Inhalt

FG München, Urteil v. 26.03.2021 – 8 K 883/17
Titel:

Besteuerung auf remittance Basis

Normenketten:
AO § 88, § 164 Abs. 2
AStG § 2 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3
DBA-GB Art. VII Abs. 1
EStG § 1 Abs. 3, § 34d
AEUV Art. 21, Art. 45, Art. 63
EG Art. 56 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die „remittance basis“-Besteuerung nach britischem Recht ist eine Vorzugsbesteuerung iSd § 2 I 1 Nr. 1 AStG in Verbindung mit § 2 II Nr. 2 AStG, weil die für britische Staatsangehörige mit ständigem Wohnsitz und Aufenthalt im Vereinigten Königreich „resident“ und „ordinary Resident“ und „domiciled“) im Streitjahr geltenden Einkommensteuervorschriften keine Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf „remittance basis“ vorsahen.
2. § 2 AStG ist hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen „Vorzugsbesteuerung“ und „erhebliche Minderung“ in II Nr. 2 hinreichend bestimmt und daher nicht verfassungswidrig.
3. Deutschland ist nach den Vorschriften des DBA-GB 1964/1970 berechtigt, für inländische Zins- und Dividendeneinkünfte eines im Vereinigten Königreich Ansässigen Einkommensteuer nach § 2 AStG zu erheben.
4. Es liegt keine unzulässige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darin, dass § 2 AStG an die Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen anknüpft und diesem hieraus nachteilige Folgen erwachsen.
5. Gebundene Verwaltungsakte dürften vom Finanzgericht nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil die Finanzbehörde den Sachverhalt unvollständig ermittelt hat. Nur sachlich unrichtige Verwaltungsakte unterliegen der gerichtlichen Kassation. Stützt der gerichtlich ermittelte Sachverhalt den angefochtenen Verwaltungsakt, so bleibt dieser bestehen.
Schlagworte:
Britische Remittance-Base-Besteuerung als Vorzugsbesteuerung im Sinne der erweitert beschränkten Steuerpflicht, Außensteuer
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – I R 20/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2021, 1881
BeckRS 2021, 8552
LSK 2021, 8552
DStRE 2022, 65
IStR 2022, 466

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist der Ansatz von Einkünften aus Kapitalvermögen im Rahmen der sogenannten erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Außensteuergesetz.
2
Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. In den Jahren ab 1991 bis einschließlich 21. Dezember 2000 war sie in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Danach verzog sie von Deutschland nach London, wo sie seitdem mit ihrem Ehemann (Jahr der Eheschließung: 2001) lebte. Über einen inländischen Wohnsitz verfügte sie im Streitjahr 2006 nicht. Sie erzielte im Inland in 2006 unstreitig folgende Einkünfte:
- Einkünfte aus Kapitalvermögen, deren Schuldner seinen Wohnsitz, seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz im Inland hat, in Höhe von 30.979 € (davon Zinsen in Höhe von 20.535 € und Dividenden in Höhe von 10.444 €),
- Einkünfte aus der Vermietung von zwei in X belegenen Grundstücken in Höhe von … € und
- sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von … €.
3
Im Ausland erzielte sie im Streitjahr folgende Einkünfte:
- Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von … €,
- Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von … €,
- Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von … € und
- sonstige Einkünfte in Höhe von … €.
4
Mit Einkommensteuerbescheid vom 21. Februar 2008, zuletzt während des Einspruchsverfahrens geändert durch Bescheid vom 9. Juli 2012, veranlagte der Beklagte (nachfolgend: Finanzamt) ein zu versteuerndes Einkommen von … €. Dies setzte sich zusammen aus Vermietungseinkünften, die nach § 49 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) der allgemeinen beschränkten Steuerpflicht unterliegen, in Höhe von … € und Einkünften aus Kapitalvermögen, die der erweitert beschränkten Steuerpflicht nach § 2 des Außensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (AStG) unterliegen, in Höhe von 30.979 €. Die sonstigen im Inland erzielten Einkünfte in Höhe von … € blieben nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 (BGBl II 1966, 359, BStBl I 1966, 730) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 (BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140) - DBA-Großbritannien 1964/1970 - (nachfolgend: DBA-GB) steuerfrei. Sonderausgaben, die nicht Vorsorgeaufwendungen sind, kamen in Höhe von … € in Abzug. Für die Berechnung des Steuersatzes wurden die im Ausland erzielten Einkünfte von insgesamt … € einbezogen. Die tarifliche Einkommensteuer beträgt danach … €, als zu entrichtende Einkommensteuer nach Anrechnung der einbehaltenen Kapitalertragssteuer von … € verbleiben … €.
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Die Klägerin legte gegen den Änderungsbescheid vom 2. März 2011, mit dem der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) aufgehoben wurde, fristgemäß Einspruch ein. Danach wurde zunächst der Ausgang des Rechtsstreits über die Veranlagung für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 abgewartet. Zwar wies das FG München im Verfahren mit dem Az. 8 K 628/08 mit Urteil vom 21. November 2011 die Klage gegen die Einbeziehung der im Inland erzielten Einkünfte nach § 2 AStG als unbegründet ab. Jedoch hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 26. Juni 2013 (I R 4/12, BFH/NV 2013, 1925) diese Entscheidung auf und gab der Klage statt. Dabei ließ er „die im Kern streitgegenständlichen Fragen danach, ob die Ausgestaltung der erweitert beschränkten Steuerpflicht nach Maßgabe von § 2 AStG abkommens- und unionsrechtlichen Grundsätzen standhält und ob deren tatbestandliche Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind“ ausdrücklich offen. Die Stattgabe beruhte darauf, dass die im dortigen Verfahren streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheide nicht mehr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden konnten. In der Folge wies das Finanzamt den Einspruch für das Streitjahr mit Einspruchsentscheidung vom 24. März 2017 als unbegründet zurück. Dagegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin begehrt, dass § 2 AStG nicht angewandt wird.
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Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor:
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Die Besteuerung in England auf „remittance basis“ sei historisch gewachsen und daher Teil des „normalen“ englischen Einkommensteuerrechts. Mit einer Vorzugsbesteuerung in dem Sinne, dass gezielt der Zuzug von Steuerpflichtigen in den Geltungsbereich des britischen Steuerrechts forciert werden sollte, habe dies nichts zu tun. Das Besteuerungskonzept sei aus dem schlichten Bedürfnis, anhand sachlicher Gesichtspunkte den britischen Besteuerungsanspruch auf ein zweckdienliches Maß zu begrenzen, entstanden.
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Es gehöre zur grundlegenden Systematik des britischen Steuerrechts, den Umfang der persönlichen Steuerpflicht vom jeweiligen Ansässigkeitsstatus abhängig zu machen. Die „remittance basis“-Besteuerung unterscheide zwischen Steuerpflichtigen, die „resident“, „ordinarily resident“ oder „domiciled“ seien. Diese Unterscheidung sei aber nicht auf die Besteuerung auf Grund der „remittance basis“ beschränkt, sondern finde sich auch an ganz anderen Stellen im britischen Steuerrecht. Der Umfang der persönlichen Steuerpflicht nach britischem Recht nehme dabei über diese drei Abstufungen mit steigender Intensität der persönlichen Beziehungen zum britischen Staat zu. Es sei damit Ausdruck des allgemeinen britischen Steuerrechts, dass der Steuerzugriff umso intensiver werde, je enger die persönlichen Beziehungen des Steuerpflichtigen zum Staat würden, wobei der Grad dieser Intensität anhand der drei genannten Ansässigkeitsstufen typisiert würde. Ein Zuzug in das Vereinigte Königreich bzw. in dessen Besteuerungshoheit sei nicht Voraussetzung der „remittance basis“-Besteuerung. Diese sei lediglich an die Voraussetzung geknüpft, dass der Steuerpflichtige ausschließlich „resident“ sei, ohne aber zugleich „ordinarily resident“ oder „domiciled“ zu sein. Auch britische Bürger könnten in den Genuss der „remittance basis“-Besteuerung kommen. Der Gedanke der „remittance“, mithin des Zuflusses von Einkünften in den Bereich der Besteuerungshoheit des Vereinigten Königreichs, finde sich nicht nur in den Regelungen zur „remittance basis“-Besteuerung, sondern auch an anderen Stellen des britischen Ertragssteuerrechts wieder. Die spezielle Zuflussform der „remittance“ sei Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens des englischen Steuerrechts.
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Die Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG scheitere bereits daran, dass die Norm wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsverbot verfassungswidrig sei. Konkret treffe dies auf die Tatbestandsvoraussetzung der „Vorzugsbesteuerung“ und der „erheblichen Minderung“ zu. Die Norm greife in die Freiheit des Steuerbürgers auf Bestimmung seines persönlichen Wohnsitzes in nicht unerheblichem Maße ein, denn § 2 Abs. 1 S. 1 AStG weite die beschränkte Besteuerung in Wegzugsfällen erheblich aus. Diese Freiheit sei wiederum durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützt. Aufgrund des erheblichen Freiheitseingriffs seien gesteigerte Anforderungen an die Normbestimmtheit und -klarheit zu stellen. Weder nach dem Wortlaut noch durch Auslegung könne der Begriff der Vorzugsbesteuerung in einer Weise vernünftig begrenzt werden, die eine hinreichend präzise Subsumtion erlauben würde. Der Begriff der Vorzugsbesteuerung setze eine gewisse Art von Differenzierung voraus, ohne die maßgeblichen Kriterien auch nur im Vagen zu benennen. Das Rechtsstaatsprinzip erfordere aber, dass die Differenzierung nach objektiven Kriterien erfolge, die jedoch nicht benannt seien. Exemplarisch für die fehlende Bestimmtheit sei die streitgegenständliche „remittance basis“-Besteuerung. Insoweit sei auf den Meinungswechsel des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), der sich in den sich diametral widersprechenden Schreiben vom 2. Dezember 1994 (BStBl I 1995, Sondernummer 1 S. 3 = AEAStG 1994) und vom 14. Mai 2004 (BStBl I 2004, Sondernummer 1 S. 3 = AEAStG 2004) finde, hinzuweisen. Es wäre eine Systematik erforderlich, die einerseits generell-abstrakt beschreibe, was die Vorzugs- und Allgemeinbesteuerung ausmache und die andererseits flexibel genug sei, um universell auf ausländische Steuerrechtsordnungen anwendbar zu sein. Es bedürfte einer weiteren legislativen Klarstellung dieses Begriffs, um eine solche Logik erst zu konstituieren. Auch die Rechtsprechung habe bislang noch keine Definition einer Vorzugsbesteuerung anbieten können, die diesen Kriterien genügen würde. In gleicher Weise würden auch für das weitere Tatbestandsmerkmal „erhebliche Minderung“ Kriterien fehlen, nach denen eine notwendige Quantifizierung des Vorteils erfolgen solle.
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Weiter sei der angegriffene Bescheid auch deshalb rechtswidrig, weil das Finanzamt gegen seine Amtsermittlungspflichten nach § 88 Abs. 1 AO verstoßen habe. Im Streitfall sei davon auszugehen, dass Ermittlungen zum ausländischen Recht vollkommen unterblieben seien. Weder sei ersichtlich, dass das Finanzamt die konkreten Stellen des britischen Rechts hinreichend ermittelt habe noch habe es dargelegt, aufgrund welcher Regelungen eine Vorzugsbesteuerung angenommen werde. Auch aus der pauschalen Behandlung der „remittance basis“-Besteuerung im AEAStG 2004 könne nicht geschlossen werden, dass die Verwaltung sich bei Erarbeitung des Erlasses mit dem im streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum geltenden Recht tatsächlich auseinandergesetzt habe. Der Income Tax (Trading and Other Income) Act 2005 (ITTOIA 2005) folge dem Erlass des AEAStG 2004 zeitlich nach. Jedenfalls seien vorliegend die Voraussetzungen für die Anwendung des § 2 AStG nicht erfüllt, denn die „remittance basis“-Besteuerung könne selbst bei Anwendung mannigfaltiger Deutungsmöglichkeiten keine Vorzugsbesteuerung darstellen. Dies ergebe sich zum einen aus historisch-teleologischer Sicht dieser Besteuerungsform. Zum anderen lasse es sich daran erkennen, dass die Besteuerung auf „remittance basis“ ausschließlich an sachliche Differenzierungsgründe anknüpfe und sich nicht an persönlichen Gesichtspunkten orientiere. Nach der Historie der „remittance basis“-Besteuerung handle es sich bei diesem Konzept um eine historisch gewachsene partielle Umsetzung des Territorialitätsprinzips. Dies gelte sowohl für die Beschränkung dieses Regimes auf bestimmte Einkünfte als auch auf Steuerpflichtige mit einem bestimmten Ansässigkeitsstatus. Die „remittance basis“-Besteuerung könne schon vor diesem Hintergrund nicht als Vorzugsbesteuerung angesehen werden. Sie könne auch deswegen nicht als Vorzugsbesteuerung angesehen werden, weil sie ausschließlich nach sachlichen Kriterien differenziere und keine persönliche Steuervergünstigung sei. Auch wenn eine Auslegung des Begriffs der Vorzugsbesteuerung nicht hinreichend möglich sei, werde doch klar, dass unter einer Vorzugsbesteuerung im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG nur persönliche Steuervergünstigungen für Wegziehende verstanden werden könnten. In der Folge könne nur dann eine Vorzugsbesteuerung vorliegen, wenn sie personenbezogenen Charakter trage und von Vergünstigungen, die aufgrund sachlicher Anknüpfungspunkte gewährt würden, abzugrenzen sei (vgl. Baßler in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, Außensteuerrecht, - F/W/B/Sch - § 2 AStG Rn 223; Zimmermann/Könemann in: Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, - S/K/K -, § 2 AStG Rn. 109; Kaiser in: Haase, § 2 AStG Rn. 85, 87). Ein sachliches Differenzierungskriterium schließe demgemäß eine Vorzugsbesteuerung aus. Die Differenzierung der Besteuerung nach der Verfestigung der Ansässigkeit, im britischen Fall unter Berücksichtigung der Ansässigkeitsstufen „resident“, „domiciled“ und „not ordinary resident“, sei ein sachliches Kriterium, nach der auch hierzulande die Reichweite der persönlichen Steuerpflicht bestimmt werde. Die Besteuerung auf „remittance basis“ knüpfe wie die Besteuerung auf „arising basis“ an den Grad der Verfestigung der Ansässigkeit in Großbritannien an. Insoweit sei die Besteuerung auf „remittance basis“ aus britischer Sicht nichts anderes als eine Kategorie der - nach deutschem Verständnis - unbeschränkten Steuerpflicht, bei der sich der Besteuerungszugriff lediglich unilateral am Territorialitätsprinzip orientiere. Eine Differenzierung der persönlichen Steuerpflicht anhand der Verfestigung der persönlichen Beziehung des Steuersubjekts zum Steuerstaat sei daher keine Differenzierung nach persönlichen Merkmalen im Sinne einer Vorzugssteuer. Die persönliche Beziehung zum besteuernden Staat sei vielmehr das - international anerkannte und standardisierte - sachliche Anknüpfungsmerkmal schlechthin, wenn es darum gehe, die Reichweite der subjektiven Steuerpflicht zu definieren.
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Das deutsche Steuerrecht kenne ebenfalls eine Abstufung der Steuerpflicht, die - wie beim britischen System auch - auf Rechtsfolgenseite mit einer Intensivierung des Steuerzugriffs einhergehe und sich an der Intensität der persönlichen Beziehung des Steuersubjekts zum besteuernden Staat orientiere. Auch die Stufung im deutschen (internationalen) Steuerrecht stelle - wie das britische Steuerrecht - auf den Grad der Verfestigung der Präsenz des Steuerpflichtigen im Inland ab. So kenne das Steuerrecht der Bundesrepublik neben der unbeschränkten Steuerpflicht die beschränkte Steuerpflicht mit den inländischen Einkünften, die erweitert beschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 S. 1 AStG mit allen Einkünften nach § 2 Abs. 1 S. 1, Halbsatz 1 EStG, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nicht ausländische Einkünfte sind, die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 S. 1 EStG sowie die fingierte unbeschränkte Steuerpflicht nach §§ 1 Abs. 3 und 1a EStG. Allen Stufen sei gemein, dass die Ausweitung des Steuerzugriffs mit der Intensivierung der persönlichen Beziehung zum Staat einhergehe. Folge sei - wie bei der „remittance basis“-Besteuerung - nicht die Besteuerung mit dem Welteinkommen, sondern eine Modifikation des Welteinkommensprinzips, welche bestimmte ausländische Einkunftselemente bei der Besteuerung außen vor lasse. Auch die Tatsache, dass die „remittance basis“-Besteuerung partiell das Territorialitätsprinzip umsetze, führe nicht dazu, dass hierin eine Vorzugsbesteuerung zu sehen wäre. Anderenfalls müsste auch eine partielle Berücksichtigung des Territorialitätsprinzips im deutschen Steuerrecht eine Vorzugsbesteuerung im Normsinne darstellen. Dieses Ergebnis könne aus teleologischen Gründen sicherlich nicht gewollt sein.
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Eine Vorzugsbesteuerung läge auch dann nicht vor, wenn man annehmen wollte, dass diese den im Lande lebenden Bürgern, mithin den „normalen“ Steuerpflichtigen im Aufnahmestaat nicht zugänglich sein dürfe, wie dies Teile der Literatur tun würden. Auch britische Bürger könnten in den Genuss der „remittance basis“-Besteuerung kommen. Hierbei sei auch ein Wechsel zwischen den drei vorgenannten Formen des Ansässigkeitsstatus möglich, d.h. ein Steuerpflichtiger mit dem Status „domiciled“ könne - bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen - auch in den ausschließlichen Status „resident“ wechseln, ohne gleichzeitig „ordinary resident“ oder „domiciled“ zu sein. Allein die Differenzierung nach den Ansässigkeitsstufen könne nach dem Vorgesagten nichts daran ändern, dass auch originäre Steuerinländer in den Genuss dieses Besteuerungsregimes kommen könnten. Britische Bürger würden demnach gleich behandelt, wenn sie in rechtlich und tatsächlich gleicher Lage seien; Ausländer verlören den Zugang zur „remittance basis“-Besteuerung, wenn sich ihre Ansässigkeit über den „resident“-Status hinaus verfestige.
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Es könne auch nicht argumentiert werden, dass die begrenzte Berücksichtigung der „remittance“, also des Zuflusses von Leistungsfähigkeit in ein bestimmtes Territorium, eine Vorzugsbehandlung im Sinne einer Vorzugsbesteuerung für diejenigen Personen darstellen würde, die in den Genuss der „remittance basis“-Besteuerung kämen. Wie bereits dargestellt spiele der Zufluss steuerlicher Leistungsfähigkeit auch außerhalb des „remittance basis“-Regimes eine relevante Rolle. Mithin stellten auch andere Normen sicher, dass bei bestimmten Einkünften eine Besteuerung erst bei Zufluss in den britischen steuerlichen Nexus einsetze. Auch die Finanzverwaltung erläutere in Tz. 2.2.2 des AEAStG 2004, dass keine Vorzugsbesteuerung vorliege, wenn das Territorialitätsprinzip bei allen Steuerpflichtigen umgesetzt würde. Dies sei hier der Fall.
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Weiter stehe einer Anwendung von § 2 Abs. 1 AStG entgegen, dass das Besteuerungsrecht für die fraglichen Zinsen nach Art. XV DBA-GB ausschließlich beim Ansässigkeitsstaat liege, vorliegend bei Großbritannien. Nach dieser Vorschrift könnten Einkünfte, die in den vorgenannten Vorschriften nicht behandelt worden seien und die von einer in einem Gebiet ansässigen und dort damit steuerpflichtigen Person bezogen würden, nur in diesem Gebiet besteuert werden. Die streitgegenständlichen Zinsen würden nicht von Art. VII Abs. 1 DBA-GB erfasst. Art. VII DBA-GB enthalte keine eigenständige Definition dazu, wann Zinsen aus Quellen innerhalb eines Gebietes der Vertragsstaaten bezogen würden. Eine Analogie zu Art. VI Abs. 1 DBA-GB komme nicht in Betracht, weil der Dividendenartikel eine andere Ausgangslage regle, nämlich die Mitgliedschaft zwischen zwei Gesellschaften und keine bloße schuldrechtliche Verpflichtung. Damit verbleibe es bei einer Auslegung nach innerstaatlichem Recht des Anwenderstaates (Art. II Abs. 3 DBA-GB). Aus deutscher Sicht könne sich zu diesem Zweck auch nicht auf § 34d EStG berufen werden, denn § 34d Nr. 6 EStG regle nur, wann „ausländische Einkünfte“ anzunehmen seien. Innerstaatlich gesehen regle nur § 49 EStG die Frage, welche Einkünfte „inländische“ seien und in diesem Sinne aus deutschen Quellen stammten. Die im Streitfall interessierenden Zinsen erfüllten die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG nicht, deshalb stellten die Zinsen keine inländischen Einkünfte dar. Greife man vor diesem Hintergrund gemäß Art. II Abs. 3 DBA-GB zur Auslegung des in Art. II Abs. 2 DBA-GB verwendeten Begriffs „Einkünfte aus Quellen innerhalb Deutschlands“ auf das deutsche innerstaatliche Recht zurück, dann seien keine „Einkünfte aus Quellen innerhalb Deutschlands“ anzunehmen.
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Auch die Fiktion des § 2 AStG sei nicht in der Lage, die streitgegenständlichen Zinsen wieder einer inländischen Quelle zuzuordnen. Sie - die Klägerin - sei im Streitjahr in Großbritannien ansässig im Sinne von Art. II Abs. 1 Buchst h (ii) aa Satz 1 DBA-GB gewesen. Ferner sei sie mit den streitgegenständlichen Zinsen auch in Großbritannien steuerpflichtig gewesen. Der Umstand, dass die Zinsen aufgrund der Besteuerung auf „remittance basis“ in Großbritannien tatsächlich keiner Besteuerung unterlegen hätten, sondern erst im Zeitpunkt des Zuflusses unterliegen würden, ändere daran nichts. Denn die in Art. XV DBA-GB enthaltene „subject-to-tax-clause“ stelle nur auf das Vorliegen einer abstrakten Steuerpflicht ab, hinterfrage jedoch nicht weiter, ob es - etwa aufgrund des erfolgten Zuflusses - bereits zu einer konkretisierten Besteuerung gekommen sei. Dies ergebe sich aus Art. II Abs. 2 DBA-GB. Dieser konkretisiere die im DBA-GB enthaltenen „subject-to-tax-clauses“ dahin, dass das deutsche Besteuerungsrecht im Falle einer Besteuerung auf „remittance basis“ insoweit zurückfalle, als kein Zufluss der Einkünfte in Großbritannien erfolge. Art. II Abs. 2 DBA-GB komme jedoch nicht zur Anwendung, weil die Zinsen keine Einkünfte aus deutschen Quellen seien.
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Schließlich stehe der Anwendung des § 2 AStG der sog. Anwendungsvorrang des EU-Rechts entgegen. Die Anwendung von § 2 AStG auf die streitgegenständlichen Einkünfte verstoße gegen die in Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 63 AEUV) niedergelegte Kapitalverkehrsfreiheit. Danach seien alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Die Kapitalanlagen, aus denen die streitgegenständlichen Einkünfte erzielt worden seien, würden Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 EG darstellen. Art. 56 EG habe im Wesentlichen den Inhalt des Art. 1 der Kapitalverkehrsrichtlinie (88/361/EWG) übernommen. Die (Wieder-) Anlage der liquiden Mittel beim Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt falle unter die Rubrik VI (Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen) Unterpunkt A (Geschäfte von Gebietsfremden mit inländischen Finanzinstitutionen), soweit lediglich eine einfache verzinsliche Anlage auf dem Bankkonto erfolgt sei, oder unter die Rubrik ÜI (Geschäfte mit Wertpapieren, die normalerweise am Kapitalmarkt gehandelt werden) bzw. die Rubrik V (Geschäfte mit Wertpapieren und anderen Instrumenten, die normalerweise am Geldmarkt gehandelt werden), soweit Wertpapiere, Geldmarktpapiere oder sonstige Schuldverschreibungen durch sie - die Klägerin - erworben und vom Bankhaus HSCB Trinkaus & Burkhardt verwaltet worden seien. Der Umstand, dass physisch kein Kapital über die Grenze nach Großbritannien und sodann zurück nach Deutschland geflossen sei, stehe dem nicht entgegen. Denn es genüge, dass die Anlageentscheidung von einem Gebietsfremden getroffen wurde und dadurch eine grenzüberschreitende Leistungsbeziehung im Zusammenhang mit Kapital zustande gekommen sei.
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Die Anwendung von § 2 AStG führe auch zu einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit. Nach ständiger Rspr. des Europäischen Gerichtshof (EuGH) stellten jedenfalls solche Maßnahmen eine durch Art. 56 Abs. 1 EG verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs dar, die „geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat [..] abzuhalten“ oder Investitionen von Gebietsfremden in einem anderen Mitgliedstaat „weniger attraktiv“ zu machen. Zudem verbiete Art. 56 Abs. 1 EG auch eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes. So liege es in ihrem Fall: im Streitjahr habe sie lediglich einen Wohnsitz in London unterhalten. Aus Sicht des Anlageortes Deutschland stelle sie deshalb eine „Gebietsfremde“ dar. Nur weil sie vor dem Wegzug über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt habe, werde sie einer Besteuerung nach § 2 AStG unterworfen. Darüber hinaus werde sie gegenüber anderen EU-Ansässigen benachteiligt, die eine vergleichbare Kapitalanlage in Deutschland tätigen würden. Während nämlich bei letzteren für Zinsen nur unter den engen Voraussetzungen von § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG eine beschränkte Steuerpflicht greife, solle sie als Ansässige eines anderen EU-Mitgliedstaates mit diesen Einkünften stets der (erweitert) beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Durch die Anwendung von § 2 AStG werde sie davon abgehalten, eine entsprechende Kapitalanlage in Deutschland zu tätigen.
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Ihrer Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit könne nicht entgegengehalten werden, dass es sich um eine dem EU-Recht entzogene Inländerdiskriminierung handle. Für die Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit verbiete sich ein Vergleich mit gebietsansässigen Deutschen, weil diese gerade keine grenzüberschreitende Kapitalanlage tätigen würden. Vielmehr komme als Vergleichspaar nur ein aus einem EU-Mitgliedstaat stammender beschränkt Steuerpflichtiger mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit in Betracht. Unschädlich sei, dass der EuGH in der Rechtssache van Hilten - van der Heijden (EuGH vom 23. Februar 2006 C-513/03, Slg. 2006, 1-1957) der Anwendung der erweitert unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht durch die Niederlande keine Beschränkung von Art. 56 EG entnehmen konnte. Insoweit seien beide Sachverhalte nicht vergleichbar.
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Im deutsch-britischen DBA finde sich keine Regelung, die die Anwendung von § 2 Abs. 1 AStG zuließe. Im Zeitpunkt des Abschlusses des DBA hätten sich die Vertragsparteien auch noch keine Gedanken zu der Frage gemacht haben können, weil § 2 AStG erst nach Abschluss des DBA Gesetz geworden sei. Deshalb könne man auch nicht unterstellen, dass die Parteien übereinstimmend von der Zulässigkeit der Anwendung von § 2 AStG, insbesondere im Rahmen der im DBA enthaltenen „subject-to-tax“-Klauseln, ausgegangen seien. Von einer im Rahmen des deutsch-britischen DBA vorgenommenen Aufteilung des ggf. durch § 2 AStG in diskriminierender Weise begründeten Besteuerungsrechts könne deshalb ebenfalls keine Rede sein.
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Letztlich sei auch keine Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit aus vom EuGH anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses ersichtlich. Insbesondere komme die Gewährleistung der Kohärenz des deutschen Steuersystems nicht in Betracht. Deutschland könne die Gewährleistung der steuerlichen Kohärenz nicht für Einkünfte beanspruchen, für die es unilateral (und völlig ohne Not) im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht auf eine Besteuerung verzichte. Die Anwendung von § 2 AStG sei auch nicht von der Befugnis gedeckt, in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen. Man könne § 2 AStG nicht einerseits als Ausdruck der Aufteilung der deutschen Besteuerungshoheit verstehen, wenn man andererseits die von dieser Regelung erfassten Zinseinkünfte in Deutschland nicht der allgemeinen beschränkten Steuerpflicht unterwerfe.
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§ 2 AStG könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt der steuerlichen Missbrauchsbekämpfung gerechtfertigt werden. Zwar habe der EuGH in der Rechtssache Cadbury Schweppes (EuGH-Urteil vom 12. September 2006, C-196/04, Slg. 2006 1-7995) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, typisierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften in ihre nationale Steuerrechtsordnung zu integrieren. Ungeachtet dessen, ob § 2 AStG überhaupt als eine solche Regelung verstanden werden könne, setze dies jedoch die Möglichkeit des Steuerpflichtigen voraus, im konkreten Fall den Gegenbeweis zu führen. Vorliegend müsse man zunächst feststellen, dass sich die Inanspruchnahme der Kapitalverkehrsfreiheit in Form der Überlassung von Kapital an ihren Bruder im Rahmen der Erbauseinandersetzung sowie die Kapitalanlage beim Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt nicht als „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung“ erweise. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Wegzug nach Großbritannien nicht tatsächlich, sondern lediglich künstlich erfolgt sei.
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Die Anwendung von § 2 AStG auf die streitgegenständlichen Einkünfte verstoße weiter gegen ihr durch Art. 18 Abs. 1 EG (jetzt Art. 21 AEUV) gewährleistetes Recht, ihren Wohnsitz von Deutschland nach Großbritannien zu verlegen. Denn § 2 AStG knüpfe für einen Zeitraum von 10 Jahren steuerliche Rechtsfolgen an den Wegzug in einen sog. Niedrigsteuerstaat und könne damit einen Deutschen davon abhalten, in einen Staat zu ziehen, der für die Besteuerung von Einkünften günstigere Rahmenbedingungen vorsehe. Solange sich die Inanspruchnahme der Grundfreiheiten nicht lediglich als eine rein künstliche Konstruktion erweise, sei die Ausnutzung eines Steuergefälles nicht zu beanstanden. Soweit sie nach ihrem Wegzug in Großbritannien zunächst als angestellte Architektin beschäftigt gewesen sei, kollidiere die Anwendung von § 2 AStG auch mit dem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 EG (jetzt: Art. 45 AEUV), soweit sie später als Partnerin eine selbständige Tätigkeit als Architektin ausgeübt habe, bestehe eine Kollision mit der durch Art. 43 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 49 AEUV) gewährleisteten Niederlassungsfreiheit.
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§ 2 AStG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Gestalt seiner Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips und des Folgerichtigkeitsgebots. Nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip müsse im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Denn bereits die Anknüpfung an die deutsche Staatsbürgerschaft vermöge nicht zu erklären, wieso Steuerpflichtige mit deutscher Staatsbürgerschaft steuerlich leistungsfähiger sein sollten als solche, die eine andere Staatsbürgerschaft innehaben. Auch mache allein die Tatsache, dass ein Steuerpflichtiger in ein niedrig besteuerndes Land verziehe, diesen nicht automatisch wirtschaftlich leistungsfähiger als einen anderen Steuerpflichtigen, der nur der „einfachen“ beschränkten Steuerpflicht unterliege, im Übrigen aber die gleichen Einkünfte erziele. Auch führe die „remittance basis“-Besteuerung nur zu einem verzögerten Steuerzugriff. Wenn die entsprechenden Einkünfte später in das Vereinigte Königreich überwiesen würden, stelle sich die Frage, inwieweit die dann anfallende britische Steuer in rein praktischer Hinsicht noch in der deutschen Veranlagung Berücksichtigung finden könne. Dies sei aus tatsächlichen Gründen umso schwieriger, je länger die Zeitspanne zwischen der Besteuerung in Deutschland und in Großbritannien währe. Es bestehe ein immanentes Doppelbesteuerungsrisiko, das nicht mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar sei.
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Die Anknüpfung des § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG an die deutsche Staatsangehörigkeit verstoße auch gegen das Folgerichtigkeitsprinzip. Grundsätzlich knüpfe das deutsche Einkommensteuerrecht bei der Bestimmung der Reichweite der Steuerpflicht nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an andere Kriterien wie insbesondere den Wohnsitz und den ständigen Aufenthalt an. Diese Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers werde jedoch durch § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG durchbrochen, so dass ein Verstoß gegen das Folgerichtigkeitsprinzip anzunehmen sei.
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Schließlich seien die Verstöße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip und das Gebot der folgerichtigen Besteuerung auch nicht gerechtfertigt. Allein der fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung vermöge den Eingriff in Art. 3 GG nicht zu rechtfertigen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. Mai 1986 (2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200) stehe dem vorgefundenen Ergebnis nicht entgegen. Soweit sich das BVerfG dort überhaupt auf hier relevante Umstände beziehe, würden diese Ausführungen heute nicht mehr durchgreifen. Auch seien die tatsächlichen Prämissen, auf denen das BVerfG 1986 seinen Beschluss gegründet habe, heutzutage - mehr als 30 Jahre später - überholt. Seit der Entscheidung hätten sich die Lebensumstände der Menschen im Allgemeinen deutlich geändert. Internationale Flexibilität und Mobilität, insbesondere auch im Arbeitsleben, seien heute deutlich üblicher und verbreiteter als dies zu Zeiten der Entscheidung noch der Fall oder auch nur absehbar gewesen sei. Die Verhinderung des Wegzugs in einen EU-Mitgliedstaat sei auch kein unionsrechtskonformes Lenkungsziel. Soweit der Gesetzgeber die Steuerflucht als eine bestimmte Form des missbräuchlichen Verhaltens bekämpfen wolle, sei die Norm unverhältnismäßig, da insoweit keine Exkulpationsmöglichkeit bestehe. Zudem habe er einen atypischen Fall als Leitbild gewählt, indem nun jedweder Wegzug als typisierte Steuerflucht definiert werde.
26
Es werde nochmals darauf hingewiesen, dass gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG solche Einkünfte nicht von der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht umfasst seien, die bei unbeschränkter Steuerpflicht ausländische Einkünfte im Sinne des § 34d EStG seien. Hierunter fielen bei Kapitaleinkünften nach § 34d Nr. 6 EStG solche Einkünfte, bei denen der Schuldner seinen Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat habe oder das Kapitalvermögen durch ausländischen Grundbesitz gesichert sei. Daraus folge, dass Zinsen, die von einem inländischen Schuldner gezahlt würden, grundsätzlich der erweitert beschränkten Steuerpflicht unterfielen, während dies nicht der Fall sei, wenn sie von einer Bank mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland gezahlt würden. Dies stelle sowohl einen zusätzlichen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit als auch gegen Verfassungsrecht dar. Das Finanzamt ziehe aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache van Hilten - van der Heijden zu Unrecht den Schluss, dass eine Diskriminierung von eigenen Staatsangehörigen auch dann zulässig wäre, wenn diese im Ausland lebten. Tatsächlich habe der EuGH in der entschiedenen Rechtssache allein deshalb keine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gesehen, weil nach belgischem Recht ein Staatsangehöriger als weiterhin in Belgien wohnhaft fingiert wurde, wenn er innerhalb von zehn Jahren nach seinem Fortzug verstarb. Die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit wurde nur deshalb verneint, weil auch der Weggezogene genau wie ein Inländer behandelt wurde. Dies sei anders, wenn keine erweitert unbeschränkte, sondern - wie bei § 2 AStG - eine erweitert beschränkte Steuerpflicht infrage stehe, die den Steuerpflichtigen gerade nicht so stelle wie einen unbeschränkt Steuerpflichtigen. Denn während beim unbeschränkt Steuerpflichtigen auch dessen ausländischen Einkünfte im Sinne des § 34d EStG - und damit auch Zinserträge von im Ausland ansässigen Schuldnern - besteuert würden, sei dies beim erweitert beschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des § 2 AStG nicht der Fall. Bei ihm unterfielen nur Zinserträge von im Inland ansässigen Schuldnern der Besteuerung. Damit fehle die wesentliche Voraussetzung dafür, mit dem Urteil van Hilten - van der Heijden eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zu verneinen. Ganz im Gegenteil liege eine unionsrechtswidrige Diskriminierung im Sinne dieser Rechtsprechung vor, wenn der Steuerpflichtige mit einer „Strafsteuer“ belegt werde, die ihn nur treffe, wenn er sein Kapital im Wegzugsstaat anlege, während hingegen eine Kapitalanlage im Ausland von der Besteuerung verschont bliebe. Diese Regelung halte damit einen Staatsangehörigen, der seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt habe, davon ab, von einem Mitgliedstaat aus Investitionen in dem betreffenden Herkunftsmitgliedstaat zu tätigen, denn nur die Zinserträge aus „deutschen Quellen“ würden besteuert, Zinserträge aus ausländischen Quellen hingegen nicht.
27
Zudem führe die dargestellte Befreiung von ausländischen Einkünften zur Verfassungswidrigkeit. § 2 AStG könne durch eine entsprechende Gestaltung leicht umgangen werden. So hätte sie selbst mit ihrem Kapitalvermögen nur zu einer ausländischen Bank außerhalb Großbritanniens „umziehen“ und die erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht dadurch vermeiden können. Das BVerfG habe jedoch mit Blick auf sog. „Cash-GmbHs“ im Erbschaftssteuerrecht ausgeführt, dass es eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung darstelle, soweit das Gesetz entgegen seiner Zwecksetzung steuermindernde Gestaltungen in erheblichen Umfang zulasse (vgl. Urteil des BVerfG vom 17. Dezember 2014 1 BvL 21/12, BStBl II 2015, 50). Dies sei aber hier der Fall.
28
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid vom 9. Juli 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2017 dahingehend zu ändern, dass § 2 AStG nicht angewandt wird,
hilfsweise das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Sind Art. 12 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 18 Abs. 1 AEUV), Art. 18 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 21 Abs. 1 AEUV), Art. 43 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 49 Abs. 1 AEUV) und Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 63 Abs. 1 AEUV) dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift entgegenstehen, die eine Person, die in Deutschland in den letzten zehn Jahren als Deutsche insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war und die in einen anderen EU-Mitgliedstaat umgezogen ist, nur deshalb über die normale beschränkte Steuerpflicht hinaus mit bestimmten Einkünften der deutschen Besteuerung unterwirft, weil die Person in dem anderen EU-Mitgliedstaat einer im Vergleich zu Deutschland niedrigeren Besteuerung unterliegt, obwohl Deutschland für diese Einkünfte im Rahmen der normalen beschränkten Steuerpflicht kein Besteuerungsrecht für sich in Anspruch nimmt und deshalb bei einem vergleichbaren Nicht-Deutschen mit Wohnsitz in demselben EU-Mitgliedstaat nicht besteuert werden würde, und obwohl auch nach dem zwischen Deutschland und dem anderen EU-Mitgliedstaat abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen kein deutsches Besteuerungsrecht für diese Einkünfte besteht, und obwohl diese Besteuerung zu einer Ungleichbehandlung von bestimmten Kapitaleinkünften, deren Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat und die nicht besteuert werden, und besteuerten Einkünften aus bestimmten Kapitalvermögen, bei denen der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat und die besteuert werden, führt,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
29
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
30
Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es vor:
31
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG sei hinreichend bestimmt und konkretisierbar und verstoße somit nicht gegen Verfassungsrecht. Das Maß der gebotenen inhaltlichen Bestimmtheit falle dann geringer aus, wenn der Regelungsgegenstand vielgestaltig, unübersichtlich und raschen Veränderungen unterworfen sei. Der Gesetzgeber habe insoweit eine gewisse Freiheit zu typisieren. § 2 AStG betreffe einen komplexen Regelungsgegenstand, der aufgrund der Vielgestaltigkeit der Anknüpfungspunkte für eine aus gesetzgeberischer Sicht unerwünschten Niedrigbesteuerung die Verwendung eines abstrakten Oberbegriffs notwendig mache. Hier ermögliche der gebräuchliche Wortsinn das Verständnis des Ausdrucks. Eine Vorzugsbesteuerung liege vor, wenn für einen bestimmten Personenkreis steuerliche Regelungen gelten oder eine Verwaltungspraxis bestehen würde, die sich von den allgemeinen, für Ansässige in diesem Gebiet geltenden Regeln unterscheiden und den Steuerpflichtigen günstiger stellen würden (Hahn in: Lademann, EStG-Komm., § 2 AStG Rn. 92). Darüber hinaus sei der Ausdruck Vorzugsbesteuerung sehr wohl durch Auslegung weiter konkretisierbar. Dabei sei insbesondere der Grund für die Schaffung von § 2 AStG miteinzubeziehen. Die Regelung sei im Nachgang zum sog. „Steueroasenbericht“ von 1964 geschaffen worden, der aus dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der Vermeidung steuerlicher Wettbewerbsverzerrungen die Forderung ableitete, unangemessene Vorteile aus der Nutzung des internationalen Steuergefälles zu beseitigen. Die Steuervorteile ergäben sich aus dem Zusammenspiel von Niedrigbesteuerung im Zuzugsstaat und aus dem eingeschränkten Besteuerungsumfang im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht. Zugleich komme in dem Erfordernis des Wegzugs in ein Niedrigsteuerland in beiden Alternativen von § 2 Abs. 2 AStG die gesetzliche Vermutung zum Ausdruck, dass steuerliche Vorzüge durch eine niedrige Regelbesteuerung (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG) oder ein Vorzugsbesteuerung (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG) die tragenden Motive für den Wegzug ins Ausland bildeten und daher die Verbindung zum neuen Ansässigkeitsstaat abschwächten. Für deutsche Wirtschaftsinteressen und die daraus bezogenen Einkünfte solle daher in diesem Fall eine Besteuerung verwirklicht werden, die der Leistungskraft des Steuerpflichtigen entspreche. Während § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG dabei auf die von persönlichen Merkmalen losgelöste allgemeine Steuerbelastung im Ansässigkeitsstaat abstelle, nehme § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG diese allgemeine Steuerbelastung zum Vergleichsmaßstab für einen persönlichen Vorzug des Zugezogenen, der ihm gerade als Zugezogener abweichend von den allgemein für Ansässige geltenden Steuergesetzen des Landes gewährt werde (Schwibinger/Anzinger, ISR 2014, 225, 229; Hahn, aaO Rn. 92; Baßler in: F/W/B/Sch, § 2 AStG Rn. 227).
32
Entgegen der Auffassung der Klägerin zeige sich am Beispiel der „remittance basis“-Besteuerung auch nicht die fehlende Handhabbarkeit des Begriffs Vorzugsbesteuerung. Denn diese sei entgegen der auch in der Literatur verbreitet wiedergegebenen Meinung nach Auffassung der Finanzverwaltung schon vor dem BMF-Schreiben vom 14. Mai 2004 (BStBl I 2004, Sondernummer 1) als Vorzugsbesteuerung behandelt worden. In diesem Schreiben sei lediglich eine entsprechende Klarstellung erfolgt, die die OFD Münster in einer Verfügung vom 21. Mai 2002 (DB 2002, 1192) bereits vorweggenommen habe. Entsprechend habe die Finanzverwaltung auch für die Streitjahre 1994 bis 1996 im Verfahren vor dem FG Düsseldorf mit dem Az. 9 K 1639/06 E argumentiert.
33
Relevante verfassungsrechtliche Bedenken ergäben sich aufgrund des Begriffs „wesentliche Minderung“ nicht. Damit komme zum Ausdruck, dass nicht jede Minderbesteuerung im Zuzugsstaat ausreichend sei, sondern wie bei § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG ein gewisses Besteuerungsgefälle vorhanden sein müsse. Da im Streitfall ausländische Einkünfte bei Anwendung der „remittance basis“-Besteuerung völlig steuerfrei blieben, sei insoweit jedoch auch ohne Rückgriff auf einen bestimmten Schwellenwert von einer erheblichen Minderung auszugehen (Schwibinger/Anzinger, aaO, 231).
34
Entgegen der Ausführungen der Klägerin stelle die Besteuerung auf „remittance basis“ eine Vorzugsbesteuerung i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG dar (h.M., vgl. Beckmann in Debatin/Wassermeyer, DBA-GB, - D/W -, Art. 24 Rn 8 m.w.N.; ebenso FG München vom 21. Dezember 2011, Az. 8 K 628/08). Entscheidend sei, ob es sich um eine Steuervergünstigung handle, die wegen ihrer sachlichen Anknüpfungspunkte allgemein bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens zu beachten sei, oder ob eine Steuervergünstigung vorliege, die wegen des persönlichen Anknüpfungspunktes nur dem Einwanderer bzw. gleichzustellenden Personen gewährt werde (Baßler in: F/W/B/Sch, § 2 AStG Rn. 223; Kaiser in Haase, AStG/DBA, § 2 Rn. 85). Letzteres sei bei der britischen „remittance basis“-Besteuerung der Fall.
35
Der Wechsel eines „domicile“ sei stets mit einem dauerhaften Wegzug verbunden. Den Steuerpflichtigen, die durch Geburt ihr „domicile“ in Großbritannien erworben hätten, sei es ohne dauerhaften Wegzug nicht möglich, in den Status eines „non-domiciled resident“ zu wechseln und dadurch in den Genuss der „remittance basis“-Besteuerung zu kommen. An dieser Beurteilung vermöge auch das Argument der Klägerin nichts zu ändern, die „remittance basis“-Besteuerung sei in Großbritannien ebenso Teil der allgemeinen Besteuerung wie in Deutschland die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG bzw. die beschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 4 EStG, da insoweit unbeschränkte (Großbritannien) und beschränkte Steuerpflicht (Deutschland) gegenübergestellt würden. Für § 2 Abs. 2 AStG gelte jedenfalls nur die unbeschränkte Steuerpflicht als Maßstab und insoweit seien die Regelungen der „remittance basis“-Besteuerung als Sonderregelungen und nicht Teil der allgemeinen Besteuerung in Großbritannien zu betrachten, da sie der Allgemeinheit der Steuerpflichtiger nicht zugänglich seien, sondern typisierend auf Zuwanderer zugeschnitten seien, die nicht dauerhaft in Großbritannien ansässig werden wollten (Schwibinger/Anziger, aaO, 229). Solche begünstigenden Sonderregelungen im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht kenne das deutsche Steuerrecht gerade nicht. Der beschränkte Steuerzugriff im Rahmen der beschränkten bzw. fiktiv unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland sei nicht als Modifikation des Welteinkommensprinzips zu sehen, sondern vielmehr dem Umstand geschuldet, dass im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht eine Besteuerung mangels persönlicher Anknüpfungspunkte generell nur auf Grundlage des Quellenprinzips erfolgen könne (Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 5.2).
36
Schließlich spreche auch die historische Entwicklung nicht gegen die Annahme einer Vorzugsbesteuerung. Im Jahr 1974 sei die „remittance basis“-Besteuerung in ihrer allgemeingültigen Form für die im Vereinigten Königreich ansässigen „residents“ abgeschafft worden. Seitdem kämen nur noch Personen in den Genuss der „remittance basis“-Besteuerung, die zwar als resident unbeschränkt steuerpflichtig seien, aber entweder kein „domicile“ in Großbritannien besäßen oder dort nicht „ordinarily resident“ seien. Mit dieser Beschränkung habe der britische Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Regelbesteuerung für Inländer nicht mehr die „remittance basis“-Besteuerung sei, sondern die Besteuerung mit dem Welteinkommen.
37
Das Finanzamt habe auch nicht gegen seine Ermittlungspflichten gemäß § 88 AO verstoßen. Es habe zur Ermittlung der Grundzüge des britischen Rechts die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen (Fach- und Kommentarliteratur, Richtlinien der britischen Finanzverwaltung IR20) genutzt. Andere Quellen wären z.T. auch nicht zugänglich, da z.B. der Status „residence“ bzw. „ordinary residence“ bis zum Jahr 2013 nicht gesetzlich geregelt gewesen sei. Das Finanzamt habe seiner Beurteilung zugrunde gelegt, dass eine Besteuerung auf der Grundlage der „remittance basis“ im Streitjahr in Großbritannien nur Steuerpflichtigen zustehe, die in Großbritannien entweder „resident“, aber „non-domiciled“ und/oder „resident“, aber nicht „ordinarily resident“ seien. Eine Aufhebung des Bescheids bereits nach § 127 AO komme nicht in Betracht.
38
Entgegen den Ausführungen der Klägerin schließe auch das Abkommensrecht eine Anwendung des § 2 AStG im vorliegenden Fall nicht aus, da die im Streit stehenden Zinseinkünfte unter Art. VII Abs. 1 DBA-GB fielen. Ein Rückgriff gemäß Art. II Abs. 3 DBA-GB auf § 49 Abs. 1 Nr. 5 c EStG erübrige sich, da sich die zutreffende Auslegung bereits abkommensautonom erreichen lasse. Zwar weiche der Wortlaut („aus Quellen innerhalb eines der Gebiete bezogenen Zinsen“) gegenüber der Formulierung im OECD-MK („Zinsen, die aus einem Vertragsstaat stammen …“) ab. Ein abweichender, eigenständiger Regelungsgehalt lasse sich aber aus dem Wortlaut nicht ableiten (Bahns in: D/W, Art. VII Rn. 4). Art. VII Abs. 1 DBA-GB enthalte eine „subject-to-tax”-Klausel. Er regle ein ausschließliches Besteuerungsrecht für den Ansässigkeitsstaat, falls die Zinsen an eine „in dem anderen Gebiet ansässige und damit dort steuerpflichtige“ Person gezahlt würden. Aus dem Wortlaut ergebe sich daher, dass die Befreiung von der Quellenbesteuerung nur dann erfolge, wenn die beziehende Person nicht nur in einem Gebiet ansässig sei, sondern dort mit den Zinsen auch steuerpflichtig sei (Bahns, aaO Rn. 21). Art. II Abs. 2 DBA-GB konkretisiere diese „subject-to-tax“-Klausel für die „remittance basis“-Besteuerung und führe im Ergebnis dazu, dass keine Befreiung von der deutschen Steuer verlangt werden könne, da die Zinseinkünfte in Großbritannien mangels Überweisung nicht besteuert würden. Der Anwendbarkeit von § 2 AStG und Art. II Abs. 2 DBA-GB stehe auch nicht entgegen, dass das DBA-GB in der im Streitfall geltenden Fassung bereits vor der Schaffung von § 2 AStG in Kraft getreten sei. Art. II DBA-GB diene dazu, „weiße“ Einkünfte zu vermeiden (Beckmann, aaO, Art. II Rn. 55). Es sei daher davon auszugehen, dass Großbritannien mit dieser Abkommensbestimmung Deutschland grundsätzlich das Recht einräumen wollte, mögliche Besteuerungslücken aufgrund der „remittance basis“-Besteuerung gegebenenfalls zu schließen, soweit eine deutsche Steuerpflicht bestehe.
39
Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts stehe der Anwendung von § 2 AStG ebenfalls nicht entgegen. Unabhängig von der Bejahung des sachlichen Anwendungsbereichs einer EUrechtlichen Grundfreiheit fehle es insoweit jedenfalls an einer Diskriminierung oder Beschränkung. Vorliegend sei keine Schlechterstellung der ins Ausland ziehenden Steuerpflichtigen festzustellen, da die im Rahmen der erweitert beschränkten Steuerpflicht anfallende steuerliche Belastung nicht über die hinausgehe, die im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht entstünde (Baßler, aaO Rn. 22). Es reiche nicht aus, dass die von der Klägerin angestrebte Senkung der Steuerbelastung nicht eintrete (Zimmermann/Könemann in: S/K/K, § 2 AStG Rn. 35.1).
40
Auch eine durch Art. 63 AEUV verbotene unterschiedliche Behandlung gegenüber einem vergleichbaren fremden Staatsangehörigen sei nicht gegeben. Zum einen stelle sich die Frage nach einer gemeinschaftsrechtlich grundsätzlich zulässigen Inländerdiskriminierung. Mangels der Harmonisierung von Gemeinschaftsrecht stehe es den Mitgliedstaaten frei, die Besteuerung ihrer eigenen Staatsangehörigen, und zwar auch der, die das Land verlassen haben, zu regeln (Schlussanträge von Generalanwalt Lèger vom 30. Juni 2005, Rs. C-513/03). Ergänzend sei nochmals darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin beklagten nachteiligen Besteuerungsfolgen durch ihre eigene Wahl, die Einkünfte in Großbritannien infolge der „remittance basis“-Besteuerung nicht zu versteuern, ausgelöst worden sei. Hätte sie eine Besteuerung der Einkünfte in Großbritannien akzeptiert, wäre § 2 AStG nicht zur Anwendung gekommen.
41
Mit Beweisbeschluss vom 20. April 2020 hat das Gericht zu Fragen des für das Streitjahr anwendbaren englischen Steuerrechts Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss sowie das Sachverständigengutachten vom 4. Juni 2020 (nachfolgend: Gutachten, FG-Akte S. 234ff) Bezug genommen. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
42
Die Klägerin beantragte die Hinzuziehung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung. Zur Vorbereitung der Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung trug sie ergänzend im Wesentlichen vor: Die „remittance basis“-Besteuerung sei ein historisch gewachsenes allgemeines Prinzip des britischen Steuerrechts. Sie trete auch in Erscheinung, wenn auf „arising basis“ besteuert werde, wie sich insbesondere in Part 8, Chapter 4 des ITTOIA 2005 betreffend die Steuererleichterungen für „unremittable income“ zeige. Der Grundsatz der „remittance“, d.h. des Verbringens ins Inland, habe somit auch außerhalb der „remittance basis“-Besteuerung Relevanz für die Steuerpflichtigen, die nach dem Welteinkommensprinzip besteuert würden und könne für diese zu vergleichbaren Rechtsfolgen führen.
43
Wegen der ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26. März 2021 Bezug genommen Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung, die eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26. März 2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

44
Die Klage ist unbegründet. Der angegriffene Einkommensteuerbescheid vom 9. Juli 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
I.
45
Die Voraussetzungen für eine Besteuerung der Klägerin nach § 2 AStG in der im Streitjahr gültigen Fassung vom 19. Dezember 2000 liegen vor. Die Klägerin war im Streitjahr erweitert beschränkt einkommensteuerpflichtig, da sie in einem ausländischen Gebiet ansässig war, in dem sie mit ihrem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung unterlag (s. unten 1.), Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielte, die bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Abs. 1 EStG waren und die weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AStG vorlagen (s. unten 2.).
46
1. Die „remittance basis“-Besteuerung nach britischem Recht ist eine Vorzugsbesteuerung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 AStG, weil die für britische Staatsangehörige mit ständigem Wohnsitz und Aufenthalt im Vereinigten Königreich („Resident“ und „Ordinary Resident“ und „domiciled“) im Streitjahr geltenden Einkommensteuervorschriften keine Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf „remittance basis“ vorsahen.
47
a) Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG liegt eine niedrige Besteuerung im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 dann vor, wenn die Belastung der Person durch die in dem ausländischen Gebiet erhobene Einkommensteuer auf Grund einer gegenüber der allgemeinen Besteuerung eingeräumten Vorzugsbesteuerung erheblich gemindert sein kann, es sei denn, die Person weist nach, dass die von ihrem Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern mindestens zwei Drittel der Einkommensteuer betragen, die sie bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG zu entrichten hätte. Die britische „remittance basis“-Besteuerung in ihrer im Streitjahr anwendbaren Ausgestaltung erfüllte das Kriterium der Vorzugsbesteuerung.
48
aa) Eine Besteuerung auf „remittance basis“ bedeutet, dass bei bestimmten Einkünften aus ausländischen Quellen von der Besteuerung zunächst abgesehen wird, sofern sie nicht in das Inland überführt werden. Erst dann, wenn dies geschieht, erfolgt die Besteuerung. Sie unterbleibt gegebenenfalls gänzlich, wenn deren Überführung in das Inland nicht erfolgt (Hahn in: Lademann, § 2 AStG Rz. 85).
49
Im Streitjahr 2006 kam in Großbritannien nach den unstreitigen Feststellungen des Sachverständigengutachtens folgende „remittance basis“-Besteuerung zur Anwendung:
50
Die Remittance Basis Taxation befand sich in Part 8 des ITTOIA 2005 und regelte eine Ausnahme zur Besteuerung des weltweiten Einkommens für bestimmte aus dem Ausland stammende Einkünfte („relevant foreign income“). Sie kam von vornherein nur für Steuerpflichtige in Betracht, die im Vereinigten Königreich ansässig (Resident) waren. Gemäß ITTOIA 2005 Sec. 831 (2), (3) und (4) war weiter erforderlich, dass der Steuerpflichtige dort entweder „non-domiciled“ war oder den Status „Ordinary Resident“ nicht inne hatte. Gemäß ITTOIA 2005 Sec. 831 (1) setzte die Anwendung der Remittance Basis Taxation außerdem einen Antrag des Steuerpflichtigen voraus.
51
Der sachliche Anwendungsbereich der Remittance Basis Taxation erstreckte sich primär auf laufende Einkünfte (income) und hier insbesondere auf die in ITTOIA 2005 Sec. 830 (2) genannten Einkunftsarten. Zu diesen zählten u.a. interests (ITTOIA 2005 Part 4 Chapter 2) und dividends from non-UK resident companies (ITTOIA 2005 Part 4 Chapter 4).
52
Die Rechtsfolge der Remittance Basis Taxation war in ITTOIA 2005 Sec. 832 (1) geregelt. Hiernach wurden alle aus dem Ausland in das Vereinigte Königreich verbrachten und erhaltenen Einkünfte voll versteuert. Dies galt nach ITTOIA 2005 Sec. 403 (2) für Dividendeneinkünfte und nach ITTOIA 2005 Sec. 370 (2) für Zinseinkünfte.
(vgl. Gutachten S. 7 f., FG-Akte S. 240 f.).
53
bb) Der Status des Steuerpflichtigen als „Resident“, „Ordinary Resident“ und „domiciled“ bestimmte sich nach den ebenfalls unstreitigen Feststellungen des Sachverständigengutachtens im Streitjahr wie folgt:
„Das englische Einkommensteuerrecht unterscheidet zwischen „Residence/Resident“, „Ordinary Residence/Ordinarily Resident“ und „Domicile/domiciled“. Während die Rechtsfolgen dieser unterschiedlichen Status gesetzlich bestimmt wurden, fehlte - jedenfalls für das Jahr 2006 - jede gesetzliche Definition dieser Begriffe. Das bis April 2005 bestehende Inland Revenue (heute: HMRC) stellte im Jahr 2000 einen Leitfaden zur Bestimmung der Begriffe auf (Booklet IR 20). In der Praxis hielt sich die Finanzbehörde an die Bestimmungen im Booklet. Die Rechtsprechung sah dagegen mangels rechtlicher Verbindlichkeit des Booklets von dessen Anwendung ab. Da auch keine gesetzliche Definition bestand, zog die Rechtsprechung stattdessen den Wortsinn der o.g. Begriffe nach allgemeinem Sprachgebrauch als Ausgangslage heran. Durch eine Gesamtschau der Umstände wurde sodann das Ergebnis bestimmt.“
(vgl. Gutachten S. 2, FG-Akte S. 235)
54
Der Status „resident“ wurde von der britischen Finanzbehörde anhand des physischen Aufenthalts einer Person im Inland bestimmt. Dauerte dieser 183 Tage oder länger, galt die Person ausnahmslos als „Resident“. Ein kürzerer Aufenthalt schloss jedoch nicht aus, dennoch den Status „Resident“ zu erhalten. Daneben galt eine Person auch dann als „Resident“, wenn sie in das Vereinigte Königreich mit der Absicht kam, dauerhaft oder für mindestens drei Jahre dort zu leben. Nach der Rechtsprechung genügte allein die Dauer der physischen Präsenz nicht, um den Status „Resident“ zu begründen. Die physische Präsenz hatte vielmehr dienende Funktion, indem sie eine anhaltende Bindung zu einem Ort bewies.
(vgl. Gutachten S. 2 f., FG-Akte S. 235 f.).
55
Der Begriff „Ordinary Resident“ beschrieb einen Status, der auf einer Skala zwischen einem einfachen „Resident“ und dem eine Beziehung zwischen Mensch und Ort beschreibenden „Domicile“ lag. Nicht jeder, der im Vereinigten Königreich „Resident“ war, war dort zugleich auch „Ordinarily Resident“. Über die reine „Residency“ ging der Begriff der „Ordinary Residence“ nämlich insofern hinaus, als er den Aufenthalt im Vereinigten Königreich im Sinne eines gewöhnlichen und regulären Ablaufs des Lebens der Person beschrieb. Auch hier war nicht allein die zeitliche Dauer des Aufenthalts im Inland entscheidend für den Status „Ordinary Resident“. Vielmehr war entscheidend, ob es sich um einen regelmäßigen bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Leben der Person handelte im Unterschied zu gelegentlichen oder außerordentlichen Aufenthalten. Dabei wurden wiederholte Aufenthalte in einem Zeitraum von mindestens drei Jahren als Indiz für das Vorliegen eines „regular order of life“ im Vereinigten Königreich gesehen. Daneben waren zwei weitere Umstände entscheidend, ob sich die Person freiwillig im Inland aufhielt und ob ein feststehender Zweck (settled purpose) für den Aufenthalt bestand. Der feststehende Zweck musste dabei nicht zeitlich unbegrenzt sein. Der Status „Ordinary Resident“ konnte ein länger anhaltender Status als der Status „Resident“ sein. Zwar setzte die Begründung einer „Ordinary Residence“ voraus, dass der Steuerpflichtige (noch) „Resident“ war; nach Wegfall der „Residence“ konnte die Person aber - jedenfalls für einen Übergangszeitraum - weiterhin „Ordinarily Resident“ bleiben, ohne noch „Resident“ zu sein.
(vgl. Gutachten S. 3 f., FG-Akte S. 236 f.).
56
Auch den Status „domiciled“ bzw. „non-domiciled“ gab es im Jahr 2006. Dieser war jedoch gesetzlich nicht definiert. Eine einfache Definition beschrieb das Domizil als dauerhaftes Zuhause oder Heimat. Zur Einordnung entscheidend waren die zugrundeliegenden Prinzipien des Begriffs „domiciled“: 1) Jede Person hat zu jedem Zeitpunkt ein „Domicile“. 2) Niemand kann mehr als ein operatives „Domicile“ haben. 3) Das „Domicile“ muss sich in einem Territorium, welches einer einzigen Rechtsordnung unterfällt, befinden. 4) Eine Änderung des „Domicile“ kann nicht angenommen werden, sondern ist zu beweisen. 5) Maßgeblich ist das Verständnis nach britischem Recht.
57
Es gab drei Arten von „Domicile“: Domicile of Origin, Domicile of Dependency und Domicile of Choice. Bei Geburt erhielt jede Person ein „Domicile of Origin“, welches sich nach dem „Domicile“ des Vaters richtete. Dieses „Domicile“ bestand das ganze Leben und konnte nicht geändert werden, jedoch konnte eine andere Art von „Domicile“ das „Domicile of Origin“ überlagern, sodass ersteres nicht mehr galt. Falls das überlagernde „Domicile“ wegfiel, lebte das „Domicile of Origin“ wieder auf. Das „Domicile of Dependence“ galt für Personen, die (noch) nicht in der Lage waren ihr „Domicile“ selbständig rechtlich zu ändern. Schließlich konnte das „Domicile of Choice“ erworben werden. Eine Person konnte freiwillig ihren Hauptwohnsitz mit der Absicht, für eine unbegrenzte Zeit dort zu verweilen, an einen neuen Ort verlegen. Mit Hauptwohnsitz war damit nicht die „Residence“ im oben genannten Sinne zu verstehen, sondern der tatsächliche physische Aufenthalt in einem Land als Einwohner. Dabei musste es sich nach einer Abwägung der Umstände um den zentralen Wohnsitz einer Person handeln. Auch hier konnte die Dauer des Aufenthalts ein Indiz für das Vorliegen eines „Domicile of Choice“ sein, reichte jedoch nicht aus, um es zu begründen. Es bedurfte vielmehr noch eines Willenselements. Die betreffende Person musste die Absicht haben, einen Ort zu ihrer ständigen Wohnstätte zu machen. Eine von einem unsicheren zukünftigen Umstand abhängige Absicht, in Zukunft zum ursprünglichen „Domicile“ zurückzukehren, genügte nicht, um der Entstehung des „Domicile of Choice“ entgegenzuwirken.
(vgl. Gutachten S. 4 f., FG-Akte S. 237 f.).
58
cc) Für den Bereich des „income“, zu welchem Einkünfte aus Kapitalvermögen rechnen, waren nur bestimmte Steuerpflichtige berechtigt, die „remittance basis“-Besteuerung in Anspruch zu nehmen.
59
Grundsätzlich musste ein Steuerpflichtiger mindestens „resident“ sein, sonst unterfiel er von vornherein nicht der britischen Steuerpflicht mit seinem Welteinkommen („Arising Basis“).
(vgl. Gutachten S. 8, FG-Akte S. 241).
60
Die Inanspruchnahme der „remittance basis“-Besteuerung kam in Betracht, wenn er
- entweder nur „Resident“, aber nicht „“Ordinary Resident“ und nicht „domiciled“ war,
- oder „Resident“ und „Ordinary Resident“, aber nicht „domiciled“ war,
- oder „Resident“ und „domiciled“, aber nicht „Ordinary Resident“ war (praktisch selten).
61
Die „remittance basis“-Besteuerung stand denjenigen britischen Steuerpflichtigen nicht offen, die über den Status „Resident“ und „Ordinary Resident“ und „domiciled“ verfügten. Weitere Besonderheiten galten bei anderen Einkunftsarten.
(vgl. Gutachten S. 9, FG-Akte S. 242).
62
dd) Wegen der weiteren Einzelheiten des britischen Steuerrechts wird auf das Gutachten vom 4. Juni 2020 Bezug genommen.
63
b) Die Besteuerung der Steuerpflichtigen mit dem Status „Resident“ und „Ordinary Resident“ und „domiciled“ ist die allgemeine Besteuerung, die in das Vergleichspaar des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG einzustellen ist. Danach war die „remittance basis“-Besteuerung eine Vorzugsbesteuerung, weil der Steuerpflichtige, der für die Anwendung optiert hat, in Großbritannien jedenfalls zunächst gar keine Steuer für die nicht transferierten Einkünfte zu entrichten hatte und deshalb gegenüber der allgemeinen Besteuerung erheblich besser gestellt wurde.
64
aa) Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG setzt die erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht nach deutschem Recht voraus, dass die Belastung der abgewanderten Person in ihrem neuen Ansässigkeitsstaat auf Grund einer gegenüber der allgemeinen Besteuerung eingeräumten Vorzugsbesteuerung erheblich gemindert sein kann. Der Begriff der Vorzugsbesteuerung ist gesetzlich nicht näher definiert, die Auslegung ist aus dem gebräuchlichen Wortsinn heraus zu entwickeln. Nach einer in der Literatur entwickelten Definition findet in einem Gebiet eine Vorzugsbesteuerung statt, wenn für einen bestimmten Personenkreis steuerliche Regeln gelten oder eine Verwaltungspraxis besteht, die sich von den allgemeinen, für jedermann in dieser Region geltenden Regeln unterscheidet und den Steuerpflichtigen günstiger stellt (Baßler in: F/W/B/Sch, § 2 AStG Rz. 223; Hahn in Lademann, § 2 AStG Rz. 92, jew. m.w.N.). Nach Baßler ist weiter entscheidend darauf abzustellen, ob es sich um eine Steuervergünstigung handelt, die wegen ihrer sachlichen Anknüpfungspunkte allgemein bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens zu beachten ist oder um eine solche, die wegen des persönlichen Anknüpfungspunktes nur dem Einwanderer bzw. ihm gleichzustellenden Personen gewährt wird. Niedrige Besteuerungen durch Tarifbegünstigungen sollen grundsätzlich dann keine Vorzugsbesteuerung darstellen, wenn die Person darauf nach sachlichen Tatbestandsmerkmalen einen Anspruch hat (Baßler, aaO Rz. 223). Die Verwaltung erläutert anhand von Beispielen, wann eine Vorzugsbesteuerung vorliegt (vgl. BMF vom 14. Mai 2004, BStBl I 2004, Sonder-Nr. 1, Tz. 2.2.2 Nr. 2).
65
Ausgehend von dieser Definition wird die britische „remittance basis“-Besteuerung unterschiedlich beurteilt. Baßler (aaO Rz. 223.1) führt aus, die „remittance basis“-Besteuerung sei dann keine Vorzugsbesteuerung, wenn sie - wie im Streitjahr in Großbritannien - auch Personen offenstehe, die zwar ein britisches „domicile“ haben, aber nicht über eine „ordinary residence“ verfügen. Letzteres sei ein sachliches Merkmal, weil es an äußeren (=sachlichen) Lebensumständen der Person und nicht an der Person selbst anknüpfe. Andere vertreten die Auffassung, die britische „remittance basis“-Besteuerung sei eine Vorzugsbesteuerung (Beckmann in: D/W, Art. 24 DBA-GB, Rz. 9 m.w.N.; Schwibinger/Anzinger, ISR 2014, 225) oder lassen die Frage offen (z.B. Hahn, jurisPR-SteuerR 22/2012, Anm. 3, E.II.3.; Lampert in: Blümich, EStG, § 2 AStG Rz. 23; Zimmermann/Könemann in: S/K/K, § 2 AStG Rz. 110). Die Finanzverwaltung erläutert zur „remittance basis“-Besteuerung, dass diese zwar dem Grunde nach zu keiner Vorzugsbesteuerung führe. Dies gelte aber nicht, wenn - wie nach britischem Recht - diese Besteuerung von besonderen, an die Ansässigkeit anknüpfenden Voraussetzungen abhängig sei, wie z.B. Auslandseinkünfte eines Ausländers, der zwar im Vereinigten Königreich ansässig sei („resident“), aber nicht über ein britisches „domicile“ verfüge (vgl. BMF vom 14. Mai 2004, BStBl I 2004, Sonder-Nr. 1, Tz. 2.2.2). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 21. November 2011 (8 K 628/08) ebenfalls die Auffassung vertreten, die britische „remittance basis“-Besteuerung stelle eine Vorzugsbesteuerung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG dar. Dieses Urteil wurde aus hier nicht streitigen Gründen aufgehoben (BFH-Urt. vom 26. Juni 2013 I R 4/12, BFH/NV 2013, 1925). Der BFH hat die Frage, ob er insoweit dem FG München folgen könnte, ausdrücklich offen gelassen.
66
bb) Der Senat hält nach nochmaliger Überprüfung für das Streitjahr 2006 daran fest, dass die britische für das „income“ geltende „remittance basis“-Besteuerung eine Vorzugsbesteuerung ist.
67
Aus der obigen Darstellung folgt, dass das britische Steuerrecht im Streitjahr eine gestufte Ansässigkeit kannte, nämlich den Status „Resident“, „Ordinary Resident“ und „domiciled“. Der Grad der Verwurzelung des Steuerpflichtigen in Großbritannien wurde dabei immer größer. Die Staatsangehörigkeit spielte hingegen keine Rolle. Weiter kann verallgemeinert werden, dass es sich bei den Steuerpflichtigen, die nur „Residents“ oder (gleichzeitig) „Ordinary Residents“ waren, typischerweise um Zuwanderer handelte, die den Status „domiciled“ noch nicht erlangt hatten. Dagegen waren diejenigen Personen, die in Großbritannien lebten und in ihrer Lebensführung keinen Auslandsbezug hatten, regelmäßig „domiciled“. Weiter kann verallgemeinert werden, dass diejenigen, die „Residents“ und „domiciled“ waren, aber nicht „Ordinary Residents“, sich wohl entweder im Stadium der Abwanderung aus dem oder im Stadium der Zuwanderung in das Vereinigte Königreich befunden haben dürften. Denn sie mussten bei bestehendem „domicile“ im Veranlagungszeitraum einerseits über eine Mindestaufenthaltsdauer im Vereinigten Königreich verfügt haben, ohne aber ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort zu haben. Dies trifft am ehesten auf Personen zu, die den gewöhnlichen Aufenthalt im Vereinigten Königreich im Laufe des Jahres aufgegeben haben oder - z.B. bei einem bestehendem „domicile of origin“ - dorthin zurückkehrten. Hinzuweisen ist darauf, dass diese Kombination in der Praxis nur selten vorkommt und auch in der Literatur wenig diskutiert wird (vgl. Gutachten S. 9, FG-Akte S. 242).
68
Nach dem Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG ist darauf abzustellen, ob die Besteuerung des Wegzüglers im ausländischen Gebiet auf Grund einer gegenüber der allgemeinen Besteuerung eingeräumten Vorzugsbesteuerung erheblich gemindert sein kann. Ersichtlich stellt der Gesetzgeber somit darauf ab, dass die Bevorzugung gerade aus dem Zuwandererstatus resultiert. Entsprechend sind als Vergleichsgruppe diejenige Steuerpflichtigen heranzuziehen, die im Aufnahmestaat der allgemeinen Steuerpflicht unterliegen und keinen Auslandsbezug haben. Steuerpflichtige nach britischem Recht verfügen regelmäßig über den Status „resident“ und „ordinary resident“ und „domiciled“. Dies ist die maßgebliche Vergleichsgruppe. Da diese britischen Steuerpflichtigen die „remittance basis“-Besteuerung nicht für sich beanspruchen konnten, handelte es sich somit um eine Vorzugsbesteuerung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG (h.M., vgl. Beckmann aaO, Art. 24 Rz. 9 m.w.N.).
69
Die von Baßler vertretene Gegenauffassung überzeugt nicht. Nach dieser Auffassung soll es entscheidend darauf ankommen, dass die „remittance basis“-Besteuerung auch Personen offen steht, die zwar ein britisches „domicile“ haben, aber im Vereinigten Königreich nicht über eine „ordinary residence“, sondern nur eine „residence“ verfügen. Letzteres sei ein sachliches Merkmal, weil es an den äußeren (=sachlichen) Lebensumständen der Person und nicht an der Person selbst anknüpfe. Damit sei die britische „remittance basis“-Besteuerung keine Vorzugsbesteuerung im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden, weil danach einer in der Praxis nur selten vorkommenden Gruppe, die im Streitjahr ebenfalls die „remittance basis“-Besteuerung in Anspruch nehmen durfte, entscheidende Bedeutung für die Qualifizierung der Vergünstigung als Vorzugsbesteuerung zukommen soll. Dies steht offensichtlich im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut, der auf die allgemeine Besteuerung in Abgrenzung zur Vorzugsbesteuerung abstellt. Es handelt sich somit um kein geeignetes Abgrenzungskriterium (im Ergebnis ebenso Schwibinger/Anzinger, ISR 2014, 225, 230).
70
cc) Die weiteren von der Klägerin erhobenen Einwände greifen nicht durch.
71
aaa) Nach Auffassung der Klägerin könne die britische „remittance basis“-Besteuerung deshalb keine Vorzugsbesteuerung darstellen, weil auch Deutschland unterschiedliche Stufen der Steuerpflicht je nach der Intensität der persönlichen Beziehungen des Steuerpflichtigen zum Inland kenne (unbeschränkte Steuerpflicht, erweitert unbeschränkte Steuerpflicht, fiktive unbeschränkte Steuerpflicht, beschränkte Steuerpflicht, erweitert beschränkte Steuerpflicht) und gleichwohl keine Vorzugsbesteuerung gewähre. Entscheidend für den Begriff der Vorzugsbesteuerung ist - was die Klägerin verkennt - das Zusammenspiel der Besteuerungsart mit der Rechtsfolgenseite. Eine Vorzugsbesteuerung liegt erst dann vor, wenn bei einem nach dem Grad der persönlichen Beziehung des Steuersubjekts zum besteuernden Staat gestuften Besteuerungszugriff einem Steuerpflichtigen oder einer Gruppe von Steuerpflichtigen steuerliche Erleichterungen in erheblichem Umfang zugestanden werden, die den der allgemeinen Besteuerung in diesem Land unterliegenden Steuerpflichtigen nicht gewährt werden. Das Bestehen einer Regelung im deutschen Steuerrecht entsprechend der „remittance basis“-Besteuerung, die im Rahmen der unbeschränkten oder beschränkten Einkommensteuerpflicht zur Nichtbesteuerung von nicht ins Inland transferierten Einkünften führt, behauptet auch die Klägerin nicht. Im Übrigen wäre ein solcher Befund - so er denn gegeben wäre - für die vorliegend zu treffende Entscheidung unbehelflich.
72
bbb) Der Bejahung der Vorzugsbesteuerung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die britische „remittance basis“-Besteuerung historisch gewachsen ist und für den unterschiedlichen Besteuerungszugriff seinerzeit vernünftige und nachvollziehbare Gründe bestanden. Es ist nicht das Anliegen des AStG, die durch den ausländischen Gesetzgeber getroffenen Be- bzw. Entlastungsentscheidungen danach zu bewerten, von welchen Erwägungen sie getragen wurden bzw. werden. Nach Auffassung des Senats kommt es auch nicht darauf an, ob es sich um eine ausländische Gesetzgebung handelt, die den Zuzug von wohlhabenden Einwanderern gezielt fördern soll. Für die Anwendung des § 2 AStG ist allein entscheidend, welche konkrete Regelung im Veranlagungszeitraum im Zuwanderungsstaat zur Anwendung kommt und ob es sich hierbei um eine Vorzugsbesteuerung im oben näher beschriebenen Sinne handelt. § 2 AStG will die Steuerflucht in Auswanderfällen, die als störend empfunden wird, regeln (vgl. Begründung zu Leitsätzen der Bundesregierung vom 17. Dezember 1970, abgedruckt bei F/W/B/Sch, Gesetzesmaterialien zu § 2 AStG und DB 1971, 16). Dies hat seinen Ansatzpunkt darin, dass der Auswanderer seine deutschen Wirtschaftsinteressen beibehält, dabei aber durch seinen Wegzug in ein steuergünstiges Gebiet eine erhebliche Minderung seiner Steuerlast erreicht. Deshalb knüpft das deutsche Steuerrecht in bestimmten Konstellationen Rechtsfolgen an die Abwanderung. Es handelt sich bei der Vorschrift um eine Lenkungsnorm, die den Zweck verfolgt, Deutsche mit wirtschaftlichen Interessen im Inland zur Rückkehr zu bewegen (vgl. Beschluss des BVerfG vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, unter C. I. 4. b) bb) der Gründe). Eine Bewertung des ausländischen Rechts ist damit nicht verbunden, die dortigen Motive für eine bestimmte Regelung sind deshalb unerheblich.
73
Nach Auffassung des Senats kommt auch der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob es sich bei der „remittance basis“ um ein allgemeines Prinzip des britischen Steuerrechts handelt, keine streitentscheidende Bedeutung zu. Der Sachverständige führte hierzu in der mündlichen Verhandlung ergänzend aus, sowohl die Besteuerung auf der Grundlage der „remittance basis“ als auch die Besteuerung nach dem Welteinkommensprinzip („arising basis“) seien in vielfältigen Ausprägungen anzutreffen, beide Formen gehörten zum allgemeinen Besteuerungssystem Großbritanniens. Diese Feststellungen blieben unbestritten. Wie bereits ausgeführt ist das Vorliegen einer Vorzugsbesteuerung jedoch nicht davon abhängig, dass ein Besteuerungsprinzip innerhalb des ausländischen Rechts an verschiedenen Stellen umgesetzt wird. Entscheidend ist nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Halbsatz AStG vielmehr, ob der in das Ausland zuwandernde Steuerpflichtige bei der konkreten Besteuerung einer geringeren Belastung ausgesetzt ist als ein Steuerpflichtiger ohne diesen Hintergrund.
74
ccc) Soweit die Klägerin vorträgt, dass das Finanzamt im Hinblick auf das britische Steuerrecht seine Ermittlungspflicht gemäß § 88 AO verletzt habe, kann dies wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit dahingestellt bleiben. Die Aufklärung des Sachverhalts, zu dem auch das für den Einzelfall bedeutsame ausländische Recht gehört, kann im Klageverfahren nachgeholt werden. Die Gerichte sind gemäß § 76 FGO grundsätzlich verpflichtet, entscheidungsrelevante tatsächliche Umstände, die im steuerlichen Verwaltungsverfahren nicht ermittelt worden sind, selbst aufzuklären. Dem ist der Senat nachgekommen, auf den gerichtlichen Beweisbeschluss vom 20. April 2020 wird Bezug genommen.
75
Die Aufhebung verfahrensfehlerhafter Verwaltungsakte kann allgemein nur verlangt werden, wenn eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (§ 127 AO), so dass (auch) eine Verletzung des § 88 AO lediglich im Zusammenhang mit einem materiellen Rechtsverstoß beachtlich ist (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO,- H/H/Sp -, § 88 AO Rz. 375). Daraus ergibt sich für gebundene Verwaltungsakte, dass sie nicht allein deshalb aufgehoben werden dürfen, weil die Finanzbehörde den Sachverhalt unvollständig ermittelt hat. Nur sachlich unrichtige Verwaltungsakte unterliegen der gerichtlichen Kassation. Stützt der gerichtlich ermittelte Sachverhalt den angefochtenen Verwaltungsakt, so bleibt dieser bestehen (Söhn, aaO Rz. 376).
76
ddd) Das erkennende Gericht kann sich der Auffassung der Klägerin, wonach § 2 AStG verfassungswidrig sei, weil die Tatbestandsvoraussetzungen „Vorzugsbesteuerung“ und „erhebliche Minderung“ in Abs. 2 Nr. 2 nicht hinreichend bestimmt seien, nicht anschließen. Da der Senat selbst nicht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt ist, kommt eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. § 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht in Betracht.
77
Wie bereits gezeigt wurde, ist der Begriff der Vorzugsbesteuerung durch Auslegung anhand des Wortlauts sowie des Sinnzusammenhangs und Zwecks der gesetzlichen Norm bestimmbar. Dies gilt in gleicher Weise für den Begriff der Erheblichkeit in § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Rechtsnorm nimmt ihr nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit. Die Ausfüllung unbestimmter Gesetzesbegriffe aufgrund richtungsweisender und sich aus dem Gesetz ergebender Gesichtspunkte ist eine herkömmliche und anerkannte Aufgabe der Gerichte (vgl. Wernsmann in: H/H/Sp, § 4 AO Rz. 684 mit zahlreichen Nachweisen). Eine mangelnde Klarheit und Bestimmtheit einer Norm nimmt das BVerfG erst an, wenn „eine Entscheidung für eine der dargelegten Auslegungsmöglichkeiten den Rahmen der Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären und Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen Mitteln juristischer Methode zu bewältigen, sprengen würde.“ (Wernsmann, aaO m.w.N.).
78
Der erkennende Senat teilt auch nicht die Auffassung der Klägerin, wonach § 2 AStG dem BVerfG erneut zur Prüfung vorzulegen sei, um die Vorschrift insbesondere am Leistungsfähigkeitsprinzip und am Folgerichtigkeitsgebot zu überprüfen. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 14. Mai 1986 (BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628) den gesamten Regelungsgehalt des § 2 AStG anhand der Bestimmungen des GG überprüft und festgestellt, Grundrechte der Betroffenen werden auch nicht in Verbindung mit allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen verletzt (vgl. näher unter C. I. 4. der Entscheidungsgründe). Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsauffassung. Die vom BVerfG angestellten Erwägungen haben auch in der Lebensrealität des Streitjahres 2006 weiterhin Gültigkeit.
79
Anderes folgt auch nicht aus der zitierten Rechtsprechung des BVerfG zur gleichheitswidrigen Begünstigung von Dritten, die eine steuerliche Gestaltung wählen, mit der das belastende Steuergesetz umgangen werden kann (BVerfG-Urt. vom 17. Dezember 2014 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50 zur cash-GmbH im Erbschaftssteuerrecht). Die Klägerin führt insoweit aus, dass eine Besteuerung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG dann nicht in Betracht käme, wenn sie das Kapitalvermögen nicht in Deutschland angelegt, sondern es statt dessen ins Ausland transferiert hätte. Dies mag zutreffen, führt jedoch nicht per se zur Verfassungswidrigkeit der im Streitfall anzuwendenden Vorschrift. Die Klägerin kann sich zur Begründung der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Einkommensteuerbescheids nicht auf eine ihr nicht gewährte Begünstigung berufen. Das BVerfG führt hierzu in dem in Bezug genommenen Urteil aus, im Steuerrecht werde eine Regelung, auf die es für die Entscheidung des Ausgangsverfahren an sich nicht ankommt, nicht allein dadurch entscheidungserheblich, dass sie Steuerpflichtigen eine Vergünstigung einräumt, die dem Kläger des Ausgangsverfahrens nicht zusteht. Anderes gelte dann, wenn die Dritten gewährten Steuervergünstigungen für eine gleichheitsgerechte Belastung durch die betreffende Steuer insgesamt übergreifende Bedeutung habe. Dies sei der Fall, wenn die nur einer Gruppe gewährten Vergünstigungen nach Zahl oder Umfang ein solches Ausmaß erreichen oder nach ihrer strukturellen Bedeutung für die Steuer solches Gewicht hätten, dass im Falle der Verfassungswidrigkeit der Privilegierungsnorm die lastengleiche Besteuerung auch derjenigen in Frage gestellt sei, die von dieser Privilegierungsnorm an sich nicht erfasst würden.
80
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der behaupteten verfassungswidrigen Ungleichbehandlung durch § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG ist vorliegend nicht erfolgt, derartige Verhältnisse sind für den Senat im Streitfall auch nicht ersichtlich.
81
c) Vorliegend optierte die Klägerin für die Anwendung der „remittance basis“-Besteuerung im Vereinigten Königreich. Da sie ihre Kapitaleinkünfte nicht nach Großbritannien transferierte, waren diese Einkünfte nicht in die britische Bemessungsgrundlage einzubeziehen und wurden von der Steuer freigestellt. Dies stellt jedenfalls eine erhebliche Minderung gegenüber der allgemeinen Besteuerung dar, so dass im Streitfall nicht weiter zu ermitteln ist, bei welchem Prozentsatz die Erheblichkeitsschwelle des § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Halbsatz AStG überschritten ist. Den Entlastungsbeweis nach § 2 Abs. 2 Nr. 2, 2. Halbsatz AStG hat die Klägerin nicht angetreten.
82
Sollte die Klägerin ihre Kapitaleinkünfte in einem späteren Veranlagungszeitraum nach Großbritannien transferieren und dort auch zur Steuer herangezogen werden (zu den für das Streitjahr bestehenden Möglichkeiten, diese Rechtsfolge durch eine entsprechende Gestaltung zu vermeiden, s. Gutachten S. 10 f., FG-Akte S. 243 f.), käme insoweit grundsätzlich eine Änderung des angegriffenen Einkommensteuerbescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Betracht. Nach dem Vorbringen der Klägerin ist ein Transfer der streitigen Kapitaleinkünfte bislang nicht erfolgt, über einen hypothetischen Ablauf hat der Senat nicht zu entscheiden.
83
2. Die Klägerin war unstreitig in den letzten zehn Jahren vor ihrem Wegzug nach Großbritannien als deutsche Staatsangehörige unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 2 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AStG). Sie erzielte im Streitjahr 2006 Einkünfte aus Kapitalvermögen, die bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Abs. 1 EStG waren (§ 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AStG).
84
Gemäß § 34d Nr. 6 EStG sind Kapitaleinkünfte ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Abs. 1 EStG, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat oder das Kapitalvermögen durch ausländischen Grundbesitz gesichert ist. Vorliegend erklärte die Klägerin selbst die hier streitigen Einkünfte als Einkünfte aus Kapitalvermögen, deren Schuldner seinen Wohnsitz, seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz im Inland hat, in Höhe von 30.979 €. Aus den beigefügten Bescheinigungen der Banken ergibt sich nichts anderes (vgl. Einkommensteuerakte S. 34ff).
85
Die Klägerin hatte im Streitjahr weiterhin wesentliche wirtschaftliche Interessen im Geltungsbereich des AStG, da sie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von in Deutschland belegenem unbeweglichen Vermögen in Höhe von … € und damit von mehr als 62.000 € erzielte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 AStG i.V.m. §§ 34c Abs. 1, 34d Nr. 7 EStG). Die Freigrenze des § 2 Abs. 1 Satz 3 AStG von 16.500 € war überschritten.
II.
86
Das Besteuerungsrecht Deutschlands nach § 2 AStG wird nicht durch das DBA-GB ausgeschlossen. Deutschland ist nach Abkommensrecht berechtigt, für die hier streitigen Zinsund Dividendeneinkünfte Einkommensteuer nach § 2 AStG zu erheben. Für diese Kapitaleinkünfte besteht zwar ein Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats gemäß Art. VI und VII des DBA-GB (s. unten 1.). Das Besteuerungsrecht ist jedoch gemäß Art. II Abs. 2 DBA-GB auf Deutschland zurückgefallen (s. unten 2.) Die Höhe der festgesetzten Einkommensteuer ist nicht zu beanstanden (s. unten 3.).
87
1. Die Zuweisung des Besteuerungsrechts nach DBA ergibt sich vorliegend für die Zinseinkünfte zunächst aus Art. VII DBA-GB und für die Dividenden zunächst aus Art. VI DBA-GB. Als natürliche Person ist die Klägerin abkommensberechtigt gemäß Art. II Abs. 1 Buchst. f DBA-GB.
88
a) Gemäß Art. VII Abs. 1 DBA-GB werden Zinsen oder Lizenzgebühren, die aus Quellen innerhalb eines der Gebiete von einer in dem anderen Gebiet ansässigen und damit dort steuerpflichtigen Person bezogen werden, nur in diesem anderen Gebiet besteuert. Das Abkommen weist somit das Besteuerungsrecht für Zinsen dem Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen zu.
89
Zwar trägt die Klägerin vor, dass Art. VII DBA-GB für die hier streitgegenständlichen Zinsen nicht zur Anwendung komme, weil es sich nicht um Zinsen, die aus Quellen innerhalb Deutschlands stammen, handle. Nach Art. II Abs. 3 DBA-GB sei zur Definition dieses Begriffs auf innerstaatliches Recht und hier wiederum auf § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG zurückzugreifen, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen. Dieser Auffassung kann für den Fall der erweitert beschränkten Steuerpflicht nicht gefolgt werden. Zwar definiert § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG, wann bei beschränkter Einkommensteuerpflicht inländische Einkünfte aus Kapitalvermögen vorliegen. § 2 AStG steht jedoch gegenüber § 49 EStG im Verhältnis der Spezialität. Die „einfache“ beschränkte Steuerpflicht einerseits und die erweitert beschränkte Steuerpflicht andererseits sind nach tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen voneinander zu unterscheiden und stellen dementsprechend isoliert zu betrachtende Einkünftegruppen dar (BFH-Urt. vom 19. Dezember 2007 I R 19/06, BStBl II 2010, 398). Für die erweitert beschränkte Steuerpflicht enthält § 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AStG unter Verweis auf § 34c Abs. 1 EStG selbst eine Definition der inländischen Einkünfte. Inländische Kapitaleinkünfte sind demnach solche, die bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Abs. 1 EStG sind. Gemäß § 34d Nr. 6 EStG sind ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Abs. 1 EStG Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG), wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat oder das Kapitalvermögen durch ausländischen Grundbesitz gesichert ist. Bei erweitert beschränkter Steuerpflicht sind somit inländische Kapitaleinkünfte dann gegeben, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat.
90
Für die Anwendung von Art. VII DBA-GB kann dahingestellt bleiben, ob gemäß Art. II Abs. 3 DBA-GB eine Auslegung nach innerstaatlichem Recht des Anwenderstaates oder eine abkommensautonome Auslegung aus dem Zusammenhang des DBA vorzunehmen ist, da vorliegend beide Methoden zu demselben Ergebnis führen (so auch, ohne dies näher zu begründen, BFH-Urteil vom 9. Dezember 2010 I R 49/09, BStBl II 2011, 482 unter B I. 2. a) der Entscheidungsgründe). Die Klägerin hat unstreitig von Schuldnern mit Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland Zinsen in Höhe von 20.535 € erhalten. Es handelte sich hierbei um Kapitalanlagen bei deutschen Banken (vgl. Einkommensteuerakte S. 26, 46, 101). Der Begriff Zinsen umfasst dabei Zinsen aus Schuldverschreibungen, Wertpapieren, Wechseln, Obligationen oder irgendeiner anderen Schuldverpflichtung (Art. VII Abs. 2 Buchst. a DBA-GB). Bei abkommensautonomer Auslegung wäre für die Frage, ob die Zinsen aus deutschen Quellen stammen, unter Heranziehung von Art. 11 Abs. 5 Satz 1 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-MA) darauf abzustellen, dass es insoweit grundsätzlich auf die Ansässigkeit des Zinsschuldners ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 28. April 2010 I R 81/09, BStBl II 2014, 754).
91
Aus Art. VII Abs. 1 DBA-GB folgt im Streitfall die abkommensrechtliche Zuweisung des ausschließlichen Besteuerungsrechts an Großbritannien.
92
b) Gemäß Art. VI Abs. 1 DBA-GB können Dividenden, die eine in einem der Gebiete ansässige Gesellschaft an eine in dem anderen Gebiet ansässige Person zahlt, auch in dem erstgenannten Gebiet besteuert werden. Die Steuer in dem erstgenannten Gebiet darf jedoch 15 von Hundert des Bruttobetrags der Dividenden nicht übersteigen, wenn die Dividenden in dem anderen Gebiet steuerpflichtig sind (die 2. Alternative kommt hier offensichtlich nicht in Betracht).
93
Aus dieser Verteilungsnorm folgt, dass dem Ansässigkeitsstaat Großbritannien das Besteuerungsrecht für Dividenden zusteht. Deutschland hat für die von deutschen Gesellschaften geleisteten Dividenden in Höhe von 10.444 € (vgl. Einkommensteuerakte S. 26, 102) nur ein Quellenbesteuerungsrecht in Höhe von 15 von Hundert.
94
2. Das Besteuerungsrecht für Zinsen und Dividenden fällt jedoch gemäß Art. II Abs. 2 DBA-GB auf Deutschland zurück, wenn das Vereinigte Königreich das ihm zugewiesene Besteuerungsrecht aufgrund seiner „remittance basis“-Regelung wegen des fehlenden Transfers der Kapitaleinkünfte nach Großbritannien nicht in Anspruch nimmt. Dieser Sachverhalt ist vorliegend gegeben.
95
Art. II Abs. 2 DBA-GB lautet: „Ist nach diesem Abkommen für Einkünfte aus Quellen innerhalb eines der Gebiete dort eine Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung zu gewähren, falls die Einkünfte in dem anderen Gebiet steuerpflichtig sind, und sind diese Einkünfte nach dem geltenden Recht des anderes Gebietes dort nur insoweit steuerpflichtig, als die entsprechenden Beträge in das andere Gebiet überwiesen oder dort entgegen genommen werden, so gilt die nach diesem Abkommen im erstgenannten Gebiet zu gewährende Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung nur für die in das andere Gebiet überwiesenen oder dort entgegen genommenen Beträge.“ Art. II Abs. 2 DBA-GB ist keine eigenständige Subject-to-tax-Klausel, die auf sämtliche Einkünfte anzuwenden ist. Er regelt lediglich die Anwendung von im Abkommen enthaltenen Subject-to-tax-Klauseln näher. Dies ergibt der Wortlaut seiner ersten Voraussetzung (FG Nürnberg, Urteil vom 14. Dezember 2010 1 K 1134/2008, EFG 2011, 1250). Diese verlangt, dass nach dem DBA für Einkünfte aus Quellen innerhalb eines der Gebiete dort eine Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung zu gewähren ist, falls die Einkünfte in dem anderen Gebiet steuerpflichtig sind. Der mit „falls“ beginnende Konditionalsatz bezieht sich auf die zu gewährende Steuerermäßigung oder Steuerbefreiung (bei einer bestimmten Einkunftsart). Voraussetzung dieser Bestimmung ist also zunächst, dass nach dem Abkommen eine Steuerbefreiung/ -ermäßigung für Einkünfte für den Fall zu gewähren ist, dass diese Einkünfte in dem anderen Gebiet steuerpflichtig sind. Die Verteilungsnorm muss also für die einzelne Einkunftsart selbst regeln, dass eine Steuerermäßigung/-befreiung in dem einen Land (hier: Deutschland) davon abhängt, dass die Einkünfte im anderen Land (hier: Großbritannien) steuerpflichtig sind (subject-to-tax-Klausel; vgl. zur Literatur Beckmann in: D/W, Art. II Rz. 55; Portner, Besteuerung von Abfindungen nach dem DBA-Großbritannien - Anwendungsbereich der „Remittance-Base-Klausel“, IStR 2010, 837; Lemaitre/Brandtner, BB 2005, 18 ff., 24; Vogel in: Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, vor Art. 6 bis 22 Rz. 32). Nur die Verteilungsnormen des DBA-GB für Dividenden (Art. VI Abs. 1 Satz 2, 2. HS), Zinsen und Lizenzgebühren (Art. VII Abs. 1), Ruhebezüge (Art. X Abs. 1), die unter die Auffangklausel fallenden Einkünfte (Art. XV) und Gewinne aus der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen (Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1, 2. HS i.V.m. Art. VIII Abs. 1) setzen für die Gewährung von Abkommensvergünstigungen in Deutschland voraus, dass diese Einkünfte in Großbritannien tatsächlich steuerpflichtig sind (FG Nürnberg, aaO; s.a. Beckmann, aaO Art. 24 Rz. 11; Lemaitre/Brandtner, aaO, S. 24; Portner, aaO, S. 838).
96
Im Streitfall hat das Finanzamt die abkommensrechtliche Freistellung der Zins- und Dividendeneinkünfte zu Recht nach Art. II Abs. 2 DBA-GB versagt, weil die entsprechenden Einkünfte gerade wegen der Nichtüberweisung im anderen Vertragsstaat, also Großbritannien, nicht versteuert werden (s. auch bereits Senatsurteil vom 21. November 2011 8 K 628/08, aaO). Beide Verteilungsnormen enthalten eine subject-to-tax-Klausel mit der Folge, dass Art. II Abs. 2 DBA-GB zur Anwendung kommt. Ziel des Art. II Abs. 2 DBA-GB ist es gerade, die Doppelnichtbesteuerung zu vermeiden.
97
3. Gegen die Höhe der berechneten Einkommensteuer und die Einbeziehung der im Ausland erzielten Einkünfte für die Berechnung des Steuersatzes macht die Klägerin keine Einwände geltend, solche sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Art. XVIII DBA-GB kommt nicht zur Anwendung, da die Klägerin für die hier streitigen Kapitaleinkünfte im Vereinigten Königreich keine Einkommensteuer entrichtet hat.
III.
98
Die Anwendung des § 2 AStG führt im vorliegenden Streitfall nicht zu einem Verstoß gegen vorrangiges Europarecht. Die Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - AEUV - (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47) ist nicht erforderlich.
99
a) Die Kapitalverkehrsfreiheit wird durch Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte - EG - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1), jetzt Art. 63 AEUV gewährleistet. Danach sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten verboten.
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Zu den Maßnahmen, die durch Art. 56 EG als Beschränkung des Kapitalverkehrs verboten sind, gehören auch solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat abzuhalten. Für die Beurteilung, ob ein grenzüberschreitender Sachverhalt aufgrund einer Regelung des nationalen Steuerrechts weniger attraktiv ist, wird grundsätzlich auf den vergleichbaren Inlandssachverhalt abgestellt (Baßler in: F/W/B/Sch, § 2 AStG Rz. 21f; Musil in: H/H/Sp, § 2 AO Rz. 276). Das Vergleichspaar bilden insoweit der ins Ausland verziehende Steuerpflichtige und der im Inland umziehende Steuerpflichtige. Diese Gegenüberstellung nimmt auch der EuGH in seinem Urteil van Hilten - van der Heijden (Urt. vom 23. Februar 2006 C-513/03, Slg. 2006, I-1957) vor, in welchem es um eine Regelung des niederländischen Erbschaftssteuerrechts geht, die in ihrer Wirkungsweise § 2 AStG entspricht. Danach folgt aus der Regelung des § 2 AStG keine Schlechterstellung der Klägerin, da die im Rahmen der erweitert beschränkten Steuerpflicht anfallende steuerliche Belastung nicht über die hinausgeht, die im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht entstünde. Das Gesetz stellt in § 2 Abs. 6 AStG auch sicher, dass die resultierende Steuerlast nicht über diejenige hinausgeht, die bei unbeschränkter Steuerpflicht bestünde (vgl. Baßler, aaO Rz. 22). Eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit ergäbe sich erst dann, wenn sich durch den Wegzug die gesamte Steuerbelastung erhöht. Es reicht dagegen nicht aus, dass die von der Klägerin angestrebte Senkung der Steuerbelastung nicht eintritt (vgl. auch Zimmermann/Könemann in: S/K/K, § 2 AStG Rn. 35.1).
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Eine unzulässige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit liegt auch nicht darin, dass § 2 AStG an die Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen anknüpft und diesem hieraus nachteilige Folgen erwachsen. Das aus den Grundfreiheiten entwickelte Diskriminierungsverbot schützt EU-Ausländer vor steuerlicher Benachteiligung (vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 4.16; Musil, aaO Rz. 270). Darum geht es im Streitfall nicht, weil die Klägerin deutsche Staatsangehörige ist. Zudem ist mit dem EuGH im Urteil in der Rechtssache van Hilten - van der Heijden davon auszugehen, dass die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit zum Zwecke der Aufteilung der Steuerhoheit nicht als eine durch Artikel 73b EG verbotene unterschiedliche Behandlung anzusehen ist. Die Ungleichbehandlung von Gebietsansässigen mit der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedsstaates und solchen mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedsstaates, die sich aus einer solchen Regelung wie der hier fraglichen ergibt, folgt in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen aus der Befugnis der Mitgliedstaaten, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen. Die Staatsangehörigkeit ist dabei ein zulässiger steuerlicher Anknüpfungspunkt für die Besteuerungsgewalt.
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Der im Schrifttum vertretenen Auffassung, wonach § 2 AStG deshalb mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei, weil sich für den deutschen Staatsangehörigen, der in ein Niedrigsteuerland verzieht, aus einer Kapitalanlage in Deutschland nachteiligere Folgen ergeben als für denjenigen, dessen Zuzugsstaat „normal“ besteuert (Baßler, aaO Rz. 24ff; Zimmermann/Könemann, aaO, Rz. 35.3ff; noch weiter differenzierend Hahn in: Lademann, § 2 AStG Anm. 12) kann nicht gefolgt werden. Dieses Vergleichspaar hat der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache van Hilten - van der Heijden bereits abgelehnt. Vielmehr ist die Situation des von § 2 AStG erfasste Wegzüglers mit derjenigen eines Steuerpflichtigen, der im Inland bleibt, zu vergleichen. Zwar trifft es zu, dass die Klägerin durch die in § 2 AStG getroffene Regelung von einer Kapitalanlage in Deutschland abgehalten werden könnte, weil das für sie nachteilige wirtschaftliche Folgen in der Form von Heranziehung zur erweitert beschränkten Einkommensteuer hat. Diese Beschränkung ist vorliegend jedoch gerechtfertigt. Die Heranziehung zur Einkommensteuer in Deutschland für die hier streitigen Kapitaleinkünfte erfolgt nur deshalb, weil die Klägerin in Großbritannien die „remittance basis“-Besteuerung gewählt hat. Es ist nicht Aufgabe der Grundfreiheiten, für Marktvorgänge eine Keinmalbesteuerung durchzusetzen (zum Rechtfertigungsgrund der Verhinderung einer steuermindernden Doppelentlastung vgl. EuGH-Urt. vom 13. Dezember 2005 C-446/03 Marks & Spencer, Slg. 2005 I-10837 sowie vom 15. Mai 2008 C-414/06 Lidl Belgium, Slg. 2008, I-3601).
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b) Ein Verstoß gegen andere Grundfreiheiten als die Kapitalverkehrsfreiheit (Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 Abs. 1 EG - jetzt Art. 49 AEUV - und Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 EG - jetzt Art. 45 AEUV -) ist nach den obigen Ausführungen ebenfalls ausgeschlossen.
IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zugelassen.