaft aufgefordert.
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Mit Schriftsatz vom 23. November 2020 beantragten die Kläger die Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer. Mit Schreiben vom 27. November 2020 wurden sie zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags angehört. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
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2. Mit Bescheid vom 28. Dezember 2020 lehnte das Landratsamt K. die Anträge auf Erteilung von Reiseausweisen für Ausländer ab.
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Die Erteilungsvoraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer lägen nicht vor. Nach § 5 Abs. 1 AufenthV könne einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitze und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen könne, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen ein Reiseausweis ausgestellt werden. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthV sei es insbesondere zumutbar, bei den zuständigen Behörden im In- und Ausland die erforderlichen Anträge für die Erteilung oder Verlängerung zu stellen, in einer den Bestimmungen des deutschen Passrechts entsprechenden Weise mitzuwirken und die Behandlung eines Antrags durch die Behörden des Herkunftsstaats nach dessen Recht zu dulden, sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führe. Der Nichtbesitz des Passes sei dabei ein für den Ausländer günstiger Umstand, den er gemäß § 82 Abs. 1 AufenthG vorzutragen und nachzuweisen habe. Ein Nachweis sei etwa die schriftliche Bestätigung des Herkunftsstaats, dass für den Betroffenen kein Pass ausgestellt werden könne. Im Anhörungsverfahren seien jedoch keine Nachweise vorgelegt worden, aus denen die bisherigen Bemühungen zur Passbeschaffung hervorgingen, es seien auch keine Gründe genannt worden, welche die Passbeschaffung unzumutbar machen würden.
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3. Gegen diesen Bescheid ließen die Kläger mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28. Januar 2021, am selben Tag bei Gericht eingegangen, Klage erheben und beantragen,
Unter Aufhebung des Bescheids vom 28.12.2020, den Klägern zugestellt am 29.12.2020, wird der Beklagte verpflichtet, den Klägern Reiseausweise für Ausländer auszustellen.
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Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt, den Klägern sei es unmöglich und unzumutbar, sich an die Syrische Botschaft zu wenden. Der Ehemann sei als Flüchtling anerkannt, die Ehefrau würde sich in Gefahr bringen, würde sie bei der Syrischen Botschaft zur Passbeantragung vorsprechen.
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Zudem sei zur Beantragung der Pässe der Kinder erforderlich, dass dort beide Eltern vorsprächen. Die Mitwirkung des Ehemanns sei erforderlich, sie sei nur dann ersetzbar, wenn die Mutter durch Entscheidung des zuständigen Scharia-Gerichts in Syrien zur alleinigen Sorgeberechtigten erklärt worden sei. Dies würde jedoch in Bezug auf den Vater zur Annahme einer Schutzunterstellung führen, abgesehen davon, dass gerade er als anerkannter Flüchtling in großer Gefahr wäre, würde er bei der Heimatbotschaft vorsprechen. Hierdurch würde dem syrischen Regime der Aufenthaltsort des Vaters bekannt und dieser registriert werden. Es sei bekannt, dass dem Assad-Regime geflüchtete syrische Staatsbürger im Ausland ein Dorn im Auge seien. Zuletzt habe das Regime versucht, auf die im Ausland befindlichen syrischen Staatsbürger Druck auszuüben durch Erlass eines Dekrets, wonach auch für in Syrien lebende Verwandte von Militärdienstverweigerern mit einer Vermögensbeschlagnahme gedroht werde, sofern keine Entschädigungssumme gezahlt werde (unter Hinweis auf den beigefügten Artikel des Syria Justice and Accountability Center vom 18. Februar 2021). Dies bedeute, dass durch die Registrierung des Aufenthaltsorts noch lebende Verwandte in Syrien in Gefahr seien. Es sei einem anerkannten Flüchtling auch nicht zumutbar, dabei mitzuwirken, dass seine Kinder dort registriert, benannt und bekannt würden, wo er selbst verfolgt werde. Auf den unter https://rlc-journal.org/2020/passbeschaffung-der-albtraum-syrischer-subsidiar-schutzberechtigter/ abzurufenden Beitrag wurde verwiesen, hieraus gingen die vielfältigen Gründe hervor, weshalb eine Passbeantragung bei der Syrischen Botschaft für subsidiär Schutzberechtigte einen Albtraum darstelle (Gefährdung der Familie in Syrien, Finanzierung des Terrorregimes etc). Insbesondere in der vorliegenden Konstellation sei die Sicherheit der Familie unnötig gefährdet. Zusätzlich sei es nicht zumutbar, einer Familie, deren Vater als Flüchtling anerkannt sei, aufzutragen, die Finanzierung eines Terrorregimes in Kauf nehmen zu müssen. Diesbezüglich wurde auf https://www.deutschlandfunk.de/passverlaengerung-deutsche-behoerden-schicken-syrer-in-100.html verwiesen.
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Darüber hinaus sei der Begriff der Zumutbarkeit in § 5 Abs. 2 AufenthV nicht abschließend definiert. Was im Einzelnen zumutbar abverlangt werden könne, beurteile sich nach den Umständen des Einzelfalls. Für die Frage der Zumutbarkeit müsse auch die Bedeutung der Passbeschaffung berücksichtigt werden (unter Hinweis auf NdsOVG, B.v. 6.9.2016 - 8 LA 47/16). Vorliegend stehe die Identität bereits fest, weshalb das öffentliche Interesse an der Passvorlage als gering zu gewichten sei.
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Die Syrische Botschaft in Berlin sei für die Regierung in Damaskus der europäische Hauptsitz der Regimebeauftragten für „Versöhnung“. In der Praxis bedeute das, dass Flüchtlinge, die vom Regime verfolgt würden oder eine Sanktion zu erwarten hätten (z.B. Wehrdienstflüchtlinge, Oppositionelle jeder Art), erst einen neuen Pass erhielten, wenn sie unter Zwang ein „Versöhnungsdokument“ in der Botschaft unterzeichneten. Dabei würden persönliche Details von den Antragstellern abgefragt und an die Syrischen Behörden in Damaskus übermittelt. Ausweislich einer Mitteilung der Syrischen Botschaft gegenüber dem Bundesinnenministerium und dem Auswärtigen Amt würden ausnahmslos alle Passanträge, die bei der Syrischen Botschaft eingingen, von den zuständigen Behörden in Damaskus bearbeitet (unter Hinweis auf VG Köln, U.v. 4.12.2019 - 5 K 7317/18). Zudem würden persönliche Informationen von Antragstellern an Gruppierungen, die syrische Flüchtlinge beispielsweise im Libanon beobachteten und drangsalierten, weitergegeben. Dadurch würden nicht nur die Antragsteller, sondern auch deren Familienangehörige in Syrien gefährdet. Auch von Einschüchterungen syrischer Flüchtlinge in Deutschland werde berichtet.
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Zudem sei der syrische Pass einer der teuersten der Welt, es müssten ca. 165 bis 700 EUR hierfür gezahlt werden (vgl. https://www.deutschlandfunk.de/passverlaengerung-deutsche-behoerden-schicken-syrer-in-100.html). Nach Angaben von Syrern in Deutschland zahlten Antragsteller 450 EUR pro Pass mit zwei Jahren Gültigkeit und erhielten lediglich eine Handzettelquittung mit vermerkten 350 EUR. Ein Expresspass koste 800 EUR, alles ausschließlich in bar und persönlich zahlbar. Eine Bearbeitung auf dem Postweg sei nicht möglich. Damit werde der Informationsbeschaffung, Korruption und Füllung der Kriegskasse des syrischen Regimes durch die verschärfte Handhabung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat Vorschub geleistet. Die verfolgungsrechtliche Situation des subsidiär Schutzberechtigten sei im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar, was zur Unzumutbarkeit der Passbeschaffung führe. Der Ehemann habe den Wehrdienst verweigert, es liege ein Ausnahmefall vor. Der Ehemann sei nicht getrennt von der Familie zu bewerten, vielmehr sei der familiäre Verband der Kernfamilie zu betrachten. Im Hinblick auf kulturelle und regionale Vorstellungen des Nahen Ostens sei es fehlgeleitet, eine Ehefrau und Kinder getrennt von der Situation des Ehemanns zu bewerten.
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4. Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde ergänzend zu den Gründen des angefochtenen Bescheids im Wesentlichen ausgeführt, den Klägern sei das Bemühen um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaats nicht unzumutbar. Die die Unzumutbarkeit begründenden Umstände seien vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Der Umstand, dass dem Kindsvater die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, sei unerheblich, da die Syrische Botschaft in Berlin mit E-Mail vom 2. März 2021 mitgeteilt habe, dass in Ausnahmefällen auch die Kindsmutter sowohl die Geburtenregistrierung als auch die Passbeantragung zeitgleich alleine einreichen könne. Auf die vorgenannte E-Mail und die beigefügten konsularischen Bestimmungen wurde verwiesen.
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§ 5 Abs. 1 AufenthV sei nach Art. 25 Abs. 2 RL 2011/95/EU so auszulegen, dass subsidiär Schutzberechtigte, die keinen nationalen Pass erhalten könnten, unter denselben Voraussetzungen ein Reisedokument beanspruchen könnten wie anerkannte Flüchtlinge einen Reiseausweis gemäß Art. 28 GFK. Die Stellung der Klägerin zu 1) als subsidiär Schutzberechtigte begründe allerdings nicht per se eine Unzumutbarkeit, dies sei vielmehr nach den konkreten Einzelfallumständen zu beurteilen. § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG finde auf subsidiär Schutzberechtigte keine Anwendung, deshalb sei im Einzelfall abzustimmen, ob die Vorsprache in der Auslandsvertretung des Heimatstaats zur Passbeschaffung zumutbar sei. Angesichts des mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriffs in die Personalhoheit eines anderen Staats sei es nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch den Heimatstaat verweise und die Erteilung eines Reiseausweises erst in Betracht ziehe, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben seien. In der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Oktober 2018 (19 ZB 15.428) werde ausgeführt, dass eine Passerlangung sich dann als unzumutbar bzw. unmöglich erweisen könne, wenn der drohende ernsthafte Schaden auf eine gezielte Bedrohung durch staatliche Behörden zurückgehe und der Betroffene eine Gefährdung der im Heimatland lebenden Verwandten befürchte. Die mögliche Gefährdung von Familienangehörigen in Syrien sollte bereits im Bundesamts-Bescheid thematisiert worden sein. Zudem müsse der Betroffene eine Gefährdungslage konkret glaubhaft machen können, etwa indem er Namen und Aufenthaltsorte der Familienangehörigen in Syrien benenne und deren genaue Gefährdung aufzeige. Bei Personen, die im Asylverfahren keine staatliche Verfolgung vorgebracht hätten, könne in der Regel nun auch keine staatliche Verfolgung und damit keine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung angenommen werden - insbesondere, wenn der subsidiäre Schutz aufgrund der allgemeinen Gefahrenlage wegen des Bürgerkriegs zuerkannt worden sei und sich aus dem Bescheid des Bundesamts auch keine sonstigen Hinweise auf eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung ergäben. In der Niederschrift zum Asylantrag habe die Klägerin zu 1) angegeben, dass ihre Mutter in der Türkei und ihr Vater in Würzburg seien, fünf Geschwister seien zum damaligen Zeitpunkt noch in Syrien gewesen. Sie habe Syrien wegen des Kriegs verlassen, passiert sei ihr selbst aber nichts. Der Anhörung sei auch zu entnehmen, dass die Familie der Klägerin zu 1) nach Syrien habe reisen müssen, da die Mutter für den Familiennachzug einen Pass gebraucht habe. Da die Eltern und der Ehemann nicht in Syrien lebten, könne durch die Passbeschaffung von keiner Gefährdung von in Syrien lebenden Verwandten ausgegangen werden. Im Rahmen der Anhörung im Asylverfahren sei demnach keine persönliche Bedrohung oder eine Bedrohung von Familienangehörigen im Heimatland angegeben worden.
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Trotz Einzelfallentscheidung sei es auch anderen Familien in derselben Konstellation möglich gewesen, die in Deutschland geborenen Kinder bei den syrischen Behörden zu registrieren und syrische Nationalpässe zu beschaffen. Zudem sei eine Unzumutbarkeit im konkreten Fall nicht nachgewiesen.
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Die Kosten eines syrischen Reisepasses seien auch von Syrern zu tragen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach den Kapiteln 3 oder 4 AufenthG besäßen. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Vater führe nicht zur Unzumutbarkeit, die Handlungen würden von der Klägerin zu 1) verlangt und nicht von ihrem Ehemann. Für die Kinder seien keine Asylanträge gestellt worden, sie besäßen keinen Schutzstatus.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten, wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung insbesondere auf das Protokoll vom 25. Juli 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 28. Dezember 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, denn sie haben keinen Anspruch auf Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden.
23
Die Kläger verfügen nicht über einen gültigen Pass oder Passersatz. Ihnen ist es jedoch zumutbar, sich um syrische Nationalpässe zu bemühen.
24
Bei der Unzumutbarkeit von (weiteren) Bemühungen zum Erhalt eines nationalen Passpapieres handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff. Die Prüfung der Zumutbarkeit bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, wobei es grundsätzlich mit Blick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates nicht zu beanstanden ist, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passpapiers durch den Herkunftsstaat verweist und die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer erst vornimmt, wenn zumutbare Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind. Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen, kommt dementsprechend nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die den Ausnahmefall begründenden Umstände sind grundsätzlich von dem Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Je gewichtiger die vom Ausländer plausibel vorgebrachten Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus resultierenden Unzumutbarkeit. Trägt der Ausländer substantiiert Umstände vor, aus denen sich ergibt, dass er sich oder seine Familie durch das Bemühen um Ausstellung eines Nationalpasses seines Heimatstaates unmittelbar in Gefahr bringen könnte, so genügt es, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine solche Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann. In diesen Fällen muss sich der Ausländer insbesondere nicht darauf verweisen lassen, sich zunächst mit der Auslandsvertretung seines Heimatstaates in Verbindung zu setzen, um durch deren Reaktion die behauptete Gefährdung nachzuweisen (vgl. BayVGH, U.v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 56; VG Saarlouis, U.v. 29.9.2021 - 6 K 283/19 - juris Rn. 25).
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Nach der Rechtsprechung sind die Anforderungen an die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Passerlangung unter Berücksichtigung der besonderen Verfolgungs- bzw. Gefährdungssituation von Schutzberechtigten nach den Umständen des Einzelfalls zu stellen. Auch bei subsidiär Schutzberechtigten ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob die Vorsprache im Konsulat des Herkunftsstaates zwecks Beschaffung eines Nationalpasses zumutbar ist, oder ob wegen Unzumutbarkeit gerade dieser Handlung durch die Ausländerbehörde ein Reiseausweis für Ausländer auszustellen ist. Im Hinblick auf die Zumutbarkeit ist im Einzelfall zu prüfen, ob die verfolgungsrechtliche Situation bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar ist. Auch ist im Einzelfall zu würdigen, ob die Gefährdung oder Bedrohung, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG geführt hat, von staatlichen Akteuren ausgeht. Geht der drohende ernsthafte Schaden auf eine gezielte Bedrohung durch staatliche Behörden zurück, und befürchtet der Betroffene eine Gefährdung seiner im Ausland lebenden Verwandten, so kann sich eine Passerlangung als unzumutbar bzw. unmöglich erweisen. Bei der Zumutbarkeit der vorzunehmenden Handlungen ist im Einzelfall darauf abzustellen, ob diese einer erneuten Unterschutzstellung entsprechen (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris m.w.N.).
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Auch wenn gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthV die Beantragung eines Passpapieres und die diesbezügliche Vorsprache gemäß §§ 5 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. 6 Abs. 1 Satz 7 PassG - nach der letztgenannten Vorschrift soll für die Beantragung eines Reisepasses eine persönliche Vorsprache erfolgen - bei den zuständigen nationalen Behörden im Grundsatz als zumutbar zu erachten sind, sind Fallkonstellationen denkbar, in denen bereits die Vorsprache in der Heimatbotschaft zwecks Passbeantragung unzumutbar sein kann. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn belastbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Ausländer im Rahmen der Beantragung eines Passes bereits in der Auslandsvertretung seines Herkunftsstaats Gefahren drohen, oder wenn der Ausländer substantiiert Umstände vorträgt, aus denen sich ergibt, dass er seine weiterhin im Herkunftsstaat ansässigen Familienangehörigen durch das Bemühen um die Ausstellung eines Nationalpasses unmittelbar in Gefahr bringen könnte. Daneben kann sich die Unzumutbarkeit der Passerlangung auch aus den Bedingungen ergeben, die der Herkunftsstaat an die Ausstellung eines Passes knüpft (vgl. VG Saarlouis, U.v. 29.9.2021 - 6 K 283/19 - juris Rn. 33).
27
Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist es den Klägern im vorliegenden Einzelfall nicht unzumutbar, sich an die Syrische Botschaft zwecks Ausstellung von Passdokumenten zu wenden.
28
1. Die Stellung der Klägerin zu 1) als subsidiär Schutzberechtigte begründet im vorliegenden Einzelfall nicht per se die Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses im Sinne von § 5 Abs. 1 AufenthV (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 10; VG Münster, U.v. 23.6.2022 - 3 K 823/20 - juris Rn. 25 f.).
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Subsidiär Schutzberechtigten ist es grundsätzlich zumutbar, sich bei den Auslandsvertretungen des Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Ihre Rechtsstellung in Bezug auf die Erlangung von Reisedokumenten ist anders geregelt als die der Flüchtlinge. Anerkannte Flüchtlinge können nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 der RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) und § 4 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV einen Reiseausweis für Flüchtlinge beanspruchen. Ein entsprechender Anspruch für subsidiär Schutzberechtigte besteht indes nicht. Vielmehr stellen die Mitgliedstaaten nach Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets nur dann aus, wenn diese keinen nationalen Pass erhalten können. In Bezug auf Reisedokumente verfolgt das Unionsrecht mithin nicht das im 39. Erwägungsgrund der Qualifikationsrichtlinie formulierte Ziel, Personen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, dieselben Rechte und Leistungen zu denselben Bedingungen zu gewähren wie Flüchtlingen. Vielmehr liegt eine der dort erwähnten Ausnahmeregelungen vor. Hintergrund dieser Differenzierung ist der unterschiedliche Ansatz beider Schutzregime. Subsidiärer Schutz soll einen (in Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie näher umschriebenen) ernsthaften Schaden abwenden. Im Falle des Flüchtlingsschutzes nach der Genfer Flüchtlingskonvention übernimmt der Aufenthaltsstaat ersatzweise den Schutz, der an sich durch den Staat der Staatsangehörigkeit zu leisten wäre. Dem liegt der Zusammenbruch des durch die Staatsangehörigkeit begründeten Rechtsverhältnisses zwischen Staat und Flüchtling zugrunde. Nicht anders als beim Asylgrundrecht ist Schutzgrund des Flüchtlingsstatus der Ausschluss aus der staatlichen Friedensordnung aufgrund eines bestimmten Merkmals. Dem ist die Gefahr eines ernsthaften Schadens selbst dann nicht vergleichbar, wenn sie von dem Staat ausgeht, weil dieser seine Staatsangehörigen generell und undifferenziert schlecht behandelt (vgl. VG Münster, U.v. 23.6.2022 - 3 K 823/20 - juris Rn. 25 ff.).
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Nach Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie erhalten subsidiär Schutzberechtigte Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets deshalb nur dann, wenn sie keinen nationalen Pass erhalten können, was im Falle syrischer Staatsangehöriger nicht der Fall ist, da die Auslandsvertretungen Syriens Pässe - wenn auch gegen entsprechende Gebühren - ausstellen, was auch die Kläger nicht bestreiten.
31
Auch aus den Gründen des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Dezember 2020 ist nur ersichtlich, dass der Klägerin zu 1) der subsidiäre Schutzstatus aufgrund von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, also wegen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts, und gerade nicht aufgrund einer individuellen Betroffenheit gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AufenthG zuerkannt wurde. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes wurde bestandskräftig abgelehnt.
32
Der Klägerin zu 1) ist es auch nicht im Hinblick auf § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzumutbar, bei der syrischen Auslandsvertretung einen Nationalpass zu beantragen. Nach dieser Vorschrift erlöschen die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn der Ausländer sich freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt. Davon ausgehend, dass seit Ablauf der Umsetzungsfrist der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie - für diesen Fall die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vom Bundesamt widerrufen werden (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13 Aufl. 2020, § 72 AsylG Rn. 1) ist § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG hier weder direkt noch entsprechend anwendbar. Denn die Klägerin zu 1) ist weder als Asylberechtigte noch als Flüchtling anerkannt. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 72 Abs. 2 Nr. 1 AsylG ist für eine analoge Anwendung der Vorschrift kein Raum (vgl. BayVGH, U.v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 71; B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 10; OVG NRW, B.v. 17.5.2016 - 18 A 951/15 - juris Rn. 6). Auch bei subsidiär Schutzberechtigten verbleibt es mithin bei einer Einzelfallprüfung, ob die Beschaffung eines Nationalpasses zumutbar ist.
33
2. Auch unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände des Einzelfalls ist jedoch nicht ersichtlich, warum den Klägern eine Passerlangung bei der Auslandsvertretung des Herkunftslandes nicht zumutbar sein sollte.
34
a) Entgegen dem klägerischen Vorbringen bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich die Kläger durch die Passbeantragung in der Syrischen Botschaft in Gefahr bringen würden.
35
Ausweislich der Antwort der Bundesregierung vom 15. Juli 2021 (vgl. BT-Drs. 19, 31566, S. 9) auf eine Kleine Anfrage im Deutschen Bundestag bestehen keine Anhaltspunkte für Repressalien bei (persönlichem) Erscheinen in der Syrischen Botschaft. Zudem wurde der Klägerin zu 1) der subsidiäre Schutzstatus nur gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG und nicht aufgrund einer individuellen Bedrohung durch den syrischen Staat gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass gerade an den Klägern ein gesteigertes staatliches Verfolgungsinteresse bestehen würde.
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b) Auch der Vortrag der Kläger, dass hinsichtlich der Passdokumente der Kinder die Mitwirkung beider Elternteile erforderlich sei, die Beantragung von Pässen für die Kinder (auch) durch den Kindsvater zu einer Schutzunterstellung für diesen führe, er durch die Vorsprache bei der Botschaft in Gefahr gebracht würde und es ihm auch nicht zumutbar sei, dass seine Kinder dort registriert und bekannt würden, wo er selbst verfolgte würde, führen nicht zur Annahme der Unzumutbarkeit von Bemühungen um die Ausstellung von Reisepässen.
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aa) Aus der vorgelegten Auskunft der Syrischen Botschaft in Berlin vom 2. März 2021 geht hervor, dass die Beantragung von syrischen Reisepässen und die Registrierung von Geburten zeitgleich vom Kindsvater eingereicht werden können, in Ausnahmefällen jedoch auch von der Mutter. Da die Kläger für das Vorliegen der Unzumutbarkeit von Bemühungen um die Ausstellung von syrischen Passdokumenten darlegungs- und beweisbelastet sind, gilt dies auch für in diesem Zusammenhang stehende Vorfrage, durch welche Personen das Bemühen um entsprechende Dokumente zu erfolgen hat. Dass und weshalb es der Klägerin zu 1) im vorliegenden Fall nicht möglich wäre, sich auch alleine um die Ausstellung von syrischen Reisepässen für die Kläger zu 2) und 3) zu bemühen, ist schon nicht substantiiert vorgetragen worden. Aus welcher rechtlichen Grundlage die Klägerseite schließt, zur Annahme eines Ausnahmefalls sei erforderlich, dass die Mutter die alleinige elterliche Sorge innehabe, ist nicht ersichtlich.
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Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass im vorliegenden Fall (auch) die Mitwirkung des Vaters erforderlich wäre, greifen die Argumente der Klägerseite jedoch nicht durch.
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bb) Allein das Bemühen und die Beantragung von Reisepässen für die Kinder unter Mitwirkung des Vaters führt nicht dazu, dass dieser sich dem Schutz des syrischen Staates freiwillig unterstellt (§ 72 Abs. 1 AsylG).
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Zum Erlöschen des Status als anerkannter Flüchtling ist erforderlich, dass dieser „ohne Not“ die rechtlichen Beziehungen zum Heimatstaat dauerhaft wiederherstellt oder sich freiwillig wieder in dessen schützende Hand begibt. Aus dem Verhalten des Ausländers muss auf eine veränderte Einstellung zum Heimatstaat geschlossen werden können. Die Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder eine sonstige Handlung von ähnlichem Gewicht und ähnlicher Aussagekraft indizieren die veränderte Einstellung nur, sofern der äußere Geschehensablauf einer Indizwirkung nicht entgegensteht (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand 1.7.2022, § 72 AsylG Rn. 9).
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Im vorliegenden Fall geht das erkennende Gericht deshalb davon aus, dass das Bemühen um die Beantragung von Reisepässen für die Kinder (auch) durch den Vater für diesen keine Schutzunterstellung begründet. Aus dem äußeren Geschehensablauf geht ausreichend klar hervor, dass der Vater sich nicht freiwillig um die Ausstellung der syrischen Reisepässe bemüht. Aus seinem Verhalten lässt sich vielmehr schließen, dass er die Pässe nur deshalb beantragen würde, um der nationalen Passpflicht nachkommen zu können. Die Vorlage eines syrischen Reisepasses für seine Familienangehörigen ist erforderlich, um gegebenenfalls Amtshandlungen deutscher Behörden vorzubereiten bzw. vornehmen lassen zu können (vgl. BVerwG, U.v. 2.12.1991 - 9 C 126.90 - juris Rn. 10). Bemühungen um die Passausstellung oder -verlängerung reichen für sich gesehen zudem nicht aus, um eine Schutzunterstellung annehmen zu können, zumal diese Bemühungen auch nur in Bezug auf die Passdokumente Dritter und nicht in Bezug auf eigene Passdokumente erfolgen würden (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 72 AsylG Rn. 16).
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cc) Auch wenn man unterstellt, dass der Vater der Kläger zu 2) und 3) für die Beantragung der Reisepässe in der Syrischen Botschaft erscheinen müsste, und hierdurch dessen Aufenthaltsort den syrischen Behörden bekannt würde, folgt hieraus ebenfalls nicht die Annahme der Unzumutbarkeit.
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Ausweislich der Antwort der Bundesregierung vom 15. Juli 2021 bestehen keine Anhaltspunkte für Repressalien bei (persönlichem) Erscheinen in der Syrischen Botschaft (vgl. BT-Drs. 19/312566, S. 9).
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Zwar geht aus den vorgelegten konsularischen Bestimmungen der Syrischen Botschaft hervor, dass im Rahmen der Beantragung von Reisepässen für die Kinder Angaben auch zum Vater - etwa die Angabe des wehrrechtlichen Status - erforderlich sind. Auch wenn man unterstellt, dass die dort angegebenen Daten an in Syrien befindliche Behörden übermittelt werden (vgl. VG Köln, U.v. 4.12.2019 - 5 K 7317/18 - juris Rn. 70), führt dies jedoch nicht zur Annahme der Unzumutbarkeit im vorliegenden Fall.
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Etwaige Folgen aus dieser Datenübermittlung würden nämlich - wenn überhaupt - erst mittelbar und zeitverzögert bei Rückkehr in den Herkunftsstaat Auswirkungen entfalten. Solche bloß mittelbaren Folgen genügen jedoch nicht, um eine Unzumutbarkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 AufenthV begründen zu können. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass bei der Prüfung der Frage der Zumutbarkeit auf die unmittelbaren Folgen des Bemühens um syrische Passdokumente abzustellen ist, ob mithin von dem Bemühen bzw. der Passbeantragung in der Botschaft selbst bereits konkrete Gefahren ausgehen (vgl. BayVGH, U.v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 56; VG Münster, U.v. 23.6.2022 - 3 K 823/20 - juris Rn. 42 ff.; a.A. wohl VG Köln, U.v. 4.12.2019 - 5 K 7317/18 - juris Rn.65 ff.).
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Dass allein das Bemühen um syrische Reisepässe bzw. deren Beantragung für die Kläger, den in Deutschland befindlichen Vater oder sonstige Familienangehörige im Herkunftsland unmittelbar konkrete Gefahren zeitigen würde, ist jedoch weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Zwar hat die Klägerin zu 1) hierzu in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, sie befürchte Probleme für ihre Verwandten, insbesondere für ihre beiden Onkel, die den gleichen Familiennamen tragen würden. Ein Sohn ihres Onkels sei in Syrien verhaftet worden, als er in Damaskus einen Reisepass habe beantragen wollen. Bis heute wüssten sie nicht, wo er sich befinde. Der dahingehende Vortrag erfolgte jedoch erstmals in der mündlichen Verhandlung und blieb zudem oberflächlich und vage. Aus dem Vortrag ging auch nicht substantiiert hervor, weshalb den Onkeln gerade durch die Beantragung von Passpapieren in der Syrischen Botschaft in Deutschland durch die Kläger konkrete Gefahren drohen sollten, zumal auch nach dem Vortrag der Klägerin zu 1) die Beantragung von Passpapieren in Syrien keine Gefahren für Dritte, sondern - die Glaubhaftigkeit des Vortrags unterstellt - allenfalls für den Antragsteller selbst zeitigen würde. Für eine entsprechende Gefährdungslage in der Syrischen Botschaft in Deutschland bestehen - wie bereits aufgezeigt - jedoch keine Anhaltspunkte.
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Auch wenn man unterstellt, dass die in Syrien befindlichen Behörden durch die Antragstellung in der Syrischen Botschaft in Deutschland Kenntnisse über den als Flüchtling anerkannten Vater erlangen würden, so würden hieraus für diesen keine unmittelbaren konkreten Gefahren erwachsen. Vielmehr geht das erkennende Gericht davon aus, dass hieraus allenfalls potentiell bei unterstellter Rückkehr nach Syrien Gefahren erwachsen könnten, etwa dahingehend, dass der im militärdienstfähigen Alter befindliche Vater in Syrien - ggf. nach kurzer Inhaftierung zur Verhinderung des Untertauchens - eingezogen würde, sofern er nicht die bestehende Möglichkeit zur Zahlung einer Freistellungsgebühr in Anspruch nehmen würde (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 2.5.2022 - 21 B 19.34314 - juris; U.v. 9.9.2019 - 20 B 19.32017 - juris; SächsOVG, U.v. 21.1.2022 - 5 A 1402/18.A - juris; jeweils m.w.N.; European Asylum Support Office [EASO], Country of Origin Information Report Syria - Military Service vom April 2021 [Military Service], S. 30). Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang auf abweichende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung sowie auf offene Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht betreffend die Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für syrische Wehrpflichtige verweisen, ist darauf hinzuweisen, dass die in diesem Zusammenhang thematisierten zielstaatsbezogenen Folgen bei unterstellter Rückkehr für die Bejahung der Unzumutbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthV mangels Unmittelbarkeit nicht genügen.
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c) Auch die weiteren von den Klägern vorgetragenen Argumente vermögen die Annahme der Unzumutbarkeit im vorliegenden Einzelfall nicht zu begründen.
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aa) Eine ausreichende Gefährdung von in Syrien lebenden Familienangehörigen geht entgegen der klägerischen Ansicht auch aus dem vorgelegten Bericht des Syria Justice and Accountability Center vom 18. Februar 2021 nicht hervor. Vielmehr wird dort ausgeführt, dass die geltenden syrischen Gesetze die Beschlagnahme bei Angehörigen verbieten, es wird lediglich von der Drohung eines syrischen Generals berichtet. Zudem würde den Familienangehörigen der Kläger in Syrien vorliegend auch keine Beschlagnahme drohen. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln geht vielmehr vor, dass vorübergehende Vermögensbeschlagnahmen - wenn überhaupt - nur in Fällen möglich sind, in denen Männer das wehrdienstfähige Alter von 43 Lebensjahren vollendet haben, ohne die Freistellungsgebühr zu bezahlen. Ein solcher Fall liegt bei dem noch im wehrdienstfähigen Alter befindlichen Vater jedoch schon nicht vor. Darüber hinaus wäre eine Beschlagnahme auch nur bei seiner Frau und seinen Kindern möglich, die sich jedoch in Deutschland befinden (vgl. EASO, Military Service, S. 34).
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bb) Auch der Vortrag, dass durch die erhöhten Kosten der Passbeschaffung ein Terrorregime finanziert, hierdurch der Informationsbeschaffung und Korruption Vorschub geleistet und eine Devisenquelle erschlossen werde, vermag die Unzumutbarkeit im vorliegenden Fall nicht zu begründen. Vielmehr sind die vom Herkunftsstaat allgemein festgelegten Gebühren für behördliche Maßnahmen nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 AufenthV grundsätzlich zumutbar. Dass diese im vorliegenden Fall auf einer willkürlichen Grundlage bzw. der Zahlung von Bestechungsgeldern beruhen würden, ist weder substantiiert vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Dass die von der Klägerseite angeführten Gebühren so hoch wären, dass die Kläger faktisch von der Erlangung der Reisepässe ausgeschlossen wären, ist ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich, zumal die Kläger angesichts der selbstständigen Tätigkeit des Vaters über eine ausreichende Finanzierungsgrundlage verfügen dürften (vgl. hierzu auch insoweit vergleichbare Entscheidungen in Betreff einer eritreischen Aufbausteuer: Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, U.v. 25.6.2021 - 11 A 270/20 - juris Rn. 32 f.; VG Wiesbaden, U.v. 8.6.2020 - 4 K 2002/19.WI - juris Rn. 22). Darüber hinaus bestehen nach den vorliegenden Erkenntnismitteln auch keine gesicherten Erkenntnisse, dass diese Gebühren zur Finanzierung des Sicherheitsapparats und des Militärs genutzt würden (vgl. BT-Drs. 19/312566, S. 9).
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cc) Darüber hinaus ist auch der Vortrag, es sei den Klägern bzw. dem Vater unzumutbar, zum Erhalt der Passdokumente ein „Versöhnungsdokument“ unterzeichnen zu müssen, zur Begründung der Unzumutbarkeit nicht geeignet.
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Weder aus den vorliegenden Behördenakten, noch aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln wird die klägerische Behauptung bestätigt, dass bereits bei der Beantragung von Reisepässen in der Syrischen Botschaft in Berlin ein solches Dokument unterzeichnet werden müsste. Vielmehr steht die Unterzeichnung derartiger „Versöhnungsdokumente“ erst dann in Rede, wenn es um die unmittelbar bevorstehende Rückkehr nach Syrien geht (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Syrien vom 27.4.2022, S. 179). Ein solcher Fall liegt mangels in Aussicht stehender Rückkehr der Familie nach Syrien jedoch nicht vor.
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Aufgrund der vorstehenden Ausführungen geht das Gericht im vorliegenden Einzelfall deshalb nicht davon aus, dass den Klägern Bemühungen zur Beschaffung von Passpapieren in der Syrischen Botschaft unzumutbar sind, weshalb es bereits an den Tatbestandvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthV fehlt. Der Vortrag der Kläger, es bestehe ein geringes öffentliches Interesse an der Passvorlage, da die Identität geklärt sei, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern, da es sich bei der Prüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Zumutbarkeit nicht um eine Abwägungsentscheidung handelt. Die diesbezüglich zitierte Entscheidung (NdsOVG, B.v. 6.9.2016 - 8 LA 47/16 - juris) ist im Zusammenhang mit den Regelerteilungsvoraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 5 AufenthG) ergangen und auf die vorliegende Konstellation nicht übertragbar. Das diesbezügliche Vorbringen könnte allenfalls als Ermessensgesichtspunkt auf der Rechtsfolgenseite von Bedeutung sein.
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Die Klage war daher abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.