VG Regensburg, Urteil v. 24.03.2022 – RO 13 K 22.30145
Titel:
Fortführung eines Asylverfahrens nach Einstellung infolge der Rücknahme des Asylgesuchs
Normenkette:
AsylG § 32 S. 1
Leitsatz:
In der Erklärung eines Asylsuchenden, dass er nicht mehr zur freiwilligen Ausreise bereit sei, liegt nicht zugleich ein Widerruf der Rücknahme des Asylantrags. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fortführung des Asylverfahrens in Deutschland, Einstellung des Asylverfahrens, Widerruf der Rücknahme des Asylgesuchs, irakischer Staatsangehöriger
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.06.2022 – 24 ZB 22.30471
Fundstelle:
BeckRS 2022, 15392
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Ziel der Klage ist die Fortführung des Asylverfahrens in Deutschland.
2
Der Kläger stellte am 14. September 2020 zusammen mit seiner Erstfrau und einer minderjährigen Tochter seinen Asylantrag. Die Asylanträge der Erstfrau und der Tochter wurden abgetrennt. Der Kläger gab an, ein am … geborener, verheirateter, irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und schiitischem Glauben zu sein.
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Die Republik Griechenland teilte mit Schreiben vom 28. September 2020 mit, dass dem Kläger dort am 6. Dezember 2019 subsidiärer Schutz gewährt worden sei.
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Am 4. März 2021 trug der Kläger gegenüber den Bundesamt für Migration und Flüchtlinge u.a. vor, er hätte zunächst am 6. November 2018 mit seiner Familie den Irak verlassen, sei aber am 25. Januar 2019 mit seiner Frau nochmals in den Irak zurückgekehrt, um seine Tochter und deren Familie abzuholen. Die finale Ausreise sei am 14. Februar 2019 erfolgt. Vom 22. Februar 2019 bis zum 24. August 2020 seien sie in Griechenland gewesen. Nach Deutschland seien sie am 26. August 2020 eingereist.
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Der Kläger legte folgende medizinische Unterlagen vor:
1) Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. …, …, vom 23. September 2020: ohne Diagnose;
2) Vorläufiger Entlassungsbrief des Krankenhauses …, …, vom 10. November 2020: Diagnose: instabile Angina pectoris bei bekannter koronarer Herzerkrankung;
3) Schreiben von …, …, vom 11. November 2020: Diagnose: KHK [Koronare Herzkrankheit] (I25.19G), Herzinsuffizienz (I50.9G), Hypertonie (I10.90G);
4) Brief des Orthopäden Dr. …, …, vom 14. Dezember 2020: Diagnose: Angina pectoris Stent 2015 (I20.9 G), Spinalkanalstenose L2/L3 (M48.09 G), Lumboischialgie rechts (M54.4 G R), KHK (I25.19 G), Zustand nach Nukleoplastie 2018 (Z98.8 Z), Verdacht auf Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1 V), NPP L5 S1 rechts (M51.1 G R), sensible L5 Wurzelreizsymptomatik rechts (G55.1 G R);
5) Brief des Krankenhauses …, …, vom 18. Dezember 2020: Diagnose: Thorakale Schmerzen, aktuell Ausschluss ACS (akutes Koronarsyndrom);
6) Attest der Gemeinschaftspraxis …, …, vom 18. Februar 2021: Kläger in Behandlung wegen KHK, Hypertonie und Herzinsuffizienz;
7) Brief des Orthopäden …, …, vom 5. März 2021: Diagnose: Lymphödem der Beine beidseits (I89.09 G B), Angina pectoris Stent 2015 (I20.9 G), Spinalkanalstenose L2/L3 (M48.09 G), Lumboischialgie rechts (M54.4 G R), KHK (I25.19 G), Zustand nach Nukleoplastie 2018 (Z98.8 Z), Verdacht auf Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1 V), NPP L5 S1 rechts (M51.1 G R), sensible L5 Wurzelreizsymptomatik rechts (G55.1 G R), chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoten (F45.41 G);
8) Brief des Orthopäden …, …, vom 8. März 2021: Diagnose: Lymphödem der Beine beidseits (I89.09 G B), Angina pectoris Stent 2015 (I20.9 G), Spinalkanalstenose L2/L3 (M48.09 G), Lumboischialgie rechts (M54.4 G R), KHK (I25.19 G), Zustand nach Nukleoplastie 2018 (Z98.8 Z), Verdacht auf Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1 V), NPP L5 S1 rechts (M51.1 G R), sensible L5 Wurzelreizsymptomatik rechts (G55.1 G R), chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoten (F45.41 G);
9) Vorläufiger stationärer Arztbrief des Krankenhauses …vom 10. Mai 2021: Diagnose: benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel des rechten und linken Bogenganges, KHK (anamnestisch ACVB-OP 2015 Libanon und unauffälliger Herzkatheter 11/2020, KH St. Josef);
6
Am 19. November 2021 nahm der Kläger seinen Asylantrag zurück. Zudem erklärte er, freiwillig in sein Heimatland ausreisen zu wollen.
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Mit Bescheid vom 19. Januar 2022 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist (Nr. 1). Das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurde festgestellt (Nr. 2). Die Abschiebung wurde angedroht [Griechenland] (Nr. 3) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet sowie auf 30 Monate befristet (Nr. 4).
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Der Bescheid wurde am 21. Januar 2022 als Einschreiben zur Post gegeben.
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Am 2. Februar 2022 ließ der Kläger Klage erheben.
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Der Kläger beantragt sinngemäß:
1) Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Januar 2022 wird aufgehoben.
2) Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Griechenland festzustellen.
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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung:
Die Klage wird abgewiesen.
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Der Rechtsstreit wurde am 16. Februar 2022 auf den Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 24. März 2022 übergab der Kläger eine Niederschrift der Zentralen Ausländerbehörde vom 9. März 2022, in welcher der Kläger bestätigte, dass er den Antrag auf freiwillige Ausreise zurückziehe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig.
16
Die Klage auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids (Hauptantrag) ist als Anfechtungsklage zulässig. Die Einstellung des Verfahrens in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids ist als feststellender Verwaltungsakt mit der Anfechtungsklage angreifbar. Wäre die Anfechtung der Nr. 1 des angefochtenen Bescheids erfolgreich, wäre das Asylverfahren vom Bundesamt fortzuführen (vgl. Heusch, in BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Januar 2022, § 32 AsylG, Rz 32). Für die auf der Einstellung des Verfahrens aufbauenden Regelungen in den Nummern 2 bis 4 des angefochtenen Bescheids würde damit die Basis entfallen. Diese wären dann ebenfalls aufzuheben.
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Eine isolierte Anfechtungsklage auf Aufhebung der Nr. 2 des angefochtenen Bescheids ist hingegen unzulässig, denn mit der bloßen Aufhebung der negativen Feststellung bei gleichzeitig bestätigter Rechtmäßigkeit der Verfahrenseinstellung kann das Ziel einer positiven Feststellung nicht erreicht werden. Dies geht nur im Wege der Verpflichtungsklage.
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Anders sieht es hingegen bei der Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids aus. Insofern ist die Anfechtungsklage zulässig, weil es theoretisch möglich sein kann, dass die Einstellung des Verfahrens rechtmäßig ist, die Abschiebungsandrohung hingegen aus davon unabhängigen Gründen rechtswidrig sein könnte.
19
Gleiches gilt für die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Anordnung und Befristung bilden einen einheitlichen, nicht teilbaren belastenden Verwaltungsakt, welcher mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist (vgl. BVerwG vom 7. September 2021, 1 C 47/20, juris, Rz 10).
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Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
21
Die Feststellung der Einstellung des Asylverfahrens beruht auf § 32 Satz 1 AsylG und ist Folge der Erklärung des Klägers vom 19. November 2021, dass er sein Asylgesuch zurücknimmt. Diese Rücknahmeerklärung bezieht sich auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG wie auch auf die Zuerkennung internationalen Schutzes nach § 3 AsylG und § 4 AsylG.
22
Ein Widerruf der Rücknahme des Asylantrags ist bis heute nicht erfolgt.
23
In der mündlichen Verhandlung vertrat der Kläger zwar die Meinung, ein solcher Widerruf sei erfolgt. Er legte zum Beleg dafür die Niederschrift der Zentralen Ausländerbehörde vom 9. März 2022 vor. Bereits in der mündlichen Verhandlung wurde ihm erklärt, dass zwischen dem Antrag auf freiwillige Ausreise bzw. der Erklärung der freiwilligen Ausreise einerseits und dem Asylantrag andererseits zu unterscheiden ist. Der Kläger erklärte am 19. November 2021 zum einen, dass er freiwillig in sein Heimatland ausreisen will, und zum anderen, dass er seinen Asylantrag zurücknimmt. Vor Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids ist in den Akten keine Erklärung des Klägers zu finden, welche seine Erklärungen vom 19. November 2021 betrifft. Lediglich hinsichtlich der freiwilligen Ausreise findet sich in der Niederschrift vom 9. März 2022 die Erklärung des Klägers, dass er den diesbezüglich gestellten Antrag zurückziehe, d.h. nicht mehr zu einer freiwilligen Ausreise bereit sei. Die Thematik der freiwilligen Ausreise ist aber für die Entscheidung über den Hauptantrag unerheblich. Bezüglich der Rücknahme der Rücknahme des Asylantrags findet sich weder in der Zeit vor Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids noch für den danach liegenden Zeitraum eine Erklärung des Klägers.
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Die Frage, ob ein wirksamer Widerruf der Rücknahme des Asylantrags vorliegt, bedarf folglich keiner weiteren Erörterung.
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Da die Feststellung der Einstellung des Asylverfahrens zu Recht erfolgte, fehlt die Grundlage für eine Aufhebung der Nummern 2 bis 4 des angefochtenen Bescheids als Folge der Rechtswidrigkeit der Feststellung der Einstellung des Asylverfahrens.
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Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung und der Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots unabhängig von der Verfahrenseinstellung finden sich nicht und wurden auch nicht vorgetragen.
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Da die Klage im Hauptantrag keinen Erfolg hat, ist auf den Hilfsantrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gesondert einzugehen.
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Im nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt stellt sich der Hilfsantrag wieder als zulässig dar. In der mündlichen Verhandlung legte der Kläger die Niederschrift vom 9. März 2022 vor, aus welcher sich ergibt, dass er nicht mehr freiwillig ausreisen möchte. Es droht ihm demnach die Abschiebung nach Griechenland.
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Ohne diese neue Erklärung hätte ihm keine Abschiebung nach Griechenland mehr gedroht, denn er wollte ja freiwillig in den Irak ausreisen. Ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach Griechenland wäre nicht erkennbar gewesen.
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Auch der Hilfsantrag bleibt aber in der Sache erfolglos.
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Die Feststellung des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
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Im behördlichen Verfahren wurden zwar zahlreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt, diese sind jedoch nicht mehr aktuell. Aktuelle ärztliche Atteste, geschweige denn den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG genügende, liegen nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht vor. Krankheiten, welche ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG tragen könnten, bestehen demnach nicht.
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Im Übrigen wird diesbezüglich auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
Kosten: §§ 154 Abs. 1, 83 b AsylG.