VGH München, Beschluss v. 03.06.2022 – 3 ZB 21.2849
Titel:

Unzulässige Widerspruchseinlegung durch einfache E-Mail

Normenketten:
VwGO § 70, § 60, § 58
VwVfG § 3a Abs. 2, Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
Die Erhebung des Widerspruchs durch eine einfache E-Mail erfüllt nicht die gesetzlichen Formerfordernisse des § 70 VwGO. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die weit vor Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs anerkannten Ausnahmen von einer eigenhändigen Unterschrift sind auf einfache E-Mails nicht übertragbar, weil der Gesetzgeber der einfachen E-Mail nicht den gleichen Stellenwert eingeräumt hat wie der Schriftform. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Rechtsmittelbelehrung ist dann iSd § 58 Abs. 2 VwGO fehlerhaft, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend erforderlichen Angaben nicht enthält, diese unrichtig wiedergibt oder wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei Informationen, wie ein Widerspruch elektronisch eingelegt werden kann (hier: mit qualifizierter elektronischer Signatur), handelt es sich um eine Belehrung über die Form des Rechtsbehelfs, die gem § 58 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich ist, weil die danach gebotene Belehrung "über den Rechtsbehelf" dessen Form nicht einschließt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erhebung des Widerspruchs durch einfache E-Mail, Keine Wiedereinsetzung, Widerspruch, Einlegung, Schriftform, E-Mail, eigenhändige Unterschrift, Rechtsmittelbelehrung, qualifizierte elektronische Signatur
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 07.10.2021 – Au 2 K 20.1060
Fundstellen:
BeckRS 2022, 15399
NVwZ-RR 2022, 744
LSK 2022, 15399

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
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1. Aus ihrem Vorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Das ist hier nicht der Fall.
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1.1. Die Erhebung des Widerspruchs durch eine einfache E-Mail erfüllt nicht die gesetzlichen Formerfordernisse des § 70 VwGO (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2021 - 4 ZB 21.1847 - juris Rn. 14; B.v. 4.12.2019 - 7 B 18.1945 - juris Rn. 22; Dolde/Porsch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 70 Rn. 6b m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 70 Rn. 2). Denn durch die Übersendung einer einfachen E-Mail kann nicht mit der von § 70 Abs. 1 VwGO verlangten Sicherheit festgestellt werden, ob die betreffende E-Mail vollständig und richtig ist, und ob sie tatsächlich von dem in ihr angegebenen Urheber stammt (vgl. NdsOVG, B.v. 17.1.2005 - 2 PA 108/05 - juris Rn. 5; zum fehlenden Beweiswert ungesicherter E-Mails Roßnagel/Pfitzmann NJW 2003, 1209 ff.). Die Formulierung „in elektronischer Form nach § 3a Abs. 2 VwVfG“ in § 70 Abs. 1 VwGO macht hinreichend deutlich, dass der Gesetzgeber selbst nicht davon ausgegangen ist, dass eine einfache E-Mail dem Schriftformerfordernis genügt. Deshalb kann dahinstehen, ob die E-Mail der Klägerin vom 5. Mai 2020 wegen der darin angegebenen Adressdaten, des Aktenzeichens, der Bezeichnung des Bescheides und der inhaltlichen Bezugnahme eindeutig zuordenbar ist. Vielmehr ist maßgeblich, dass sie mit keiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist (vgl. § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG).
4
Die Klägerin geht fehl in der Annahme, es sei unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 18.12.1992 - 7 C 16.92 - juris Rn. 22; U.v. 6.12.1988 - 9 C 40.87 - juris Rn. 7 ff.) eine Ausnahme vom Grundsatz der Wahrung der Schriftform gegeben. Die weit vor Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs anerkannten Ausnahmen von einer eigenhändigen Unterschrift sind auf einfache E-Mails nicht übertragbar, weil der Gesetzgeber der einfachen E-Mail nicht den gleichen Stellenwert eingeräumt hat wie der Schriftform (vgl. HessVGH, B.v. 3.11.2005 - 1 TG 1668/05 - juris Rn. 6). Die elektronische Signatur stellt zwar das Substitut für die eigenhändige Unterschrift dar (BT-Drs. 14/4987 S. 12). Die Zulassungsbegründung übersieht aber, dass elektronische Daten auf ihrem Weg durch offene Netze für den Empfänger unerkennbar verändert werden können und es daher eines sicheren Rahmens zur elektronischen Authentifizierung des Kommunikationspartners und Überprüfung der Integrität der übermittelten Daten bedarf (BT-Drs. 14/9000 S. 26, unter II. Ziff. 3). Vor diesem Hintergrund hat sich der Gesetzgeber in § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG für die qualifizierte elektronische Signatur und damit für eine besonders hohe Sicherheitsstufe elektronischer Signaturen entschieden. Es geht nicht an, diese gesetzlichen Sicherheitsanforderungen dadurch zu unterlaufen, dass Ausnahmen von den sich aus § 3a VwVfG ergebenden Formerfordernissen zugelassen werden, die im Ergebnis niedrigeren Sicherheitsstufen entsprechen (BVerwG, B.v. 17.6.2011 - 7 B 79.10 - juris Rn. 24 und Rn. 23 zum klägerischen Argument einer vermeintlichen Ungleichbehandlung; OVG NW, U.v. 28.5.2015 - 2 A 96/15 - juris Rn. 40). Aufgrund der klaren Regelung des Art. 3a Abs. 2 BayVwVfG ist für „einen verständigen Beobachter des Rechtssystems“ eindeutig erkennbar, dass eine einfache E-Mail den Anforderungen der Schriftform nicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2009 - 8 ZB 08.3146 - juris Rn. 17; Geis in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 70 Rn. 12).
5
Der Ausdruck und das Abheften der E-Mail in der Verfahrensakte ändern nichts an deren Unwirksamkeit (vgl. HessVGH, B.v. 3.11.2005 - 1 TG 1668/05 - juris Rn. 4; NdsOVG, B.v. 29.7.2004 - 11 LA 176/04 - juris Rn. 3).
6
1.2 Der streitgegenständliche Bescheid vom 9. April 2020 war auch mit einer ordnungsgenmäßen, keineswegs irreführenden Rechtsbehelfsbelehrungversehen. Diese lautete (auszugsweise) wie folgt:
7
"Rechtsbehelfsbelehrung
(…)
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1. Wenn Widerspruch eingelegt wird
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ist der Widerspruch einzulegen beim
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Landesamt für Finanzen, Dienststelle Regensburg, Bahnhofstr. 7, 93047 Regensburg
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E-Mail-Adresse: poststelle-r@lff.bayern.de (…).
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2. Wenn unmittelbar Klage erhoben wird
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ist die Klage beim (…) zu erheben.
14
Hinweise zur Rechtsbehelfsbelehrung
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Die Einlegung eines Rechtsbehelfs per einfacher E-Mail ist nicht zugelassen und entfaltet keine rechtlichen Wirkungen! Nähere Informationen zur elektronischen Einlegung von Rechtsbehelfen entnehmen Sie bitte der Internetpräsenz des Landesamtes für Finanzen (www.lff.bayern.de/widerspruch) bzw. der Bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit (www.vgh.bayern.de). (…)“
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In der Internetpräsenz des Landesamtes für Finanzen (www.lff.bayern.de/wider-spruch) wird auf folgendes hingewiesen:
17
„Elektronische Einlegung eines Widerspruchs
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Der Widerspruch kann als elektronisches Dokument mit qualifizierter elektronischer Signatur über den vom Landesamt für Finanzen eröffneten Zugang für elektronische Dokumente erfolgen. Die E-Mail-Adresse hierfür entnehmen Sie bitte dem Ausgangsbescheid. Die Erstellung einer qualifizierten elektronischen Signatur setzt die Verwendung einer Signaturkarte und eines Kartenlesers voraus.“
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Eine Rechtsmittelbelehrung ist dann im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO fehlerhaft, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend erforderlichen Angaben nicht enthält, diese unrichtig wiedergibt oder wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, B.v. 31.8.2015 - 2 B 61.14 - juris Rn. 8). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
20
Ein irreführender Charakter der Rechtsmittelbelehrung lässt sich nicht damit darlegen, dass die E-Mail-Adresse der Behörde besonders hervorgehoben war (Fettdruck und Unterstreichung). Denn der eindeutige und mit einem Ausrufezeichen versehene Hinweis, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs per einfacher E-Mail nicht zugelassen ist und keine rechtlichen Wirkungen entfaltet, lässt keinen Raum für Interpretationen. Von der Klägerin kann als erfahrene Studiendirektorin die vollständige Lektüre auch der Hinweise zur Rechtsbehelfsbelehrung erwartet werden. Die Angabe der E-Mail-Adresse steht zudem nicht im Widerspruch zu den in gleicher Weise besonders hervorgehobenen „Hinweisen zur Rechtsbehelfsbelehrung“. Denn aus der Angabe, dass nähere Informationen zur elektronischen Einlegung von Rechtsbehelfen der behördlichen und gerichtlichen Internetpräsenzen entnommen werden können, war für die Klägerin zudem ohne weiteres ersichtlich, dass die behördliche E-Mail-Adresse einer - unter Einhaltung der Formvorschriften - grundsätzlich möglichen elektronischen Einlegung eines Rechtsbehelfs diente.
21
Auch der entsprechende Verweis auf die Internetseite des Landesamtes der Finanzen (Landesamt) bzw. der Bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit war weder irreführend noch unzureichend. Bei den weitergehenden Informationen, wie ein Widerspruch elektronisch eingelegt werden kann (mit qualifizierter elektronischer Signatur) handelt es sich um eine Belehrung über die Form des Rechtsbehelfs, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich ist, weil die danach gebotene Belehrung "über den Rechtsbehelf" dessen Form nicht einschließt (vgl. etwa BVerwG, U.v. 29.8.2018 - 1 C 6.18 - juris Rn. 13 m.w.N.). Es ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, in der Rechtsmittelbelehrungdarüber aufzuklären, welche Anforderungen hinsichtlich der elektronischen Einlegung eines Rechtsbehelfs im Detail zu erfüllen sind.
22
Mit ihrem Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (B.v. 5.2.2018 - A 11 S 192/18 - juris Rn. 6) kann die Klägerin mangels Übertragbarkeit auf den hiesigen Fall ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darlegen. Der Entscheidung lag folgender Hinweis in einer Rechtsmittelbelehrungzugrunde: „Einzelheiten zum Einreichungsverfahren in elektronischer Form finden sich unter www.justizportal.de im Bereich Service/Online-Dienste unter dem Stichwort elektronischer Rechtsverkehr“. Unter www.justizportal.de im Bereich Service/Online-Dienste unter dem Stichwort elektronischer Rechtsverkehr fand sich unter „2. Einreichungsverfahren“ der Hinweis: „Die Einreichung erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle, das ´Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach´ (EGVP).“ In der Folge fanden sich weitere Hinweise über die Registrierung beim EGVP (Nr. 2.1) und über Kommunikationswege (Nr. 2.2.), die entweder auf das EGVP, auf eine Kommunikation per Datenträger oder über eine Ersatzeinreichung - im Wesentlichen CD-ROM - Bezug nehmen. Dies sei irreführend, weil an der genannten Stelle nicht auf alle nach § 55a Abs. 3 und Abs. 4 VwGO zulässigen Übermittlungswege für die Einreichung elektronischer Dokumente - konkret die vorgesehene Kommunikation mittels De-Mail - hingewiesen worden sei.
23
Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall jedoch in wesentlichen Punkten. Denn in der streitgegenständlichen Rechtsbehelfsbelehrung wurden nicht „Einzelheiten zum Einreichungsverfahren“ gemäß § 55a VwGO, sondern vielmehr nähere Informationen zur elektronischen Einlegung von Rechtsbehelfen gemäß § 3a VwVfG angekündigt. Zudem wurde auf der Internetseite des Landesamtes überhaupt keine der Übermittlungsmöglichkeiten nach § 3a Abs. 2 Satz 4 Nrn. 1 bis 4 VwVfG aufgezeigt, so dass die angegriffene Rechtsbehelfsbelehrung auch nicht den Eindruck erwecken konnte, alle diese Möglichkeiten vollständig aufgelistet zu haben. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die „näheren Informationen zur elektronischen Einlegung von Rechtsbehelfen“ inhaltlich auf § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG und damit auf die erforderliche elektronische Form eines elektronischen Dokuments (qualifizierte elektronische Signatur) beschränken. Denn diese stehen erkennbar im Zusammenhang mit dem Hinweis im vorangegangenen Satz, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs per einfacher E-Mail nicht zugelassen ist und keine rechtlichen Wirkungen entfaltet.
24
Die Rechtsbehelfsbelehrung bedurfte gemäß § 58 Abs. 1 VwGO schließlich weder eines ausdrücklichen Hinweises auf § 3a VwVfG noch auf die weiter mögliche Form der Widerspruchseinlegung über ein Kontaktformular nach Anmeldung im Portal Mitarbeiterservice Bayern. Durch die gewählte Formulierung wird der Adressat der Rechtsmittelbelehrung jedenfalls nicht davon abgehalten, den richtigen Rechtsbehelf überhaupt, in der richtigen Frist und in der richtigen Form einzulegen. Traut der Rechtsmittelführer sich nicht zu, die in der Rechtsmittelbelehrung genannten Vorschriften aufzufinden oder ihren Inhalt hinreichend zu verstehen, ist es ihm zumutbar, diesbezüglich bei der zuständigen Behörde nachzufragen oder juristischen Rat einzuholen.
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1.3 Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO, denn sie war nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Widerspruchsfrist gehindert. Indem sie die fettgedruckten und unterstrichenen Hinweise zur Rechtsbehelfsbelehrung offensichtlich nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen hat, ließ die Klägerin die Sorgfalt außer Acht, die für eine gewissenhafte und sachgemäße Widerspruchsführende geboten ist (objektive Voraussetzung) und die ihr (subjektiv) nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. hierzu UA Rn. 20).
26
Das Landesamt war nicht verpflichtet, die Klägerin während der laufenden Widerspruchsfrist nochmals darauf hinzuweisen, dass ein Widerspruch mittels einfacher E-Mail nicht zugelassen ist; denn bereits die dem Bescheid vom 9. April 2020 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthielt diesen Hinweis, so dass es an der Schutzbedürftigkeit des E-Mail-Absenders fehlt (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2021 - 4 ZB 21.1847 - juris Rn. 15 bei zweifelhaftem Willen zur Rechtsbehelfseinlegung; Kintz, NVwZ 2004, 1429/1432 f.). Die Anforderungen an die Belehrungs- und Fürsorgepflicht (§ 45 BeamtStG) würden darüber hinaus überspannt, wollte man - wie die Klägerin - verlangen, dass der Sachbearbeiter im Landesamt trotz der Ankündigung der Klägerin (E-Mail v. 5.5.2020), „in den nächsten Tagen“ die Begründung des Widerspruchs nachzureichen, eine Wiedervorlagefrist eintragen müsste, um die Klägerin rechtzeitig - für den Fall, dass sie ihre Ankündigung nicht einhält - über den drohenden Ablauf der Widerspruchsfrist zu informieren. Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem von der Klägerin zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen (U.v. 15.2.2007 - 13 K 2485/05 - juris Rn. 30 zu § 89 Abs. 1 Satz 1 AO), in dessen zugrundeliegendem Sachverhalt die Behörde auf den elektronischen Widerspruch reagiert hat. Die Behörde ist jedenfalls nicht verpflichtet, den Widerspruch bereits bei seinem Eingang vor Ablauf der Widerspruchsfrist anlasslos darauf zu überprüfen, ob er den gesetzlichen Anforderungen genügt (BVerwG, U.v. 10.11.2016 - 8 C 11.15 - juris Rn. 24).
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§ 3a Abs. 3 Satz 1 VwVfG erfasst nicht den Fall des Fehlens einer erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur, da eine einfache E-Mail durchaus zur „Bearbeitung“ geeignet ist, sie jedoch nicht den Anforderungen an eine sichere „Übermittlung“ elektronischer Dokumente genügt (Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 3a Rn. 42; zu § 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO: Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 55a Rn. 19; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018 § 55a Rn. 126).
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Daher bleibt es bei der allgemeinen Regelung, dass der Widerspruchsführer sich selbst die notwendigen Kenntnisse der Rechtsvorschriften beschaffen muss. Die Verwaltung ist insbesondere nicht verpflichtet, einem Widerspruchsführer, der seine Angelegenheiten selbst nachlässig betreibt, um jeden Preis zum Erfolg zu verhelfen (vgl. HessVGH, U.v. 25.2.1985 - VIII OE 30/82 - NVwZ 1985, 915 zu § 25 HessVwVfG).
29
2. Die Rechtssache weist nicht die behaupteten besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
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Die Klägerin sieht die besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache im Wesentlichen in denselben Fragen, die sie auch zu dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts angeführt hat. Diese Fragen können jedoch - wie sich aus vorstehenden Darlegungen ergibt - ohne nennenswerten Aufwand im Zulassungsverfahren geklärt werden. Im vorliegenden Fall sind einzelfallbezogen grundsätzlich geklärte rechtliche Maßstäbe auf einen einfach gelagerten, geklärten Sachverhalt anzuwenden.
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Soweit die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht habe sich mit dem erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin nicht weiter auseinandergesetzt und sei auf bestimmte Fragen nicht eingegangen, legt sie schon nicht plausibel dar, woraus sich insofern der besondere Schwierigkeitsgrad ergeben sollte.
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3. Der Rechtssache fehlt auch die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Eine Rechts- oder Tatsachenfrage ist dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist, höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts noch nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2010 - 6 B 58.10 - juris Rn. 3; B.v. 17.12.2010 - 8 B 38.10 - juris Rn. 7 f.).
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Die von der Klägerin aufgeworfene Frage: „Kann der Hinweis auf die Internetpräsenz einer Behörde eindeutig und in ausreichender Form über das Einreichungsverfahren des Rechtsmittels in elektronischer Form genügen und der Dienstherr dadurch hinreichend eindeutig über Rechtsmittel belehren?“, entzieht sich einer allgemeingültigen Beantwortung in grundsätzlicher Form. Sie kann nur - wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt - unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und der konkreten Ausgestaltung der Rechtsbehelfsbelehrungsowie der behördlichen Internetpräsenz beantwortet werden.
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Die weiter als grundsätzlich aufgeworfene Frage: „Ist die Rechtsbehelfsbelehrung rechtmäßig und nicht vielmehr irreführend, wenn einerseits hervorgehoben als Zugang auf die E-Mail-Adresse der Behörde verwiesen wird, gleichzeitig aber in nicht hervorgehobener Art und Weise darauf hingewiesen wird, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs per einfacher E-Mail keine rechtlichen Wirkungen entfaltet?“ ist schon nicht entscheidungserheblich, da sie die streitgegenständliche Rechtsbehelfsbelehrung nicht zutreffend wiedergibt. Die „Hinweise zur Rechtsbehelfsbelehrung“ sind ebenso wie die behördliche E-Mail-Adresse in Fettdruck sowie unterstrichen wiedergegeben; in dem Hinweis heißt es zudem, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs per einfacher E-Mail „nicht zugelassen“ ist und keine rechtlichen Wirkungen entfaltet. Die Frage ist schließlich nicht klärungsbedürftig, da sie sich (ohne dass es eines Berufungsverfahrens bedarf) durch die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem beantworten lässt.
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4. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
36
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
37
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).