VG München, Urteil v. 27.01.2022 – M 22 K 19.3394
Titel:
Wohngeld, Wohngeldantrag durch den Sozial- und Eingliederungshilfeträger, unzulässige Klage infolge fehlender Klagebefugnis, dauerhafte Unterbringung in einer Außenwohngruppe, Mittelpunkt der Lebensbeziehungen
Normenketten:
WoGG § 5
SGB X § 104
SGB XII § 2
SGB XII § 95
VwGO § 116 Abs. 1, § 117 Abs. 6
Schlagworte:
Wohngeld, Wohngeldantrag durch den Sozial- und Eingliederungshilfeträger, unzulässige Klage infolge fehlender Klagebefugnis, dauerhafte Unterbringung in einer Außenwohngruppe, Mittelpunkt der Lebensbeziehungen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 18664
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung eines Bescheids des Beklagten, mit dem für den Zeitraum vom ... bis ... für die Unterbringung des Klägers in der Außenwohngemeinschaft der … … für Menschen mit Behinderung Wohngeld bewilligt wurde.
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Der am ... in … geborene, schwerbehinderte Kläger arbeitet in den … … und ist in der Außenwohngruppe des dazu gehörigen Wohnheims dauerhaft untergebracht. Zur Übernahme der Kosten für die Betreuung und den Aufenthalt des Klägers in dieser Einrichtung erbringt der Beigeladene als überörtlicher Sozial- und Eingliederungshilfeträger - zuletzt mit Bescheid vom ... für den Zeitraum vom ... bis zum ... - Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
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Mit Bescheid vom ... wurde dem Kläger seitens des Beklagten aufgrund eines Feststellungsantrags des Beigeladenen Wohngeld in Form eines monatlichen Mitzuschusses für die Wohnheimkosten für den Zeitraum vom ... bis zum ... in Höhe von …,- Euro bewilligt und direkt an den Beigeladenen ausgezahlt.
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Am ... stellte der Beigeladene beim Beklagten (unter Hinweis auf § 95 SGB XII und § 104 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X) einen formlosen Weiterleistungsantrag für den Kläger für die Einrichtung in …, dem am ... ein förmlicher (Wohngeld-)Antrag folgte.
5
Mit Bescheid vom ... bewilligte der Beklagte dem Kläger einen monatlichen Mietzuschuss für den Zeitraum vom ... bis ... in Höhe von …,- Euro, der erneut direkt an den Beigeladenen überwiesen wurde.
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Gegen den Bewilligungsbescheid legte die Mutter des Klägers, die zugleich seine gerichtlich bestellte Betreuerin ist, mit Schreiben vom ..., eingegangen beim Beklagten am ..., Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, sie habe keinen Wohngeldantrag gestellt und nur sie - als Betreuerin des Klägers - sei zur Antragstellung berechtigt gewesen.
7
Nachdem der Beklagte dem Widerspruch nicht abhalf, wurde der Vorgang der Regierung von … als Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorgelegt, die den Widerspruch mit Bescheid vom ... zurückwies.
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Hiergegen erhob der Kläger durch seine Betreuerin am ... Klage zum Verwaltungsgericht München. Er beantragt (sinngemäß), den Bewilligungsbescheid des Beklagten vom ... in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... aufzuheben.
9
Zur Begründung wurde unter Vorlage eines Betreuerausweises darauf hingewiesen, dass der Kläger über zwei Wohnsitze verfüge: zum einen in der ... in … …, wo auch seine Mutter bzw. Betreuerin und sein Stiefvater wohnen, zum anderen in der Betreuungseinrichtung in … Er halte sich an beiden Orten jeweils die Hälfte des Jahres über auf. Der Beigeladene habe den Wohngeldantrag ohne das Wissen und die Zustimmung der allein antragsberechtigten Betreuerin des Klägers gestellt. Dem Beigeladenen stehe kein behördliches „Vorrecht“ zu. Da der Wohngeldantrag für den konkreten Zeitraum nur einmal gestellt werden könne, sei es nun nicht möglich, wie beabsichtigt, Wohngeld für den Wohnsitz des Klägers in … zu beantragen. Nach Absprache sei unter Umständen eine Aufteilung des bewilligten Wohngelds auf beide Wohnsitze des Klägers möglich gewesen.
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Mit Schriftsatz vom ... beantragt der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
11
Der Betreuerin des Klägers stehe kein ausschließliches Antragsrecht zu. Vielmehr könne der Beigeladene als Sozialhilfeleistungsträger aufgrund seiner gesetzlichen Prozessstandschaft nach § 95 Satz 1 SGB XII sogar gegen den Willen des Hilfeempfängers Wohngeld beantragen. Darüber hinaus sei durch die Bewilligung des monatlichen Mietzuschusses keine Verletzung des Klägers in eigenen Rechten erkennbar. Im Übrigen wurde auf die Begründung im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid verwiesen.
12
Der (mit Beschluss vom ... zum gerichtlichen Verfahren) Beigeladene stellte keinen Antrag.
13
Mit Schreiben vom ... trat er der Ansicht des Klägers, er habe den Wohngeldantrag für den Kläger unter Missachtung der Kompetenzen dessen Betreuerin gestellt, entgegen. Die dem Kläger bis zum ... durch den Beigeladenen gewährten Sozialhilfeleistungen in Form von Existenzsicherungs- und Eingliederungshilfeleistungen stünden gemäß § 2 SGB XII unter dem Vorbehalt der Nachrangigkeit, daher sei der Kläger gehalten unter anderem auch Wohngeldansprüche geltend zu machen. Um den gesamten Aufwand des Antragsverfahrens nicht dem Kläger und seiner Betreuerin aufzubürden, habe der Beigeladene die Antragstellung selbst vorgenommen. Schließlich sei schon fraglich, inwieweit für den Wohnsitz des Klägers in … ein Wohngeldanspruch bestehe, da der Kläger seit … dauerhaft im Wohnheim der … … untergebracht sei und seine Mutter in … nur gelegentlich besuche.
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Mit Schreiben vom ... und unter Vorlage eines Mietvertrags trug die Betreuerin des Klägers zur Begründung der Klage weiter vor, der Kläger habe seinen ersten gemeldeten Wohnsitz in der Wohnung in …, für die er eine monatliche Miete in Höhe von …,- Euro trage. Dort halte sich der Kläger mehr als die Hälfte des Jahres auf. Die Betreuerin legte eine „Bestätigung über Familienfahrten“ des Klägers im … … (12 Tage) vor und führte weiter aus, dass sich der Kläger im Zeitraum vom ... bis ... an 197 Tagen in … aufgehalten habe.
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Der Beigeladene übermittelte mit Fax vom ... eine Aufstellung der Abwesenheitszeiten des Klägers im Wohnheim im (Bewilligungs-)Zeitraum vom ... bis ... Hiernach ergeben sich 75 Abwesenheitstage.
16
In der mündlichen Verhandlung vom ... ist für den Kläger niemand erschienen.
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Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers (bzw. seiner Betreuerin) in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden, da der Kläger mit Schreiben vom ..., zugestellt ausweislich der Postzustellungsurkunde am ..., ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (102 Abs. 2 VwGO).
19
Der Klageantrag ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Aufhebung eines Verwaltungsakts - nämlich des Bewilligungsbescheids vom ... in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... - begehrt.
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Die dafür grundsätzlich statthafte Anfechtungsklage ist mangels Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO aber bereits unzulässig.
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Zum einen handelt es sich beim angefochtenen Bescheid schon nicht um einen den Kläger belastenden Verwaltungsakt (dazu 1.); zum anderen ist der Kläger - selbst wenn für dessen Wohnsitz in … ein entsprechender Wohngeldantrag gestellt wäre, was bis heute trotz Ankündigung nicht passiert ist - insoweit auch nicht wohngeldberechtigt (dazu 2.).
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1. Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO muss der Kläger geltend machen, durch den angegriffenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein, d.h. er muss Umstände vortragen, die dies zumindest als möglich erscheinen lassen. Eine derartige Rechtsverletzung des Klägers durch den streitgegenständlichen Bewilligungsbescheid ist jedoch unter keiner rechtlichen Betrachtungsweise ersichtlich.
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Der angefochtene Bescheid enthält für den Kläger als dessen Adressaten keine Ge- oder Verbote, legt ihm auch keine Pflichten auf und ist daher nicht belastend. Es handelt sich dabei vielmehr um einen begünstigenden Verwaltungsakt, der dem Kläger einen rechtlich erheblichen Vorteil im Sinne des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG - Wohngeld in Form des Mietzuschusses - gewährt.
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2. Belastende Wirkungen des angefochtenen Bescheids ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger nun für den in Frage stehenden Bewilligungszeitraum keinen (weiteren) Antrag für den Wohnsitz in … stellen kann. Der Kläger wird dadurch nämlich nicht in seiner allgemeinen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt, weil er hinsichtlich des Wohnsitzes in … - selbst bei unterstellter Antragstellung - ohnehin keinen Anspruch auf Wohngeld hat. Er ist dort kein berücksichtigungsfähiges Haushaltsmitglied.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 WoGG ist für Mietzuschuss grundsätzlich jede natürliche Person wohngeldberechtigt, die Wohnraum gemietet hat und diesen selbst nutzt. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 WoGG wird eine wohngeldberechtigte Person jedoch nur dann als Haushaltsmitglied berücksichtigt, wenn der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in dem Wohnraum ist, für den das Wohngeld beantragt wurde. Damit soll sichergestellt werden, dass Wohngeld nur für einen Wohnraum geleistet wird (Ludwig/Zimmermann in Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar SRB, 2. Aufl. 2018, § 5 WoGG Rn. 2; OVG NW B.v. 25.2.2011 - 12 A 763/10 - BeckRS 2012, 48693). Jede Person kann grundsätzlich nur einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen haben. Wohngeldrechtlich liegt dieser in dem Wohnraum, den die berechtigte Person überwiegend nutzt, von dem sie familiäre Beziehungen pflegt und verschiedenen Aktivitäten des Lebens (wie Arbeit und Freizeitbeschäftigung) nachgeht (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2020 - 12 C 19.286 - juris Rn. 6; Winkler in Beck-OK-Sozialrecht, Stand: 1.12.2021, § 5 WoGG Rn. 4). Den Nachweis, dass der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in dem Wohnraum liegt, für den das Wohngeld beantragt wird, muss die wohngeldberechtigte Person führen.
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Gemessen daran ist der Kläger kein nach den Vorgaben des Wohngeldgesetzes zu berücksichtigenden Haushaltsmitglied in der Wohnung in … (weder nach § 5 Abs. 1 Satz 1 noch nach Satz 2 Nr. 4 WoGG). Zwar ist der Kläger Vertragspartei eines Mietvertrags nach § 535 BGB und er hält sich regelmäßig auch bei seiner Mutter und seinem Stiefvater in … auf. Allerdings ist er seit … dauerhaft in einem Wohnheim untergebracht, welches auf die Besonderheiten seiner Behinderung ausgerichtet ist. Dass es sich dabei lediglich um eine „vorübergehende Aufnahme“ handelt, wurde weder von den Beteiligten vorgetragen noch ist es im Übrigen ersichtlich. Unter Berücksichtigung der vom Beigeladenen vorgelegten Unterlagen, denen zu entnehmen ist, dass sich der Kläger im Bewilligungsjahr lediglich an 75 Tagen nicht in der Einrichtung befunden hat, hat die Kammer keine Zweifel, dass der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Klägers im fraglichen Zeitraum in … war. Die Nachweise bezüglich späterer Zeiträume sind insofern irrelevant.
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Nach alledem war die Klage infolge fehlender Antragsbefugnis des Klägers als unzulässig abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene hat seine außergerichtlichen Kosten mangels Antragstellung gemäß § 154 Abs. 3 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO selbst zu tragen. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.