LG Kempten, Endurteil v. 12.05.2022 – 31 O 1173/20
Titel:
Kein (weiteres) Schmerzensgeld und Verdienstausfall nach Verkehrsunfall
Normenketten:
StVG § 11
BGB § 253 Abs. 2, § 842
Leitsatz:
Im Falle eines vom Unfallgegner allein verschuldeten Verkehrsunfalls übersteigt das angemessene Schmerzensgeld 13.000 EUR nicht, wenn der Verletzte eine distale Unterschenkelfraktur, eine Rippenserien- und Sternumfraktur sowie eine zeitlich begrenzten Anpassungsstörung von einem Jahr erlitten hat und sich für insgesamt 66 Tage stationär in Krankenhaus und Kurzzeitpflege befunden hat. (Rn. 71 – 74) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schmerzensgeld, Unterschenkelfraktur, Rippenserienfraktur, Sternumfraktur, Anpassungsstörung, stationäre Behandlung, entgangener Gewinn, Verdienstausfall, Kausalität
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 21.09.2022 – 24 U 2979/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25044
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger macht als Insolvenzverwalter gegen die Beklagte weitere Schadensersatzansprüche der Insolvenzschuldnerin in Form von Verdienstausfallschaden sowie weiterem Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall vom 22.12.2014 geltend.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) - Insolvenzgericht vom 27.10.2016 wurde über das Vermögen von Frau, die seit 1993 als selbständige Steuerberaterin tätig gewesen war, das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Die Insolvenzschuldnerin befindet sich seit dem 16.05.2019 unter Betreuung.
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Am 22.12.2014 um 18:45 Uhr kam es auf der Bundesstraße 16 bei R., Abschnitt 180 km 0.100 zu einem Verkehrsunfall zwischen dem von der Insolvenzschuldnerin gesteuerten Fahrzeug Ford Escort, amtliches Kennz ... und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug VW Golf, amtliches Kennz ... dessen Fahrer Herr ... war. Hierbei übersah der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs, als er von Roßhaupten kommend auf die Bundesstraße 16 in Richtung Füssen auffuhr, das auf der B 16 befindliche, vorfahrtsberechtigte Fahrzeug von Frau . Es kam zu einem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge. Der Unfall wurde allein von dem Unfallbeteiligten verursacht. Die Beklagte haftet für Ansprüche von Frau aus diesem Verkehrsunfall dem Grunde nach zu 100%.
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Durch das Unfallereignis erlitt Frau erhebliche Verletzungen, nämlich eine distale Unterschenkelfraktur links und einen durch den Airbag verursachten Schlag auf die Brust. Zur Behandlung der Fraktur war eine osteosynthetische Versorgung notwendig.
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Frau befand sich unfallbedingt vom 22.12.2014 bis 19.01.2015 in stationärer Behandlung im Klinikum Ka. (wobei sowohl auf S. 4 der Klage als auch auf S. 19 der Klageerwiderung als Erstbehandlungstag der 11.12.2014 angegeben wurde; hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler) und anschließend vom 19.01.2015 bis 25.02.2015 in Kurzzeitpflege in der Katholisch-Evangelischen Sozialstation Fü..
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Zwischen dem 19.02.2015 und dem 28.07.2017 leistete die Beklagte die auf S. 5 der Klage aufgelisteten Schadensersatzzahlungen. Auf die Position Schmerzensgeld wurden insgesamt 13.000,00 € bezahlt. Auf die Position Verdienstausfall erfolgte insgesamt eine Zahlung von 25.000,00 €. Weiter leistete die Beklagte am 28.07.2017 einen frei verrechenbaren Betrag von 5.000,00 €.
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Der Kläger behauptet, dass Frau durch den Unfall in erheblichem Maße in ihrem Alltag eingeschränkt und für mehrere Monate auf Gehhilfen angewiesen gewesen sei. Es hätte sich eine langwierige Krankengymnastik angeschlossen. Die Verletzung am linken Bein hätte schließlich zu einer posttraumatischen Hüftkopfnekrose links geführt. Frau hätte zunehmend an erheblichen Schmerzen gelitten. So habe sich neben einem chronischen Schmerzsyndrom und klinisch relevanter depressiver Symptomatik mit deutlicher Ausprägung auch eine posttraumatische Belastungsstörung mit entsprechender Medikation (Schmerzmittel und Psychopharmaka) eingestellt. Sämtliche dieser Beschwerden seien unmittelbar auf das Unfallereignis zurückzuführen. Unfallbedingt sei Frau auch vom 25.02.2015 bis 08.04.2015 und vom 15.03.2016 bis 22.04.2016 in der m& i-Fachklinik E. gewesen. Vom 30.08.2017 bis 12.09.2017 habe es unfallbedingt einen Klinikaufenthalt im Klinikum G.-P. gegeben.
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Der Kläger behauptet weiter, dass Frau zunächst auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen gewesen sei. Dies habe eine Rückkehr in ihre damalige Wohnung in L., in der auch die Steuerberaterkanzlei eingegliedert war, mit 2 Etagen und einer steilen Treppe unmöglich gemacht.
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Dadurch seien die Betriebsausgaben in der Folge deutlich gestiegen. Dies sei zum einen auf eine weitere Hilfskraft im Jahre 2015 zurückzuführen. Über einen langen Zeitraum hätten auch berufliche Telefonate im Krankenhaus über das Handy geführt werden müssen.
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Die erlittenen Verletzungen hätten sich unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit von Frau ausgewirkt. Der steuerliche Gewinn der Steuerberaterkanzlei sei nach dem Unfallgeschehen um mehr als 50% eingebrochen. Im Jahr 2013 habe Frau einen steuerlichen Gewinn von 78.082,43 € und im Jahr 2014 einen steuerlichen Gewinn von 68.554,88 € erzielt. Der durchschnittliche steuerliche Gewinn in diesen beiden Jahren habe sich somit auf 73.318,66 € belaufen.
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Im Jahr 2015 habe Frau nur noch einen steuerlichen Gewinn von 27.677,03 € und für den Zeitraum 01.01.2016 bis 26.10.2016, also einen Tag vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nur einen steuerlichen Gewinn von 22.864,80 € erzielt. Der durchschnittliche steuerliche Gewinn nach dem Unfall belaufe sich somit nur auf 25.270,90 €, sodass eine Differenz von 48.047,75 € jährlich bestehe. Als Beweis für den jeweiligen steuerlichen Gewinn benennt der Kläger die als Anlagenkonvolut K 5 vorgelegten Gewinnermittlungen für 2013 bis 2016 sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens.
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Der Kläger kommt nach seiner Berechnung für das Jahr 2015 auf einen Verdienstausfall von 48.047,75 € und für den Zeitraum 01.01.2016 bis 26.10.2016 auf einen Verdienstausfall von 38.383,40 €. Unter Berücksichtigung der von der Beklagten auf den Verdienstausfall gezahlten 25.000,00 € beziffert er den noch nicht regulierten Verdienstausfallschaden auf 62.431,15 €.
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Als Schmerzensgeld stellt sich der Kläger unter Anrechnung des gezahlten Schmerzensgeldbetrages von 13.000,00 € einen Mindestbetrag von 20.000,00 € vor, wobei aufgrund der behauptet unfallbedingt eingetretenen klinisch relevanten depressiven Symptomatik mit deutlicher Ausprägung und der posttraumatischen Belastungsstörung ein Betrag in Höhe von 12.000,00 € angemessen erachtet wird. Für die Verletzungen an Bein und Hüfte (posttraumatische Hüftkopfnekrose) hält der Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 8000,00 € für angemessen.
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Der Kläger beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 62.431,15 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.10.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 20.000,00 EUR aber nicht unterschreiten sollte, zu zahlen, abzüglich bereits gezahlter 13.000,00 EUR.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Die Beklagte bestreitet, dass der steuerliche Gewinn infolge des Unfallereignisses eingebrochen sei und dass Frau unfallbedingt nicht in der Lage gewesen sei, für den vom Kläger behaupteten Zeitraum, der nicht näher erläutert wurde, ihrer Tätigkeit als Steuerberaterin nachzugehen.
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Die vorgelegten Gewinnermittlungen seien nicht nachvollziehbar. Steuerbescheide würde nicht vorgelegt. Die Beklagte trägt weiter verschiedene Diskrepanzen, die sich aus ihrer Sicht aus den vorgelegten Gewinnermittlungen ergeben, vor. So würden die Betriebseinnahmen für das Jahr 2013 mit 83.419,74 € nur geringfügig über denen von 2015 mit 75.624,80 € liegen. Es sei nicht ansatzweise entnehmbar, weshalb dann der Gewinn um 50.000,00 € weniger sei. Soweit behauptet werde, dass Frau jemand infolge des Unfallereignisses Ende 2014 eingestellt habe, sei dies auszuschließen.
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Die Beklagte bestreitet die Unfallbedingtheit der geltend gemachten posttraumatischen Hüftkopfnekrose sowie des behaupteten chronischen Schmerzsyndroms nach Gerbershagen III. Die Hüftkopfnekrose links sei kein Ergebnis der in Restitutio verheilten Unterschenkelfraktur.
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Hinsichtlich des Schlages auf die Brust werde vom Kläger weder vorgetragen, wie lange hier Beschwerden angedauert hätten noch dass diesbezüglich keine Restitutio in integrum gegeben wäre. Aus Sicht der Beklagten sei insoweit eine folgenlose Ausheilung nach 2 Wochen erfolgt.
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Auch die in vorgelegten Arztberichten angeführte Hüft-TEP-Versorgung habe mit dem Unfall nichts zu tun.
22
Einen Klinikaufenthalt in der Fachklinik En. vom 25.02.2015 bis zum 08.04.2015 habe es definitiv nicht gegeben. Die tatsächlich stattgefundenen Klinikaufenthalte in der Fachklinik En. er vom 15.03.2016 bis zum 22.04.2016 und im Klinikum G.P. seien nicht unfallbedingt gewesen.
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Aus Sicht der Beklagten sei es unfallbedingt nur zu einer Beeinträchtigung der reinen Bewegungsfähigkeit von Frau bis zum 25.02.2015 und mit einer gewissen Überschneidung mit degressiven Charakter für vielleicht noch einen weiteren Monat gekommen. Auch insoweit habe Frau ihre Tätigkeit als Steuerberaterin ohne weiteres durchführen können Das von der Beklagten gezahlte Schmerzensgeld von 13.000,00 € sei für die tatsächlich unfallbedingt entstandenen Verletzungen und Beschwerden ausreichend.
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Ebenso sei auch ausreichend auf den Verdienstentgang gezahlt worden.
25
Die Beklagte verweist noch darauf, dass der Wegfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitskraft als solche kein ersatzpflichtiger Schaden sei. Man könne auch nicht den Jahresgewinn auf die Tage des tatsächlichen Ausfalls des Selbstständigen umlegen. Eine völlig abstrakte Schadensschätzung genüge nicht.
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Das Gericht hat mit Beweisbeschluss vom 13.11.2020, auf den bezüglich der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 59/60), Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den behaupteten unfallbedingten Verletzungen, wobei mit der Benennung eines geeigneten Sachverständigen die GmbH beauftragt wurde.
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Mit Beschluss vom 14.01.2021, auf den Bezug genommen wird (Bl. 72/73), wurden als Sachverständige mit der Erstattung des Gutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 13.11.2020 auf dem Gebiet der Unfallchirurgie/Orthopädie Herr Dr. und auf dem Gebiet der Nervenheilkunde Herr Dr. beauftragt.
28
Der Sachverständige Dr. hat am 24.08.2021 ein schriftliches fachorthopädisches Gutachten erstattet, auf das im einzelnen Bezug genommen wird (Bl. 100/110).
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Weiter wird auf das ebenfalls am 24.08.2021 erstattete schriftliche nervenärztliche Gutachten des Sachverständigen Dr. bezüglich der Einzelheiten verwiesen (Bl. 111/129).
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Mit Beweisbeschluss vom 03.12.2021 (Bl. 146/147) hat das Gericht weiter Beweis erhoben durch Einholung eines ergänzenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. zu Ergänzungsfragen der Klagepartei.
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Auf den Inhalt des ergänzenden schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. vom 18.01.2022 (Bl. 153/154) wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Kempten (Allgäu) sachlich gemäß §§ 23, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gemäß §§ 32 ZPO, 20 StVG zuständig.
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II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
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Dem Kläger stehen als Insolvenzverwalter des Schuldnervermögens von Frau keine weiteren Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus dem Unfallereignis vom 22.12.2014 zu.
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Es besteht weder ein Anspruch auf Zahlung eines über den von der Beklagten auf Schmerzensgeld gezahlten Betrages von 13.000,00 Euro hinausgehenden höheren Schmerzensgeldes noch auf Zahlung des geltend gemachten Verdienstausfalls, der den auf Verdienstentgang bereits von der Beklagten gezahlten Betrag von 25.000,00 € übersteigt.
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1. a) Die Insolvenzschuldnerin hat aufgrund des Unfalls vom 22.12.2014, für den die Beklagte dem Grunde nach zu 100% haftet, unstreitig eine distale Unterschenkelfraktur links und einen durch den Airbag verursachten Schlag auf die Brust erlitten.
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Aufgrund dieser unfallbedingten Verletzungen war sie ebenfalls unstreitig vom 22.12.2014 bis 19.01.2015 in stationärer Behandlung im Klinikum K. und anschließend vom 19.01.2015 bis 25.02.2015 in Kurzzeitpflege in der Katholisch-Evangelischen Sozialstation F..
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Nach dem Bericht des Klinikums Kaufbeuren vom 13.01.2015 wurde bei der Insolvenzschuldnerin eine Rippenserienfraktur rechts und eine Sternumfraktur festgestellt, die (wohl) auf den durch den Airbag verursachten Schlag auf die Brust zurückzuführen sind.
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b) Dagegen hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass die von ihm weiter behaupteten Verletzungen und Beschwerden der Insolvenzschuldnerin mit Ausnahme einer zeitlich begrenzten Anpassungsstörung unfallbedingt waren.
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aa) So hat der Kläger den ihm obliegenden Nachweis nicht erbracht, dass die bei Frau eingetretene Hüftkopfnekrose durch den streitgegenständlichen Unfall vom 22.12.2014 verursacht wurde.
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Der Sachverständige Dr. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.08.2021, gegen das von keiner der beiden Parteien Einwendungen erhoben wurden, überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass die bei dem Frontalzusammenstoß erlittene komplizierte Unterschenkelfraktur links zustande gekommen sei, da der Pedalraum in Richtung der Patientin eingestaucht worden sei und zwar mit solcher Wucht, dass es durch die axiale Krafteinleitung zu der komplizierten Unterschenkelfraktur mit Gelenkbeteiligung gekommen sei. Da das Knie in der sitzenden Fahrerposition mit Sicherheit zumindest teilweise gebeugt und nicht gestreckt gewesen sei, komme es in solchen Fällen zumindest nicht zu gröberen Kraftfortleitungen auf das Kniegelenk und auch nicht auf das Hüftgelenk. Es seien auch weder während des primären Krankenhausaufenthalts noch in den Kontrolluntersuchungen bis Oktober 2015 irgendwelche Schmerzen und/oder Einschränkungen im Hüftgelenk von Frau zu eruieren gewesen.
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Der Sachverständige Dr. ... kommt zu der Beurteilung, dass es im Bereich der Hüfte nicht zu einer nennenswerten Prellung und/oder Kontusion, geschweige denn zu einem Knochenbruch oder einer Gelenkluxation gekommen sei. Auch das MRT vom 11.01.2017 zeige lediglich die Hüftkopfnekrose und keinerlei frühere Frakturfolgen.
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Da Frau im Rahmen des erlittenen Unfalls überhaupt keine Hinweise auf das Vorliegen einer Verletzung im Hüftbereich geboten und es auch keine Symptome einer Hüftverletzung nach dem Unfall gegeben habe, kann nach den ebenfalls überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. die im Verlauf 10 Monate später aufgetretene Schmerzsymptomatik, die auf eine Hüftkopfnekrose hindeuten könne, nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit kausal auf den Unfall zurückgeführt werden. Zwar ergeben sich auch keine Hinweise auf das Vorliegen von Risikofaktoren für das Erleiden einer Osteonekrose, jedoch sei ein großer Anteil der Hüftkopfnekrosen eben auch idiopathisch auftretend und somit schicksalhaft bzw. ohne erkennbare Ursachen.
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Der Sachverständige Dr. kommt letztlich zu der Beurteilung, dass die am 11.01.2017 im MRT diagnostizierte Hüftkopfnekrose, die erst 10 Monate nach dem Unfall erste Beschwerden gezeigt habe, mit Wahrscheinlichkeit nicht unfallbedingt ist. Es spreche mehr dagegen als dafür.
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Allein die bloße Möglichkeit, dass die Hüftkopfnekrose Unfallfolge sein kann, genügt nicht für den vom Kläger zu erbringenden Nachweis.
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bb) Der Kläger hat auch nicht den ihm obliegenden Nachweis erbracht, dass die Insolvenzschuldnerin Frau unfallbedingt zunehmend an erheblichen Schmerzen gelitten und unfallbedingt ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt hat.
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Der Sachverständige Dr. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.08.2021 insoweit ebenfalls überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass gemäß den Berichten in der Akte die Heilung auch inklusive der posttraumatischen Beschwerden bezüglich der Unterschenkelfraktur, der Rippenserienfraktur und der Sternumfraktur stadiengerecht und nicht von besonderen Schmerzen begleitet gewesen sei. Das chronische Schmerzsyndrom, das in der Fachklinik En. während der stationären Therapie vom 15.03.2016 bis 22.04.2016 diagnostiziert worden sei, sei Folge der unfallunabhängigen Hüftkopfnekrose und daher nicht im Zusammenhang mit dem Unfall stehend.
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Insgesamt kommt der Sachverständige Dr. zu der Beurteilung, dass sich aufgrund der Unfallfolgen kein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt hat. Nach Implantation der H-TEP links seien die Schmerzen auch weitgehend restituiert gewesen.
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cc) Der Kläger hat zudem den ihm obliegenden Nachweis nicht erbracht, dass sich bei Frau unfallbedingt eine posttraumatische Belastungsstörung mit entsprechender Medikation (Schmerzmittel Psychopharmaka) eingestellt hat.
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Der Sachverständige Dr. kommt auf dem Fachgebiet Neurologie in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.08.2021 nachvollziehbar und überzeugend zu der Beurteilung, dass die von ihm im einzelnen näher dargelegten Kriterien A bis F im Achsensystem des DSM für eine posttraumatische Belastungsstörung nicht erfüllt seien.
51
Auch diesbezüglich wurden von den Parteien keine Einwendungen erhoben.
52
c) Allerdings hat der Kläger, der behauptet hat, dass bei der Insolvenzschuldnerin unfallbedingt eine klinisch relevante depressive Symptomatik aufgetreten sei, zumindest insoweit den ihm obliegenden Nachweis erbracht, dass bei Frau unfallbedingt eine zeitlich begrenzte Anpassungsstörung aufgetreten ist.
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Der Sachverständige Dr. kommt in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.08.2021 nachvollziehbar und überzeugend zu der Beurteilung, dass im Zuge der stattgehabten unfallbedingten Verletzungen und insbesondere auch der erst verzögert stattfindenden Rehabilitation eine psychoreaktive Störung im Sinne einer Anpassungsstörung eingetreten ist.
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Eine Anpassungsstörung sei ein subjektives Leiden und eine emotionale Beeinträchtigung mit Einschränkung der sozialen Funktionen und Leistungen nach entscheidenden Lebensveränderungen oder belastenden Ereignissen (zum Beispiel einem schweren Unfall mit länger anhaltenden Schmerzen und Behandlungen). Die Störung beginne meist innerhalb von Monaten nach dem belastenden Ereignis und halte durchaus auch einmal länger als 6 Monate an. Anpassungsstörungen (F43.2), die früher auch „depressive Reaktion“ oder „reaktive Depression“ genannt worden seien, würden insgesamt eine nicht unproblematische Diagnose darstellen. Es handele sich um ein Problem im Graubereich zwischen „normaler“ und „außergewöhnlicher“ Belastung.
55
Zum Auftreten einer Anpassungsstörung werde im Unterschied zu einer posttraumatischen Belastungsstörung davon ausgegangen, dass die Beschwerden in der Regel innerhalb der 1. Woche nach dem schädigenden Ereignis in Erscheinung treten und nicht erst mit teilweise längerer Latenz.
56
Mit Blick auf die aktuelle Gutachtenliteratur geht der Sachverständige Dr. im vorliegenden Fall von einer doch erheblichen Anpassungsstörung aus und nimmt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit/Einschränkung der beruflichen Belastbarkeit/der Invalidität von 30% für einen Zeitraum von 1 Jahr an. Er sieht die verzögerte Ausheilung der peripheren Verletzungen als Grund für die Annahme einer prolongierten Anpassungsstörung.
57
Für die Zeit nach Ende 2015 kann der Sachverständige Dr. allerdings keinen Zusammenhang mehr zwischen den bis heute bestehenden psychischen Auffälligkeiten und dem Unfall und seinen Folgen herstellen.
58
Der Sachverständige Dr. ordnet die in der weiteren Folge beklagten psychiatrischen Auffälligkeiten von Frau, die auch heute noch psychopharmakologisch behandelt werden, als dominierend unabhängig und persönlichkeitsimmanent begründet ein.
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d) Weiter kommt der Sachverständige Dr. zu der Diagnose, dass aufgrund des Unfalls eine Commotio cerebri aufgetreten ist.
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e) Soweit der Kläger im Hinblick auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. ... vom 24.08.2021 aufgrund der von Frau ... beklagten psychiatrischen Auffälligkeiten mit psychopharmakologischer Behandlung im Schriftsatz vom 12.10.2021 vorgetragen hat, dass ein unfallabhängiger Wandel der Persönlichkeit von Frau anzunehmen sei, hat er den ihm insoweit obliegenden Nachweis nicht erbracht.
61
Der Sachverständige Dr. ... hat insoweit in seinem Ergänzungsgutachten vom 18.01.2022, gegen das keine Einwendungen erhoben wurden, überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei Frau keine relevante Persönlichkeitsstörung bestehe. Hierfür würden sich keine Hinweise ergeben.
62
Es habe sich lediglich, wie auch unter 1. c) näher ausgeführt, eine psychoreaktive Störung entwickelt, die im Zuge der verzögerten Ausheilung der körperlichen Unfallfolge als prolongierte Anpassungsstörung bis Ende 2015 anerkannt werden müsse.
63
Für die Zeit danach bestehe eine Dysthymie, die nicht mehr auf den Unfall zurückgeführt werden könne, sondern als eigenständige psychiatrische Auffälligkeit bei Frau zu gelten habe.
64
Auch für die Unfallbedingtheit dieser Dysthymie hat der Kläger nicht den ihm obliegenden Nachweis erbracht.
65
f) Der Kläger hat auch nicht den ihm obliegenden Nachweis erbracht, dass die stationären Aufenthalte in der Fachklinik En. im Jahr 2016 sowie Im Klinikum G.P. im Jahr 2017 unfallbedingt erforderlich waren.
66
Ebenfalls hat er keinen Nachweis für seine von der Beklagten bestrittene Behauptung erbracht, dass im Jahr 2015 überhaupt, noch dazu unfallbedingt, eine stationäre Behandlung in der Fachklinik En. stattgefunden hat.
67
2. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Sachverhalts ist das von der Beklagten bereits gezahlte Schmerzensgeld von 13.000,00 € für die tatsächlich unfallbedingt entstandenen Verletzungen und Beschwerden von Frau auf jeden Fall angemessen und entspricht der billigen Entschädigung gemäß § 253 Abs. 2 BGB.
68
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch der weiteren Bundesgerichte (vgl. im einzelnen BGH, Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16.09.2016 - VGS 1/16, insbes. Rz. 47 ff., m.w.N.) hat das Schmerzensgeld eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion).
69
Dabei steht der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichste Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung.
70
Der unbestimmte Rechtsbegriff der „billigen Entschädigung“ ist im Ergebnis nach dem Wortlaut, systematisch, historisch und teleologisch dahin auszulegen, dass bei der Bemessung der „billigen Entschädigung“ durch den Richter alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden dürfen.
71
Bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe hat das Gericht die folgenden für die Bemessung maßgeblichen Umstände berücksichtigt:
- die unstreitigen sowie die vom Kläger nachgewiesenen unfallbedingten Verletzungen und Beschwerden der Insolvenzschuldnerin, nämlich eine distale Unterschenkelfraktur links, einen durch den Airbag verursachten Schlag auf die Brust, der zu einer Rippenserienfraktur rechts und eine Sternumfraktur geführt hat, eine zeitlich begrenzte Anpassungsstörung für die Dauer von 1 Jahr sowie eine Commotio cerebri
- die tatsächlich stattgefundenen unfallbedingten Behandlungen, wobei stationäre Behandlungen unstreitig in der Zeit vom 22.12.2014 bis 19.01.2015 im Klinikum K. und anschließend vom 19.01.2015 bis 25.02.2015 als Kurzzeitpflege in der Katholisch Evangelischen Sozialstation F., also für 66 Tage stattgefunden haben
- die stadiengerechte und nicht von besonderen Schmerzen begleitete Heilung
- den Umstand, dass unfallbedingt keine Folge- oder Dauerschäden verblieben sind
- den Umstand, dass der Unfall von dem Versicherten der Beklagten dadurch allein verschuldet wurde, weil dieser das vorfahrtsberechtigte Fahrzeug von Frau K. übersehen hat
- den Umstand, dass für vergleichbare Verletzungen, unabhängig vom Haftungsgrund, ein annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren ist Unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblichen Umstände hält das Gericht den von der Beklagten bereits gezahlten Schmerzensgeldbetrag von 13.000,00 € für angemessen, aber auch ausreichend.
72
Dieser Schmerzensgeldbetrag steht auch in einem angemessenen Verhältnis zu der Art und Dauer der unstreitigen sowie nachgewiesenermaßen unfallbedingten Verletzungen und Beschwerden von Frau .
73
Anzumerken ist, dass das von der Beklagten bereits gezahlte Schmerzensgeld auf jeden Fall selbst unter Berücksichtigung der Schmerzensgeldvorstellung des Klägers von mindestens 20.000,00 €, die vor allem auf von ihm nicht als unfallbedingt nachgewiesene Verletzungen und Beschwerden gestützt wird, angemessen ist.
74
Das Gericht hat nicht zu entscheiden, ob das gezahlte Schmerzensgeld bereits überhöht ist.
75
3. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Verdienstausfalls, der den auf Verdienstentgang bereits von der Beklagten gezahlten Betrag von 25.000,00 € übersteigt, zu.
76
Der Kläger hat bereits nicht ausreichend dargelegt, dass aufgrund der unter 1. aufgeführten unstreitigen sowie nachgewiesenen unfallbedingten Verletzungen und Beschwerden der Insolvenzschuldnerin tatsächlich ein höherer Verdienstentgang als der von der Beklagten gezahlte Betrag von 25.000,00 € eingetreten ist.
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Es fehlt bereits an einem ausreichenden Vortrag, inwieweit der behauptete Gewinnentgang tatsächlich auf unfallbedingte Verletzungen und Beschwerden zurückzuführen ist sowie inwieweit und wie lange sich die unstreitigen sowie nachgewiesenen unfallbedingten Verletzungen und Beschwerden der Insolvenzschuldnerin Klöck tatsächlich auf deren berufliche Tätigkeit ausgewirkt haben.
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Insoweit kann sich eine Auswirkung lediglich im Jahr 2015 ergeben haben.
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Ein ausreichender Vortrag des Klägers, wann die unstreitig unfallbedingt eingetretenen Verletzungen in Form der distalen Unterschenkelfraktur links sowie des durch den Airbag verursachten Schlags auf die Brust ausgeheilt waren, ist allerdings nicht erfolgt. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. ist eine stadiengerechte Heilung erfolgt.
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Der Kläger ist dem Vortrag der Beklagten, dass es unfallbedingt nur zu einer Beeinträchtigung der reinen Bewegungsfähigkeit von Frau bis zum 25.02.2015 und mit einer gewissen Überschneidung mit degressiven Charakter für vielleicht noch einen weiteren Monat gekommen sei, nicht substantiiert entgegengetreten.
81
Soweit der Kläger eine unfallbedingte Anpassungsstörung nachgewiesen hat, hat diese nur zu einer Einschränkung der beruflichen Belastbarkeit von Frau von 30% für einen Zeitraum von 1 Jahr geführt hat.
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Weiter fehlt ein ausreichender Vortrag, inwieweit die Insolvenzschuldnerin aufgrund der nicht unfallbedingten Hüftkopfnekrose sowie aufgrund weiterer nicht unfallbedingter Beschwerden in ihrer Tätigkeit als Steuerberaterin eingeschränkt war und inwieweit diesbezüglich ein Verdienstentgang eingetreten ist.
83
Die Einschränkungen der Tätigkeit als Steuerberaterin durch nicht unfallbedingte Erkrankungen und Beschwerden sind jedenfalls nicht von der Beklagten zu tragen.
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Einschränkungen in der Tätigkeit von Frau als Steuerberaterin für das Jahr 2016 sind darüber hinaus nicht mehr auf unfallbedingte Verletzungen und Beschwerden zurückzuführen. Die unfallbedingten Verletzungen und Beschwerden waren jedenfalls bereits im Laufe des Jahres 2015 ausgeheilt. Auch die unfallbedingte Anpassungsstörung hat für maximal 1 Jahr angedauert.
85
Auch ansonsten fehlt, worauf das Gericht bereits in der Verfügung vom 22.10.2020 hingewiesen hat, ein ausreichend substantiierter Vortrag der Klagepartei zum unfallbedingten Verdienstausfall von Frau . Allein der Verweis auf als Anlagen vorgelegte Gewinnermittlungen, die zudem nicht näher erläutert wurden, reicht für einen substantiierten Vortrag keinesfalls aus.
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Die vorgelegten Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG für die Jahre 2013, 2014, 2015 und 2016 können schon nicht als beweiskräftig angesehen werden. Es handelt sich dabei um betriebliche Aufstellungen einer Steuerberaterkanzlei, deren Richtigkeit anhand des unsubstantiierten Vortrags der Klagepartei zu den anspruchsbegründenden Tatsachen nicht verifiziert werden kann. Die Klagepartei legt auch, was bereits die Beklagtenpartei zutreffend moniert, keine Einkommensteuererklärung(en) noch Einkommensteuerbescheide des zuständigen Finanzamts für die entsprechenden Kalenderjahre vor.
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Unter Berücksichtigung des Vortrags der Klagepartei ist eine Schätzung des Mindestschadens hinsichtlich des unfallbedingten Gewinnentgangs, der zu einer höheren Zahlung als 25.000,00 € führen würde, nicht möglich.
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Ob bereits eine Überzahlung hinsichtlich des Verdienstausfalls durch die Beklagte erfolgt ist, ist vom Gericht nicht zu entscheiden.
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III. Mangels eines Hauptanspruchs besteht kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.
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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.