OLG München, Beschluss v. 10.08.2022 – 11 W 755/22
Titel:

Kostenniederschlagung bei Beschwerde im Versteigerungsverfahren

Normenketten:
GKG § 21 Abs. 1, § 66 Abs. 2, Abs. 3
KV-GKG Nr. 2241
ZVG § 56 S. 3, § 95
Leitsatz:
3. Gegen die gerichtliche Entscheidung, mit der der Antrag eines Beteiligten auf Nichterhebung der Kosten im Sinne von § 21 GKG zurückgewiesen wird, ist die Beschwerde gemäß § 66 Abs. 2, Abs. 3 GKG statthaft. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Orientierungsatz:
Zur Frage, wann die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen einen Zuschlagsbeschluss im Zwangsversteigerungsverfahren niederzuschlagen sind.
Schlagworte:
Niederschlagung, Zwangsversteigerung, Parkplatz, Nutzungsrecht
Vorinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 03.02.2022 – 16 T 1095/22
LG München I, Beschluss vom 11.05.2022 – 16 T 1095/22
AG München vom -- – 1514 K 143/20
Fundstellen:
RPfleger 2022, 652
JurBüro 2022, 523
ZfIR 2022, 466
NJW-RR 2023, 143
LSK 2022, 21806
BeckRS 2022, 21806

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen

Gründe

I.
1
Der Ersteher und nunmehrige Beschwerdeführer hat im Termin vom 13.01.2022 vor dem Amtsgericht München/Vollstreckungsgericht den Zuschlag für eine Eigentumswohnung in Milbertshofen erhalten.
2
In dem Antrag auf Zwangsversteigerung, in der Objektbeschreibung/Terminsbestimmung, in der Ansicht im Internet und in einem zu dem Wert der Wohnung erholten Sachverständigengutachten ist jeweils angegeben, das Objekt enthalte das Nutzungsrecht an einem Kfz-Freistellplatz. Aus den Akten ist zu ersehen, dass seitens der Wohnungseigentumsgemeinschaft (WEG) durch Schreiben ihrer Rechtsanwältin vom 07.06.2021 Zweifel am Bestehen des Nutzungsrechts geäußert wurden. Aus einer E-Mail des Sachverständigen … vom 22.07.2021 ergibt sich ferner, dass der Sachverständige im Hinblick auf dieses Schreiben darauf hinwies, es müsse juristisch geklärt werden, ob die Rechtsauffassung der WEG zutreffend sei; gegebenenfalls müsse er sein Gutachten entsprechend ändern, weshalb er um „Anweisung“ bitte.
3
Im Versteigerungstermin vom 13.01.2022 erteilte der Rechtspfleger mehrere Hinweise, u.a. darauf, dass in der Versteigerung für Sach- und Rechtsmängel nicht gehaftet werde. Ein Hinweis auf eine rechtliche Unsicherheit im Hinblick auf das Nutzungsrecht erfolgte nicht. Der Wertfestsetzung liege das Gutachten des Sachverständigen zugrunde.
4
Mit Schreiben vom 21.01.2022 erhob der Ersteher sofortige Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss, die er im Wesentlichen damit begründete, im Termin sei der Außenstellplatz zwar aufgerufen worden, er sei jedoch von dem Zuschlag nicht rechtssicher erfasst; auf die Begründung vom 21.01.2022 wird hingewiesen. Eine Wohnung in einer Millionenstadt ohne Stellplatz habe er nicht erwerben wollen.
5
Der Rechtspfleger half der Beschwerde nicht ab: Eine Bekanntmachung der Unsicherheit im Termin sei zwar nicht erfolgt; diese Rechtsfrage könne auch nur durch ein Löschungsverfahren nach § 894 BGB geklärt werden. Es habe für ihn im Termin jedoch keine maßgebliche Unsicherheit bestanden, weil sich das Recht aus dem Grundbuch ergebe und dort nicht gelöscht sei. Die Verwalterin der WEG habe auch keine Beschwerde gegen den Verkehrswertbeschluss erhoben, der das Nutzungsrecht umfasse. Nach dem Sachverhalt habe man davon ausgehen dürfen, es würden keine weiteren Einwendungen erhoben.
6
Das Landgericht wies die hiergegen gerichtete Beschwerde des Erstehers mit Beschluss vom 03.02.2022 zurück. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Zuschlagsbeschluss sei gemäß §§ 95 ff., 100 ZVG nur unter engen Voraussetzungen angreifbar, die hier nicht vorlägen; eine Anfechtung des Gebots wegen Irrtums sei wegen § 56 ZVG ausgeschlossen. Überdies lasse sich bereits nicht ersehen, ob das Nutzungsrecht tatsächlich bestehe. Auf die ausführliche Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen.
7
Mit Beschluss vom 08.03.2022 wies das OLG eine gleichfalls erhobene Streitwertbeschwerde des Erstehers zurück und bestätigte einen Beschwerdewert in Höhe von € 455.000,00. Ausgehend von diesem Wert setzte die Kostenbeamtin in ihrer Schlusskostenrechnung vom 08.02.2022 die vom Ersteher zu tragenden Kosten des Verfahrens über die erfolglose Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss auf € 3.703,00 fest.
8
Mit Beschluss vom 11.05.2022 wies das Landgericht die Erinnerung des Erstehers gegen diesen Kostenansatz zurück: Der Ersteher schulde gemäß § 26 Abs. 3 GKG als unterlegener Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens; diese seien richtig berechnet (KV-GKG Nr. 2241). Die Voraussetzungen für die von dem Ersteher beantragte Niederschlagung der Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 21 Abs. 1 GKG lägen nicht vor. Es sei schon fraglich, ob von einer unrichtigen Sachbehandlung des Gerichts ausgegangen werden könne. Jedenfalls stelle es keinen offensichtlichen und schweren Verfahrensfehler dar, wenn der Rechtspfleger im Versteigerungstermin nicht auf das Schreiben der Prozessbevollmächtigten der WEG und damit auf den bestehenden Streit um das Nutzungsrecht hingewiesen habe. Die Bietinteressenten hätten aus dem Verkehrswertgutachten ersehen können, dass die Kenntnisse über ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz alleine aus einem Kaufvertrag aus dem Jahr 1993 bzw. aus mündlichen Angaben gegenüber dem Sachverständigen herrührten; zu den Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss hingewiesen.
9
Mit Schreiben vom 16.05.2022 erhob der Ersteher hiergegen Beschwerde und verwies u.a. darauf, es sei nach wie vor strittig, ob der Stellplatz vom Zuschlag umfasst sei oder nicht. Die Auffassung des Gerichts, inwieweit das Nutzungsrecht im Grundbuch enthalten sei, sei für ihn nicht verständlich. Am 26.07.2022 wies er ergänzend darauf hin, er habe den Grundbuchauszug erst nach dem Versteigerungstermin erhalten.
II.
10
Die gemäß § 66 Abs. 2, 3 GKG zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg, insbesondere findet eine ganze Reihe von juristischen Vorstellungen des Erstehers im geltenden Recht keine Stütze. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Niederschlagung des Kostenansatzes vom 08.02.2022 für das Beschwerdeverfahren, Rechnungs-Nr. ..., sind nicht gegeben.
11
1. Die Beschwerde gemäß § 66 Abs. 2, 3 GKG ist statthaft: Das Landgericht hat zwar im Beschwerdeverfahren nicht „im ersten Rechtszug“ entschieden, vgl. § 567 Abs. 1 ZPO. Es geht hier indes um die Entscheidung über den Kostenansatz (erst) des Landgerichts (Beschwerdegericht ist das OLG; vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.04.2020 - 8 W 87/20 Tz. 8, 11; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.04.2007 - 4 W 25/07 Tz. 2).
12
Gegen die gerichtliche Entscheidung, mit der der Antrag eines Beteiligten auf Nichterhebung der Kosten im Sinne von § 21 GKG zurückgewiesen wird, ist die Beschwerde gemäß § 66 Abs. 2, 3 GKG statthaft (zuletzt Senat, Beschl. v. 30.09.2021 - 11 W 1243/21; Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl., § 66 Rn. 37; 77, unter „unrichtige Sachbehandlung“; § 21 Rn. 49; Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG-FamGKG-JVEG, 5. Aufl., § 21 GKG Rn. 13 f.).
13
2. Eine Niederschlagung der Kosten ist nicht veranlasst:
14
a) Erforderlich ist hierfür nach ständiger Rechtsprechung, insbesondere auch des Senats, ein offensichtlich schwerer Fehler des Gerichts, ein Verstoß gegen eine eindeutige gesetzliche Norm, der auch offen zutage tritt (s. zuletzt etwa Senat, Beschl. v. 16.05.2022 - 11 W 200/22; BGH, Beschl. v. 04.05.2005 - XII ZB 217/04 Tz 4; Beschl. v. 10.03.2003 - IV ZB 306/00 Tz. 4; Toussaint, a.a.O., § 21 GKG Rn. 4, 14 m.w.N.).
15
Die Beurteilung, ob ein Fehler im genannten Sinne vorliegt, ist dabei grundsätzlich unabhängig von einem Verschulden (näher Toussaint, a.a.O., § 21 GKG Rn. 7).
16
b) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob man hier - in dem besonderen Grundsätzen unterliegenden Verfahren der Zwangsversteigerung - von einem derart groben Fehler auszugehen hat:
17
Aus dem Geheft „Schätzung“ ergibt sich, dass der zunächst den Versteigerungsantrag bearbeitende Rechtspfleger der Auffassung war, die aufgeworfene Rechtsfrage werde den Fortgang des Versteigerungsverfahrens zwar nicht aufhalten; in einem Versteigerungstermin werde sie aber - dies ist gemeint - bekannt zu geben sein (s. hierzu die Verfügung vom 17.06.2021). Naheliegend ist, dass sein Nachfolger, der die Versteigerung durchführte, diesen Hinweis übersehen oder später daran nicht mehr gedacht hat. Dies ist hier schon deshalb plausibel, weil die Akten, beispielsweise wegen der Frage einer Testamentsvollstreckung etc., umfangreich und übersichtlich sind.
18
Selbstverständlich ist die Frage, ob ein Nutzungsrecht an einem Stellplatz - in einer Großstadt wie München - mit versteigert wird oder nicht, von nicht unerheblicher Bedeutung. Dies ergibt sich hier bereits aus der im Tatbestand erwähnten E-Mail des Sachverständigen, der diesem Umstand Gewicht für die Beurteilung der Höhe des Verkehrswertes beigemessen hat, was auch naheliegt. Andererseits ist die Behauptung des Erstehers, der Rechtspfleger habe „vorsätzlich“ gehandelt, abwegig und durch nichts belegt, insbesondere ist auch keinerlei Motiv hierfür ersichtlich. Ein Hinweis wäre hier indes geboten gewesen.
19
Die unzureichende Sorge des früheren Rechtspflegers dafür, dass ein solcher erfolgt, etwa durch eine ins Auge springende Markierung, oder das Übersehen des Vermerks durch den die Versteigerung durchführenden Kollegen sind nun Fehler, die im Arbeitsalltag passieren; es handelt sich um Fahrlässigkeit.
20
Stellt man allerdings darauf ab, dass ein (grobes) Verschulden bei der Beurteilung, ob ein Fehler in dem genannten Sinne gegeben ist, nicht erforderlich ist, siehe oben, dann ließe sich ein derartiger Verstoß hier bejahen, vor allem auch mit Blick auf die Bedeutung eines Stellplatzes. Die Frage bedarf hier indes keiner Entscheidung.
21
c) Eine Niederschlagung der durch das Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten scheitert vorliegend nämlich jedenfalls an der Kausalität und den Besonderheiten des Zwangsvollstreckungsverfahrens:
22
aa) Ohne den Stellplatz wäre zwar jeweils eine Parkplatzsuche in Milbertshofen erforderlich; sollte ein Erwerber kein Kfz besitzen, ließe sich ein Stellplatz vermieten. Es kann daher unterstellt werden, dass der Ersteher die Wohnung in Kenntnis der rechtlichen Unsicherheit hinsichtlich des Stellplatzes nicht ersteigert hätte, wie er vorträgt.
23
bb) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens allerdings sind maßgeblich dadurch entstanden, dass der Ersteher eine Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss eingelegt hat und dies offensichtlich, ohne zuvor entsprechenden Rechtsrat einzuholen. Die Beschwerde gegen einen Zuschlagsbeschluss ist nämlich nur unter ganz besonders engen Voraussetzungen erfolgreich, vgl. §§ 95 ff., 100 ZVG (und hierzu die Ausführungen in dem Beschluss des LG vom 03.02.2022): In diesem Verfahren kommt dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit zentrale Bedeutung zu, weshalb auch eine Irrtumsanfechtung weitgehend abgelehnt oder nur unter sehr engen Voraussetzungen zugelassen wird (siehe nur BGH, Beschl. v. 18.10.2007 - V ZB 44/07; Beschl. v. 05.06.2008 - V ZB 150/07; deutlich auch Beschl. v. 05.11.2004 - IXa ZB 76/04 Tz 7 f.; Stöber, ZVG, 22. Aufl., § 95 Rn. 13 ff. m.w.N.).
24
Das mit der - demgemäß auch erfolglosen - sofortigen Beschwerde verbundene Kostenrisiko hat seine entscheidende Ursache somit in dem Entschluss des Erstehers, ohne nähere Prüfung oder Einschaltung eines mit den Besonderheiten des ZVG vertrauten Anwaltes, den Zuschlagsbeschluss mit einem Rechtsmittel anzugreifen, dessen Erfolgsaussichten wegen der gesetzlichen Ausgestaltung von vorneherein äußerst gering waren (vgl. die ähnliche Konstellation in dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 16.08.1984 - 10 W 181/84, = JurBüro 84, 1695). Selbst wenn man damit eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne von § 21 GKG annähme, wäre sie nicht die für den Anfall der Kosten des Beschwerdeverfahrens maßgebliche Ursache.
25
d) Entgegen der Auffassung des Erstehers hat das Vollstreckungsgericht gerade keine uferlosen Nachforschungspflichten, sondern muss lediglich versuchen, Zweifel aufzuklären. Bereits aus der Wertung des § 56 Satz 3 ZVG ergibt sich, dass der Ersteher, was der Beschwerdeführer hier verkennt, durchaus auch einer Eigenverantwortung unterliegt und gehalten ist, sich über den jeweiligen Gegenstand näher zu informieren und Erkundigungen anzustellen. Eine abschließende Klärung schwieriger rechtlicher Fragen ist nicht Sache des Vollstreckungsgerichts, vielmehr eines eventuellen späteren Prozessgerichts (s. hierzu die Nachweise bei Böttcher, ZVG, 7. Aufl., § 55 Rn. 4, insbesondere Dorn, Rechtspfleger 1987, 143 ff.). Insofern bietet die Zwangsversteigerung Chancen, ist allerdings auch mit Risiken behaftet, zum Beispiel einer sehr eingeschränkten Möglichkeit, den Zuschlag anzufechten. Dieses Risiko hat sich hier verwirklicht und § 21 GKG dient nicht dazu, es nachträglich auf die Staatskasse zu verlagern. Es bleibt dem Ersteher unbenommen, eine Amtshaftungsklage zu erheben (in deren Rahmen § 254 BGB Anwendung findet).
26
e) Darauf, dass die Argumentation in dem Nichtabhilfebeschluss vom 27.01.2022 nicht überzeugt, wonach hier keine maßgebliche Unsicherheit bestanden habe, weil im Grundbuch eine nicht gelöschte Eintragung enthalten gewesen sei, kommt es nicht mehr an: Aus dem Grundbuch lässt sich hier nämlich eine klare Aussage dazu, ob das Nutzungsrecht besteht, nicht entnehmen: Allenfalls ein Indiz hierfür sind die in Abteilung II unter den Nrn. … und … eingetragenen Benutzungsrechte. Benutzungsrechte an einem Stellplatz sind nur denkbar, wenn ein solcher, also das Recht daran, vorhanden ist. Eine derartige Ableitung wäre juristisch jedoch weit hergeholt, weshalb sich aus dem Grundbuch kein sicherer Schluss auf das Bestehen eines Nutzungsrechts ergibt, eher das Gegenteil. Ganz offensichtlich hat der Ersteher hier jedoch eine nicht unerhebliche Summe geboten, ohne zuvor in das Grundbuch zu schauen (bei der Frage einer unrichtigen Sachbehandlung im Sinne von § 21 Abs. 1 GVG wäre ein eventuelles Mitverschulden nach h.M. allerdings unbeachtlich, siehe etwa Toussaint, a.a.O., § 21 Rn. 24).
27
3. Auf die sonstigen rechtlichen Fehlvorstellungen des Erstehers kommt es nach dem Gesagten nicht mehr an:
28
So etwa gibt es kein „Eigentum an einem Nutzungsrecht“, weil das BGB „Eigentum“ nur an beweglichen und unbeweglichen Sachen (bzw. an Tieren) kennt, nicht jedoch an Rechten (§§ 90 ff., 903 ff. BGB). Dem geltenden Recht fremd ist auch eine „Amtshaftungsinanspruchnahme“ innerhalb eines bestehenden Verfahrens: Eine solche ist nach § 839 BGB, Art. 34 GG durch eine Klage möglich, wobei nicht der handelnde Rechtspfleger passivlegitimiert wäre, vielmehr der Staat.
29
4. Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet, § 66 Abs. 8 GKG.