VG München, Beschluss v. 05.09.2022 – M 8 SN 22.3423
Titel:

Grenzständige Bebauung und Begriff des Doppelhauses

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 22 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Ist ein unbeplanter Innenbereich in offener Bauweise bebaut, weil dort nur Einzelhäuser, Doppelhäuser und Hausgruppen im Sinn von§ 22 Abs. 2 BauNVO den maßgeblichen Rahmen bilden, fügt sich ein grenzständiges Vorhaben im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich nicht nach der Bauweise ein, wenn es grenzständig errichtet wird, ohne mit dem verbleibenden Gebäudeteil ein Doppelhaus oder eine Hausgruppe zu bilden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Neubau einer Doppelhaushälfte, Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot (Doppelhausrechtsprechung) (bejaht), Baugenehmigung, Nachbarklage, Innenbereich, grenzständige Bebauung, Rücksichtnahmegebot, Einfügen, Doppelhaus, Begriff
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.04.2023 – 2 CS 22.2126
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24380

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 20. Dezember 2021 (M 8 K 21.6561) gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 19. November 2021 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren als Nachbarn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 19. November 2021 für den Abbruch und Neubau eines Endreihenhauses (zwei Wohneinheiten) auf dem Baugrundstück H1.str. 42, FlNrn. … und 460/145, Gemarkung ... (im Folgenden: Baugrundstück).
2
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks H1.str. 40, FlNr. … Gemarkung ... (im Folgenden: Nachbargrundstück), welches im Westen unmittelbar an das Baugrundstück angrenzt. Auf dem Nachbargrundstück befindet sich ein Gebäude, das an seiner östlichen und westlichen Gebäudeseite unmittelbar an die Bebauung auf den Grundstücken … straße 38a und dem Baugrundstück angrenzt. Bis zum Beginn der Abbrucharbeiten bestand auf dem Baugrundstück eine profilgleich an das Gebäude auf dem Antragstellergrundstück angebaute Haushälfte mit spiegelbildlichem Aufbau.
3
Die streitgegenständlichen Grundstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans. Ein übergeleiteter Baulinienplan setzt entlang der ... straße eine vordere Baulinie und entlang der H2. Straße eine vordere Baugrenze fest.
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Vergleiche zur bestehenden und geplanten baulichen Situation auf dem Baugrundstück sowie zur Umgebungsbebauung folgenden Lageplan im Maßstab 1:1000 (nach dem Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht):
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Am 28. Juni 2021 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Abbruch und Neubau eines Endreihenhauses (zwei Wohneinheiten) auf dem Baugrundstück. Die Planung sieht die Errichtung eines zum Antragstellergrundstück grenzständigen Baukörpers vor. Auf einer Länge von drei Metern nimmt der Baukörper zunächst die Tiefe des Gebäudes auf dem Antragstellergrundstück und dessen Dachform auf (ca. 30 Grad geneigtes Satteldach mit einer Firsthöhe von 8,60 m), verspringt dann jedoch nach Norden (im Erdgeschoss um 5,11 m) und nach Süden (im Erdgeschoss um 4,57 m). Die so entstehenden südlich und nördlich herausragenden Gebäudeteile sind zweigeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss und haben Satteldächer, deren Giebelflächen nach Norden und Süden ausgerichtet sind und eine Firsthöhe von 7,85 m haben. Diese herausragenden Gebäudeteile treten im ersten Obergeschoss und Dachgeschoss etwas zurück, verfügen aber über umlaufende Balkone im 1. Obergeschoss in der durch das Erdgeschoss vorgegebenen Tiefe. Zum Nachbargrundstück hin befinden sich - sowohl auf dem nördlichen als auch dem südlichen herausragenden Gebäudeteil - jeweils eine 1,75 x 1,75 m große und 2,00 bzw. 2,4 m tiefe (abgegriffen) Dachgaube. Es soll in jeder Haushälfte jeweils eine Wohneinheit auf den Baugrundstücken entstehen, deren Eingang auf der östlichen Gebäudeseite liegt.
6
Mit Bescheid vom 19. November 2021 genehmigte die Antragsgegnerin den Bauantrag vom 28. Juni 2021 nach Plan Nr. … mit Handeintragungen vom 17. November 2021. Es wurden Befreiungen wegen Überschreitung der entlang der … straße festgesetzten Baulinie und der entlang der H2. Straße festgesetzten Baugrenze durch den Hauptbaukörper, Lichtschächte, Terrassen und Mülltonnenstandorte erteilt.
7
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021, am selben Tag bei Gericht eingegangen, erhoben die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragten die Aufhebung der Baugenehmigung vom 19. November 2021 (M 8 K 21.6561). Über diese Klage wurde bislang nicht entschieden.
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Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2022, am 8. Juli 2022 bei Gericht eingegangen, beantragten die Antragsteller,
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die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 20. Dezember 2021 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 19. November 2021 anzuordnen.
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Das streitgegenständliche Vorhaben halte die Abstandsflächen zum Nachbargrundstück nicht ein. Das Vorhaben sehe zur westlichen Grundstücksgrenze eine Abstandsflächentiefe von H/2 vor, die jedoch nicht auf dem eigenen Grundstück nachgewiesen werden könne. Die Abstandsflächentiefe werde fehlerhaft mit 3,06 m angegeben, obwohl die Wandhöhe 6,41 m betrage. Zudem könne im vorliegenden Fall das 16m-Privileg des Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO nicht in Anspruch genommen werden, da auf verschiedenen Buchgrundstücken errichtete, aneinandergebaute Gebäude nicht als ein Gebäude angesehen werden könnten. Unmittelbar an der nordöstlichen Grundstücksgrenze befände sich ein Baum, der ebenfalls nicht den notwendigen Abstand einhalte. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstoße zudem gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da es weitreichende Einsichtnahmemöglichkeiten schaffe und Belichtung und Belüftung beeinträchtige. Von der geplanten Garage bzw. Stellplätzen würden Immissionen ausgehen. Das Bauvorhaben sei zudem erdrückend.
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Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor und äußerte sich im Übrigen nicht zur Sache.
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Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie verweist auf ihren Vortrag im Klageverfahren. Hier führten die Bevollmächtigten der Beigeladenen aus, das Vorhaben wahre die Abstandsflächen. Die Antragsteller würden die Wandhöhe von 6,41 m der Ostseite entnehmen, maßgeblich sei jedoch die Westansicht. Die Beigeladene könne das 16m-Privileg in Anspruch nehmen. Der nordwestliche und südwestliche Wandteil würden eine einheitliche Außenwand bilden. Selbst wenn man dies anders sehen würde, seien die seitlichen Abschlusswände bei einem profilgleichen Anbau von Doppelhaushälften und Reihenhäusern nach wie vor nicht als Außenwände i.S.d. Art. 6 Abs. 5a BayBO zu behandeln. Der Mindestabstand von 3 m sei - ausweislich der Grundrisse Erdgeschoss und Kellergeschoss - eingehalten. Art. 6 BayBO gelte im Übrigen nicht für Bäume, insoweit komme Art. 47 EGBGB zur Anwendung, der zivilrechtlich geltend zu machen sei. Das Vorhaben verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da der Baukörper nur 21 cm höher als der der Nachbarn sei und daher keine erdrückende Wirkung habe. Von ihm gehe auch kein unzumutbarer Verschattungseffekt aus. Das Gebot der Rücksichtnahme beinhalte keinen Schutz vor Einsichtnahmemöglichkeiten, diese seien hinzunehmen. Die Garagen seien geschlossen, sodass die Antragsteller weder Licht noch Abgasen ausgesetzt seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte in diesem und im Hauptsacheverfahren (M 8 K 21.6561) Bezug genommen.
II.
16
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 19. November 2021 ist begründet. Die Klage in der Hauptsache wird voraussichtlich Erfolg haben, da die streitgegenständliche Baugenehmigung voraussichtlich nachbarschützende Vorschriften verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
17
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung hat gem. § 212a Baugesetzbuch (BauGB) keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Nr. 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessungsentscheidung darüber, ob das Interesse des Nachbarn an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung oder das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung höher zu bewerten ist. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache sind als wesentliches, jedoch nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80a Rn. 25f.).
18
Verletzt die angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten, so besteht kein öffentliches Interesse an deren Vollziehung. Dagegen stellt es ein gewichtiges Indiz für das Überwiegen des Vollzugsinteresses dar, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg verspricht. Sind die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Nachbarn offen, so erfolgt eine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Gesichtspunkte (BayVGH, B.v. 26.7.2011 - 14 CS 11.535 - juris Rn. 18).
19
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen können, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 21.07.2020 - 2 ZB 17.1309 - juris Rn. 4; B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht - auch nicht teilweise - dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Hinzu kommt, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 - 4 B 244/96 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 - 2 CS 08.2132 - juris Rn. 3).
20
1. Dies zugrunde gelegt, überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragsteller gegenüber den entgegenstehenden Vollzugsinteressen der Beigeladenen, da die Klage der Antragsteller nach summarischer Prüfung voraussichtlich Erfolg hat. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt gegen das im vorliegenden Fall gem. § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Begriff des Einfügens enthaltene Rücksichtnahmegebot, das im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen war (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1a Bayerische Bauordnung (BayBO).
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1.1. Bei der hier streitgegenständlichen Bebauung ist das Rücksichtnahmegebot in seiner besonderen Ausprägung in Form der Grundsätze der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu beachten, die auch in dem in offener Bauweise bebauten unbeplanten Innenbereich über das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich zur Anwendung kommen können (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 12).
22
Das streitgegenständliche Vorhaben befindet sich vorliegend - abgesehen von dem übergeleiteten Bauliniengefüge - im unbeplanten Innenbereich. Ist ein unbeplanter Innenbereich - wie hier - in offener Bauweise bebaut, weil dort nur Einzelhäuser, Doppelhäuser und Hausgruppen im Sinn von§ 22 Abs. 2 BauNVO den maßgeblichen Rahmen bilden, fügt sich ein grenzständiges Vorhaben im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich nicht nach der Bauweise ein, wenn es grenzständig errichtet wird, ohne mit dem verbleibenden Gebäudeteil ein Doppelhaus oder eine Hausgruppe zu bilden (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 - 4 C 12.14 - BauR 2015, 1309; U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris). Mit anderen Worten setzt die hier gewählte einseitige grenzständige Bebauung in der planungsrechtlich vorgegebenen offenen Bauweise voraus, dass die aneinandergebauten Gebäude ein Doppelhaus oder eine Hausgruppe bilden. Diese Voraussetzung war durch die bisher bestehende Bebauung auf den Baugrundstücken und dem Nachbargrundstück gegeben und wird von der geplanten Bebauung nicht mehr eingehalten, weshalb das Gebot der Rücksichtnahme in der besonderen Ausprägung der Doppelhausrechtsprechung verletzt wird.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - die aufgrund gleicher Interessenlage entsprechend auch für die Bebauung mit einer Hausgruppe gilt (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2015 - 4 B 65.14 - juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 27) -ist mit dem wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze bei einer Bebauung als Doppelhaus oder Hausgruppe eine besondere Rücksichtnahmeverpflichtung verbunden. Danach bindet dieser Verzicht die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessensausgleichs ein, wodurch die Baufreiheit zugleich erweitert und beschränkt wird. Einerseits wird durch die Möglichkeit des Grenzanbaus die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke erhöht, was aber durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen, erkauft wird (BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 22 m.w.N.). Diese Interessenlage rechtfertigt es, dem Bauherrn eine Rücksichtnahmeverpflichtung aufzuerlegen, die eine grenzständige Bebauung ausschließt, wenn er den durch ein Doppelhaus gezogenen Rahmen überschreitet und der Doppelhauscharakter durch die Änderung entfällt.
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Ein Doppelhaus im Sinn des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbstständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus verlangt ferner, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden (BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 13 m.w.N.). Demnach liegt eine bauliche Einheit vor, wenn die einzelnen Gebäude einen harmonischen Gesamtkörper bilden, der nicht den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt. Voraussetzung ist insoweit zwar nicht, dass die einzelnen Häuser gleichzeitig und deckungsgleich errichtet werden müssen. Ein einheitlicher Gesamtbaukörper kann auch noch vorliegen, wenn z.B. aus gestalterischen Gründen die gemeinsame vordere und/oder rückwärtige Außenwand des einheitlichen Baukörpers durch kleine Vor- und Rücksprünge aufgelockert wird (BayVGH, U.v. 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 27 m.w.N.). Zu fordern ist jedoch, dass die einzelnen Gebäude zu einem wesentlichen Teil (quantitativ) und in wechselseitig verträglicher und harmonischer Weise (qualitativ) aneinandergebaut sind (BayVGH, U.v. 11.12.2014 a.a.O. m.w.N.). In quantitativer Hinsicht können bei der Beurteilung der Verträglichkeit des Aneinanderbauens insbesondere die Geschoßzahl, die Gebäudehöhe, die Bebauungstiefe und -breite sowie das durch diese Maße im Wesentlichen bestimmte oberirdische Brutto-Raumvolumen zu berücksichtigen sein. In qualitativer Hinsicht kommt es u.a. auch auf die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur des Gebäudes an. Bei den quantitativen Kriterien ist eine mathematisch-prozentuale Festlegung nicht möglich, vielmehr ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls anzustellen. Es ist qualitativ insbesondere die wechselseitig verträgliche Gestaltung des Gebäudes entscheidend, auf die umgebende Bebauung kommt es insoweit nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 - 4 C 12.14 - juris Rn. 14 ff.). Die beiden „Haushälften“ können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein. Kein Doppelhaus entsteht danach, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst.
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Gemessen an diesen Grundsätzen würden das Gebäude der Antragsteller und der streitgegenständliche Neubau keinen einheitlichen Baukörper mehr bilden. Die Errichtung des geplanten Bauvorhabens würde das nachbarliche Austauschverhältnis aus dem Gleichgewicht bringen. Eine harmonische Beziehung der Gebäude zueinander würde nach Verwirklichung des Bauvorhabens nicht mehr bestehen, da die streitgegenständliche Planung eine Abstimmung mit dem Gebäude der Antragsteller - aufgrund der erheblichen Erweiterungen des Baukörpers in nördlicher und südlicher Richtung, der Dachgeschosserweiterungen, einer mit dem Nachbargebäude nicht mehr vergleichbaren Grundfläche und insgesamt hieraus resultierenden Baukörpervolumen - vermissen lässt.
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Der geplante Baukörper schließt zwar zunächst an die Gebäudeflucht der Antragsteller über eine Länge von 3 m an. Der Baukörper wird dann jedoch in Richtung Norden um einen 5,11 m tiefen und 8,92 m breiten (vermaßt) Gebäudeteil ergänzt. Der Baukörper rückt zudem um 4,57 m (vermaßt) Richtung Süden. Sowohl nördlich als auch südlich entstehen so erheblich vor die ursprüngliche Gebäudefluchtlinie tretende Gebäudeteile. Der geplante Baukörper hat damit an der östlichen Grundstücksgrenze eine Tiefe von 18,21 m (vermaßt) und ist damit mehr als doppelt so tief wie der Baukörper der Antragsteller (8,6 m (abgegriffen)). Darüber hinaus sind diese Erweiterungen des Baukörpers zweigeschossig und verfügen jeweils über ein Satteldach. Sie stellen damit nicht nur einen erheblichen Versatz dar, sondern führen dazu, dass ein Zusammenhang des geplanten Baukörpers mit dem Gebäude der Antragsteller nicht erkennbar wäre. Vielmehr würde ein Baukörper, der nach Osten ausgerichtet ist und hier selbst als Doppelhaus in Erscheinung tritt, entstehen. Dies würde den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus hervorrufen.
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1.1.1. Der geplante Baukörper ist in Bezug auf quantitative Kriterien nicht mit dem Nachbargebäude vergleichbar. Durch die erheblichen Erweiterungen des Baukörpers Richtung Norden und Süden, sowie eine Verlängerung des Baukörpers im Vergleich zu dem Bestand Richtung Osten, geht die Grundfläche des Bauvorhabens weit über die des Gebäudes der Antragsteller hinaus. Das Bauvorhaben hat im Erdgeschoss eine Grundfläche von 156,28 m², dagegen hat das Gebäude der Antragsteller eine Grundfläche von etwa 60 m² (8,6 m x 7 m (abgegriffen)). Auch hinsichtlich der Geschossigkeit weicht das Bauvorhaben von dem Nachbargebäude ab. Das Dachgeschoss des streitgegenständlichen Bauvorhabens ist insgesamt als Wohnfläche nutzbar mit einer Grundfläche von 133,28 m². Es tritt daher auch nicht hinter der Grundfläche des 1. Obergeschosses von 131,2 m² zurück. Das Dach des Gebäudes der Antragsteller ist lediglich mit Dachliegefenstern ausgestaltet und tritt daher kaum in Erscheinung. Dagegen sieht die streitgegenständliche Planung ein hinsichtlich der Giebelfläche nach Osten ausgerichtetes Satteldach vor, das wiederum durch nach Norden und Süden ausgerichtete Satteldächer durchbrochen wird. Die Dachgeschossebene stellt damit sowohl nördlich, südlich und östlich eine Verlängerung der Außenwand dar. Ergänzt wird diese Dachgestaltung durch vier Dachgauben. Das Bauvorhaben wirkt daher dreigeschossig, während das Gebäude der Antragsteller zweigeschossig ist. Hieran ändert der Umstand, dass das geplante Bauvorhaben nur 21 cm höher als das Nachbargebäude sein soll, nichts.
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Insgesamt ergibt sich ein Volumen des Baukörpers, das dem des Gebäudes der Antragsteller nicht ansatzweise entspricht. Von einem in qualitativer Hinsicht abgestimmten Baukörper kann daher nicht gesprochen werden.
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1.1.2. Auch bei qualitativer Betrachtung der Planung ist festzustellen, dass diese eine harmonische Abstimmung mit dem Nachbargebäude vermissen lässt. Bei Verwirklichung des Bauvorhabens würde kein einheitlicher Gesamtbaukörper, sondern zwei selbstständige Baukörper entstehen. Eine wechselseitig verträgliche Bebauung wäre bei Errichtung des streitgegenständlichen Neubaus nicht gegeben. Vielmehr würde das nachbarschaftliche Austauschverhältnis durch das Vorhaben erheblich aus dem Gleichgewicht gebracht werden.
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Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass eine grenznahe Bebauung entstünde, die eine Tiefe aufweisen würde, die diejenige des Nachbargebäudes bei weitem überragt und über das hinausgeht, was bei einer aufeinander abgestimmten Doppelhausbebauung hinzunehmen wäre. Das Bauvorhaben rückt zudem durch den nördlichen Gebäudeteil erheblich näher an die … straße heran als das Nachbargebäude und unterscheidet sich von diesem dadurch, dass nicht die Dachfläche, sondern eine Giebelfläche zur Straßenseite ausgerichtet ist. Im ersten Obergeschoss der Baukörpererweiterung befindet sich bei dem geplanten Baukörper eine große Balkonanlage. So weicht auch die äußere Gestalt hinsichtlich der Gliederung der Fassade erheblich von dem Gebäude der Antragsteller ab. Gleiches gilt für den rückwärtigen Gebäudeteil. Das geplante Gebäude schließt an das Nachbargebäude zwar mit einem Satteldach mit einer Dachneigung an, die derjenigen des Nachbargebäudes entspricht. Dieses Satteldach ist als solches jedoch kaum noch erkennbar, da es sowohl nördlich als auch südlich durch Satteldächer, die den südlichen und nördlichen Gebäudeteilen übergeordnet sind, durchschnitten wird. Auch dies führt dazu, dass der geplante Baukörper gänzlich andersartig wirkt. Das Erscheinungsbild würde erheblich gestört werden.
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Bei Gesamtbetrachtung der quantitativen und qualitativen Kriterien ergibt sich, dass die Planung deutlich über das hinausgeht, was dem Nachbarn zumutbar ist. Es ist mit den Grundsätzen der sog. Doppelhausrechtsprechung nicht vereinbar und rücksichtslos.
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1.2. Der am 20. Dezember 2018 ergangene, bestandskräftige Vorbescheid, der ein zumindest im Wesentlichen gleiches Vorhaben zum Gegenstand hatte, steht - unabhängig davon, dass die dreijährige Bindungswirkung gem. Art. 71 Satz 2 BayBO angesichts fehlender Anhaltspunkte für eine Verlängerung wohl abgelaufen ist - der Anfechtung der Baugenehmigung durch den Nachbar nicht entgegen, da dieser Fragen zu einer möglichen Befreiung von der Baugrenze (Frage 1), der Baulinie (Frage 2) und zu Stellplätzen und Garagen (Frage 4 und 5) zum Gegenstand hatte und Frage 3 zu einer Erhöhung des Dachfirstes im Vergleich zum Nachbar um 40 cm nicht positiv beantwortet wurde, sodass er für die Frage, ob das Vorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. hierzu Decker in: Busse/Kraus, BayBO, Stand Januar 2022, Art. 71 Rn. 115).
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2. Die Kostenpflicht der Antragsgegnerin ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladenen waren neben der Antragsgegnerin als unterliegender Partei gem. § 154 Abs. 3 VwGO die Hälfte der Kosten aufzuerlegen (§ 159 Satz 2 VwGO), da sie einen Sachantrag gestellt hat und mit diesem unterlegen ist.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nrn. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.