Inhalt

VGH München, Urteil v. 01.06.2022 – 5 N 20.1331
Titel:

Klage auf Aufhebung des sogenannten "Kreuzerlasses" mangels Verletzung subjektiver Rechte erfolglos

Normenketten:
GG Art. Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 33 Abs. 3, Art. 140
VwGO § 42 Abs. 2
BayAGO § 28
Leitsätze:
1. Die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität ist ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip, das ohne Hinzukommen einer Verletzung der Grundrechte, aus denen das Prinzip abgeleitet wird, keine einklagbaren subjektiven Rechte ua von natürlichen Personen begründet. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die staatlich veranlasste Anbringung von gut sichtbaren Kreuzen im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes verstößt gegen diese Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität. (Rn. 31 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Damit ist jedoch keine Einmischung in das subjektive Recht nichtchristlicher Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu religiöser oder weltanschaulicher Betätigung, zur Verbreitung ihrer Weltanschauung sowie zu deren Pflege und Förderung verbunden, solange ein möglicher Einfluss auf die Besucher der Dienststellen nicht nachvollziehbar aufgezeigt wird. (Rn. 37 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Klagebegehren kann nur dann ausgelegt oder umgedeutet werden, wenn es nicht eindeutig ist. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Allgemeine Leistungsklagen auf Aufhebung einer Verwaltungsvorschrift (hier § 28 AGO, sog. „Kreuzerlass“), Normenkontrolle (verneint), Außenwirkung einer Verwaltungsvorschrift, Klagebefugnis, Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, Eingriff in das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit von Weltanschauungsgemeinschaften (verneint), Verwaltungsvorschrift, Aufhebung, allgemeine Leistungsklage, Normenkontrolle, weltanschaulich-religiöse Neutralität, Religionsfreiheit, Weltanschauungsfreiheit, Kreuzerlass
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 27.05.2020 – M 30 K 18.4955
Rechtsmittelinstanzen:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 09.06.2023 – 10 B 13.22
BVerwG Leipzig, Urteil vom 19.12.2023 – 10 C 3.22
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
RÜ 2022, 723
LSK 2022, 23726
BeckRS 2022, 23726

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens zu je einem Siebenundzwanzigstel.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird für die Kläger zu 1 und 2 zugelassen, im Übrigen wird sie nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen den sogenannten „Kreuzerlass“ der Bayerischen Staatsregierung vom 1. Juni 2018. Die Kläger zu 1 und 2 sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasste Weltanschauungsgemeinschaften, die Kläger zu 3 bis 27 sind natürliche Personen.
2
Der Ministerrat beschloss am 24. April 2018, eine neue Regelung in § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO) vom 12. Dezember 2000 (GVBl S. 873) mit folgendem Wortlaut einzufügen:
„Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen.“
3
Die Änderung wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht und trat zum 1. Juni 2018 in Kraft (GVBl 2018, 281).
4
Daneben bestimmt § 36 AGO: „Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird empfohlen, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren“.
5
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 beantragten die Kläger bei der Bayerischen Staatskanzlei die Entfernung der im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebrachten Kreuze. Ferner beantragten sie, den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, ebenso zu verfahren; dem Begehren gab die Bayerische Staatskanzlei nicht statt.
6
Am 8. Oktober 2018 erhoben die Kläger Klagen zum Verwaltungsgericht München (Az. M 30 K 18.4955) mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, § 28 AGO aufzuheben (Klageantrag 1.) und den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung von § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen (Klageantrag 2.), hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die in seinen Dienststellen im Sinne von § 28 AGO im Eingangsbereich des Dienstgebäudes angebrachten Kreuze zu entfernen (Klageantrag 3.).
7
Zur Begründung haben sie u.a. ausgeführt, die Klagen seien als allgemeine Leistungsklagen zulässig. § 28 AGO fehle es als innerbehördlicher Weisung an einer Außenwirkung und damit an einer Verwaltungsaktqualität. Die Klagen auf Aufhebung der Weisung richteten sich daher auf die Vornahme einer nicht als Verwaltungsakt zu qualifizierenden öffentlichen Amtshandlung und könnten somit Gegenstand der allgemeinen Leistungsklage sein, nicht dagegen eines Normenkontrollverfahrens gemäß § 47 VwGO. Nach Anhörung der Beteiligten trennte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Mai 2020 das Verfahren betreffend die Klageanträge 2. und 3. ab und führte dieses Verfahren unter dem Aktenzeichen M 30 K 20.2325 fort (vgl. Berufungsverfahren 5 B 22.674 und Verfahren auf Zulassung der Berufung 5 ZB 20.2243). Mit weiterem Beschluss vom selben Tage erklärte sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich des verbleibenden Streitgegenstands (Klageantrag 1.) für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das klägerische Begehren sei durch ein Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. Art. 5 Satz 1 AGVwGO zu verfolgen, da die angegriffene Vorschrift in § 28 AGO eine Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO sei.
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Nach Verweisung trug die Klagepartei vor, dass diese bindend sei. Die Kläger sähen sich insbesondere in ihrer negativen Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt. Art. 4 Abs. 1 GG schütze nicht nur vor Eingriffen in die Religionsbetätigung, sondern gewähre auch die Freiheit, eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung nicht zu haben und dem Einfluss eines bestimmten Glaubens sowie den Symbolen, in denen er sich darstelle, nicht ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt zu werden. Eine Konfrontation könne wegen der umfassenden Kreuzpräsenz in sämtlichen Dienststellen des Beklagten nicht umgangen werden. Da die Kreuze gemäß § 28 AGO im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes gut sichtbar anzubringen seien, wohne dieser Regelung ein demonstrativer Charakter inne. Der Besucher des Dienstgebäudes solle schon beim Betreten desselben mit dem Kreuz konfrontiert werden. Die Rechtsverletzung werde auch dadurch deutlich, dass das Kreuz in jedem Dienstgebäude anzubringen sei. Der Verstoß gegen das Neutralitätsgebot könne als grundrechtsähnliches Recht vor den Gerichten geltend gemacht werden. Der Staat dürfe keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft bevorzugen. Das Kreuz werde als Zeichen und Symbol der christlichen Kirchen verwendet und beansprucht.
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Die Kläger stellen den Antrag,
den Beklagten zu verpflichten, § 28 AGO aufzuheben.
10
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
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Die Klagen seien bereits unzulässig. § 28 AGO könne für sich genommen zu keiner individuellen Rechtsverletzung führen, da ihm keine unmittelbare rechtliche Außenwirkung zukomme und es sich hierbei lediglich um eine rein behördeninterne Geschäftsordnungsregelung handle. Vor den Verwaltungsgerichten könne daher nicht die abstrakte Verwaltungsvorschrift, sondern nur der jeweils vorliegende Umsetzungsakt angegriffen werden. Ein Rechtseingriff könne erst entstehen, wenn Personen mit einem von der Behörde konkret angebrachten Kreuz konfrontiert würden, was vorliegend aber nicht der Fall sei, da der Kontakt mit dem Kreuz im Eingangsbereich staatlicher Dienstgebäude nur punktuell und zeitlich klar begrenzt sei. Der Betrachter würde allenfalls einen flüchtigen Blick auf das Kreuz im Vorbeigehen werfen. Das Kreuz stehe nicht für bestimmte Glaubensinhalte, sondern sei ein Bekenntnis zur christlich-abendländischen Prägung der Gesellschaft. Kennzeichnend für einen Eingriff in die negative Religionsfreiheit sei eine Konstellation, bei der Andersdenkende ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens und den Symbolen, in denen er sich darstelle, ausgesetzt seien. § 28 AGO beschränke sich auf das Anbringen eines Kreuzes im Eingangsbereich staatlicher Dienstgebäude, weshalb ausgeschlossen sei, dass es zu einer die Religionsfreiheit beeinträchtigenden Zwangssituation komme, die eine Widerspruchsregelung notwendig machen würde. Eine Identifikation des Staates mit konkreten Glaubensinhalten oder Bekenntnishandlungen sei nicht beabsichtigt und werde durch die angegriffene Regelung auch nicht zum Ausdruck gebracht.
12
Die vom Erstgericht vorgenommene Umdeutung der Leistungsklagen in Normenkontrollanträge sei zwar rechtsfehlerhaft, der Verwaltungsgerichtshof sei an die Verweisung gleichwohl gebunden.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte einschließlich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14
I. Die Klagen haben keinen Erfolg; sie sind hinsichtlich der Kläger zu 3 bis 27 mangels Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog bereits unzulässig, hinsichtlich der Kläger zu 1 und 2 unbegründet.
15
1. Zu entscheiden ist über die tatsächlich statthaften allgemeinen Leistungsklagen und nicht, wie das Verwaltungsgericht meint, über Normenkontrollanträge.
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Die Kläger haben beim Verwaltungsgericht München ausdrücklich und mit hierauf bezogener Begründung allgemeine Leistungsklagen erhoben, mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, § 28 AGO aufzuheben. Eine Auslegung des Rechtsbehelfs als Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist nicht möglich (hierzu a). Die Umdeutung der Klagen in Normenkontrollanträge gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist schon deshalb unzulässig, weil ein Normenkontrollantrag gegen die Verwaltungsvorschrift des § 28 AGO nicht statthaft ist (b). Gleichwohl sieht sich der Senat an den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts gemäß § 83 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG gebunden (c).
17
a) Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es hat das tatsächliche Rechtsschutzbegehren des Klägers zu ermitteln (BVerwG, B.v. 1.9.2010 - 9 B 80.09 - juris Rn. 3 m.w.N). Einer Auslegung ist das Klagebegehren jedoch nur insoweit zugänglich, als es nicht eindeutig ist. Die Kläger haben eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie die Verpflichtung des Beklagten begehren, die Vorschrift des § 28 AGO aufzuheben.
18
Bereits aufgrund des eindeutigen Rechtsschutzbegehrens der anwaltlich vertretenen Kläger kommt auch eine Umdeutung der Leistungsklagen in Normenkontrollanträge nach § 47 VwGO nicht in Betracht. Erst nach der Verweisung haben die Kläger zu erkennen gegeben, dass sie auch eine Entscheidung im Normenkontrollverfahren akzeptieren würden, wenn nur über ihr Rechtsschutzbegehren entschieden würde. Eine Klageänderung haben sie ausdrücklich nicht vorgenommen. Die Kläger verweisen insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 18.3.2015 - 4 BN 7.15 - juris Rn. 8), wonach es dem Kläger obliege, „die durch die Verweisung zutage getretene prozessuale Sicht des Verwaltungsgerichts zu bestätigen“, sodass die Umdeutung des Klageantrags und die Verweisung nicht zu beanstanden seien. Hierin liegt keine Klageänderung, solange die Kläger nicht zweifelsfrei erklären, dass sie ein Normenkontrollverfahren beantragen. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist eine solche ausdrückliche Klageänderung nicht erfolgt.
19
Unabhängig davon dürfte eine Umdeutung einer Leistungsklage in einen Normenkontrollantrag generell unzulässig sein, weil die Rechtsbehelfe unterschiedlich ausgestaltet sind (vgl. BayVGH, U.v. 23.9.1981 - 4 B 81 A.1274 - BayVBl 1982, 113; zustimmend Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 88 Rn. 10; Panzer in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Februar 2022, § 47 Rn. 34; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018 § 47 Rn. 29). Auch zielen allgemeine Leistungsklage und Normenkontrolle ersichtlich auf unterschiedliche Rechtswirkungen ab; die zusprechende Entscheidung im Normenkontrollverfahren ist gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO allgemein verbindlich.
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b) Jedenfalls ist ein Normenkontrollantrag nicht statthaft, da § 28 AGO keine Rechtsvorschrift im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist. Der Begriff der Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist in der Rechtsprechung geklärt. Hierzu gehören neben landesrechtlichen Satzungen und Rechtsverordnungen nach der Zweckrichtung der Normenkontrolle und dem danach gebotenen weiteren Begriffsverständnis alle abstrakt-generellen Regelungen der Exekutive, die rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und auf diese Weise dessen subjektiv-öffentlichen Rechte unmittelbar berühren (BVerwG, B.v. 30.11.2017 - 6 BN 1.17 - juris Rn. 7). Inhaltlich handelt es sich bei § 28 AGO jedoch um eine Vorschrift, die ausschließlich an die Behördenleitungen gerichtet ist und nur von ihnen ein Tätigwerden verlangt, mithin um eine interne Direktive, die eine Behörde einer ihrer nachgeordneten Stelle oder sich selbst gibt, um die Verwaltungspraxis in bestimmter Weise zu steuern, zu erleichtern oder zu bestätigen. Die Verwaltungsvorschrift ist ausschließlich für die betroffenen Behörden bindend und entfaltet keine unmittelbare Außenwirkung. Einer Regelung kommt unmittelbare Außenwirkung nur dann zu, wenn sie nicht lediglich binnenrechtlich wirkt, sondern Bindungswirkung auch gegenüber den Bürgern oder anderen Rechtssubjekten entfaltet, durch sie gleichsam als „Schlussstein“ die gesetzlichen Vorgaben konkretisiert werden (BVerwG, U.v. 25.11.2004 - 5 CN 1.03 - BVerwGE 122, 264 - juris Rn. 24 und 27; B.v. 25.11.1993 - 5 N 1.92 - BVerwGE 94, 335 - juris Rn. 11). An einer solchen unmittelbaren Außenwirkung fehlt es hier. Die mittelbare Wirkung durch eine Umsetzung seitens der Behördenleitungen, die eine Konfrontation von Behördenbesuchern mit dem Kreuz zur Folge hat, genügt nicht, um § 28 AGO als Direktive eine Außenwirkung zuzumessen (zur Frage des Rechtsnormcharakters im Sinne von Art. 98 Satz 4 BV vgl. BayVerfGH, E.v. 3.4.2020 - Vf. 8-VII-18 - BayVBl 2020, 412 - juris Rn. 14 bis 16). Zwar wurde § 28 AGO ebenso wie die gesamte Allgemeine Geschäftsordnung im Gesetzes- und Verordnungsblatt veröffentlicht, dies stellt jedoch nur ein formales Indiz dar und ändert nichts am Ergebnis. Die Veröffentlichung im Gesetzes- und Verordnungsblatt ist auch für Vorschriften, die nicht Gesetze sind, ausnahmsweise zulässig (vgl. Nr. 3.3 der Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung über die Amtliche Veröffentlichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften - VeröffBek vom 15.12.2015 - AllMBl S. 541).
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c) Der Senat ist gemäß § 83 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG an den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts gleichwohl gebunden. Eine Ausnahme von dieser Bindungswirkung, die grundsätzlich auch für rechtswidrige Verweisungen gilt, käme nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht, wovon hier nicht ausgegangen wird (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2013 - 8 AV 2.12 - juris Rn. 6 ff.; B.v.9.6.2020 - 6 AV 3.20 - juris Rn. 15 f.). Der Streitgegenstand bleibt durch die zu Unrecht erfolgte Verweisung jedoch unberührt (vgl. BVerwG, U.v. 24.4.1975 - VIII A 1.73 - BVerwGE 48, 201 - juris Rn. 10), so dass keine Bindung an die Auffassung des Verwaltungsgerichts betreffend den statthaften Rechtsbehelf besteht.
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2. Die Leistungsklagen sind hinsichtlich der Kläger zu 3 bis 27 unzulässig, da diese nicht klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog sind (hierzu a). Hingegen sind die Klagen der Kläger zu 1 und 2 zulässig (b).
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a) Die Weisung der Staatsregierung an ihre nachgeordneten Dienststellen, in den Eingangsbereichen der Dienstgebäude gut sichtbar ein Kreuz anzubringen (§ 28 AGO) verletzt die Kläger zu 3 bis 27 mangels unmittelbarer Außenwirkung der Verwaltungsvorschrift auch nicht möglicherweise in ihren Rechten. insbesondere nicht in ihrer negativen Religions- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 107 Abs. 1 BV.
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Sowohl in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (vgl. z.B. E.v. 14.3.2019 - Vf. 3-VII-18 - BayVBl 2019, 442 - juris Rn. 27 m.w.N.) als auch des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 - juris Rn. 94; B.v. 18.10.2016 - 1 BvR 354/11 - BayVBl 2017, 266 - juris Rn. 64; B.v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 - juris Rn. 34) ist geklärt, dass ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 107 Abs. 1 BV im Hinblick auf die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit einer natürlichen Person nur vorliegen kann, wenn der Einzelne durch eine vom Staat geschaffene Lage ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole ausgesetzt wird. Erst durch den behördlichen Umsetzungsakt der Anbringung eines Kreuzes in einer Dienststelle und nicht bereits durch den streitgegenständlichen § 28 AGO könnte eine natürliche Person in dieser qualifizierten Weise mit einem Glaubenssymbol konfrontiert werden und käme ein Eingriff in deren Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG in Betracht. Ein Anspruch der Kläger zu 3 bis 27 auf Aufhebung von § 28 AGO scheidet daher aus.
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Inwieweit eine Konfrontation des Einzelnen mit einem bestimmten, in einem Dienstgebäude angebrachten Kreuz im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung in Betracht kommt, könnte im Übrigen auch nur bezogen auf den jeweiligen Einzelfall geprüft werden, für den der einzelne Kläger dies geltend macht. Daran fehlt es hier. Die Kläger haben sich insoweit nur allgemein und ohne Bezug auf einzelne in bestimmten Dienstgebäuden angebrachte Kreuze geäußert. Es ist bereits nicht ersichtlich, in welchen Dienstgebäuden die einzelnen Kläger zumindest gelegentlich verkehren. Auch hinsichtlich des in der Staatskanzlei angebrachten Kreuzes haben die Kläger sowohl vorprozessual wie auch in der Klagebegründung nicht aufgezeigt, dass die genannten Voraussetzungen vorliegen könnten. Die Kläger haben sich lediglich an die Staatskanzlei gewandt, soweit es die Vorschrift des § 28 AGO als solche und nicht deren Vollzug im Einzelfall betrifft.
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Soweit sich die Kläger zu 3 bis 27 hinsichtlich der Zulässigkeit ihrer Leistungsklagen auf die Kommentierung von W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke (VwGO, 27. Aufl. 2021, § 47 Rn. 31) berufen, folgt daraus nichts Anderes. Danach soll eine Leistungsklage zulässig sein gegen Verwaltungsvorschriften, die, ohne auf Außenwirkung gerichtet zu sein, ausnahmsweise subjektivrechtliche Relevanz besitzen, da sie bereits durch ihre Existenz zu faktischen Grundrechtseingriffen führten. Solche Fälle sollen dann vorliegen, wenn ein Bürger gegenüber den durch die Verwaltungsvorschrift initiierten, ihn in seiner subjektiven Rechtsstellung berührenden Verwaltungshandlungen keinen effektiven Rechtsschutz besitzt. So liegt es hier aber nicht, denn jeder Bürger und jede Bürgerin kann im Einzelfall verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, wenn er oder sie geltend macht, infolge der Umsetzung von § 28 AGO bei einem Behördenbesuch mit einem Kreuz konfrontiert und dadurch (möglicherweise) in subjektiven Rechten verletzt zu werden. Auch besitzt § 28 AGO als behördeninterne Vorschrift keine Eingriffswirkung im Hinblick auf den Schutzbereich des Grundrechts der Kläger zu 3 bis 27 aus Art. 4 GG. Dafür, ob eine unausweichliche Konfrontation mit dem Kreuz in grundrechtswidriger Weise droht, kommt es i.Ü. auf die Umstände des Einzelfalles an. Zwar ist davon auszugehen, dass jeder Bürger im Laufe seines Lebens in Einzelfällen Behörden besuchen muss, etwa, um Personaldokumente zu erlangen. In Ansehung der Flüchtigkeit der Wahrnehmung im Eingangsbereich reicht dies jedoch zur Begründung eines Grundrechtseingriffs nicht aus. Eine relevante Wirkung zugunsten des Christentums durch ein Kreuz im Eingangs- und damit Durchgangsbereich eines Dienstgebäudes auf Passanten kann sich bei der naturgemäß nur flüchtigen Wahrnehmung nicht einstellen.
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Auch aus einer etwaigen Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität ergibt sich keine Klagebefugnis für die Kläger zu 3 bis 27. Die aus Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG abgeleitete Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität ist ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip, das ohne Hinzukommen einer Verletzung der Grundrechte, aus denen das Prinzip abgeleitet wird, keine einklagbaren subjektiven Rechte u.a. von natürlichen Personen begründet. Eine Ungleichbehandlung verschiedener Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG hinsichtlich der Anbringung des Kreuzes als Glaubenssymbol können die Kläger zu 3 bis 27 als Privatpersonen nicht geltend machen, auch nicht als Mitglieder der Kläger zu 1 und 2 als Weltanschauungsgemeinschaften.
28
b) Den Klägern zu 1 und 2 als Weltanschauungsgemeinschaften steht die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog zu. Sie haben Tatsachen vorgetragen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass sie in einer eigenen rechtlichen Position beeinträchtigt sind (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2010 - 5 B 21.09 u.a.- juris Rn. 9).
29
Die Kläger machen geltend, dass der Beklagte bereits durch den Erlass der Vorschrift des § 28 AGO und deren öffentliche Bekanntmachung im Gesetz- und Verordnungsblatt seine Neutralitätspflicht verletzt hat. Zudem bewirke § 28 AGO mittelbar die Aufhängung der Kreuze in den einzelnen staatlichen Dienstgebäuden, worin gleichfalls ein Verstoß gegen diese Pflicht zu sehen sei. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass hierdurch die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit der Kläger zu 1 und 2 aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt sein könnte, soweit in der Anordnung des § 28 AGO eine Identifikation mit dem christlichen Glauben zu sehen und eine damit verbundene Privilegierung dieses Bekenntnisses oder eine Benachteiligung der Kläger verbunden wäre (vgl. BVerfG, B.v. 26.6.2002 -1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279 - juris Rn. 54). Im Falle der Kläger zu 1 und 2 hängt die Eingriffsqualität - anders als im Falle von natürlichen Personen - nicht (zusätzlich) davon ab, ob im Einzelfall eine unausweichliche Konfrontation mit einem Glaubenssymbol vorliegt.
30
3. Die Klagen der Kläger zu 1 und 2 sind jedoch unbegründet. Der Erlass der Verwaltungsvorschrift des § 28 AGO, wodurch die Anbringung von Kreuzen in staatlichen Dienstgebäuden veranlasst wird, verletzt die Kläger zu 1 und 2 nicht in ihren Rechten.
31
a) Durch die in § 28 AGO ausgesprochene Aufforderung, im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes gut sichtbar ein Kreuz anzubringen, verstößt der Beklagte gegen die Verpflichtung des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Auch ist davon auszugehen, dass diese Aufforderung von der ganz überwiegenden Mehrzahl der Dienststellenleitungen befolgt wird.
32
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 20.1.2022 - 2 BvR 2467/17 - NVwZ-RR 2022, 361 - juris Rn. 30; B.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 - juris Rn. 87 f.; B.v. 12.05.2009 - 2 BvR 890/06 - BVerfGE 123, 148 - juris Rn. 173 m.w.N; B.v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 ff. - juris Rn. 35.) begründet das Grundgesetz für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist.
33
Die vom Beklagten mit dem Erlass von § 28 AGO veranlasste Anbringung von gut sichtbaren Kreuzen im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes verstößt gegen diese Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität. Mit dem Bundesverfassungsgericht (B.v. 16.5.1995 - BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 - juris Rn. 42 f.) geht der Senat davon aus, dass das Kreuz Symbol christlich-religiöser Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur ist. Für den Nichtchristen oder den Atheisten wird das Kreuz gerade wegen der Bedeutung, die ihm das Christentum beilegt und die es in der Geschichte gehabt hat, zum sinnbildlichen Ausdruck bestimmter Glaubensüberzeugungen und zum Symbol seiner missionarischen Ausbreitung. Es wäre eine dem Selbstverständnis des Christentums und der christlichen Kirchen zuwiderlaufende Profanisierung des Kreuzes, wenn man es als bloßen Ausdruck abendländischer Tradition oder als kultisches Zeichen ohne spezifischen Glaubensbezug ansehen wollte. Nach der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 1. August 1997 (Vf. 6-VII-96 - BayVBl 1997, 686 - juris Rn. 62 f.) kann das christliche Kreuz zwar auch als ein rein säkulares Symbol aufgefasst werden, nämlich als überkonfessioneller Ausdruck der vom Christentum maßgeblich geprägten Werte und Normen der abendländischen Kultur und Tradition. Für die verfassungsrechtliche Prüfung ist es aber auch hiernach entscheidend, dass das Kreuz ebenso ausschließlich als religiöses Symbol, und zwar als das zentrale Zeichen des Christentums, aufgefasst werden kann. Es kann seiner religiösen Bedeutung nicht entkleidet werden. Durch die Anbringung der Kreuze in den Eingangsbereichen der staatlichen Dienstgebäude wird das Symbol des christlichen Glaubens in einem öffentlich zugänglichen staatlichen Raum präsentiert. Die Symbole anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden nicht in gleicher Weise ausgestellt. Hierin liegt eine sachlich nicht begründete Bevorzugung des christlichen Symbols im Sinne der vorgenannten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.
34
Der Beklagte meint zwar sinngemäß, in § 28 AGO werde klargestellt, dass die in den Dienstgebäuden anzubringenden Kreuze als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns zu verstehen seien. Subjektiv beabsichtigt er demnach offenbar keine Identifikation mit dem christlichen Symbol. Dies ändert aber nichts an der rechtlichen Bewertung bezogen auf das Neutralitätsgebot, zumal dem Kreuz wie beschrieben ein anderer objektiver Sinngehalt zukommt. Zum einen kann der Beklagte insoweit keine Deutungshoheit beanspruchen; die Symbolkraft eines Wandkreuzes in der Gesellschaft kann nicht auf eine solche profane Bedeutung reduziert werden, wie sich aus der vorgenannten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ergibt. Zum anderen kann das Kreuz in einem Dienstgebäude nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont eines Besuchers im Sinne einer Nähe zum Christentum interpretiert werden (vgl. Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 4 GG Rn. 198). Eine Rechtfertigung dieser konkludenten Aussage durch eine einschlägige gesetzliche Grundlage (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.1997 - 7 B 97.601 - NJW 1999, 1045/1046 zu Bildungszielen nach Art. 131 Abs. 2 BV und Art. 7 Abs. 4 Satz 2 BayEUG) ist nicht ersichtlich.
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Auch gibt es in staatlichen Dienstgebäuden keinerlei Bezug zu religiösen Inhalten. Es handelt sich beim Eingangsbereich staatlicher Dienststellen um einen rein weltlichen Lebensbereich. Die christlich und humanistisch geprägte abendländische Tradition des Freistaats Bayern stellt keinen ausreichenden Grund dar, das Kreuz als das Symbol des christlichen Glaubens schlechthin im Eingangsbereich sämtlicher staatlicher Dienststellen, d.h. in Behörden, die mit reinen Verwaltungsaufgaben oder technischen Aufgaben betraut sind, anzubringen. Das christliche Kreuz hat keinen Bezug zu diesen Örtlichkeiten. Etwas Anderes kann dann gelten, wenn das Kreuz in einem konkreten musealen oder kulturellen Kontext verwendet wird, worauf die Kläger zurecht hinweisen. So liegt es aber hier nicht.
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Die Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität ist allerdings ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip, das als solches keine einklagbaren subjektiven Rechte der Kläger als Weltanschauungsgemeinschaften begründet. Das ist weit verbreitete Meinung in der Literatur (vgl. Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 4 GG Rn. 198; Stark in Klein/Starck/Starck, 7. Aufl. 2018 Art. 4 GG; Stern/Sachs/Dietlein in Stern, Staatsrecht: Die einzelnen Grundrechte, Bd. IV/2, 1. Aufl. 2011, 4. Kapitel § 118 IV.3.; Streinz, BayVBl 2021, 577; Friedrich, NVwZ 2018, 1007; Herbolzheimer/Kukuszka, ZeKR 2018, 367) und lässt sich auch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung herleiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. B.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - juris Rn. 86 und 88) ist der Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität ein Verfassungsprinzip, das z.B. mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit treten kann. Neutralität ist danach als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 21.4.1999 - 6 C 18.98 - BVerwGE 109, 40 - juris Rn. 14) differenziert zwischen der distanzierenden Neutralität des Staates im Sinne der Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen wie auch der sie tragenden Institutionen und der vorsorgenden Neutralität des Staates im Sinne der Sicherung eines Betätigungsraums zur Entfaltung auf religiös-weltanschaulichem Gebiet. Insoweit bezeichnet es ausdrücklich den objektiv-rechtlichen Charakter der staatlichen Neutralitätspflicht. Subjektiven Schutz gegen eine staatliche Maßnahme, die gegen die Neutralitätspflicht verstößt, können Weltanschauungsgemeinschaften wie die Kläger erst dann beanspruchen, wenn nicht bloß eine Berührung des Schutzbereichs, sondern ein nicht gerechtfertigter, benachteiligender Eingriff in die Grundrechte vorliegt, aus denen das Verfassungsprinzip hergeleitet wird, nämlich aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.
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b) Durch die in der Vorschrift des § 28 AGO ausgesprochene Aufforderung, Kreuze in staatlichen Dienstgebäuden anzubringen, wird jedoch nicht in das Grundrecht der Kläger zu 1 und 2 aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG eingegriffen.
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Art. 4 Abs. 1 GG schützt die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand wegen seines Glaubens und seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Hieraus resultiert das Recht von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf kollektive Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ebenso wie das Recht auf negative Bekenntnisfreiheit und ein relatives Benachteiligungsverbot der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften untereinander. Sowohl der persönliche wie auch der sachliche Schutzbereich sind den Klägern somit eröffnet. Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG garantieren ihnen eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung im Verhältnis zu anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und schützen vor ungerechtfertigten Grundrechtseingriffen, die hier aber zu verneinen sind.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279 - juris Rn. 52 bis 54) umfasst das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit neben der Freiheit des Einzelnen zum privaten und öffentlichen Bekenntnis seiner Religion oder Weltanschauung auch die Freiheit, sich mit anderen aus gemeinsamem Glauben oder gemeinsamer weltanschaulicher Überzeugung zusammenzuschließen, somit die religiöse Vereinigungsfreiheit. Die durch den Zusammenschluss gebildete Vereinigung selbst genießt hiernach das Recht zu religiöser oder weltanschaulicher Betätigung, zur Verkündigung des Glaubens, zur Verbreitung der Weltanschauung sowie zur Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses. Geschützt ist auch die Freiheit, für den eigenen Glauben und die eigene Überzeugung zu werben, und das Recht, andere von deren Religion oder Weltanschauung abzuwerben. In dem durch das Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall bestand - anders als vorliegend - der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG gerade in einer wertenden, die Neutralität verletzenden Äußerung des Staates über die dortige Beschwerdeführerin. Das Bundesverfassungsgericht befand daher, Bedeutung und Tragweite der beschriebenen Gewährleistungen finde darin ihren besonderen Ausdruck, dass der Staat nach Art. 4 Abs. 1 GG, aber auch gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1, 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV verpflichtet sei, sich in Fragen des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses neutral zu verhalten und nicht seinerseits den religiösen Frieden in der Gesellschaft zu gefährden. Dabei seien dem Staat nur die Regelung genuin religiöser oder weltanschaulicher Fragen, nur die parteiergreifende Einmischung in die Überzeugungen, die Handlungen und in die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften untersagt. Weder dürften von ihm bestimmte Bekenntnisse - etwa durch Identifikation mit ihnen - privilegiert noch andere um ihres Bekenntnisinhalts willen - beispielsweise durch Ausgrenzung - benachteiligt werden. Der zu entscheidende Fall liegt signifikant anders als der vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 26. Juni 2002 (a.a.O) entschiedene, denn hier wenden sich die Kläger nicht gegen eine unmittelbare Behandlung durch den Beklagten, sondern machen eine Verletzung ihres Grundrechts durch die Verwendung christlicher Symbolik geltend.
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Durch die Aufforderung und die daraus folgende Anbringung von Kreuzen in Dienstgebäuden wird nicht in einer das Gleichbehandlungsgebot außer Acht lassenden Weise in die Grundrechte der Kläger zu 1 und 2 aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG eingegriffen. Der Beklagte hat dadurch zum einen nicht im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung in die Überzeugungen, die Handlungen und in die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften interveniert. Die strittige Maßnahme hebt zwar objektiv ein Symbol des christlichen Glaubens hervor. Damit ist aber keine Einmischung in das subjektive Recht der Kläger zu religiöser oder weltanschaulicher Betätigung, zur Verbreitung ihrer Weltanschauung sowie zu deren Pflege und Förderung verbunden. Das Anbringen von Kreuzen erfolgt auch nicht im Benehmen und im erkennbaren Interesse christlicher Kirchen. Wie dargelegt, kann das Kreuz als christliches Symbol seiner religiösen Bedeutung nicht entkleidet werden. Gleichwohl gibt es daneben weitere, z.B. historische oder kulturelle Deutungsmöglichkeiten. Jedenfalls ist weder nach dem Wortlaut von § 28 AGO noch nach dem prozessualen Vorbingen des Beklagten von diesem eine Identifikation mit christlichen Glaubensinhalten und christlichen Glaubensgemeinschaften, oder eine Bezugnahme auf den christlichen Glauben bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben und Befugnisse beabsichtigt. Unterstrichen wird dieser Befund durch die Situierung der Kreuze im Eingangsbereich von Dienstgebäuden, wo keine inhaltliche Wahrnehmung behördlicher Aufgaben stattfindet und daher keine hinreichende Verknüpfung zwischen staatlicher Aufgabenerfüllung und Verwendung des christlichen Symbols gegeben ist. Anders könnte es mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Kruzifixen in Schulzimmern (vgl. BVerfG, B.v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 ff. - juris Rn. 39 f.) beim Anbringen von Kreuzen z.B. in Mitarbeiterbüros liegen, dem die Konnotation beigelegt werden könnte, dass amtliche Entscheidungen gewissermaßen „unter dem Kreuz“ und sinnbildlich unter Berücksichtigung christlicher Werte getroffen würden. So liegt es hier aber nicht. Auch kommt der Anbringung von Kreuzen im Eingangsbereich von Behörden keine ausgrenzende Wirkung gegenüber den Klägern als Weltanschauungsgemeinschaften in der Weise zu, dass der Beklagte andere Glaubensrichtungen und Weltanschauungen nicht gleichbehandeln würde, wo er mit diesen zusammenarbeitet oder sie fördert. Die Maßnahme erschöpft sich im Wesentlichen in der Bereitschaft, dem aus Sicht des Beklagten geschichtlich-kulturellen, objektiv christlichen Symbol einen Platz im Eingangsbereich staatlicher Dienstgebäude einzuräumen.
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Dass den in Eingangsbereichen staatlicher Dienststellen angebrachten Kreuzen keine den christlichen Glauben fördernde und damit die Weltanschauungsfreiheit der Kläger potentiell beeinträchtigende Wirkung zukommt, liegt zum einen daran, dass das Kreuz an der Wand ein im wesentlichen passives Symbol ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung ist. Einen möglichen Einfluss auf die Besucher in den Dienststellen (vgl. zu diesem Kriterium EGMR, U.v. 18.3.2011 − 30814/06 [Lautsi u. a./Italien] - NVwZ 2011, 737 - juris Rn. 72) haben die Kläger nicht nachvollziehbar aufgezeigt. Davon ist zum anderen nach allgemeiner Lebenserfahrung auch nicht auszugehen. Der Eingangsbereich eines Dienstgebäudes stellt im Wesentlichen einen Durchgangsbereich dar, der nicht dem längeren Verweilen dient. Der Bürger durchquert ihn in der Regel lediglich auf dem Weg zum Mitarbeiter, der für sein Anliegen zuständig ist. Glaubenssymbole wie das dort angebrachte Kreuz finden sich im öffentlichen Raum sichtbar an zahlreichen Stellen und in vielerlei Gestalt sowohl im Nahbereich kirchlicher Einrichtungen wie auch sonst im Straßenbild. Wie Passanten im öffentlichen Raum sind Behördenbesucher nur flüchtig mit solchen Kreuzen konfrontiert und können Abstand halten; dies unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt von Kreuzen in Unterrichtsräumen (vgl. BVerfG, B.v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 - juris Rn. 39). Auch befindet sich der Einzelne nicht in einer vom Staat geschaffenen Lage, in der er ohne Ausweichmöglichkeiten einem Glaubenssymbol in grundrechtswidriger Weise ausgesetzt ist (vgl. für Verfahrensbeteiligte bei Teilnahme an einer mündlichen Gerichtsverhandlung BVerfG, B.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 - juris Rn. 94 f.). Es ist zwar davon auszugehen, dass jeder Bürger im Laufe seines Lebens in Einzelfällen Behörden besuchen muss, etwa, um Personaldokumente zu erlangen. In Ansehung der Flüchtigkeit der Wahrnehmung im Eingangsbereich reicht dies jedoch zur Begründung eines Grundrechtseingriffs nicht aus. Eine relevante Wirkung zugunsten des Christentums durch ein Kreuz im Eingangs- und damit Durchgangsbereich eines Dienstgebäudes auf Passanten kann sich bei der naturgemäß nur flüchtigen Wahrnehmung nicht einstellen. Die von den Klägern ins Feld geführte Benachteiligung durch den von der Anbringung von Kreuzen ausgehenden Werbeeffekt für die christlichen Kirchen ist daher nicht gegeben.
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Zwar kann Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG bezogen gerade auf die finanzielle Förderung von Religionsgemeinschaften (z.B. durch Zuwendungen) auch eine leistungs- und teilhaberechtliche Komponente entfalten (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2009 - 2 BvR 890/06 - BVerfGE 123, 148 - juris Rn. 172 und 188). Die Kläger begehren jedoch weder die Verpflichtung des Beklagten auf staatliche Leistungen noch darauf, etwaige Symbole ihrer Weltanschauung gleichermaßen in den Dienstgebäuden zu platzieren. Ihr Begehren ist vielmehr negativ darauf gerichtet, die Verwendung christlicher Symbolik zu unterbinden, was sie mit Wettbewerbsgesichtspunkten begründen. Aus dem Vortrag der Kläger ergibt sich aber nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich, inwieweit christliche Religionsgemeinschaften durch das Anbringen von Kreuzen im Eingangsbereich von Dienstgebäuden messbar, etwa in Gestalt von Spenden und Beitritten, in relevanter Weise gefördert würden und ihnen selbst dadurch ein entsprechender Nachteil zugefügt würde. Unabhängig davon privilegiert der Staat durch die Hängung von Kreuzen nicht eine bestimmte Religionsgemeinschaft, sondern ein Symbol des christlichen Glaubens im Allgemeinen. Ein Anspruch darauf, dass die Förderung einer anderen Glaubensrichtung - hier durch die Aufhängung von deren Symbol - unterbleibt, ergibt sich jedoch weder aus Art. 4 GG noch aus Art. 3 GG.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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III. Die Revision war gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, soweit es die Kläger zu 1 und 2 betrifft. Die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Verletzung der objektivrechtlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates durch die Anbringung von christlichen Symbolen in Dienstgebäuden von Hoheitsträgern zugleich als Eingriff in das Grundrecht nichtchristlicher Weltanschauungsgemeinschaften aus Art. 4 Abs. 1, Art, 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu bewerten ist, hat grundsätzliche Bedeutung. Die Revision ist dagegen für die Kläger zu 3 bis 27 nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.