VGH München, Beschluss v. 23.08.2022 – 5 ZB 20.2243
Titel:

Kreuze im Eingangsbereich von Behörden – fehlende Klagebefugnis

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 47
AGO § 28
GG Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 4 Abs. 1, 2, Art. 33 Abs. 3, Art. 140
WRV Art. 136 Abs. 1, 4, Art. 137 Abs. 1
BV Art. 107 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Anbringung eines Kreuzes durch staatliche Stellen kann nur dann als Eingriff in das Grundrecht eines Einzelnen aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 107 Abs. 1 BV gewertet werden, wenn der Einzelne durch eine vom Staat geschaffene Lage ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole ausgesetzt wird. Hieraus ergibt sich zunächst, dass ein Eingriff in das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG nicht automatisch schon immer dann vorliegt, wenn der Staat gegen seine objektiv-rechtliche Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verstoßen sollte. Solange jemand nicht darlegt, dass er jeweils in einem konkreten Dienstgebäude verkehrt, in dem ein Kreuz angebracht ist, ist nicht erkennbar, inwieweit eine Konfrontation im vorgenannten Sinne und damit ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 4 GG in Betracht kommen könnte.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine relevante Wirkung zugunsten des Christentums durch ein Kreuz im Eingangs- und damit Durchgangsbereich eines Dienstgebäudes auf Passanten kann sich bei der naturgemäß nur flüchtigen Wahrnehmung nicht einstellen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität ist ein aus Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV iVm Art. 140 GG hergeleitetes objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip, das als solches keine einklagbaren subjektiven Rechte begründet. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO ist gegen die Verwaltungsvorschrift des § 28 AGO nicht zulässig. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klagen von Privatpersonen auf Entfernung aller in Umsetzung von § 28 AGO, in staatlichen Dienstgebäuden angebrachten Kreuze, Klagen auf Rücknahme der gleichlautenden Empfehlung an andere juristische, Personen des öffentlichen Rechts, Klagebefugnis, möglicher Eingriff in das Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit (verneint), Rechtsschutzbedürfnis, Kreuzerlass, Dienstgebäude, Bayerische Staatskanzlei, subjektives Recht, Verwaltungsvorschrift, Allgemeine Leistungsklage, Normenkontrollverfahren, Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit, religiöse Symbole, Neutralitätspflicht des Staates
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 17.09.2020 – M 30 K 20.2325
Fundstellen:
RÜ 2022, 723
BeckRS 2022, 23727
LSK 2022, 23727

Tenor

I. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens zu je einem Fünfundzwanzigstel.
III. Unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 17. September 2020 wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren aller dortigen Kläger auf 67.500 Euro und für das Berufungszulassungsverfahren auf 62.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger wenden sich gegen den sogenannten „Kreuzerlass“ der Bayerischen Staatsregierung vom 1. Juni 2018. Sie begehren die Verpflichtung des Beklagten, die im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebrachten Kreuze zu entfernen, und eine entsprechende Empfehlung an die Kommunen und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts in Bayern auszusprechen.
2
Der Ministerrat beschloss am 24. April 2018, eine neue Regelung in § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO) vom 12. Dezember 2000 (GVBl S. 873) mit folgendem Wortlaut einzufügen:
„Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen“.
3
Die Änderung zu § 28 AGO wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht und trat zum 1. Juni 2018 in Kraft (GVBl 2018, 281).
4
Daneben bestimmt § 36 AGO: „Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird empfohlen, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren.“
5
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 beantragten die Kläger sowie zwei Weltanschauungsgemeinschaften bei der Bayerischen Staatskanzlei die Entfernung der im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebrachten Kreuze. Ferner beantragten sie, den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, ebenso zu verfahren; dem Begehren gab die Bayerische Staatskanzlei nicht statt.
6
Am 8. Oktober 2018 erhoben die Kläger zusammen mit den zwei vorgenannten Weltanschauungsgemeinschaften Klagen zum Verwaltungsgericht München (Az. M 30 K 18.4955) mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, § 28 AGO aufzuheben (Klageantrag 1.) und den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung von § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen (Klageantrag 2.), hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die in seinen Dienststellen im Sinne von § 28 AGO im Eingangsbereich des Dienstgebäudes angebrachten Kreuze zu entfernen (Klageantrag 3.).
7
Mit Beschluss vom 27. Mai 2020 trennte das Verwaltungsgericht das Verfahren betreffend die Klageanträge zu 2. und 3. ab und führte dieses Verfahren unter dem Aktenzeichen M 30 K 20.2325 fort. Mit weiterem Beschluss vom selben Tage erklärte sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich des verbleibenden Streitgegenstands (Klageantrag 1.) für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (5 N 20.1331).
8
Im Verfahren M 30 K.20.2325 beantragten die Kläger, den Beklagten zu verpflichten, die in seinen Dienststellen im Sinne von § 28 AGO im Eingangsbereich des Dienstgebäudes angebrachten Kreuze zu entfernen und den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung vom § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen.
9
Das Verwaltungsgericht wies die Klagen mit Urteil vom 17. September 2020 als unzulässig ab. Für die Klagen auf Entfernung der in Befolgung von § 28 AGO angebrachten Kreuze fehle es an einer Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO, für die Klagen auf eine entsprechende, an die Kommunen und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts gerichtete Empfehlung fehle den Klägern das Rechtsschutzbedürfnis.
10
Gegen dieses Urteil richten sich die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung, denen der Beklagte entgegentritt.
11
Mit Beschluss vom 11. März 2022 hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren hinsichtlich der ursprünglichen Kläger zu 1 und 2 (zwei Weltanschauungsgemeinschaften) abgetrennt und insoweit die Berufung zugelassen (Az. 5 B 22.674).
12
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
13
1. Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
14
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Kläger haben keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 - BVerfGE 151, 173 - juris Rn. 32 m.w.N.).
15
aa) Die Kläger stellen der Sache nach die rechtliche Prämisse des Verwaltungsgerichts in Frage, dass es für die Zulässigkeit der Klagen auf ihre konkrete subjektive Betroffenheit in eigenen Rechten ankommt (UA Rn. 15, 19 f. und 21). Es handelt sich hierbei jedoch nicht bloß um eine Hypothese des Verwaltungsgerichts, sondern um eine Prozessvoraussetzung, die sich bereits unmittelbar aus der Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO ergibt, welche im Falle der allgemeinen Leistungsklage nach ganz herrschender Auffassung analog anzuwenden ist. Sie entspricht der Systementscheidung des Verwaltungsprozessrechts für den subjektiv-rechtlich geprägten Rechtsschutz (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 42 Rn. 71). Überindividuellen Rechtsschutz kennt dieses System nur ganz ausnahmsweise in ausdrücklich bestimmten Fällen gesetzlich normierter Verbandsklagen, wie etwa im Bereich des Umweltrechtsbehelfsgesetzes oder des Naturschutzrechts. Ein solcher normierter Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Eine „generelle“ allgemeine Leistungsklage ist in der Prozessordnung nicht vorgesehen. Die Kläger müssten somit geltend machen, durch ein bestimmtes Kreuz in einer konkreten Behörde in ihren Rechten beeinträchtigt zu werden. Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 19 f.) hat dementsprechend zutreffend darauf hingewiesen, dass die Kläger nicht substantiiert vorgetragen haben, durch welche Kreuze sie jeweils in ihren Rechten individuell betroffen seien. An einem substantiierten Vortrag hierzu fehlt es.
16
(1) Eine entsprechende Konkretisierung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Vorbringen der Kläger, das Verwaltungsgericht übersehe, dass sie jedenfalls die Staatskanzlei als Dienststelle mit dort angebrachtem Kreuz konkret benannt hätten. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 hätten sie die Entfernung der in den Dienstgebäuden angebrachten Kreuze und damit inzident auch die Entfernung des unstrittig demonstrativ und plakativ im Eingangsbereich der Staatskanzlei angebrachten Kreuzes verlangt. Dadurch hätten die Kläger inzident dargestellt, dass sie die Staatskanzlei (auch) aufsuchen wollten. Gemäß § 5 Abs. 1 AGO sollten die Behörden für die Bürger persönlich erreichbar sein. Das Besuchsrecht sei nicht davon abhängig, dass das Besuchsanliegen vorher schriftlich mitgeteilt werde. Die Staatskanzlei sei Behörde im Sinne von § 3 Abs. 3 AGO und allgemein auch für den Besuchsverkehr nach § 7 AGO zugänglich. Die Staatskanzlei sei nicht nur als politische Koordinierungsstelle angeschrieben worden. Hinsichtlich des Kreuzes in der Staatskanzlei sei daher die Klagebefugnis für jeden einzelnen Kläger zu bejahen.
17
Dieser Vortrag ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts zu begründen. Denn das Schreiben der Kläger an die Staatskanzlei vom 5. Oktober 2018 enthält entgegen der Zulassungsbegründung keinen individuell auf das in der Staatskanzlei angebrachte Kreuz zugespitzten Antrag. Wörtlich beantragten die Kläger, „die in den Behörden des Freistaats Bayern im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 AGO im Eingangsbereich des Dienstgebäudes angebrachten Kreuze zu entfernen und den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, ebenso zu verfahren“. Zur Begründung wurde (lediglich) ausgeführt, die Kläger sähen in dem sog. „Kreuzerlass“ eine Verletzung des staatlichen Neutralitätsgebots im Hinblick auf ihre religiöse bzw. weltanschauliche Haltung/Gewissensentscheidung. Das Schreiben wurde offensichtlich deshalb an die Staatskanzlei gerichtet, weil diese u.a. die Bayerische Staatsregierung, die die AGO erlassen hat, in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben unterstützt (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 StGVV). Auch aus dem Vortrag der Kläger vor dem Verwaltungsgericht ergibt sich nichts Anderes. Zwar wurde das im Eingangsbereich der Staatskanzlei angebrachte Kreuz in der Klagebegründung vom 5. Oktober 2018 erwähnt, aber im Folgenden nicht weiter thematisiert. Die Kläger haben im gesamten verwaltungsgerichtlichen Verfahren darauf abgestellt, dass sie deshalb Anspruch auf Entfernung der gemäß § 28 AGO angebrachten Kreuze hätten, weil deren Anbringung gegen das Neutralitätsgebot verstoße und die Kläger auch ohne unmittelbar bevorstehende Konfrontation mit einem solchen Kreuz in ihrer Religions- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt seien. Von den Klägern könne nicht verlangt werden, jeweils vorsorglich die Entfernung der Kreuze vor Inanspruchnahme diverser staatlicher oder kommunaler Leistungen im jeweiligen Einzelfall in die Wege zu leiten.
18
Das Verlangen, das Kreuz im Eingangsbereich der Staatskanzlei zu entfernen, liegt auch nicht als „Minus“ in dem allgemein auf Entfernung aller im Eingangsbereich der staatlichen Dienststellen angebrachten Kreuze abzielenden Klageantrag. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen (UA S. 8), dass es dem Gericht mangels substantiiertem Klagevorbringen nicht möglich sei, ein einzelnes Kreuz auszuwählen, um zu prüfen, ob die Kläger Anspruch auf Entfernung gerade dieses Kreuzes hätten.
19
(2) Soweit die Kläger meinen, ihre subjektive Betroffenheit ergebe sich aus einem Anspruch, jederzeit ohne Konfrontation mit einem Kreuz eine Behörde betreten zu können, begründet dies ihre Klagebefugnis aktuell nicht. Der Sache nach machen die Kläger mit diesem Vortrag lediglich geltend, sie könnten in Zukunft potentiell betroffen sein, weil ein Betreten jedes staatlichen Dienstgebäudes in Bayern denkbar sei.
20
Damit beanspruchen sie der Sache nach vorbeugenden Rechtsschutz. Auch diesbezüglich gelten aber die Anforderungen des § 42 Abs. 2 VwGO analog, d.h. es bedarf einer zumindest möglichen künftigen Verletzung in eigenen Rechten und entsprechender Ausführungen der Kläger, um eine etwaige individuelle Betroffenheit prüfen zu können. Im Übrigen ergibt sich aus dem Vortrag der Kläger nicht und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes ausnahmsweise zum effektiven Schutz ihrer Rechte erforderlich wäre. Das Verwaltungsgericht (vgl. UA S. 9 f.) verweist zurecht darauf, dass im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG vorbeugender Rechtsschutz zulässig ist, wenn ein besonders schützenswertes Interesse gerade hieran besteht, weil der Verweis auf nachgehenden Rechtsschutz mit für die Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre.
21
So liegt es hier aber nicht. Den Klägern wird durch die analoge Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO auch nicht effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) zur Wahrung ihrer Rechte aus Art. 4 GG verwehrt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 - juris Rn. 94; B.v. 18.10.2016 - 1 BvR 354/11 - BayVBl 2017, 266 - juris Rn. 64; B.v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 - juris Rn. 34) und des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (vgl. z.B. E.v. 14.3.2019 - Vf. 3-VII-18 - BayVBl 2019, 442 - juris Rn. 27 m.w.N.) kann die Anbringung eines Kreuzes durch staatliche Stellen nur dann als Eingriff in das Grundrecht eines Einzelnen aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 107 Abs. 1 BV gewertet werden, wenn der Einzelne durch eine vom Staat geschaffene Lage ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole ausgesetzt wird. Hieraus ergibt sich zunächst, dass ein Eingriff in das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG nicht automatisch schon immer dann vorliegt, wenn der Staat gegen seine objektiv-rechtliche Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verstoßen sollte. Solange die Kläger bereits nicht plausibel aufzeigen, dass sie jeweils in einem konkreten Dienstgebäude verkehren, in dem ein Kreuz angebracht ist, ist nicht erkennbar, inwieweit eine Konfrontation im vorgenannten Sinne und damit ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 4 GG in Betracht kommen könnte.
22
Eine vom Staat geschaffene Lage, in der die Kläger ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole in grundrechtswidriger Weise ausgesetzt würden (vgl. für Verfahrensbeteiligte bei Teilnahme an einer mündlichen Gerichtsverhandlung BVerfG, B.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 - juris Rn. 94 f.), ist auch nicht gegeben, so dass unzumutbare Nachteile hierdurch schon deshalb ausscheiden. Dass den im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen angebrachten Kreuzen keine den christlichen Glauben fördernde und damit die Weltanschauungsfreiheit der Kläger potentiell beeinträchtigende Wirkung zukommt, liegt zum einen daran, dass das Kreuz an der Wand ein im wesentlichen passives Symbol ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung ist. Einen möglichen Einfluss auf Besucher der Dienststellen (vgl. zu diesem Kriterium EGMR, U.v. 18.3.2011 − 30814/06 [Lautsi u. a./Italien] - NVwZ 2011, 737 - juris Rn. 72) haben die Kläger nicht nachvollziehbar aufgezeigt. Davon ist zum anderen nach allgemeiner Lebenserfahrung auch nicht auszugehen. Denn der Eingangsbereich eines Dienstgebäudes stellt im Wesentlichen einen Durchgangsbereich dar, der nicht dem längeren Verweilen dient. Der Bürger durchquert ihn in der Regel lediglich auf dem Weg zum Mitarbeiter, der für sein Anliegen zuständig ist. Glaubenssymbole wie das dort angebrachte Kreuz finden sich im öffentlichen Raum sichtbar an zahlreichen Stellen und in vielerlei Gestalt sowohl im Nahbereich kirchlicher Einrichtungen wie auch sonst im Straßenbild. Zwar geht die Konfrontation mit dem Kreuz als christlichem Symbol hier vom Staat aus. Jedoch sind, der Differenzierung des Bundesverfassungsgerichts folgend, Behördenbesucher wie Passanten im öffentlichen Raum nur flüchtig damit konfrontiert und können Abstand halten; dies unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt von Kreuzen in Unterrichtsräumen (vgl. BVerfG, B.v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 - juris Rn. 39). Es ist zwar davon auszugehen, dass jeder Bürger im Laufe seines Lebens in Einzelfällen Behörden besuchen muss, etwa, um Personaldokumente zu erlangen. In Ansehung der Flüchtigkeit der Wahrnehmung im Eingangsbereich reicht dies jedoch zur Begründung eines Grundrechtseingriffs nicht aus. Eine relevante Wirkung zugunsten des Christentums durch ein Kreuz im Eingangs- und damit Durchgangsbereich eines Dienstgebäudes auf Passanten kann sich bei der naturgemäß nur flüchtigen Wahrnehmung nicht einstellen.
23
Die verfassungsrechtlich anerkannte (vgl. B.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 - juris Rn. 87 f.; B.v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 - juris Rn. 35) Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität ist ein aus Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG hergeleitetes objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip, das als solches keine einklagbaren subjektiven Rechte der Kläger begründet. Das ist weit verbreitete Meinung in der Literatur (vgl. Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 4 GG Rn. 198; Stark in Klein/Starck/Starck, 7. Aufl. 2018 Art. 4 GG; Stern/Sachs/Dietlein in Stern, Staatsrecht: Die einzelnen Grundrechte, Bd. IV/2, 1. Auflage 2011, 4. Kapitel § 118 IV.3.; Streinz, BayVBl 2021, 577; Friedrich, NVwZ 2018, 1007; Herbolzheimer/Kukuszka, ZeKR 2018, 367) und lässt sich auch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung herleiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. B.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - juris Rn. 86 und 88) ist der Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität ein Verfassungsprinzip, das z.B. mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit treten kann. Neutralität ist danach als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 21.4.1999 - 6 C 18.98 - BVerwGE 109, 40 - juris Rn. 14) differenziert zwischen der distanzierenden Neutralität des Staates im Sinne der Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen wie auch der sie tragenden Institutionen und der vorsorgenden Neutralität des Staates im Sinne der Sicherung eines Betätigungsraums zur Entfaltung auf religiös-weltanschaulichem Gebiet. Insoweit bezeichnet es ausdrücklich den objektiv-rechtlichen Charakter der staatlichen Neutralitätspflicht.
24
Die angefochtene Entscheidung beruht im Übrigen nicht auf der unzutreffenden Annahme des Verwaltungsgerichts (UA Rn. 18), die Kläger könnten betreffend die Verwaltungsvorschrift des § 28 AGO einen Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO stellen (vgl. zum fehlenden Rechtsnormcharakter in Bezug auf die Voraussetzungen nach Art. 98 Satz 4 BV BayVerfGH, E.v. 3.4.2020 - Vf. 8-VII-18 - BayVBl 2020, 412 - juris Rn. 14 bis 16). Das Verwaltungsgericht hat unabhängig von der irrigen Annahme, ein Antrag gemäß § 47 Abs. 1 VwGO sei statthaft, nämlich zutreffend auf die fehlende Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO und die Unzulässigkeit der Klagen abgestellt (vgl. UA S. 6).
25
bb) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts sind auch hinsichtlich der Abweisung der Klageantrags Nr. 2 (Empfehlung an die Gemeinden, Landkreise, Bezirke und sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts, die in Befolgung vom § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen) nicht dargelegt, jedenfalls aber nicht gegeben.
26
Hierzu tragen die Kläger vor, das Rechtsschutzbedürfnis könne ihnen nicht abgesprochen werden. Das Verwaltungsgericht bewege sich im Bereich der Spekulation, wenn es annehme, dass diese Körperschaften automatisch die ergangenen (gerichtlichen) Entscheidungen zu den in staatlichen Dienststellen angebrachten Kreuzen befolgen würden. Die in § 36 AGO angesprochenen kommunalen und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, die infolge der staatlichen Empfehlung Kreuze angebracht hätten, würden diese nicht ohne weitere konträre Empfehlung wieder entfernen. Vielmehr bedürfe es als Akt der Schadenswiedergutmachung einer konträren Empfehlung.
27
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Klageabweisung wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ergeben sich hieraus nicht.
28
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger verneint, weil die Kommunen und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts autonom, d. h. im Rahmen ihrer eigenen Organisationshoheit entscheiden, ob sie der staatlichen Empfehlung in § 36 AGO oder einer nunmehr gegenteiligen Empfehlung folgen. Eine solche Empfehlung hat, was sich bereits aus der Terminologie ergibt, keine rechtliche Wirkung. Auch über die Frage, ob und ggf. in welcher Weise die Kommunen und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts ein etwaiges in einem Einzelfall ergangenes Gerichtsurteil zu einem im Eingangsbereich einer Dienststelle des Beklagten angebrachten Kreuz auf ein in ihrem Fall etwaig angebrachtes Kreuz entsprechend anwenden oder insoweit eine etwaige gesonderte gerichtliche Klärung abwarten, entscheiden diese autonom.
29
Auch unabhängig von den Gründen des Urteils des Verwaltungsgerichts hat dieses die Klagen insoweit zu Recht im Ergebnis als unzulässig abgewiesen. Denn die Unzulässigkeit dieses Klageantrags ergibt sich auch daraus, dass nicht ersichtlich ist, inwieweit die Kläger durch einzelne Kreuze in Dienstgebäuden anderer als unmittelbar staatlicher juristischer Personen des öffentlichen Rechts möglicherweise in ihrem Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog betroffen sein könnten. Hierzu kann auf das oben unter 1.a) aa) Gesagte Bezug genommen werden.
30
b) Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache liegen nicht vor, so dass die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen ist.
31
Die Kläger tragen hierzu vor, das Verwaltungsgericht meine zwar, eine „generelle“ allgemeine Leistungsklage sei dem Individualrechtsschutzsystem der VwGO fremd und verweise auf ein Normenkontrollverfahren. Es sei jedoch höchst strittig, ob gegen den Kreuzerlass das Rechtsmittel des § 47 VwGO gegeben sei. Im Regelfall fehle einer Verwaltungsvorschrift die Außenwirkung, wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof auch hier entschieden habe. Die Frage nach der zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes statthaften Klageart weise besondere rechtliche Schwierigkeiten auf.
32
Ungeachtet dessen, dass entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO gegen die Verwaltungsvorschrift des § 28 AGO nicht zulässig ist (vgl. U.v. 2.6.2022 - 5 N 20.1331), weist die Rechtssache auch insoweit keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf. Das Verwaltungsgericht hat die Klagebefugnis der Kläger nach § 42 Abs. 2 VwGO analog jedenfalls entscheidungserheblich nicht deshalb verneint, weil es einen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO für zulässig hielt, sondern wegen der fehlenden individuellen Betroffenheit der Kläger in eigenen Rechten. Soweit die Kläger einen Anspruch auf die Beseitigung aller in Dienstgebäuden des Beklagten oder anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts geltend machen, fehlt es ebenfalls an einer besonderen Schwierigkeit der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Wie oben (1. a) ausgeführt lässt sich unter Anwendung der Prozessordnung und der Grundlagen des subjektiven Rechtsschutzsystems im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung klären, dass den Klägern für ihr Rechtsschutzziel keine Klagebefugnis zusteht.
33
c) Auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
34
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung (entscheidungserheblich) war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72).
35
Die von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob ein Atheist, Freidenker oder engagierter Christ die Entfernung eines in Befolgung von § 28 AGO angebrachten Kreuzes verlangen kann, weil er sich in seiner Glaubens-/Gewissensbetätigung beeinträchtigt bzw. benachteiligt sieht und in der Anbringung selbst einen Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht erkennt, ist, wie sich aus den Ausführungen unter Nr. 1 Buchst. a) ergibt, nicht klärungsbedürftig, sondern bereits durch die Systementscheidung des Verwaltungsprozessrechts für den Individualrechtsschutz geklärt. Die Zulässigkeit einer allgemeinen Leistungsklage setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine konkrete Betroffenheit in eigenen subjektiven Rechten voraus (vgl. BVerwG U.v. 15.6.2011 - 9 C 4.10 - NVwZ 2011, 1388 - juris Rn. 16; U.v. 28.10.1970 - 6 C 48.68 - BVerfGE 36, 192 ff - juris Rn. 41). Aus den Ausführungen oben unter Nr. 1 Buchst. a) ergibt sich auch, dass die staatliche Neutralitätspflicht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip ist. Dasselbe gilt für die auch in diesem Zusammenhang erörterte Frage zur Gewährung eines vorbeugenden Rechtsschutzes im Hinblick auf eine drohende Grundrechtsverletzung.
36
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO.
37
3. Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren und entsprechend für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Klagen mehrere Kläger gemeinschaftlich, sind die Werte der einzelnen Klagen zu addieren. Die Kläger treten hier nicht als Rechtsgemeinschaft auf. Der Senat hält es allerdings für angemessen, den Streitwert wegen der nicht sachgerechten Trennung eines einheitlichen Streitgegenstands (mit Haupt- und Hilfsantrag) in den Verfahren der Kläger (5 ZB 20.2243 und 5 N 20.1331) jeweils zu halbieren. Die Befugnis zur Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
38
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung der Zulassungsanträge wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, soweit es die Kläger betrifft (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).