VGH München, Beschluss v. 01.02.2022 – 3 CE 22.19
Titel:

Stellenbesetzung für W3-Professur

Normenketten:
GG Art. 33 Abs. 2
BayHSchPG Art. 18
AGO § 18 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Wenn sich in einem Auswahlvorgang nur Entwürfe befinden, entspricht das einer korrekten Aktenführung, wonach für schriftliche Äußerungen, die für die Nachvollziehbarkeit bedeutsam sind, ein Entwurfsdokument zu fertigen ist, das den Inhalt des Originals wiedergibt und zusätzlich alle Bearbeitungsvermerke enthält (18 Abs. 2 S. 2 AGO). (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der Rüge der Befangenheit des Mitglieds einer Berufungskommission ist ausgeschlossen, wer einen ihm bekannten Ablehnungsgrund nicht unverzüglich vor der Verwaltungsentscheidung rügt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
W3-Professur, Stellenbesetzung, Anforderungsprofil, Befangenheit
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 19.10.2021 – M 5 E 21.2443
Fundstelle:
BeckRS 2022, 2002

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 47.226,31 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Einwände führen zu keiner anderen Beurteilung. Die streitgegenständliche Auswahlentscheidung ist weder formell (1.), noch materiell-rechtlich (2.) zu beanstanden.
2
1. Der Antragsteller rügt in Bezug auf die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Auswahlentscheidung entspreche den in der Rechtsprechung aufgestellten Dokumentationspflichten, die Aktenführung des Antragsgegners. Diese Einwände greifen nicht durch. Die Bemerkung des Verwaltungsgerichts, die Auswahlentscheidung sei - „soweit ersichtlich“ - verfahrensfehlerfrei in dem mehrstufigen Berufungsverfahren nach Art. 18 BayHSchPG zustande gekommen, wird mit den von der Beschwerdebegründung angeführten Gründen nicht widerlegt. Dass sich bei vielen Dokumenten nur Entwürfe, nicht aber Originale in den Akten befänden, entspricht den Vorgaben korrekter Aktenführung, wonach für schriftliche Äußerungen, die für die Bearbeitung und die Nachvollziehbarkeit des Vorgangs bedeutsam sind, ein Entwurfsdokument zu fertigen ist, das den Inhalt des Originals vollständig wiedergibt und zusätzlich alle notwendigen Bearbeitungsvermerke enthält (vgl. § 18 Abs. 2 Satz 2 AGO). Wenn sich der Antragsteller weiter darüber wundert, wie der Gutachter Prof. H. wissen konnte, dass der Beigeladene plane, sich im Rahmen seines ERC-Grants in Zukunft vermehrt mit Shrinkage zu befassen, weist das nicht auf die Unvollständigkeit der Akten hin, sondern auf seine selektive Wahrnehmung der Vorgänge. Denn das Anschreiben an den Gutachter führt als Anlagen auf: CV, list of publications, job advertisement. Dass in Bezug auf Lebenslauf und Veröffentlichungsliste die von den Bewerbern erstellten Bewerbungsunterlagen Verwendung fanden, erschließt sich von selbst. Die Bewerbung des Beigeladenen enthält dabei im Anschreiben folgende Passage:
3
„Des Weiteren arbeite ich an einem Projekt zur Entwicklung statistischer Methoden für Rankings in hochdimensionalen Datensätzen (z.B. umfangreiche Steuerdaten für die gesamte Bevölkerung eines Landes). Diese basieren auf Shrinkage-Schätzern, die in den letzten Jahren große Popularität in der empirischen Arbeit von Ökonomen erreicht haben. Das Projekt ist Teil meiner längerfristigen Forschungsagenda, die vom European Research Council mit einem „Starting Grant“ von 1,337 Millionen Euro für die Jahre 2020-2025 ausgezeichnet wurde.“
4
Weitere Vorhalte des Antragstellers, die Aktenvorlage beim Verwaltungsgericht sei unvollständig, sind teils spekulativ (mögliche systematische Screening-Aktivitäten, denkbare Versorgung von Konkurrenten mit weiteren Informationen), teils ersichtlich nicht von Belang. Die Auswahlentscheidung hat der Präsident der LMU der einstimmigen Empfehlung des Senats folgend am 15. Mai 2020 getroffen; sie stand im Zeitpunkt seines Ruferteilungsschreibens vom 28. Mai 2020 fest. Dieser Zeitpunkt ist für die Beurteilung maßgeblich. Inwieweit Handlungen des Vorsitzenden der Berufungskommission nach Vorlage des auf Veranlassung des Antragstellers erstellten Gutachten von Prof. Dr. P. vom 4. Mai 2021 für den Ausgang des Verfahrens relevant sein sollen, erschließt sich nicht; Verhalten nach Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann als Verhalten zur Rechtsverteidigung keiner Einsichtnahme durch den Prozessgegner unterliegen; dies bedarf indes hier keiner Vertiefung.
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Soweit der Antragsteller nunmehr geltend macht, gegen das Mitglied der Berufungskommission Prof. W. bestehe die Besorgnis der Befangenheit, weil dieser als sein Doktorvater bei einer früheren Bewerbung des Antragstellers um eine W2-Professur an der LMU 2015 „mit nicht nachvollziehbarer Vehemenz gegen den Antragsteller argumentiert“ habe, obwohl damals die jetzt herangezogene Fünfjahresfrist nach den Grundsätzen der DFG noch nicht abgelaufen gewesen sei, ist er mit seiner Rüge ausgeschlossen, ohne dass geklärt werden müsste, ob diese Grundsätze in der ersten Sitzung der Berufungskommission für die streitgegenständliche Stelle zu Recht herangezogen worden sind. Denn aufgrund der dem Antragsteller obliegenden Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren war er gehalten, einen ihm bekannten Ablehnungsgrund unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern vor der Verwaltungsentscheidung oder einer bestimmten Verfahrenshandlung zu rügen. Insofern bringt Art. 71 Abs. 3 BayVwVfG jedenfalls für förmliche Ausschuss- und Prüfungsverfahren den Grundsatz zum Ausdruck, wonach die nachträgliche Ablehnung wegen Befangenheit regelmäßig unzulässig ist (Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 21 Rn. 6, 15 m.w.N.). Dementsprechend hätte der Antragsteller seine Besorgnis über die Voreingenommenheit des Berufungskommissionsmitglieds vor oder im Zusammenhang mit seinem Bewerbungsvortrag vor der Kommission im Dezember 2019 geltend machen müssen. Ob das Vorliegen eines Befangenheitsgrunds substantiiert dargelegt worden ist, bedarf deshalb keiner Entscheidung. Eine Besorgnis der Befangenheit erschließt sich vor dem Hintergrund, dass sich alle Abstimmenden im Anschluss an die Bewerbungsvorträge für eine Begutachtung des Antragstellers ausgesprochen haben, ebenso wenig wie aus dem Umstand, dass der Beigeladene von Prof. W. auf die ausgeschriebene Stelle aufmerksam gemacht worden ist.
6
In Bezug auf das geltend gemachte Begründungsdefizit der Auswahlentscheidung setzt sich die Beschwerde nicht in der gebotenen Weise mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinander. Stattdessen kritisiert der Antragsteller die im Protokoll zur dritten Sitzung der Berufungskommission festgehaltene Bemerkung, es habe sich „im Laufe der Diskussion eine leichte Präferenz“ für den Beigeladenen „wegen seiner stärkeren Anbindung an die klassische Ökonometrie entwickelt.“ Dies genügt nicht dem Darlegungserfordernis. Die anschließend erhobenen Vorwürfe in Bezug auf die Vorauswahl, wonach die vorliegende Dokumentation die angewandten Kriterien der „Einschlägigkeit“, „Ausgewiesenheit“ und „Führungserfahrung“ nicht definiere, sind ersichtlich irrelevant, da der Umstand, dass andere Kandidaten in der Vorauswahl scheiterten, den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen kann.
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Gleiches gilt für den gerügten Umstand, der Antragsteller hätte immer noch keine Konkurrentenmitteilung mit Begründung und Rechtsmittelbelehrungerhalten. Ungeachtet des Umstands, dass eine Konkurrentenmitteilung keinen Verwaltungsakt darstellt, kann sich daraus wegen des rechtzeitig gestellten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs ergeben.
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2. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Auswahlentscheidung auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden ist. In Bezug auf die Einordnung des Beigeladenen in der ersten Auswahlentscheidung des Berufungsausschusses am 14. Oktober 2019 in Gruppe A und in Bezug auf die Auswahlentscheidung des Präsidenten nach dem Vorschlag des Berufungsausschusses hat es mit überzeugender Begründung zugrunde gelegt, dass es sich bei dem Anforderungsprofil der Stellenausschreibung („Zu den Aufgaben der Professur gehört, Ökonometrie als ein Teilgebiet der Statistik, gerade auch mit Fokus auf Data Science und der Analyse von massiven Daten, in Forschung und Lehre angemessen zu vertreten.“) um ein deklaratorisches Anforderungsmerkmal handelt. Dem ist der Antragsteller zwar mehrfach entgegengetreten. Er kommt indes über die Behauptung des Gegenteils (konstitutives Anforderungsmerkmal) nicht hinaus. Diesbezüglich sind die von ihm eingeholten Erkenntnisse (Gutachten Prof. P. und Auskunft von Prof. H.) nicht geeignet, die juristisch fundierten Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu widerlegen. Dass sich diese Ökonometriker anders als der Berufungsausschuss und der Präsident der LMU entschieden hätten, führt nicht auf eine Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung. Der Antragsgegner hat das von ihm der Ausschreibung zugrunde gelegte deklaratorische Anforderungsprofil beachtet. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers unterliegt die Auswahlentscheidung damit nicht „der vollständigen gerichtlichen Kontrolle“, sondern der Universität kommt insoweit eine besondere, durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 108 i.V.m. Art. 138 BV geschützte Beurteilungskompetenz zu. Da kein konstitutives Anforderungsprofil vorliegt, kann auch die Rüge des Antragstellers, die Kriterien der Vorauswahl - Einschlägigkeit, Ausgewiesenheit, Führungserfahrung - seien nicht zutreffend und gleichmäßig zur Anwendung gekommen, der Beigeladene sei vielmehr schon hier auszuscheiden gewesen, nicht zum Erfolg seines Rechtsmittels führen.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 (wie Vorinstanz).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).