FG Nürnberg, Urteil v. 17.03.2022 – 4 K 355/21
Titel:
Zuordnung des Veräußerungsgewinns aus dem Wegfall eines negativen Kapitalkontos
Normenketten:
EStG § 16, § 34 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 60 Abs. 3
Leitsätze:
1. Der Gewinn des Kommanditisten aus dem Wegfall seines negativen Kapitalkontos gehört zu den gem. § 180 I Nr. 2a AO gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt das negative Kapitalkonto weggefallen ist und dadurch einen Veräußerungsgewinn ausgelöst hat, ist auf Ebene des Feststellungsbescheides allein nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Veräußerungsgewinn aus dem Wegfall eines negativen Kapitalkontos entsteht entweder im Rahmen der Aufgabe eines Gewerbebetriebs gem. § 16 I 3 EStG oder bereits vor Auflösung einer Kommanditgesellschaft, wenn feststeht, dass künftige Gewinnanteile nicht mehr entstehen (§ 52 XXIV 3 und 4 EStG). (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Umstand, dass sich der negative Saldo des Kapitalkontos des Insolvenzschuldners über einen längeren Zeitraum vor der Insolvenzeröffnung aufgebaut hat, steht der Zuordnung des Wegfallgewinns in die Zeit nach der Insolvenzeröffnung nicht entgegen. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Gesonderte Feststellung
Fundstellen:
ZInsO 2022, 2307
EFG 2022, 1173
StEd 2022, 362
LSK 2022, 12013
DStRE 2023, 11
BeckRS 2022, 12013
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Strittig ist die Zuordnung des Veräußerungsgewinns aus dem Wegfall eines negativen Kapitalkontos im Rahmen der Einkünfte des Insolvenzschuldners als K. einer GmbH & Co. KG zu der Zeit vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
2
Der Insolvenzschuldner, Herr B, war im Streitjahr 2017 als K. an der C GmbH & Co. KG (im Folgenden: GmbH & Co. KG) beteiligt.
3
Über sein Vermögen wurde am 12.09.2017 vor dem Amtsgericht Stadt 1 (Az.: IN …/17) das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Kläger, Herr Rechtsanwalt A, bestellt.
4
Die GmbH & Co. KG bestand fort und war nicht insolvent. § 13 des Gesellschaftsvertrages sah zwar die Möglichkeit des Ausschlusses eines insolventen Gesellschafters, jedoch diesbezüglich keinen Automatismus vor. Ein entsprechender Gesellschafterbeschluss wurde nicht gefasst, so dass die Beteiligung weiter bestand und Teil der Insolvenzmasse wurde. Die K. wurde am 27.04.2018 aus der Insolvenzmasse freigegeben.
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Der Insolvenzschuldner meldete das Gewerbe der GmbH & Co. KG am 08.02.2018 ab und teilte mit, dass der Betrieb zum 31.12.2017 aufgegeben worden sei. Das Unternehmen wurde am 20.01.2020 aus dem Handelsregister gelöscht.
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Mit Bescheid vom 28.01.2021 führte das Finanzamt - nach Feststellung der Nichtigkeit einer vorangegangenen Feststellung - eine neuerliche einheitliche und gesonderte Feststellung durch. Darin wurden dem Insolvenzschuldner für das Jahr 2017 anteilige Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. H. v. 32.323,34 € zugerechnet. Hiervon entfielen 4.387,06 € auf laufende Einkünfte und 27.936,28 € auf den Gewinn aus dem Wegfall des negativen Kapitalkontos, der als tarifbegünstigter Veräußerungsgewinn im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG behandelt wurde. Diese Feststellungen sind unstreitig.
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In einer Anlage zum Feststellungsbescheid wurde die allein streitige Zuordnung des Wegfallgewinns zum Zeitraum vom 12.09. - 31.12.2017 vorgenommen. Dort heißt es:
„Die Besteuerungsgrundlagen dienen teilweise der Anmeldung von Insolvenzforderungen. Es handelt sich hierbei insoweit lediglich um einen ‚informatorischen Bescheid‘.
Die im oben angeführten Bescheid festgestellten Einkünfte in Höhe von 32.323,34 € werden wie folgt aufgeteilt:
Insolvenzforderungen Masseforderungen (vor dem 12.09.2017 entstanden) (nach dem 11.09.2017 entstanden)
laufender Gewinn 4.387,06 € Veräußerungsgewinn 27.936,28 €
4.387,06 € 27.936,28 €“
Der Bescheid wurde dem Kläger im Wege der Einzelbekanntgabe nach § 183 Abs. 2 AO bekanntgegeben.
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Den Einspruch des Klägers vom 02.02.2021 wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 17.02.2021 als unbegründet zurück.
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Hiergegen hat der Kläger am 22.03.2021 Klage erhoben.
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Er ist der Ansicht, dass das auslösende Moment für die steuerliche Verwirklichung weder ein aktives Handeln des Insolvenzverwalters in Form einer Verwertung eines massezugehörigen Vermögensgegenstandes i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 InsO noch in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 InsO begründet worden sei. Aus dem Urteil des BFH vom 07.07.2020 X R 13/19, BFHE 270, 24, BStBl II 2021, 174) gehe eindeutig hervor, dass der BFH nur dann Masseverbindlichkeiten annehme, wenn es um die Verwertung eines Vermögensgegenstandes, der dem Massebeschlag unterliege, gehe. Die Beteiligung an der GmbH & Co. KG habe er, der Insolvenzverwalter, freigegeben. Eine Verwertung habe nicht stattgefunden. Auf Grund des Antrags des Schuldners sei die GmbH & Co. KG liquidationslos vollbeendet und im Handelsregister gelöscht worden.
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Die Auflösung des negativen Kapitalkontos, welches hier konkret aus Überentnahmen entstanden sei, sei kein in den Steuergesetzen geregelter Steuertatbestand, sondern ein außerbilanzielles, außerhalb des Gesamthandsvermögens der KG liegendes und rein steuerliches Konstrukt, das eine Nachversteuerung der vor Insolvenzeröffnung erfolgten Überentnahmen zum Inhalt habe. Sie stehe nicht im Zusammenhang mit einer dem Massebeschlag unterliegenden Vermögensposition. Der Besteuerungstatbestand „Auflösung negatives Kapitalkonto“ sei daher weder in einem „aktiven Handeln des Insolvenzverwalters“ begründet noch löse er „ohne Zutun des Insolvenzverwalters“ durch die reine Masseverwaltung eine Masseverbindlichkeit aus.
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Vergleichbar hierzu sei auch die sogenannte verdeckte Gewinnausschüttung bei Kapitalgesellschaften. Sehr häufig komme es in der Praxis vor, dass der Insolvenzschuldner an einer GmbH beteiligt gewesen sei und vor Insolvenzeröffnung (über sein Vermögen) Zahlungen von der GmbH erhalten habe bzw. die GmbH Verbindlichkeiten des Schuldners bezahlt habe, und hierfür auch kein Gewinnausschüttungsbeschluss vorgelegen habe. Die GmbH führe dann für diese Zahlungen ein Forderungskonto gegen den Insolvenzschuldner. Wenn dann dieses Verrechnungskonto mangels Werthaltigkeit nach Insolvenzeröffnung wertberichtigt werde, entstünden durch die hierdurch ausgelöste verdeckte Gewinnausschüttung auch keine Masseverbindlichkeiten.
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Die Auflösung des negativen Kapitalkontos finde nicht auf Gesamthandsebene der KG statt. Somit sei eine Verstrickung des Massebestandteils „KG-Beteiligung“ mit der Auflösung des negativen Kapitalkontos nicht vorhanden. Es würden aber auch auf der Ebene des Insolvenzschuldners als K. keine Einkünfte aus der Auflösung des negativen Kapitalkontos erzielt.
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An seiner zunächst vertretenen Auffassung, dass die Zuordnung der Einkommensteuerschuld zu den unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Forderungskategorien nicht im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren, sondern erst im Einkommensteuerfestsetzungsverfahren zu treffen sei, hält der Kläger nicht mehr fest. Den anfangs gestellten Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Zuordnung der Einkünfte verfolgt er nicht mehr weiter.
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Der Kläger beantragt zuletzt nur noch, den Bescheid für 2017 über die einheitliche und gesonderte Feststellung vom 28.01.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.02.2021 dahingehend abzuändern, dass der aus der Auflösung des negativen Kapitalkontos resultierende Gewinn in Höhe von 27.936,28 € nicht den Besteuerungsgrundlagen, die zu Masseeinkünften führen würden, sondern den Besteuerungsgrundlagen, die der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen sollen, zugerechnet wird.
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Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
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Für den Fall des jeweiligen Unterliegens beantragen die Beteiligten, die Revision zuzulassen.
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Nach Ansicht des Finanzamts ist es erforderlich, bereits im Feststellungsverfahren über die Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu den Insolvenz- oder Masseverbindlichkeiten zu entscheiden (AEAO zu § 251 Tz. 4.4.1.2, 4. Absatz). Die Besteuerungsgrundlagen, welche der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen, seien gesondert aufzuführen, wenn durch die gesonderte und einheitliche Feststellung gegenüber dem Schuldner (insolventer Feststellungsbeteiligter) sowohl Besteuerungsgrundlagen, welche der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen sollten, als auch Besteuerungsgrundlagen, welche der Festsetzung von Masseforderungen dienen sollten, festgestellt würden.
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Im Übrigen erachtet das Finanzamt auch weiterhin die Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu den Besteuerungsgrundlagen, die zu Masseverbindlichkeiten führen werden, für zutreffend. Zur Begründung führt es aus:
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Scheide ein K. oder ein anderer Mitunternehmer, dessen Haftung der eines K. vergleichbar und dessen Kapitalkonto in der Steuerbilanz der Gesellschaft auf Grund von ausgleichs- oder abzugsfähigen Verlusten negativ geworden sei, aus der Gesellschaft aus oder werde in einem solchen Fall die Gesellschaft aufgelöst, so gelte der Betrag, den der Mitunternehmer nicht ausgleichen müsse, als Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 EStG. Der Zeitpunkt, in dem der Veräußerungsgewinn steuerrechtlich erzielt worden sei, richte sich nach den allgemeinen Gewinnrealisierungsgrundsätzen im Rahmen der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich, insbesondere dem Realisationsprinzip. Der Veräußerungsgewinn sei danach in der Schlussbilanz desjenigen Wirtschaftsjahres zu erfassen, in dem feststehe, dass der K. zum Ausgleich des negativen Kapitalkontos nicht (mehr) verpflichtet sei. Davon sei auszugehen, wenn endgültig feststehe, dass mit zukünftigen Gewinnen oder mit sonstigen Einlageforderungen, mit denen das negative Kapitalkonto aufgefüllt werden könnte, nicht mehr zu rechnen sei. Der Veräußerungsgewinn sei daher frühestens in dem Veranlagungszeitraum, in dem der Mitunternehmer aus der Gesellschaft ausscheide oder in den die Auflösung der Gesellschaft falle, zu erfassen (BFH-Urteil vom 30.03.2017 IV R 3/15, BFH/NV S. 1019).
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Als Zeitpunkt der Beendigung der Tätigkeit der GmbH & Co. KG habe der Insolvenzschuldner im steuerlichen Fragebogen den 31.12.2017 angegeben. Dies korrespondiere mit der Abmeldung beim Gewerbeamt, die am 08.02.2018 ebenfalls per 31.12.2017 erfolgt sei. Auf einen Beendigungszeitpunkt vor dem 12.09.2017 deute nichts hin, insbesondere da die GmbH & Co. KG selbst nicht insolvent gewesen sei. Nach einer vorliegenden betriebswirtschaftlichen Auswertung seien vielmehr bis August 2017 noch regelmäßig Einnahmen erzielt worden; danach seien noch kleinere Aufwandsposten angefallen. Jedoch zeige bereits die Existenz einer betriebswirtschaftlichen Auswertung über den 12.09.2017 hinaus, dass eine Auflösung nach steuerlichen Kriterien vorher noch nicht stattgefunden habe.
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Maßgeblich sei somit der Zeitpunkt der steuerrechtlichen Auflösung der GmbH & Co. KG, nicht der Zeitraum, in dem das negative Kapitalkonto „angesammelt“ worden sei. Vergleichbar sei dies mit der Verwertung von Anlagevermögen. Auch hier komme es auf den Zeitpunkt der Veräußerung an und nicht auf den Zeitraum, in dem die zu versteuernden stillen Reserven entstanden seien.
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Auch die spätere Freigabe des K. aus dem Insolvenzbeschlag ändere nichts an diesem Ergebnis. Diese sei erst im April 2018 erfolgt. Die Freigabeerklärung wirke konstitutiv mit ihrem Zugang. Eine Rückwirkung sei demnach ausgeschlossen. Die bis dahin durch die Verwaltung der Masse entstandenen Ansprüche und Verpflichtungen verblieben bei dieser. Die GmbH & Co. KG sei zum 31.12.2017 und somit während der Zeit, in der die Beteiligung zur Insolvenzmasse gehört habe, steuerlich aufgelöst worden.
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Das Finanzamt verweist auf das BFH-Urteil vom 09.12.2014 (X R 12/12, BStBl II 2016, 852), wonach sich die insolvenzrechtliche Begründung nach dem Zeitpunkt richte, zu dem der Besteuerungstatbestand verwirklicht worden sei. Nach diesem Urteil könne dieser Zeitpunkt sogar von der Art der Gewinnermittlung abhängen. Dies belege, dass den steuerrechtlichen Vorschriften entscheidende Bedeutung bei der Bestimmung des Zeitpunkts der insolvenzrechtlichen Begründung zukomme. Letztlich sei maßgeblich, dass vorliegend der Besteuerungstatbestand zu einem Zeitpunkt verwirklicht worden sei, zu dem der KG-Anteil noch Bestandteil der Insolvenzmasse gewesen sei.
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Auf den Inhalt der im Verfahren eingereichten Schriftsätze der Beteiligten, der dem Senat vorliegenden Bilanz-, Einkommensteuersowie Rechtsbehelfsakten und Dauerunterlagen und der Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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I. Das Finanzamt konnte eine zeitliche Zuordnung des Wegfallgewinns als Merkmal der Besteuerungsgrundlage zum Teilzeitraum vom 12.09. bis 31.12.2017 bereits auf der Ebene des Feststellungsverfahrens vornehmen.
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1. Nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO werden die durch mehrere Personen gemeinschaftlich erzielten Einkünfte und alle im Zusammenhang mit der gemeinschaftlichen Erzielung stehenden Besteuerungsgrundlagen festgestellt.
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a) Dabei erstreckt sich die Feststellung auf die Steuerbarkeit, die Zuordnung zu einer Einkunftsart, die Höhe der Einkünfte, die Zurechnung an die Beteiligten und den Feststellungszeitraum. Daneben können weitere Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die sich auf Ebene der Mitunternehmerschaft vollzogen haben und deshalb sinnvollerweise vom sachnäheren Finanzamt zu ermitteln sind. Hierbei handelt es sich um Sachverhalte, die im Rahmen der Einkünfteerzielung nur einzelne Gesellschafter betreffen, wie z. B. Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben (K., Abgabenordnung, 4. Aufl., § 80 Rn. 22).
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b) Zu diesen Umständen gehört auch der Gewinn des K. aus dem Wegfall seines negativen Kapitalkontos, denn dieser führt zwangsläufig zu korrespondieren Verlusten bezüglich der Ausgleichsforderung der Gesellschafter mit positiven Kapitalkonten bzw. des persönlich haftenden Gesellschafters in deren Sonderbetriebsvermögen (BFH-Urteil vom 19.01.1993 VIII R 128/84, BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594; Wacker in Schmidt, EStG 40. Aufl., § 16 Rn. 465). Die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Entscheidung auf der Ebene ergibt sich aus dem Korrespondenzverhältnis des Wegfallgewinns und des Verlusts durch den Untergang der Ausgleichsforderung, die Sachnähe des Feststellungsfinanzamts und der Auswirkung auf ggf. eine Vielzahl von Beteiligten bei Publikumsgesellschaften.
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c) Dieselben Gründe sprechen für eine Feststellung, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Veranlagungszeitraums der Wegfallgewinn realisiert worden ist, durch das Feststellungsfinanzamt, das die Besteuerungsgrundlagen ohnehin bereits umfassend geprüft hat und diese Zuordnung wesentlich besser vornehmen kann als das Veranlagungsfinanzamt.
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Konsequenterweise ordnet AEAO zu § 251 Tz. 4.4.1.2, 5. Absatz, an, dass die Besteuerungsgrundlagen, welche der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen, gesondert aufzuführen sind, wenn durch die gesonderte und einheitliche Feststellung gegenüber dem Schuldner (insolventer Feststellungsbeteiligter) sowohl Besteuerungsgrundlagen, welche der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen sollten, als auch Besteuerungsgrundlagen, welche der Festsetzung von Masseforderungen dienen sollten, festgestellt werden. Es geht dabei nicht um die - unzweifelhaft im Rahmen der Veranlagung vorzunehmende - Aufteilung der Einkommensteuerforderung in einen zur Tabelle anzumeldenden und einen als Masseforderung durch Bescheid festzusetzenden Teil, sondern allein um die durch einen eigenständigen Verwaltungsakt im Rahmen des Feststellungsbescheides als Sammelbescheid zu treffende Feststellung, zu welchem Zeitpunkt bzw. in welchem Teilzeitraum des Feststellungszeitraums das negative Kapitalkonto weggefallen ist und den Veräußerungsgewinn ausgelöst hat. Damit nicht vergleichbar ist die Entscheidung über die insolvenzrechtliche Zuordnung beispielsweise bei Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Freigabeerklärung, die im Rahmen des Veranlagungsverfahrens zu treffen ist (BFH-Urteil vom 01.06.2016 X R 26/14, BFHE 253, 518, BStBl II 2016, 848).
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d) Die KG bzw. die K.-GmbH sind nicht gem. § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren notwendig beizuladen, weil allein die zeitliche Zuweisung des der Höhe nach unstreitigen Veräußerungsgewinns, von der nur der Kläger betroffen ist, Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Es kann daher auch dahinstehen, ob der im Sonderbetriebsvermögen der GmbH entstandene, mit dem Wegfallgewinn korrespondiere Verlust bezüglich der Ausgleichsforderung zutreffend erfasst worden ist.
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2. Im vorliegenden Fall hat das Finanzamt in der Anlage zum Feststellungsbescheid vom 28.01.2021 genau diese Aufteilung in vor der Insolvenzeröffnung verwirklichte (laufender Gewinn) und nach der Insolvenzeröffnung verwirklichte Besteuerungsgrundlagen (Veräußerungsgewinn) vorgenommen. Diese Aufteilung war verfahrensmäßig zulässig. Lediglich die - offenbar an die Aufteilung der Einkommensteuerschuld im Veranlagungsverfahren - angelehnte Bezeichnung als „Insolvenzforderung“ und „Masseforderung“ ist sprachlich misslungen. Dem verfahrensrechtlich geschulten Adressaten erschließt sich aber aus dem Umstand, dass es sich um die Anlage zu einem Feststellungsbescheid handelt, ohne Weiteres, dass hier inhaltlich die Besteuerungsgrundlagen für die spätere Einkommensteuerfestsetzung aufgeteilt werden.
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II. Der aus der Beteiligung des Insolvenzschuldners an der GmbH & Co. KG resultierende Gewinn aus dem Wegfall des negativen Kapitalkontos ist zutreffend den nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung verwirklichten Besteuerungsgrundlagen, die im Rahmen der Veranlagung zu einer Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit führen werden, zugeordnet worden.
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1. Ein Veräußerungsgewinn aus dem Wegfall eines negativen Kapitalkontos entsteht entweder im Rahmen der Aufgabe eines Gewerbebetriebs gem. § 16 Abs. 1 Satz 3 EStG oder bereits vor Auflösung einer Kommanditgesellschaft, wenn feststeht, dass künftige Gewinnanteile nicht mehr entstehen (§ 52 Abs. 24 Sätze 3 und 4 EStG). Letztere Vorschrift enthält keine besondere Regelung für den Zeitpunkt des Wegfalls des negativen Kapitalkontos. Maßgeblich ist daher der Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass ein Ausgleich mit künftigen Gewinnanteilen nicht mehr in Betracht kommt, spätestens der Zeitpunkt der Betriebsaufgabe (BFH-Beschluss vom 10.11.1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164; Seeger in Schmidt, EStG, 40. Aufl., § 15a Rn. 182).
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a) Der späteste Zeitpunkt für den Wegfall des negativen Kapitalkontos des Insolvenzschuldners ist im vorliegenden Fall die Beendigung der KG zum 31.12.2017, den der Insolvenzschuldner zeitnah gegenüber den Gewerbe- und Finanzbehörden als Zeitpunkt der Betriebseinstellung durch die KG genannt hat. Spätere Einnahmen oder stille Reserven, deren Aufdeckung das negative Kapitalkonto hätten ausgleichen können, sind weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Auch die Beteiligten gehen zutreffend von einem Wegfall spätestens zum 31.12.2017 aus.
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b) Gründe, die Anlass zur Annahme eines Wegfalls des negativen Kapitalkontos vor dem 12.09.2017 geben könnten, liegen nicht vor. Insbesondere konnte vor diesem Tag noch nicht sicher davon ausgegangen werden, dass keine Einnahmen mehr erzielt werden, die zu einem zumindest teilweisen Ausgleich des negativen Kapitalkontos führen würden. Die betriebswirtschaftliche Auswertung für die KG über die Monatswerte 2017 vom 09.12.2019 weist noch Umsatzerlöse für Oktober 2017 in Höhe von 530,01 €, für November 2017 in Höhe von 1.100,56 € und für Dezember 2017 in Höhe von 637,80 € aus. Solche nachlaufenden Einnahmen kommen bei einem Finanzmakler typischerweise vor, weil er noch Entgelte für die Betreuung bereits früher abgeschlossener Versicherungsverträge erhält. Selbst wenn, wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, für ihn diese Zahlungen bei der späteren Erstellung der Feststellungserklärung nicht mehr nachvollziehbar waren, haben aus der Sicht zum 09.12.2019 jedenfalls für eine mit dem Sachverhalt vertraute, steuerlich versierte Person wie die Steuerberaterin, die die Auswertung erstellt hat, Umstände vorgelegen, die die Buchung von Einnahmen in der Zeit von Oktober bis Dezember 2017 ermöglicht haben. Aus der hier maßgeblichen Ex-ante-Sicht zum Stichtag 12.09.2017 waren weitere Einnahmen daher nicht auszuschließen.
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c) Der Umstand, dass sich der negative Saldo des Kapitalkontos des Insolvenzschuldners - wie im Streitfall - über einen längeren Zeitraum vor der Insolvenzeröffnung aufgebaut hat, steht der Zuordnung des Wegfallgewinns in die Zeit nach der Insolvenzeröffnung nicht entgegen. Wie auch bei der Bildung stiller Reserven (BFH-Urteil vom 11.11.1993 XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477) oder der Auflösung einer Rückstellung (BFH-Urteil vom 18.05.2010 X R 60/08, BFHE 229, 62, BStBl II 2011, 429) kommt es steuerlich allein auf den Zeitpunkt der Realisierung des Besteuerungstatbestands an. Die vom Kläger angegebene andere Behandlung der aus dem Wegfall eines negativen Verrechnungskontos bei einer GmbH entstehenden verdeckten Gewinnausschüttung führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Für die spätere Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit kommt es nicht darauf an, ob der Gewinn als „echter Gewinn“ oder durch Nachholung der Berücksichtigung eines eigentlich früher angefallenen, damals nicht in die Besteuerung eingeflossenen Gewinns entstanden ist. So verhält es sich beim Wegfall des negativen Kapitalkontos.
40
d) Die Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt das negative Kapitalkonto weggefallen ist und dadurch einen Veräußerungsgewinn ausgelöst hat, ist auf Ebene des Feststellungsbescheides allein nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.
41
Ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit insolvenzrechtlich begründet ist, richtet sich auch im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich nach steuerrechtlichen Grundsätzen (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteile vom 16.11.2004 VII R 75/03, BStBl II 2006, 193; vom 29.08.2007 IX R 4/07, BStBl II 2010, 145; vom 29.01.2009 V R 64/07, BStBl II 2009, 682).
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Der Umstand, dass der K. zu einer Insolvenzmasse gehört, ändert nichts daran, dass die Zuordnung des Wegfallgewinns nach steuerlichen Gesichtspunkten zu einer Zuordnung in den Zeitraum führt, für den anfallende Erträge der Masse zugeflossen und daher von dieser auch zu versteuern sind. Diese zeitliche Zuordnung ist für die spätere Veranlagung auch bindend.
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Im vorliegenden Fall hat das Finanzamt den Wegfallgewinn zutreffend dem Zeitraum nach Insolvenzeröffnung vom 12.09. - 31.12.2017 zugeordnet.
44
e) Der Insolvenzverwalter ist hingegen nicht gehindert, später auf Ebene des Veranlagungsverfahrens geltend zu machen, dass der Masse Einkünfte des betreffenden Zeitraums nicht zugeflossen seien, beispielsweise, weil die K.bereits wieder freigegeben worden sei. Vorsorglich weist der Senat für das spätere Veranlagungsverfahren darauf hin, dass eine später - im vorliegenden Fall im Jahr 2018 - erteilte Freigabeerklärung keine Rückwirkung entfaltet. Dies ist bereits zivilrechtlich nicht der Fall, wenn sie - wie vorliegend - nicht ausdrücklich rückwirkend erteilt wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 18.11.2021 102 Sch 142/21, ZIP 2021, 2543). Auch steuerlich findet eine Rückwirkung keine gesetzliche Grundlage.
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Auch für die spätere Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit im Rahmen der Veranlagung kommt es nicht darauf an, wie der Gewinn aus der K. entstanden ist, ob als „echter Ertrag“ oder durch den Wegfall des negativen Kapitalkontos, also durch Korrektur des früher zugestandenen Verlusts. Allein maßgeblich ist, dass der Gewinn steuerrechtlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist (BFH-Urteil vom 18.05.2010 X R 60/08, BFHE 229, 62, BStBl II 2011, 429).
46
2. Den laufenden Gewinn hat das Finanzamt zwar möglicherweise fehlerhaft in voller Höhe dem Zeitraum vom 01.01. - 11.09.2017 und nicht teilweise dem Zeitraum vom 12.09. - 31.12.2017 zugeordnet. Insoweit ist der Kläger jedoch nicht beschwert, da er gerade umgekehrt eine Gewinnverschiebung aus dem letztgenannten in den erstgenannten Zeitraum begehrt.
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Die Anfechtungsklage ist daher unbegründet.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
49
IV. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (Nr. 2).
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Zum einen ist die verfahrensrechtliche Frage, ob der Wegfall des negativen Kapitalkontos eines K. bereits auf Ebene des Feststellungsverfahrens der Zeit vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzuweisen ist, bisher, soweit ersichtlich, nicht entschieden worden.
51
Die materielle Frage, ob im Fall der Zugehörigkeit des K. zu einer Insolvenzmasse der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens realisierte Wegfallgewinn - wie bei stillen Reserven oder der Auflösung einer Rückstellung - in voller Höhe dem Teil der Besteuerungsgrundlage zuzurechnen ist, die später zu Masseforderungen führen wird, oder ob er, wenn sich der negative Saldo des Kapitalkontos des Insolvenzschuldners bereits vor der Insolvenzeröffnung aufgebaut hat, aus insolvenzrechtlichen Gründen der Zeit vor der Insolvenzeröffnung zuzurechnen ist, sieht der Senat ebenfalls als grundsätzlich klärungsbedürftig an.