VG Würzburg, Beschluss v. 14.07.2022 – W 3 S 22.1073
Titel:
Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVwZVG Art. 24 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Art. 26 Abs. 5 S. 1
ZPO § 850l
Leitsätze:
1. Einer natürlichen Person, die mit dem Schuldner einer gepfändeten Forderung ein Gemeinschaftskonto unterhält, fehlt wegen § 850l ZPO das Rechtsschutzbedürfnis für ein gerichtliches Vorgehen gegen die Pfändung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Erfüllung der Voraussetzung von Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 BayVwZVG genügt es nicht, wenn nicht die Anordnungsbehörde, sondern die zuständige Kasse oder Zahlstelle die Klausel anbringt, und dies auch nur auf einem Entwurf bzw. Abdruck der zu vollstreckenden Bescheide. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Vollstreckungsverfahren, Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, Pfändung einer Geldforderung durch Gemeinde, Pfändung eines Gemeinschaftskontos, Rechtsschutzbedürfnis, Vollstreckungsanordnung, Ausfertigung des zu vollstreckenden Bescheides, Vollstreckungsklausel, Formenstrenge des Vollstreckungsverfahrens, Entwurf mit Vollstreckungsklausel, Abdruck mit Vollstreckungsklausel, Geldforderung, Gemeinde, Gemeinschaftskonto, Ausfertigung, Formenstrenge, Entwurf, Abdruck
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22882
Tenor
I. Auf den Antrag des Antragstellers zu 2) hin wird die aufschiebende Wirkung der Klage mit dem Aktenzeichen W 3 K 22.1072 vom 27. Juni 2022 gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2022 angeordnet.
Der Antrag der Antragstellerin zu 1) wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Antragstellerin zu 1) und die Antragsgegnerin je zur Hälfte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller zu 2) hat von der Antragsgegnerin in der Vergangenheit vorläufig gewährte Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch erhalten. Die Antragsgegnerin betreibt deren Erstattung durch den Antragsteller zu 2). Die Beteiligten streiten um einen diesbezüglichen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss.
2
Der Antragsteller zu 2) lebt mit der Antragstellerin zu 1), die Rente und Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bezieht, in einer gemischten Bedarfsgemeinschaft.
3
Mit Bescheid vom 28. Dezember 2017, geändert mit Bescheiden vom 23. Januar 2018 und vom 15. Februar 2018, gewährte das Jobcenter der Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 2) vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2018 lehnte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab und forderte die Erstattung der Differenz zwischen den vorläufig erbrachten und den endgültig zustehenden Leistungen in Höhe von 3.476,88 EUR. Zugleich erklärte die Antragsgegnerin die Aufrechnung mit ab dem 1. November 2018 seitens des Antragstellers zu 2) bestehenden Ansprüchen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2018 hat der Antragsteller zu 2) Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben (Az.: S. 16 AS …), die er am 2. Juli 2019 wieder zurückgenommen hat.
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Mit Bescheid vom 19. Juni 2018, geändert mit Bescheid vom 12. September 2018, gewährte das Jobcenter der Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 2) vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für die Zeit vom 1. Juli 2018 bis zum 31. Dezember 2018. Mit Bescheid vom 28. Mai 2019 lehnte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 1. Juli 2018 bis zum 31. Dezember 2018 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab und forderte die Erstattung der Differenz zwischen den vorläufig erbrachten und den endgültig zustehenden Leistungen in Höhe von 3.321,54 EUR. Zugleich erklärte die Antragsgegnerin die Aufrechnung mit ab dem 1. Juli 2019 seitens des Antragstellers zu 2) bestehenden Ansprüchen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Gegen den Bescheid vom 28. Mai 2019 hat der Antragsteller zu 2) weder Widerspruch noch Klage erhoben.
5
Mit Bescheid vom 2. Januar 2019, geändert mit Bescheid vom 30. Januar 2019, gewährte das Jobcenter der Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 2) vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für die Zeit vom 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2019. Mit Bescheid vom 21. November 2019 lehnte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2019 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab und forderte die Erstattung der Differenz zwischen den vorläufig erbrachten und den endgültig zustehenden Leistungen in Höhe von 3.320,46 EUR. Zugleich wurde der Antragsteller zu 2) zur Überweisung der zu Unrecht erbrachten Leistungen aufgefordert. Eine Klage des Antragstellers zu 2) gegen den Bescheid vom 21. November 2019 wies das Sozialgericht Würzburg (Az.: S. 18 AS …) mit Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2020 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das Bayerische Landessozialgericht mit Urteil vom 21. Juli 2020 zurück.
6
Mit Schreiben vom 16. August 2021 forderte das Jobcenter der Antragsgegnerin vom Antragsteller zu 2) die Begleichung von insgesamt 10.118,88 EUR gemäß den Bescheiden vom 5. Oktober 2018, vom 28. Mai 2019 und vom 21. November 2019 und teilte mit, durch Aufrechnungen sei die Forderung bereits auf 9.890,48 EUR reduziert worden.
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Unter dem 7. Oktober 2021 mahnte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 2) hinsichtlich der noch offenen Rückforderung in Höhe von 9.890,48 EUR zuzüglich 20,00 EUR Mahngebühr, insgesamt 9.910,48 EUR.
8
Gegen das Schreiben vom 16. August 2021 und die Mahnung vom 7. Oktober 2021 wandte sich der Antragsteller zu 2) im Verfahren S. 10 AS … an das Sozialgericht Würzburg. Mit Beschluss vom 28. Dezember 2021 lehnte das Sozialgericht Würzburg im Verfahren S 10 AS … einen Antrag des Antragstellers zu 2) auf Prozesskostenhilfe ab. Mit Beschluss vom 22. Februar 2022 wies das Bayerische Landessozialgericht die diesbezügliche Beschwerde des Antragstellers zu 2) zurück. Mit Gerichtsbescheid vom 18. März 2022 wies das Sozialgericht Würzburg im Verfahren S 10 AS … die Klage ab. Hiergegen legte der Antragsteller zu 2) Berufung zum Landessozialgericht (Az.: L 11 AS …) ein. Der Antragsteller zu 2) nahm die Klage S 10 AS … mit Schreiben vom 15. März 2022 wieder zurück.
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Mit Schreiben vom 26. März 2022, eingegangen am 31. März 2022, erhob der Antragsteller zu 2) bei der Antragsgegnerin Widerspruch gegen die im Mahnschreiben vom 7. Oktober 2021 festgesetzte Mahngebühr in Höhe von 20,00 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2022, zugestellt am 19. Mai 2022, wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück.
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Unter dem 20. Mai 2022 brachte ein Mitarbeiter des Amtes für Finanzen und Steuern der Antragsgegnerin auf einem Schriftstück, das wohl den Text des Bescheides vom 5. Oktober 2018 wiedergibt, der auf der ersten Seite mit „- E. -“ gekennzeichnet ist und das eine Unterschrift trägt, den gesiegelten und unterschriebenen Text „Diese Ausfertigung ist vollstreckbar“ an. Gleiches gilt für ein Schriftstück, das wohl den Text des Bescheides vom 21. November 2019 wiedergibt. Auch auf ein Schriftstück, dessen Text wohl den Bescheid vom 28. Mai 2019 wiedergibt, jedoch keine Unterschrift trägt und mit „- Abdruck -“ überschrieben ist, findet sich eine identische gesiegelte und unterschriebene Passage.
11
Am 23. Mai 2022 erließ die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller zu 2) einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in Höhe von 9.919,08 EUR gemäß den vollstreckbaren Leistungsbescheiden vom 5. Oktober 2018, vom 28. Mai 2019 und vom 21. November 2019, mit welchem sie die gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche des Vollstreckungsschuldners bei der Sparkasse S.-H. pfändete. Dem war eine nicht unterschriebene Forderungsaufstellung vom 23. Mai 2022 beigefügt. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23. Mai 2022 wurde dem Drittschuldner am 25. Mai 2022 und dem Antragsteller zu 2) am 31. Mai 2022 zugestellt.
12
Mit Drittschuldnererklärung vom 7. Juni 2022 erkannte die Sparkasse S.-H. die Forderung an und erklärte, das gepfändete Konto stehe mehreren gemeinschaftlich zu.
13
Mit Schreiben vom 8. Juni 2022, bei der Antragsgegnerin am 13. Juni 2022 eingegangen, wandten sich beide Antragsteller gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23. Mai 2022 mit der Forderung, diesen unverzüglich aufzuheben und die Sperrung des gemeinsamen Kontos zu beenden. Dieses Ansinnen lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 14. Juni 2022 ab.
14
Am 27. Juni 2022 erhoben die Antragsteller im Verfahren W 3 K 22.1072 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg „wegen rechtswidriger Sperrung des Sparkassenkontos“ und beantragten im vorliegenden Verfahren:
„Wir bitten das Gericht, unser Konto bei der Sparkasse S. unverzüglich und vor einer gerichtglichen Entscheidung wieder freizugeben. Zumindest das Konto von Frau R. … sollte sofort entsperrt werden.“
15
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragstellerin zu 1) sei seit dem 1. Januar 2018 in Ruhestand. Sie erhalte eine Rente und Grundsicherung bis zum Existenzminimum. Der Antragsteller zu 2) sei am 1. Mai 2021 in den Ruhestand getreten, beziehe seitdem keine Leistungen vom Jobcenter mehr und erhalte eine Rente und eine Grundsicherung bis zum Existenzminimum. Bereits die Mahnung vom 7. Oktober 2021 sei fehlerhaft. Gleiches gelte für den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23. Mai 2022. Dies ergebe sich auch daraus, dass ein Gemeinschaftskonto beider Antragsteller gesperrt worden sei. Das Gericht werde darum gebeten, die vollständige und sofortige Abschaffung des rechtswidrigen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zu verlangen. Auf den weiteren Inhalt der verschiedenen diesbezüglichen Schriftsätze der Antragsteller wird Bezug genommen.
16
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
17
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Bescheide vom 5. Oktober 2018, vom 28. Mai 2019 und vom 21. November 2019 seien rechtskräftig. Zur Beitreibung der offenen Rückforderungen von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bedürfe es keines offiziellen Schreibens des Jobcenters an das Amt für Finanzen und Steuern, denn beides seien Dienststellen der Antragsgegnerin. Die Fachdienststellen gäben beizutreibende Leistungsbescheide mittels Kassenanordnung an das Amt für Finanzen und Steuern ab. In dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss seien die Mahngebühren in Höhe von 20,00 EUR im Hinblick auf hiergegen noch laufende Rechtsbehelfsverfahren vorläufig nicht mitaufgenommen worden. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss stütze sich auf Art. 26 Abs. 5 VwZVG. Die hierfür erforderlichen Vollstreckungsvoraussetzungen des Art. 19 und Art. 23 VwZVG lägen vor. Auch eine Mahnung nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG, gegen welche kein Rechtsmittel möglich sei, sei gegeben. Die Antragstellerin zu 1) sei nicht Adressatin des streitgegenständlichen Bescheids. Dass sie als Mitinhaberin des gepfändeten Kontos mittelbar von der Kontopfändung betroffen sei, sei nach Maßgabe des § 850l ZPO zulässig. Die Antragsteller unterhielten kein Pfändungsschutzkonto.
18
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien, auf den Inhalt der Gerichtsakte W 3 K 22.1072 sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
II.
19
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 23. Mai 2022, hinsichtlich dessen die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage im Verfahren W 3 K 22.1072 begehren. Dies ergibt sich auf der Grundlage von § 88 VwGO daraus, dass sich die Antragsteller gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Sache nach mit dem Argument wehren, dieser sei fehlerhaft erlassen worden, weshalb seine Rechtswirkung alsbald beseitigt werden müsse.
20
Bei einer Pfändung durch eine Gemeinde zur Durchsetzung einer Geldforderung - wie bei einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nach Art. 26 Abs. 5 Satz 1 VwZVG - handelt es sich um einen Verwaltungsakt (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, Anhang § 42 Rn. 33 m.w.N.). Diesen Verwaltungsakt greifen die Antragsteller im Klageverfahren W 3 K 22.1072 mit dem Argument an, die Art und Weise der Zwangsvollstreckung sei nicht in Ordnung. Sie begehren im Rahmen des Klageverfahrens dessen Aufhebung. Da sich Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen der vorliegenden Art nach den allgemeinen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung richten (W.-R. Schenke, a.a.O., § 167 Rn. 14) und im Hauptsacheverfahren die Anfechtungsklage die richtige Klageart ist, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO.
21
Dieser Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23. Mai 2022 hat hinsichtlich des Antragstellers zu 2) Erfolg; hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) bleibt er erfolglos.
22
1. Der Antrag der Antragstellerin zu 1) ist abzulehnen. Ihm fehlt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis.
23
Wie jedes gerichtliche Verfahren erfordert auch die Zulässigkeit eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO das Vorliegen des allgemeinen Rechtsschutzinteresses. Dieses ist dann nicht gegeben, wenn kein Bedürfnis für die Anrufung des Gerichts besteht (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 82). Im vorliegenden Fall richtet sich der angegriffene Pfändungs- und Überweisungsbeschluss lediglich und ausschließlich gegen den Antragsteller zu 2). Die Antragstellerin zu 1) ist nicht die Adressatin des Bescheides, weshalb ein Erfolg im Gerichtsverfahren ihre Rechtstellung nicht verbessern könnte, so dass das vorliegende Verfahren für sie nutzlos ist (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, vor §§ 40 bis 53 Rn. 11 und Rn. 16 m.w.N.).
24
Die Antragstellerin zu 1) kann sich auch nicht darauf berufen, durch einen Erfolg im vorliegenden Verfahren könnte sich ihre Rechtstellung insofern verbessern, als sie faktisch wieder Zugriff auf das gemeinsam mit dem Antragsteller zu 2) geführte Konto bei der Sparkasse S.-H. haben könnte. Denn in dieser Hinsicht kann sie ihr Ziel auf anderem Wege einfacher und effizienter erreichen (Wöckel, a.a.O., Rn. 12). Dies ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 850l Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann eine natürliche Person wie die Antragstellerin zu 1), die mit dem Schuldner einer gepfändeten Forderung ein Gemeinschaftskonto unterhält, von dem Kreditinstitut innerhalb eines bestimmten Zeitraumes verlangen, bestehendes oder künftiges Guthaben von dem Gemeinschaftskonto auf ein bei dem Kreditinstitut allein auf ihren Namen lautendes Zahlungskonto zu übertragen. Nach Abs. 4 der Vorschrift setzen sich die Wirkungen von Pfändung und Überweisung von Guthaben auf dem Gemeinschaftskonto nicht an dem Guthaben fort, das nach Abs. 3 auf ein anderes Konto übertragen worden ist.
25
Da der Antragstellerin zu 1) dieser Weg unproblematisch offensteht, muss auch deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, der ein Gemeinschaftskonto betrifft, verneint werden.
26
2. Der Antrag des Antragstellers zu 2) hat Erfolg.
27
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten. Nach Sinn und Zweck umfasst der Begriff der „Anforderung“ alle behördlichen Maßnahmen, die auf die Verwirklichung des öffentlich-rechtlichen Geldleistungsanspruchs gerichtet sind. Anforderung meint demnach jede administrative Maßnahme zur Geltendmachung eines auf Tilgung der Abgaben- oder Kostenschuld gerichteten Anspruchs. Damit stellt auch eine Vollstreckungsmaßnahme eine Anforderung in diesem Sinne dar (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 80 Rn. 145 und Rn. 145a m.w.N.).
28
Das Gericht kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung des gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gerichteten Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 VwGO anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen dann, wenn die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit so gewichtig sind, dass ein Obsiegen des Betroffenen im Rechtsbehelfsverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 95 m.w.N.). Allerdings ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, also bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, ein Antrag nach Abs. 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat (§ 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO). Das gilt nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO u.a. dann nicht, wenn die Vollstreckung droht.
29
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller zu 2) der Sache nach bei der Antragsgegnerin mit seinem Schreiben vom 8. Juni 2022 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO gestellt, denn er hat in diesem Schreiben die Forderung zum Ausdruck gebracht, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss unverzüglich aufzuheben. Diesen Antrag hat die Antragsgegnerin am 14. Juni 2022 abgelehnt. Unabhängig hiervon drohte gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO die Vollstreckung, so dass es eines solchen Antrages auf Aussetzung der Vollziehung nicht einmal bedurft hätte.
30
Im vorliegenden Fall bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
31
Es geht um die Vollstreckung von drei Leistungsbescheiden vom 5. Oktober 2018, vom 28. Mai 2019 und vom 21. November 2019 in Höhe von 9.890,48 EUR zuzüglich 28,60 EUR Pfändungskosten. Hierbei handelt es sich um Leistungsbescheide im Sinne des Art. 18 Abs. 1 VwZVG. Alle drei Bescheide können gemäß Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG nicht mehr mit förmlichen Rechtsbehelfen angegriffen werden. Die Bescheide vom 5. Oktober 2018 und vom 21. November 2019 sind nach dem Abschluss der entsprechenden Gerichtsverfahren rechtskräftig geworden, der Bescheid vom 28. Mai 2019 ist vom Antragsteller zu 2) nicht angegriffen und damit bestandskräftig geworden.
32
Der Antragsteller zu 2) hat seine Verpflichtung zur Zahlung der in diesen Bescheiden geltend gemachten Erstattungsbeiträge in Höhe von 9.890,48 EUR noch nicht erfüllt (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Alle drei Bescheide sind dem Antragsteller zu 2) gemäß Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG mit Postzustellungsurkunden vom 9. Oktober 2018, vom 31. Mai 2019 und vom 23. November 2019 zugestellt worden. Die Forderungen waren gemäß Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG fällig und der Antragsteller zu 2) ist nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG ergebnislos von der für die Anordnungsbehörde - das Jobcenter der Antragsgegnerin - zuständigen Kasse oder Zahlstelle - dem Amt für Finanzen und Steuern - mittels Brief ergebnislos dazu aufgefordert worden, innerhalb einer Woche zu leisten (Mahnung).
33
Allerdings fehlt die nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Art. 26 Abs. 1, Abs. 5 VwZVG erforderliche Vollstreckungsanordnung in der vorgeschriebenen Form.
34
Nach Art. 26 Abs. 1 VwZVG sind u.a. Gemeinden dazu berechtigt, zur Beitreibung von Geldforderungen, die sie durch einen Leistungsbescheid geltend machen, eine Vollstreckungsanordnung zu erteilen. Nach Abs. 5 Satz 1 der Vorschrift können u.a. Gemeinden Geldforderungen selbst pfänden und einziehen, wenn Schuldner und der Drittschuldner ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in Bayern haben.
35
Im Fall des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG ordnet die Anordnungsbehörde oder die für sie zuständige Kasse oder Zahlstelle die Vollstreckung dadurch an, dass sie in den Fällen des Art. 26 und 27 VwZVG auf eine Ausfertigung des Leistungsbescheids oder eines Ausstandsverzeichnisses die Klausel setzt: „Diese Ausfertigung ist vollstreckbar“. Nach Abs. 2 der Vorschrift übernimmt die Anordnungsbehörde oder die für sie zuständige Kasse oder Zahlstelle mit der Vollstreckungsanordnung die Verantwortung dafür, dass die in den Art. 19 und 23 bezeichneten Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung gegeben sind.
36
Im vorliegenden Fall hat nicht die Anordnungsbehörde, also das Jobcenter der Antragsgegnerin, sondern die zuständige Kasse oder Zahlstelle, also das Amt für Finanzen und Steuern, die in Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG genannte Klausel angebracht, dies allerdings nicht auf einer Ausfertigung des Leistungsbescheides oder eines Ausstandsverzeichnisses. Vielmehr findet sich die gesiegelte und unterschriebene Klausel jeweils auf einem Entwurf des Bescheides vom 5. Oktober 2018 bzw. vom 21. November 2019, wobei den digitalen Behördenakten nicht zu entnehmen ist, ob es sich hierbei um den Entwurf selbst oder um dessen Kopie handelt, und auf einen Abdruck des Bescheides vom 28. Mai 2019. Dies ist nicht hinreichend, um die Vorgabe des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG zu erfüllen.
37
Das Vollstreckungsrecht als solches ist von einer hohen Formenstrenge geprägt. Diese soll ein zügiges Vollstreckungsverfahren gewährleisten und zugleich dem Schutz von Gläubiger und Schuldner gleichermaßen dienen (Seibel in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, vor § 704 Rn. 22; BGH, B.v. 29.6.2011 - VII ZB 89/10 - juris; B.v. 23.10.2019 - I ZB 60/18 - juris Rn. 27, allgemein zur Formalisierung des Zwangsvollstreckungsverfahrens).
38
In Anwendung dieses Grundgedankens fordert auch Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG für die Vollstreckungsanordnung eine bestimmte Form (Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: April 2021, Art. 26 VwZVG Rn. 12). Zugleich hebt Art. 24 Abs. 2 VwZVG die Verteilung der Verantwortung hervor. Erforderlich ist hiernach eine ausdrückliche Erklärung der Anordnungsbehörde oder der für sie zuständigen Kasse oder Zahlstelle, dass der Forderungsanspruch vollstreckbar ist, dies auf einer entsprechenden Ausfertigung des zu vollstreckenden Bescheides.
39
Dass die Anordnung der Vollstreckung im Fall des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG mit dem Leistungsbescheid bzw. dem Ausstandsverzeichnis verknüpft ist, trägt der Tatsache Rechnung, dass bei der Vollstreckung von Geldforderungen Anordnungs- und Vollstreckungsbehörde häufig verschieden sind und die Vollstreckungsbehörde - bei deren Identität mit der Anordnungsbehörde auch das eigene Vollstreckungspersonal - davon ausgehen können muss, dass die Voraussetzungen der Vollstreckung erfüllt sind (Giehl/Adolph/Käß, a.a.O., Art. 24 Rn. 1).
40
Auf der Grundlage der Regelungen in Art. 24 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwZVG muss aus Gründen des Schuldnerschutzes die Übernahme der Verantwortung in zweierlei Hinsicht dokumentiert werden:
41
Mit der Bestimmung, dass eine Ausfertigung des Leistungsbescheides vorliegen muss, geht es um die Übernahme der Verantwortung für die Tatsache, dass die Forderung, die nun vollstreckt wird, in dieser Form und Höhe dem Schuldner gegenüber auch tatsächlich besteht, dieser Bescheid dem Schuldner gegenüber also tatsächlich mit diesem konkreten Inhalt erlassen worden ist. Diese Verantwortung muss durch die Vorlage einer Ausfertigung des Leistungsbescheides oder einer Ausfertigung eines Ausstandsverzeichnisses übernommen werden. Denn die Ausfertigung vertritt die Urschrift im Rechtsverkehr (so § 47 BeurkG für notarielle Beurkundungen) und gewährleistet damit, dass auf ihr exakt der Inhalt des Originals dokumentiert ist. Konkret erfolgt dies durch den Ausfertigungsvermerk, welcher kenntlich macht, dass die Ausfertigung nach dem Willen des Ausstellers an die Stelle der Urschrift treten soll. Damit wird vorausgesetzt, dass die Ausfertigung textlich mit der Urschrift übereinstimmt (BVerwG, U.v. 4.10.1999 - 6 C 31/98 - BVerwGE 109, 336). Welche Anforderungen konkret an eine Ausfertigung zu stellen sind, ist - anders als für notariell erstellte Ausfertigungen gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 BeurkG oder für von Gerichten erstellte Ausfertigungen nach § 173 VwGO, § 317 ZPO - gesetzlich nicht bestimmt. Angelehnt an die genannten Vorschriften für den notariellen und den gerichtlichen Bereich hat sich der Grundsatz herausgebildet, dass das Schriftstück einen mit der Angabe von Datum und Ort versehenen und mit Dienstsiegel gesiegelten und vom Urkundsbeamten der Behörde unterzeichneten Ausfertigungsvermerk enthalten muss (Schlatmann in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 2 VwZG Rn. 5 m.w.N.; VG Darmstadt, U.v. 28.4.2010 - 5 K 951/08.DA (3) - juris Rn. 26 f.). Auf diese Weise wird die Übereinstimmung der Ausfertigung mit der Urschrift bestätigt. Damit hat die Ausfertigung eine Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion (OVG Bremen, U.v. 16.11.2021 - 1 D 305/20 - juris LS 1 und Rn. 57), die auf jeden Fall unabhängig von der konkreten Form der Ausfertigung gegeben sein muss.
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Demgegenüber hat ein bloßer Abdruck keine derartige Funktion, da niemand die Verantwortung für die Übereinstimmung mit dem Original übernommen hat. Gleiches gilt für ein Schriftstück, das mit dem Begriff „Entwurf“ gekennzeichnet ist. Damit ist nicht dokumentiert, dass ein entsprechender Verwaltungsakt tatsächlich erlassen worden ist (vgl. zum Begriff des Entwurfs auch Art. 29 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG; vgl. zur Bedeutung der Ausfertigung eines Bescheides: VG Wiesbaden, U.v. 22.3.2013 - 6 K 927/12.WI.A - juris Rn. 13 bis 14). Vielmehr begegnet die Kammer in verschiedenen Verfahren immer wieder verschiedenen behördlichen Aktenheftungen, die Entwürfe enthalten, welche niemals in dieser Form bekanntgegeben worden sind, offensichtlich vielmehr zur Dokumentation des Entscheidungsprozesses in den Akten verblieben sind.
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Neben der Übernahme der Verantwortung für die Übereinstimmung des Dokuments mit der Originalurkunde regelt Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG die Übernahme der Verantwortung dafür, dass die in Art. 19 und Art. 23 enthaltenen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen (Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: April 2021, Art. 24 VwZG Rn. 5).
44
Im vorliegenden Fall hat zwar ein Mitarbeiter des Amtes Finanzen und Steuern der Antragsgegnerin die letztgenannte Verantwortung übernommen und auf den fraglichen Dokumenten jeweils eine Vollstreckungsklausel nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG angebracht hat; demgegenüber hat niemand die Verantwortung dafür übernommen, dass die Dokumente inhaltlich den tatsächlich gegenüber dem Antragsteller zu 2) erlassenen Bescheiden entsprechen.
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Dies ist aus Gründen des Schuldnerschutzes nicht verzichtbar und im Rahmen der Formenstrenge des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens - die rechtlich ungerechtfertigte Vollstreckungen verhindern soll - gesetzlich vorgesehen.
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In diesem Zusammenhang kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die beiden mit „E-“ gekennzeichneten Schreiben die jeweiligen Originale darstellen und damit der Sache nach eine Ausfertigung ersetzen könnten. Unabhängig von der Frage, ob dies rechtlich zulässig wäre, ist gerade nicht im selben Maße wie bei einer Ausfertigung ersichtlich, dass die beiden Dokumente die Originale der Bescheide darstellen. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass nicht dokumentiert ist, dass diese Schriftstücke mit exakt diesem Inhalt dem Antragsteller zu 2) zugegangen sind; vielmehr unterscheiden sich die Angaben zum Aktenzeichen im Bescheid vom 5. Oktober 2018 und in der ihm in den Verwaltungsakten zugeordneten Postzustellungsurkunde. Die Schriftstücke vom 28. Mai 2019 und vom 11. Oktober 2019 tragen identische Aktenzeichen, so dass hier keine eindeutige Unterscheidbarkeit vorliegt.
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Aus alledem ergibt sich, dass die Vollstreckungsanordnungen in der vorgeschriebenen Form fehlen, zumal auch keine inhaltlich entsprechende Ausfertigung eines Ausstandsverzeichnisses mit Vollstreckungsklausel in den Akten zu finden ist.
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Da die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG nicht vorliegen und damit die Anordnungsbehörde vor der Vollstreckung nicht in der gehörigen Form die Übernahme der Verantwortung dafür, dass aus tatsächlich erlassenen Bescheiden vollstreckt wird, dokumentiert hat, erweist sich der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23. Mai 2022 im Rahmen der summarischen Überprüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO als rechtswidrig. Auf dieser Grundlage ergeben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Allerdings steht es der Antragsgegnerin offen, die Ausfertigungen nachzuholen, auf diesen eine Vollstreckungsklausel anzubringen und sodann einen fehlerfreien Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu erlassen.
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3. Aus diesen Gründen war dem Antrag des Antragstellers zu 2) stattzugeben, während der Antrag der Antragstellerin zu 1) abzulehnen war. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 188 Satz 2 VwGO.