VG Ansbach, Beschluss v. 12.09.2022 – AN 2 E 22.01880
Titel:

Erfolgloser Eilantrag auf Begründung eines Gastschulverhältnisses

Normenkette:
BayEUG Art. 43 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für den gastweisen Besuch einer anderen Grundschule als der zuständigen Sprengelschule muss eine individuelle Ausnahmesituation vorliegen, die es unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar macht, die zuständige Sprengelschule zu besuchen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das ist nicht schon bei allgemein auftretenden Schwierigkeiten der Fall, die eine größere Zahl von Eltern und Schülern betreffen. Es muss sich vielmehr um besondere, individuelle Umstände handeln, die eine vom Normalfall abweichende, durch den Besuch der Sprengelschule bedingte Belastung ergeben, wofür ein strenger Maßstab anzulegen ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Solche zwingenden persönlichen Gründe liegen regelmäßig weder bei einem erfolgten Umzug und dem Wunsch nach Beibehaltung des bisherigen Umfeldes noch einer Schüchternheit und Zurückhaltung des Schülers vor. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gastschulantrag, Umzug, Umfeldwechsel, Schüchternheit, Zurückhaltung, Gastschule, Sprengelschule, zwingende persönliche Gründe
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25475

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 2.500,00 EUR.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Rahmen ihres Antrages nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Begründung eines Gastschulverhältnisses nach Art. 43 Abs. 1 Bayerisches Gesetz über das Er-ziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG).
2
Die am … 2013 geborene Antragstellerin wohnte bis zum 22. Oktober 2021 in der …-straße …, … … und damit im Sprengel der dortigen Grundschule S. Zum 23. Oktober 2021 erfolgte der Umzug in den …-weg …, …  Dieser Wohnort befindet sich im Sprengel der St.-Grundschule … Die Antragstellerin besuchte sowohl im Schuljahr 2020/21 als auch im Schuljahr 2021/22 die Grundschule S. Der von den Erziehungsberechtigten der Antragstellerin unter dem 21. Oktober 2021 gestellte Antrag auf Genehmigung eines Gastschulverhältnisses für die Zeit vom 1. November 2021 bis zum 31. Juli 2022 an der Grundschule S. wurde mit zustimmenden Stellungnahmen der abgebenden und aufnehmenden Schulen genehmigt, um der Antragstellerin einen Schulwechsel im laufenden Schuljahr 2021/2022 zu ersparen.
3
Unter dem 2. Juni 2022 stellten die Eltern der Antragstellerin erneut einen Antrag auf gastweisen Schulbesuch in der Grundschule S. für die Schuljahre 2022/2023 und 2023/2024. Sie baten darum, dass die Antragstellerin die Grundschule in ihrer so wichtigen und gewohnten Umgebung samt Bezugspersonen in der Klasse und dem offenen Ganztagsangebot, das sie täglich bis 16:00 Uhr besuche, hier beenden dürfe. Es werde vermutet, dass die schulischen Leistungen nach einem erneuten Umfeldwechsel erheblich leiden würden.
4
Mit Schreiben der Stadt … vom 26. Juli 2022 wurde den Erziehungsberechtigten der Antragstellerin mitgeteilt, dass ein Umzug im Jahr 2021/2022 in einen anderen Schulsprengel keinen zwingenden persönlichen Grund zum Verbleib an der bisherigen Grundschule darstelle, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis 3. August 2022 gegeben. Eine Stellungnahme seitens der Eltern der Antragstellerin erfolgte nicht.
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Mit Bescheid vom 5. August 2022 wurde dem Antrag auf Genehmigung des gastweisen Schulbesuchs in der Grundschule S. nicht stattgegeben. Der Umzug im Schuljahr 2021/2022 in den Sprengel der St.-Grundschule stelle keinen zwingenden persönlichen Grund zum Verbleib an der Grundschule S. dar. An der St.-Grundschule bestehe die Möglichkeit der offenen bzw. gebundenen Ganztagsbetreuung bis 15:30 Uhr bzw. 16:00 Uhr. Die Voraussetzungen des Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayEUG lägen nicht vor.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 23. August 2022, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, hat die Antragstellerin, vertreten durch ihre Eltern, Klage und Eilantrag erheben lassen.
7
Zur Begründung wird im Wesentlichen und sinngemäß vorgetragen, die Antragstellerin habe in den beiden ersten Jahrgangsstufen aufgrund der Coronapandemie äußerst widrige Umstände beim Schulbesuch durchleben müssen, nämlich Schulschließungen, Homeschooling, Wechselunterricht, Abstands- und Maskenpflicht. Erst im zweiten Halbjahr der zweiten Jahrgangsstufe sei es möglich gewesen, einen geregelten Schulbetrieb mit ganzer Klassenstärke, ohne Atemschutzmasken und in durchgehender Anwesenheit in der Schule durchzuführen. Für die Antragstellerin sei es insbesondere schwer gewesen, unter diesen Umständen soziale Kontakte zu knüpfen. Es sei ihr erst innerhalb der letzten Monate gelungen, Anschluss an die Klasse zu finden und erste Freundschaften zu schließen. Nun solle sie aufgrund eines Umzuges aus ihrem zwischenzeitlich gewohnten Umfeld herausgerissen und gezwungen werden, sich erneut in eine für sie vollkommen fremde aber in sich bereits geschlossene Klassengemeinschaft zu integrieren. Die Strecke des Umzugs habe Luftlinie nicht einmal … km betroffen. Es stehe zu befürchten, dass sie bei einem Schulwechsel erhebliche soziale und psychische Belastungen ertragen müsse, die ihr nicht zugemutet werden könnten. Wie allgemein in der Jugendarbeit sollte auch vorliegend im Schulrecht das Kindeswohl das hauptsächlich entscheidende Argument sein. Dem Wohl der Antragstellerin würde es zweifellos am ehesten entsprechen, in ihrem zwischenzeitlich gewohnten Umfeld zu verbleiben. Ihr falle es aufgrund großer Schüchternheit schwer, sich in neue soziale Strukturen einzufinden, Freundschaften zu schließen, etc. Insbesondere sei zu befürchten, dass sie sich nicht in die bereits bestehende Klassengemeinschaft der 3. Klasse der St. Grundschule einfügen können werde. Verstärkt durch die Corona-Problematik habe es mehr als 1 ½ Jahre gedauert, bis sie sich in ihrer jetzigen Klasse einfinden habe können. Vor diesem Zeitpunkt hätten Schulangst und Angst vor Einsamkeit in der Klasse bestanden. Diese ganzen Probleme würden, voraussichtlich sogar in noch schlimmerer Form, bei einem Schulwechsel erneut auftreten. Die Kinder der 3. Jahrgangsstufe der St.-Grundschule würden sich ebenfalls bereits seit zwei Jahren kennen. Freundschaften seien bereits geschlossen. Es sei für neue Kinder immer schwierig, sich in diese Gemeinschaften zu integrieren. Aufgrund der besonderen psychischen Voraussetzungen der Antragstellerin seien hier erhebliche Probleme vorherzusehen. Dem Kindeswohl wäre mit dem Schulwechsel in keiner Weise gedient, vielmehr drohe erheblicher Schaden. Ohne die dargelegte Regelungsanordnung könne zudem das Problem auftreten, dass die Antragstellerin zunächst die St.-Grundschule aufsuchen müsse und dann, sollte die Klage erfolgreich sein, nach mehreren Monaten wieder in die Grundschule S. zurückkehren könne. Dies würde einen doppelten Schulwechsel darstellen und ihre Position in der Klassengemeinschaft würde wieder zu großen Teilen verloren gehen. Die Regelungsanordnung erscheine also nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden, die aus dem Schulwechsel zu befürchten seien. Eilbedürftigkeit bestehe. Die Hauptsache werde mit dem Antrag nicht vorweggenommen, da nur die Reglung des vorübergehenden Besuchs der Grundschule S. beantragt sei, bis über die Hauptsache entschieden werde.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 25. August 2022 hat die Antragstellerin ein ärztliches Attest ihres behandelnden Kinderarztes vom 23. August 2022 vorlegen lassen. Hierin wird ausgeführt, die Antragstellerin habe im zweiten Lebensjahr eine verzögerte Sprachentwicklung gezeigt, die sie aber bis zum dritten Geburtstag kompensiert habe. Sie sei in der Praxis meist als schüchterne, sehr auf die Mutter bezogene Patientin aufgetreten. Trotz Teilnahme am Kindergarten sei sie sehr auf ihre Geschwister und die Familie bezogen. Besuche bei Freunden und Bekannten traue sie sich nicht alleine zu. Durch die Lockdown-Phasen hätten sich ihre sozialen Kontakte vollständig verloren. Die Antragstellerin sei introvertiert, kontaktscheu, z. T. ängstlich. Sie brauche eine stabile gewohnte Umgebung, um ihre Möglichkeiten zu entfalten. Ein Schulwechsel würde sie deutlich belasten, was sich nicht nur negativ auf ihre Leistungen, sondern auch auf ihre emotionale und psychische Stabilität auswirken würde. Es werde deshalb dringend empfohlen, einen unnötigen Schulwechsel zu vermeiden.
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Die Antragstellerin beantragt,
Der Antragstellerin wird vorübergehend gestattet bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiterhin die Grundschule S. zu besuchen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
11
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen und sinngemäß aus, gemäß Art. 42 Abs. 1 BayEUG bestehe an öffentlichen Schulen Sprengelpflicht. Das bedeute, dass Schülerinnen und Schüler ihre Schulpflicht in der Schule erfüllten, in deren Schulsprengel sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten. Dies sei regelmäßig der Wohnsitz. Jeder Grundschüler habe grundsätzlich seine Sprengelschule zu besuchen. Ausnahmsweise könne über ein genehmigtes Gastschulverhältnis gemäß Art. 43 BayEUG oder über eine Zuweisung des Staatlichen Schulamtes gemäß Art. 43 Abs. 2 BayEUG der Besuch einer anderen Schule als der Sprengelschule genehmigt werden. Die Ausnahme von der Sprengelpflicht setze persönliche Gründe voraus, die zudem zwingend sein müssten. Angesichts des vom Gesetzgeber grundsätzlich in Art. 42 Abs. 1 BayEUG als vorrangig bewerteten öffentlichen Interesses am Besuch der zuständigen Sprengelschule könnten solche zwingenden Gründe nur angenommen werden, wenn die dadurch entstehenden persönlichen Nachteile deutlich schwerer wiegen würden als das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Sprengelpflicht. Nur wenn es dem Kind unzumutbar sei, die Sprengelschule zu besuchen, komme entweder ein Gastschulverhältnis nach Art. 43 Abs. 1 BayEUG oder eine Zuweisung durch das Schulamt nach Art. 43 Abs. 2 BayEUG in Frage. Ihr stehe bei der Entscheidung über einen Gastschulantrag Ermessen zu. Die vorgetragenen persönlichen Gründe seien mit dem öffentlichen Interesse (u.a. Gleichbehandlung mit anderen Schülern) abzuwägen. In diesem Zusammenhang dürfe darauf hingewiesen werden, dass das Staatliche Schulamt großen Wert darauf lege, dass die Wohnsitzgemeinden einen strengen Maßstab bei der Beurteilung von Gastschulanträgen anlegten, um einen „Schülertourismus“ zu vermeiden. Nach Abwägung der Interessen der Antragstellerin mit den gesetzlichen Vorgaben habe kein zwingender persönlicher Grund aufgrund des Umzuges und der damit verbundenen Erschwernisse gesehen werden können. Ein Schulwechsel durch Umzug stelle für jede Schülerin und jeden Schüler eine außergewöhnliche Situation dar. Auftretende Schwierigkeiten durch einen Umzug träfen jedoch jeden Schüler in dieser Situation. Insoweit sei ein Umzug und ein damit verbundener Schulwechsel kein atypischer Fall, deren Abwägung eine Ermessensentscheidung zu Gunsten der Antragstellerin mit sich bringe. Auch stelle ein Umzug mit Schulwechsel keine unbillige Härte dar. Auch sei auf eine Gleichbehandlung mit anderen Schülern zu achten, die der gleichen Umzugssituation unterlägen. Der Besuch des offenen Ganztagszuges könne ebenfalls an der neuen Schule erfolgen. An der Sprengelschule bestehe die Möglichkeit der offenen bzw. gebundenen Ganztagesbetreuung bis 15.30 Uhr bzw. 16.00 Uhr. Die Voraussetzungen des Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayEUG lägen deshalb nicht vor. Im Zeitpunkt der Bescheiderstellung habe kein ärztliches Gutachten vorgelegen.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
13
Gegenstand des zulässigen Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO ist das Begehren der Antragstellerin, ihr den Besuch der Grundschule S** in … im Rahmen eines Gastschulverhältnisses vorübergehend bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gestatten.
14
Gemäß § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand oder zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder wenn die Regelung notwendig erscheint, um vom Antragsteller wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Hierbei prüft das Gericht die Sach- und Rechtslage lediglich summarisch (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2022, § 123 Rn. 122). Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache - zumindest in zeitlicher Hinsicht - vorweg, so sind an die Prüfung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund qualifizierte Anforderungen zu stellen. Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs liegen im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache daher im Regelfall nur dann vor, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren jedenfalls dem Grunde nach spricht (so zum Ganzen BayVGH, B.v. 18.3.2016 12 CE 16.66 - juris Rn. 4). Bezüglich des Anordnungsgrundes muss dargelegt werden, dass der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile erleiden würde, die durch die spätere Hauptsacheentscheidung nicht mehr nachträglich beseitigt werden könnten (BVerfG, B.v. 25.1.1995 - 2 BvR 2689/94 - NJW 1995, 950).
15
Gemessen an diesen Anforderungen ist der vorliegende Antrag unbegründet, da die Antragstellerin zwar einen Anordnungsgrund infolge Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht hat, es jedoch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs nach den hier anzuwendenden Vorschriften des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes (BayEUG) mangelt. Die summarische Prüfung des Gerichts ergibt, dass die Antragstellerin keinen Anspruch nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayEUG auf den Besuch der gewünschten Grundschule anstelle der Sprengelschule hat.
16
Schülerinnen und Schüler einer Grundschule oder Mittelschule erfüllen ihre Schulpflicht grundsätzlich in der Schule, in deren Schulsprengel sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 BayEUG). Das ist im Fall der Antragstellerin unstreitig die St. Grundschule in … Gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayEUG kann auf Antrag der Erziehungsberechtigten aus zwingenden persönlichen Gründen der Besuch einer anderen Grundschule oder Mittelschule mit einem anderen Sprengel gestattet werden. Zwingende persönliche Gründe liegen nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nur dann vor, wenn die persönlichen Nachteile beim Besuch der zuständigen Sprengelschule deutlich schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Sprengelpflicht. Für den gastweisen Besuch einer anderen Grundschule muss danach eine individuelle Ausnahmesituation vorliegen, die es unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar macht, die zuständige Sprengelschule zu besuchen. Das ist nicht schon bei allgemein auftretenden Schwierigkeiten der Fall, die eine größere Zahl von Eltern und Schülern betreffen. Es muss sich vielmehr um besondere, individuelle Umstände handeln, die eine vom Normalfall abweichende, durch den Besuch der Sprengelschule bedingte Belastung ergeben, wofür ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. zum Ganzen, BayVGH, B.v. 18.5.2020 - 7 ZB 19.1673 - BeckRS 2020, 9644).
17
Vorliegend hat die Antragstellerin nach summarischer Prüfung zwingende persönliche Gründe für den Besuch der Grundschule S. nicht glaubhaft gemacht. Zwingende persönliche Gründe für eine Gestattung im Sinne des Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayEUG ergeben sich weder aus dem während des Schuljahres 2021/2022 erfolgten Umzug und dem Wunsch nach Beibehaltung des bisherigen Umfeldes (1.) noch aus der geltend gemachten Schüchternheit und Zurückhaltung der Antragstellerin, auch nicht in Verbindung mit dem vorgelegten ärztlichen Attest (2.).
18
1. Der erforderliche zwingende persönliche Grund für den Besuch der Grundschule S. kann nicht auf den im Schuljahr 2021/2022 erfolgten Umzug und den in diesem Zusammenhang geäußerten Wunsch nach Beibehaltung des bisherigen Umfeldes gestützt werden. Insoweit unterscheidet sich die Situation der Antragstellerin nicht von anderen Schülerinnen und Schülern nach einem Umzug und kann somit eine individuelle Ausnahmesituation nicht rechtfertigen. Das Gericht verkennt nicht, dass mit einem Schulwechsel und dem damit verbundenen Verlassen des gewohnten Umfeldes eine gewisse Belastung für die Antragstellerin verbunden ist. Veränderungen des Umfelds treten aber regelmäßig im Leben auf, auch bereits in jungem Alter, etwa beim Übergang von der Kita zum Kindergarten, vom Kindergarten zur Grundschule oder beim Abschied von der Grundschulzeit, so dass insoweit nicht von besonderen, individuellen Umständen ausgegangen werden kann. Dass die Antragstellerin im Schuljahr 2021/2022 wegen des Umzugs von der Sprengelpflicht befreit wurde, begründet ebenso keinen Anspruch auf erneute Befreiung. Insoweit erfolgte die Gestattung des damals gestellten Gastschulantrags nur deshalb, um der Antragstellerin einen Schulwechsel während des laufenden Schuljahres zu ersparen.
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2. Soweit sich die Erziehungsberechtigten der Antragstellerin darüber hinaus darauf berufen, die Antragstellerin sei sehr schüchtern und ihr falle es schwer, sich in neue Strukturen einzufinden, und hierzu ergänzend ein ärztliches Attest vom 25. August 2022 vorlegen, kann dies ebenfalls nicht die Bejahung eines zwingenden persönlichen Grunds rechtfertigen. In ihrem Antrag auf gastweisen Besuch der Grundschule S. haben die Erziehungsberechtigten der Antragstellerin deren Schüchternheit nicht thematisiert, vielmehr lediglich auf den erfolgten Umzug abgestellt und darum gebeten, ihre Tochter in der ihr so wichtigen und gewohnten Umgebung samt Bezugspersonen zu belassen, da vermutet werde, dass die schulischen Leistungen nach einem erneuten Umfeldwechsel erheblich leiden werden. Erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens wurde auf die Schüchternheit der Antragstellerin eingegangen und insoweit ein ärztliches Attest vorgelegt, in dem insbesondere ausgeführt ist, die Antragstellerin sei introvertiert, kontaktscheu, z.T. ängstlich, sie brauche eine stabile Umgebung um ihre Möglichkeiten zu entfalten und dass sie ein Schulwechsel deutlich belasten würde, was sich nicht nur negativ auf ihre Leistungen, sondern auch auf ihre emotionale und psychische Stabilität auswirken würde. Auch die zuletzt genannten Beeinträchtigungen sind nach summarischer Prüfung jedoch von keinem solchen Gewicht, dass sie unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Verbleib an der bisher besuchten Schule erforderten und das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Sprengelpflicht überwiegen würden. So ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die geltend gemachten Beeinträchtigungen einen Krankheitswert erreicht hätten oder erreichen würden, der ggf. zwingend gegen einen Schulwechsel sprechen könnte. Dem vorgelegten ärztlichen Attest kann insoweit weder eine genaue Diagnose noch etwaiger erforderlicher Behandlungsbedarf entnommen werden. Die geltend gemachten Beeinträchtigungen der Antragstellerin, die auch in Zusammenhang mit der Coronapandemie aufgetreten sind, stellen nach summarischer Prüfung Schwierigkeiten dar, die durchaus eine größere Zahl von Kindern betreffen und somit keinen Ausnahmefall begründen können. Es ist darüber hinaus nicht ersichtlich, dass die zuständige Sprengelschule nicht in der Lage oder gewillt wäre, die Antragstellerin in der gebotenen Weise zu unterstützen und ihr die Aufnahme in den neuen Klassenverband so leicht wie möglich zu machen, so dass davon auszugehen ist, dass anfängliche Schwierigkeiten mit der neuen Umgebung und den damit verbundenen neuen sozialen Kontakten kompensiert werden können.
20
Weitere individuelle Umstände sind nicht ersichtlich, insbesondere ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass auch an der Sprengelschule die Möglichkeit der offenen bzw. gebundenen Ganztagsbetreuung besteht.
21
Aus den dargestellten Gründen war der Antrag daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
22
Die Festsetzung des Streitwerts findet ihre rechtliche Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. Ziff. 1.5, 38.4 Streitwertkatalog.