VGH München, Beschluss v. 26.07.2022 – 22 ZB 22.291
Titel:
Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit
Normenkette:
GewO § 35 Abs. 1, Abs. 7a
Leitsätze:
Es obliegt dem Gewerbetreibenden, Umstände vorzutragen, die den Schluss zulassen, dass Eintragungen im Schuldnerverzeichnis von Anfang an unzutreffend oder im oben genannten Zeitpunkt - insbesondere wegen späterer Gläubigerbefriedigung - überholt seien. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblich für das Vorliegen der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden – hier unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Untersagungsbescheids. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erweiterte Gewerbeuntersagung, z.T. wegen Handlungen als Geschäftsführer einer GmbH, Eintragungen im Schuldnerverzeichnis, Straftaten im Zusammenhang mit gewerblicher Betätigung, Unzuverlässigkeit, Geschäftsführer, Schuldnerverzeichnis, Eintragung, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Schulden, maßgeblicher Zeitpunkt, Strafbefehl
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 08.10.2021 – M 16 K 20.931
Fundstellen:
ZInsO 2022, 2036
BeckRS 2022, 19903
LSK 2022, 19903
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
2
Mit Bescheid vom 22. Januar 2020 untersagte die Beklagte dem Kläger gem. § 35 Abs. 7a i.V.m. Abs. 1 GewO die künftigen selbständigen gewerblichen Tätigkeiten „Groß- und Einzelhandel mit, sowie Im- und Export von Wirtschaftsgütern (ausgenommen sind erlaubnispflichtige Güter)“ - bisher unselbständig in der Firma TFG G. GmbH Import-Export ausgeübt - im stehenden Gewerbe (1.). Die Untersagung wurde auf die künftige Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf die Ausübung jeglicher selbständigen gewerblichen Tätigkeit erweitert (2.). Dem Kläger wurde aufgegeben, seine in leitender Stellung abhängige Beschäftigung spätestens zehn Tage nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung einzustellen (3.). Sollte der Kläger dieser Verpflichtung nicht nachkommen, würden die unter 1. und 2. genannten Tätigkeiten durch Anwendung unmittelbaren Zwangs verhindert (4.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger seit dem 29. September 2017 im Vollstreckungsportal mit „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ (§ 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) eingetragen sei. Zudem sei gegen ihn am 9. August 2017 ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Verletzung der Buchführungspflicht in zwei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Bankrott (Strafmaß: Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40,00 €) ergangen. Der Kläger habe sich auch als Vertretungsperson der TFG G. GmbH Import-Export als unzuverlässig erwiesen. Diese sei seit dem 18. April 2018 - also nach ihrer Anhörung zu einer Gewerbeuntersagung - mit „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ (§ 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) im Vollstreckungsportal eingetragen. Ferner sei sie bei der Industrie- und Handelskammer mit Beiträgen in Höhe von 775,00 € im Rückstand. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 22. Januar 2020 verwiesen.
3
Mit weiterem Bescheid vom 22. Januar 2020 sprach die Beklagte auch gegen die TFG G. GmbH Import-Export eine erweiterte Gewerbeuntersagung aus (vgl. Verfahren 22 ZB 22.294).
4
Der Kläger erhob gegen den ihn betreffenden Bescheid vom 22. Januar 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Mit Urteil vom 8. Oktober 2021, den Klägerbevollmächtigten zugestellt am 5. Januar 2022, wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.
5
Mit am 29. Januar 2022 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom gleichen Tag beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Er begründete diesen Antrag mit Schriftsatz vom 4. März 2022, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag.
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Die Beklagte ist dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten.
7
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
9
Der Kläger hat keinen Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 VwGO bezeichnet; der Sache nach macht er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Antragsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich solche Zweifel jedoch nicht.
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1. Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 - 2 BvR 2426.17 - juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
11
2. Keine derartigen Zweifel ergeben sich aus den Einwänden des Klägers hinsichtlich Eintragungen im Schuldnerverzeichnis (§ 882b ZPO) und des (Nicht-) Bestehens von Schulden (Antragsbegründung unter Nr. 1 und Nr. 2).
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen (UA Rn. 31), dass die Eintragung des Klägers „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ im Schuldnerverzeichnis (vgl. § 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) hinreichend belege, dass der Kläger vollstreckbare Forderungen nicht wie geschuldet sofort zahlen könne. Zu Recht habe die Beklagte auch auf Versäumnisse des Klägers als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der TFG G. GmbH Import-Export Bezug genommen, die im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses wegen „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ (vgl. § 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) im Schuldnerverzeichnis eingetragen gewesen sei; diesbezüglich komme erschwerend hinzu, dass diese Eintragung kurz nach Anhörung der vorgenannten GmbH im Gewerbeuntersagungsverfahren erfolgt sei.
13
Der Kläger macht hierzu geltend, er habe diesen Eintragungen widersprochen und die Beklagte wiederholt vergeblich aufgefordert, ihm mitzuteilen, weshalb die Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen sein und er eine Vermögensauskunft erteilen solle; seiner Kenntnis nach gebe es keine Schulden (mehr). Ohne Mitwirkung der Beklagten sei er nicht imstande, die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zur Löschung zu bringen. Er habe bei früheren Gläubigern intensiv darauf hingewirkt, entsprechende Erklärungen abzugeben. Mehr als den jeweiligen Zahlungsnachweis zu erbringen, könne der Kläger nicht unternehmen.
14
Maßgeblich für das Vorliegen der Zuverlässigkeit des Klägers - hier unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Untersagungsbescheids (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris Rn. 15 f. m.w.N.). Die Antragsbegründung lässt bereits nicht erkennen, dass zu diesem Zeitpunkt keine Schulden mehr bestanden haben sollen. Ebenso wenig legt der Kläger dar, dass er zu diesem Zeitpunkt Zahlungsnachweise erbracht hatte; offen bleibt zudem, wem gegenüber er solche Nachweise vorgelegt hat. Sollten dem Kläger Angaben über offene Forderungen und geleistete Zahlungen nicht möglich sein, spräche dies eher gegen seine gewerberechtliche Zuverlässigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2021 - 22 ZB 21.1862 - juris Rn. 19). Es obliegt auch dem Kläger und nicht der Beklagten, Umstände vorzutragen, die den Schluss zuließen, dass Eintragungen im Schuldnerverzeichnis von Anfang an unzutreffend oder im oben genannten Zeitpunkt - insbesondere wegen späterer Gläubigerbefriedigung - überholt waren. Die Behauptung des Klägers, er habe den Eintragungen widersprochen, ist unsubstantiiert geblieben. Sofern der Schuldner bereits die Anordnung einer Eintragung im Schuldnerverzeichnis für unzutreffend hält, stehen ihm Rechtsbehelfe zur Verfügung (§ 882d Abs. 1, Abs. 2 ZPO; vgl. auch § 882e Abs. 4 ZPO), über die er mit Bekanntgabe der Eintragungsanordnung zu belehren ist (§ 882d Abs. 3 ZPO); eine vorzeitige Löschung von Eintragungen kann gem. § 882e Abs. 3 ZPO erreicht werden, insbesondere bei Nachweis der vollständigen Gläubigerbefriedigung (§ 882e Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Was der Kläger in diese Richtung unternommen hat, lässt sich der Antragsbegründung nicht konkret entnehmen; auch erschließt sich nicht, weshalb er für eine Löschung der Eintragungen einer Mitwirkung der Gewerbebehörde bedurft hätte.
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3. Der Kläger wendet ferner ein (Antragsbegründung unter Nr. 3), dass das Verwaltungsgericht mit der Zahlungsunfähigkeit einer anderen von ihm vertretenen Firma im Jahre 2017 einen Umstand herangezogen habe, den die Beklagte ihrem Bescheid nicht zu Grunde gelegt habe.
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Die entsprechende Passage des Urteils (UA Rn. 33) ist nicht isoliert zu betrachten; sie steht im Zusammenhang mit der Erörterung des gegen den Kläger u.a. wegen Insolvenzverschleppung ergangenen Strafbefehls (UA Rn. 32 ff.). Dieser wurde auch im streitgegenständlichen Bescheid berücksichtigt (S. 3 und S. 8).
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4. Hinsichtlich dieses Strafbefehls wendet der Kläger ein (Antragsbegründung unter Nr. 4), dass die abgeurteilten Tatbestände mehr als fünf Jahre zurücklägen. Es sei unzulässig, „ihn nach der Devise ‚einmal straffällig, immer straffällig‘ vorzuverurteilen“. Auch die Beklagte habe bei einer Vorsprache des Klägers für die in Aussicht gestellte Aussetzung des Gewerbeuntersagungsverfahrens nicht auf frühere Verurteilungen abgestellt.
18
Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der gebotenen Einzelfallbetrachtung (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2022 - 22 ZB 21.229 - juris Rn. 21 m.w.N.) näher begründet, weshalb dem Kläger seine strafrechtliche Verurteilung im Rahmen des Untersagungsverfahrens entgegengehalten werden konnte, obwohl die Taten bereits mehrere Jahre zurücklagen (UA Rn. 38 f.). Mit diesen Erwägungen setzt sich der Kläger nicht, wie erforderlich (vgl. oben 1.), auseinander. Auch ergibt sich zu Gunsten des Klägers nichts daraus, dass der Strafbefehl im Rahmen der vom Kläger mit der Beklagten erörterten Aussetzung des Gewerbeuntersagungsverfahrens nicht erwähnt worden ist. Dass der Strafbefehl gegen die Zuverlässigkeit des Klägers sprach, war ihm im Anhörungsschreiben der Beklagten vom 7. Februar 2018 mitgeteilt worden. Nachdem der Kläger die von der Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Vorsprache am 27. Februar 2018 gestellten Forderungen (schriftlicher Nachweis über die Begleichung der Forderungen, die zu dem Eintrag in das Schuldnerverzeichnis geführt hatten [Bestätigung des Gerichtsvollziehers]) - überdies über fast zwei Jahre - nicht erfüllt hatte, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Umstand seiner strafrechtlichen Verurteilung im Rahmen des Untersagungsverfahrens weiterhin berücksichtigt werden konnte (vgl. auch Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 28.2.2018, S. 1 letzter Absatz).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
20
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).