Inhalt

LSG München, Urteil v. 23.03.2021 – L 10 AL 71/20
Titel:

Arbeitsförderung: Einstellung der Arbeitsvermittlung

Normenketten:
SGB III § 38 Abs. 4 S. 2, § 44
SGB X § 37 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Aus einem Vermerk der Sachbearbeiterin, dass ein Bescheid "abgesandt" worden ist, kann nicht auf die Aufgabe zur Post im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X geschlossen werden. (Rn. 20)
2. Die Einstellung der Arbeitsvermittlung nach § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III seitens der Agentur für Arbeit erfordert aufgrund der Eingriffsqualität der Entscheidung ein Handeln der Verwaltung durch Verwaltungsakt. (Rn. 32)
3. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erforderlichkeit einer konkreten, richtigen und vollständigen Rechtsfolgenbelehrung bei drohender Sperrzeit ist auch auf die drohende Einstellung der Arbeitsvermittlung nach § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III zu übertragen. (Rn. 35)
Schlagworte:
Arbeitslosengeld, Bewerbungskosten, Vermittlungsbudget, Bekanntgabe, Verwaltungsakt, Ab-Vermerk, Vermittlungseinstellung, Rechtsfolgenbelehrung, Ermessen
Vorinstanz:
SG Nürnberg, Gerichtsbescheid vom 06.05.2020 – S 19 AL 61/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 7642

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.05.2020 und der Bescheid der Beklagten vom 01.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Anträge des Klägers vom 01.04.2019 und 16.06.2019 auf Kostenerstattung hinsichtlich der Bewerbungsgespräche am 21.05.2019, 22.05.2019, 23.05.2019, 24.05.2019, 27.05.2019, 28.05.2019, 11.06.2019 und 17.06.2019 zu entscheiden.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Übernahme von weiteren Bewerbungskosten aus dem Vermittlungsbudget.
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Dem 1960 geborenen Kläger wurde von der Beklagten zuletzt Arbeitslosengeld (Alg) für 180 Tage im Zeitraum vom 21.11.2017 bis 11.02.2018 (Sperrzeit vom 21.11.2017 bis 27.11.2017, Bescheide vom 22.12.2017, 08.01.2018 und 22.03.2018) sowie vom 30.06.2018 bis 07.10.2018 (Sperrzeit vom 30.06.2018 bis 06.07.2018, Bescheide vom 19.07.2018 und 14.08.2018) bewilligt. In diesem Zusammenhang hatte der Kläger mehrfach, etwa mit Schreiben vom 12.07.2018, mitgeteilt, er würde gerne als Lehrkraft in medizinischen Fachschulen jedweder Art, als Rettungsassistent und / oder Krankenpflegehelfer in Notaufnahmen, in der Ambulanz oder im Aufwachraum in Krankenhäusern der Region und in Dialysezentren zur ambulanten Dialyseversorgung vermittelt werden. Sein Leistungsbezug endete am 07.10.2018 wegen Erschöpfung des Anspruchs. Vom 12.02.2018 bis 28.02.2018 erhielt er im unmittelbaren Anschluss an den Bezug von Alg Krankengeld. In der Zeit vom 01.03.2018 bis 23.04.2018 (54 Tage) ging er einer Beschäftigung im Umfang von 18 Stunden pro Woche beim Pflegedienst A. K-Stadt, vom 08.03.2018 bis 29.06.2018 (114 Tage) einer befristeten Beschäftigung als Fachpraxislehrer im Umfang von 20 Stunden pro Woche beim Staatlichen Schulamt N. und vom 29.10.2018 bis 31.03.2019 (154 Tage) einer befristeten Beschäftigung beim Regionalen Beruflichen Bildungszentrum der Landeshauptstadt S. nach. Am 01.03.2019 meldete sich der Kläger zum 01.04.2019 arbeitsuchend und beantragte formlos ab 01.04.2019 Alg; bei einer persönlichen Vorsprache am 01.04.2019 meldete er sich arbeitslos.
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Die Beklagte lud den Kläger am 01.04.2019 und 17.04.2019 zu Meldeterminen am 17.04.2019 und 08.05.2019 ein, die der Kläger mit E-Mails vom 15.04.2019 und 03.05.2019 jeweils wegen Vorstellungsgesprächen absagte.
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Unter dem 30.04.2019 findet sich ein Verbis-Vermerk der Arbeitsvermittlerin, wonach an diesem Tag mit dem Kläger persönlich über die Erstattung von Reise- und Bewerbungskosten aus dem Vermittlungsbudget gesprochen worden sei. Die Zuständigkeit der Beklagten liege vor. Reisekosten würden bei Vorstellungsgesprächen im Tagespendelbereich (ca. 200 km) erstattet; keine Erstattung finde statt bei Vorstellungsgesprächen bis zum einem Betrag von 8,00 € bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder bei einfacher Fahrtstrecke von unter 20 km; der Höchstbetrag pro Fahrt betrage maximal 130,00 €. Weitere Leistungen aus dem Vermittlungsbudget erfolgten auf Antragstellung und nach individueller Prüfung.
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Mit Schreiben vom 03.05.2019 forderte die Beklagte den Kläger zur Meldung bei seiner Arbeitsvermittlerin am 16.05.2019 auf, wozu er einen Nachweis über seine Bewerbungsaktivitäten (zum Beispiel Kopien seiner Bewerbungsanschreiben) mitbringen sollte. In einer angefügten Rechtsfolgenbelehrung wurde der Kläger informiert, dass es für seine passgenaue Vermittlung notwendig sei, mit ihm gemeinsam ein individuelles Bewerberprofil zu erstellen. In einem persönlichen Gespräch solle daher seine Situation bezüglich einer beruflichen Eingliederung festgestellt und besprochen werden; hierfür seien unter anderem Auskünfte zu beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen, persönliche Vorstellungen hinsichtlich des weiteren Werdegangs sowie Auswirkungen von eventuellen gesundheitlichen / örtlichen / zeitlichen Einschränkungen erforderlich. Sollte der Kläger den vorgeschlagenen Termin ohne Mitteilung eines wichtigen Grundes nicht wahrnehmen, könne er die Dienstleistungen der Beklagten nicht weiter in Anspruch nehmen, da insoweit die für eine passgenaue Vermittlung erforderlichen Auskünfte nicht vorlägen. Die Beklagte „müsse“ ihn in diesem Fall zum Tag des versäumten Termins aus der Arbeitsvermittlung abmelden.
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Zum Meldetermin am 16.05.2019 äußerte sich der Kläger mit einem am 20.05.2019 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 16.05.2019 dahingehend, er sei sehr eingebunden in den Bewerbungsprozess und habe an teilweise kurzfristig anberaumten Bewerbungsgesprächen teilgenommen; auf die übersandten Vermittlungsvorschläge habe er sich ebenfalls beworben.
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Bereits am 16.05.2019 verfügte die Beklagte intern die Abmeldung des Klägers aus der Arbeitsvermittlung für den 16.05.2019, weil er zum Termin bei der Arbeitsvermittlung nicht erschienen und die Klärung der Arbeitslosmeldung als Nichtleistungsempfänger noch nicht erfolgt sei. Auf eine Anforderung des Klägers per E-Mail vom 29.06.2019, ihm Fahrtkostenerstattungsanträge zukommen zu lassen, antwortete die Beklagte mit E-Mail vom 03.07.2019, eine Antragstellung hinsichtlich Leistungen der Vermittlung und Beratung sei nur möglich, wenn eine Arbeitsuchendmeldung vorliege. Dies sei nicht der Fall, weil der Kläger den Beratungstermin am 16.05.2019 ohne Angabe von Gründe nicht wahrgenommen habe.
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Hiergegen legte der Kläger am 11.07.2019 per E-Mail Widerspruch ein; er habe sich bereits im März 2019 arbeitsuchend gemeldet. Sein Antrag auf Alg sei „aufgrund weniger versicherungspflichtiger Arbeitstätigkeit“ negativ verbeschieden worden. Gleichzeitig habe er wiederholt und nachweislich um Vermittlung von Arbeitsangeboten betreffend näher aufgeführter Tätigkeiten nachgesucht. Erst nach wiederholten Nachfragen habe er mit über sechswöchiger Verzögerung einige wenige Angebote erhalten, die teilweise nicht seinen Qualifikationen entsprochen hätten; dennoch habe er sich auf alle Vermittlungsvorschläge beworben. Die Besprechungstermine habe er jedes Mal schriftlich und rechtzeitig aufgrund bereits vereinbarter Vorstellungsgespräche abgesagt. Hierzu teilte die Beklagte dem Kläger am selben Tage per E-Mail mit, es müsse eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung erfolgen, damit eine Zusendung der Fahrkostenanträge erfolgen könne. Eine Terminabsage für den 16.05.2019 sei nicht bei der Arbeitsvermittlung eingegangen.
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Auf den Antrag des Klägers auf Erstattung der Kosten für Bewerbungsgespräche vom 01.04.2019 und 16.06.2019 - im Einzelnen: 30.04.2019: M. Clinic N-Stadt, 03.05.2019: C. B-Stadt, 07.05.2019: K. Klinikum W-Stadt, 09.05.2019: Intensivpflegeklinik S-Stadt, 14.05.2019: C. B-Stadt; 21.05.2019: Fachklinik H-Stadt, 22.05.2019, 23.05.2019, 24.05.2019: Altenpflegeakademie B. (Vorstellungsgespräch und Probeunterricht), 27.05.2019: E. & M. H-Stadt, 28.05.2019: B. M-Stadt, 11.06.2019: H. Kliniken P-Stadt, 17.06.2019: B. N-Stadt - bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 01.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 einen Förderbetrag in Höhe von insgesamt 98,80 € für die Termine am 30.04.2019, 03.05.2019, 07.05.2019 und 14.05.2019 und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Sechs Bewerbungsgespräche seien erst erfolgt, nachdem der Kläger wegen eines Meldeversäumnisses nicht mehr zum förderungsfähigen Personenkreis gehört habe. Für eine Vorstellungsfahrt (09.05.2019) habe die einfache Wegstrecke unter 20 km gelegen.
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Gegen die Ablehnung der Bewerbungskosten für die Gespräche vom 14.05.2019, 21.05.2019, 22.-24.05.2019, 27.05.2019, 28.05.2019, 11.06.2019 und 17.06.2019 legte der Kläger mit Schreiben vom 23.08.2019 Widerspruch ein und berief sich zur Begründung auf einen bereits gegen die eigenmächtige Abmeldung seiner Arbeitslosmeldung seitens der Beklagten eingelegten Widerspruch. Seine Arbeitslosmeldung habe bis zum 01.08.2019 Bestand gehabt. Er habe regelmäßig und nachweislich seine Bewerbungsbemühungen mitgeteilt und sich auf die Vermittlungsvorschläge beworben, obwohl ihm Stellen angeboten worden seien, die seinem Ausbildungsprofil nicht entsprochen hätten.
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Den Widerspruch gegen die Abmeldung vom „12.07.2019“ wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2019 als unbegründet zurück, den Widerspruch vom 23.08.2019 gegen die Ablehnung der Bewerbungskosten mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2019. Die Einstellung der Arbeitsvermittlung beruhe auf § 38 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Die für die Vermittlung erforderlichen Auskünfte hätten nicht aufgenommen werden können, weil der Kläger ohne wichtigen Grund nicht zum Meldetermin am 16.05.2019 erschienen sei. Der Einwand, der Kläger sei wegen seiner Bewerbungsbemühungen zeitlich nicht in der Lage gewesen, zum Termin zu erscheinen, habe nicht bestätigt werden können. Auch liege kein Nachweis über ein Bewerbungsgespräch am 16.05.2019 vor. Der Kläger sei über die Folgen des Nichterscheinens im Einladungsschreiben vom 03.05.2019 belehrt worden. Die formlose Abmeldung aus der Arbeitsvermittlung zum 16.05.2019 sei nicht zu beanstanden. Damit habe der Kläger ab 16.05.2019 nicht mehr zum förderungsfähigen Personenkreis gemäß §§ 15 bis 17 SGB III gehört, denn er sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr arbeitslos gemeldet gewesen und erfülle deshalb die Voraussetzungen für eine Erstattung nicht mehr.
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Gegen den Bescheid vom 01.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 hat der Kläger mit Schreiben vom 27.02.2020, eingegangen am 03.03.2020 beim Sozialgericht Nürnberg (SG), „Widerspruch“ eingelegt. Auf Nachfrage des SG vom 17.03.2020 nach den Gründen für die verspätete Klageerhebung unter Fristsetzung auf den 03.04.2020 hat der Kläger nicht reagiert. Mit Gerichtsbescheid vom 06.05.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Sie sei verfristet und damit unzulässig. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien trotz gerichtlichen Hinweises weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
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Dagegen hat der Kläger beim Bayerischen Landessozialgericht wiederum „Widerspruch“ eingelegt. Auf die diversen Schreiben des SG habe er aufgrund seiner befristeten Tätigkeit in Niedersachsen sowie einer längeren Erkrankung und aufgrund seiner Schwerbehinderung bisher nicht antworten können. Seine Bemühungen um eine Festanstellung seien fehlgeschlagen; die Beklagte habe ihn nicht unterstützt, weshalb auch mögliche Anstellungen gescheitert seien. Er sei aufgrund seiner Schwerbehinderung bereit, ein berufsbegleitendes Studium der Medizinpädagogik zu absolvieren; auch hierfür werde ihm die Unterstützung verweigert. Auf eine nochmalige Nachfrage des Senats vom 22.06.2020 unter Fristsetzung auf den 20.07.2020, warum die Klage zum SG erst am 03.03.2020 erhoben wurde, auf einen Hinweis vom 24.07.2020 mit Nachfrage zum klägerischen Begehr, auf die Ladung zu einem Erörterungstermin am 06.10.2020 sowie einen weiteren Hinweis vom 28.01.2021 reagierte der Kläger jeweils nicht.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.05.2020 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 01.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Bewerbungsgespräche am 14.05.2019, 27.05.2019, 17.06.2019, 21.05.2019, 28.05.2019, 22.05.2019, 23.05.2019, 24.05.2019, 14.05.2019 und 11.06.2019 Leistungen aus dem Vermittlungsbudget zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Die Abholung der Post erfolge jeweils per Boten am Folgetag, was die Sachbearbeiterin bei ihrem Vermerk berücksichtigt habe. Ein Absende vermerk der Poststelle existiere nicht. Es sei davon auszugehen, dass der Bescheid dem Kläger innerhalb der üblichen Postlaufzeit zugegangen sei, da zu erwarten gewesen sei, dass der Kläger dies ansonsten von sich aus geltend mache. Hierzu habe sich der Kläger trotz Anfrage des SG jedoch gerade nicht geäußert.
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Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und im tenorierten Umfang begründet. Zu Unrecht hat das SG hat die Klage durch Prozessurteil abgewiesen, denn von der Unzulässigkeit der Klage gegen den Bescheid vom 01.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 konnte nicht aufgrund der Zugrundelegung der Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ausgegangen werden. Der Bescheid vom 01.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; die Beklagte ist allerdings lediglich zur Neuverbescheidung des Antrages des Klägers vom 01.04.2019 und 16.06.2019 zu verurteilen (§ 131 Abs. 3 SGG).
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Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, beginnt die Frist nach § 87 Abs. 2 SGG mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Unklar ist vorliegend, wann der Widerspruchsbescheid vom 18.12.2019 dem Kläger bekanntgegeben worden ist. Das SG hat nicht zu ermitteln versucht, wann dieser tatsächlich in den Machtbereich des Klägers - wohl in seinen Briefkasten - gelangt ist. Auch kann aus den Angaben des Klägers nicht darauf geschlossen werden, wann er den Bescheid tatsächlich erhalten hat.
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Soweit sich die Beklagte und das SG auf die Fiktionswirkung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X berufen, geht diese Annahme fehl. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Unabhängig davon, dass dies nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist und im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat (§ 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X), fehlt es für den Eintritt der Fiktionswirkung bereits an der Ermittlung des Tages der Aufgabe des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 zur Post. Voraussetzung für die Bekanntgabefiktion ist die Feststellung des Zeitpunktes, zu dem der maßgebende Verwaltungsakt zur Post gegeben wurde (vgl. Urteil des Senats vom 11.06.2015 - L 10 AL 159/14 - juris; Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 37 Rn. 29). Zum Widerspruchsbescheid vom 18.12.2019 befindet sich in den Akten der Beklagten die Verfügung der Sachbearbeiterin „Bescheid am 19.12.2019 abgesandt“. Dies stellt jedoch nicht einen Vermerk dar, aus dem auf die Aufgabe zur Post i.S.d. § 37 Abs. 2 SGB X geschlossen und damit für die Zustellung auf die entsprechende 3-Tages-Fiktion abgestellt werden könnte. Vielmehr wäre auf einen Vermerk der Poststelle der Beklagten abzustellen, der jedoch nicht vorliegt (vgl. zum Ganzen Bayer. LSG, Urteil vom 16.01.2013 - L 11 AS 583/10 -; Beschluss vom 19.03.2018 - L 11 AS 191/18 B PKH - beide zit. nach juris). Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, der Kläger habe den verspäteten Zugang nicht vorgetragen. § 138 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO), wonach Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen sind, wenn nicht die Absicht sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht, ist aufgrund des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes nicht anzuwenden (vgl. Fritsche in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 138 Rn. 27). In dem von der Beklagten angeführten Fall, der der zum konkreten Einzelfall ergangenen Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 09.11.2018 (L 4 KR 2696/16 - juris) zugrunde lag, hat sich die Klägerin, nachdem die dortige Beklagte unter demselben Tag verschiedene Schreiben abgesandt hatte, von denen eines dem Adressaten zeitgerecht zugegangen war, hinsichtlich zweier zeitlich nacheinander versandter Schreiben auf Nichtwissen des Zugangs berufen. Das LSG Baden-Württemberg hat das Vorbringen der Klägerin im konkreten Fall als Schutzbehauptung gewertet und darüber hinaus den Rechtsgedanken des § 138 Abs. 4 ZPO herangezogen, dass eine Erklärung mit Nichtwissen über Tatsachen unzulässig ist, die Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Partei gewesen sind. Vergleichbare Indizien (behaupteter verspäteter Zugang zweier Schreiben in unmittelbarer Folge, Zugang eines zeitgleich abgesandten Schreibens an dritten Adressaten) sind im vorliegenden Fall jedoch nicht feststellbar. Damit bleibt es beim Grundsatz der Amtsermittlung, § 103 Satz 1 SGG und der objektiven Beweislastverteilung bei Nichterweislichkeit des Zugangs. Im Rahmen des § 37 Abs. 2 SGB X ist - ggf. qualifiziertes - Bestreiten erst dann zu fordern, wenn die Voraussetzungen der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X erfüllt sind und der Adressat des Verwaltungsaktes sich gemäß § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X darauf beruft, der Verwaltungsakt sei ihm nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. So liegt es hier, wie oben dargelegt, gerade nicht.
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Letztlich ist damit eine Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 erst am 27.02.2020, dem Tag, an dem der Kläger seinen dagegen gerichteten, als Klage auszulegenden „Widerspruch“ verfasst hat, sicher nachzuweisen. Anhaltspunkte für einen konkreten früheren Zugangszeitpunkt gibt es nicht, und solche wurden auch von der Beklagten nicht belegt. Ausgehend hiervon war die Klageerhebung am 03.03.2020 fristgerecht und die Klage damit zulässig. Damit hat das SG zu Unrecht die Unzulässigkeit der Klage unter Zugrundelegung einer Drei-Tages-Fiktion zur Bestimmung der Bekanntgabe des angefochtenen Widerspruchsbescheides angenommen.
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Der Senat sieht von einer Zurückverweisung der Sache an das SG ab. Zwar liegt eine Entscheidung in der Sache durch das SG nicht vor, denn die Klage ist allein aus formellen Gründen ohne eigentliche Sachprüfung abgewiesen worden, § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG. In Fällen des § 159 Abs. 1 SGG hat der Senat sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob er die Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung soll dabei die Ausnahme sein (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 159 Rn. 5a). Vorliegend ist der Rechtsstreit hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach § 44 SGB III aufgrund des Meldeversäumnisses des Klägers vom 16.05.2019 ablehnen durfte, spruchreif, aber nicht hinsichtlich der fehlenden Ermessensausübung seitens der Beklagten; insoweit liegen jedoch die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 131 Abs. 3 SGG vor, so dass im Interesse der Verfahrensbeschleunigung eine Zurückverweisung nicht erfolgt.
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Streitgegenstand ist der Bescheid vom 01.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019, mit dem die Beklagte beantragte Leistungen aus dem Vermittlungsbudget teilweise für Vorstellungsgespräche bzw. Probeunterricht am 09.05.2019 und seit 21.05.2019 bis 17.06.2019 abgelehnt hat. Nicht Streitgegenstand ist die Ablehnung für das Vorstellungsgespräch am 09.05.2019 (Intensivpflegeklinik S-Stadt) wegen einfacher Fahrtstrecke unter 20 km. Dies ergibt die Auslegung des Gesamtvorbringens des Klägers entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seit der Widerspruchseinlegung, denn er hat, nachdem er bezüglich der Kosten vom 09.05.2019 den Ausgangsbescheid bereits mit seinem Widerspruch vom 23.08.2019 nicht angegriffen hat, weder die Klage noch die Berufung weiter begründet. Seine Argumentation im Widerspruchsverfahren hingegen setzt allein an der aus seiner Sicht rechtswidrigen Abmeldung seit 16.05.2019 an. Damit ist davon auszugehen, dass der Kläger eine Erstattung der Fahrkosten vom 09.05.2019 im Weiteren nicht verfolgen wollte.
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Dem Vorbringen des Klägers im Widerspruchsverfahren ist zu entnehmen, dass er nicht eine Neubescheidung, sondern die Erstattung seiner Fahrkosten wie für die Bewerbungsgespräche vor dem 16.05.2019 begehrt; damit ergibt die nach § 123 SGG vorzunehmende Auslegung, dass er eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erheben wollte, § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG.
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Hinsichtlich der Kosten für den Termin am 14.05.2019 (C. B-Stadt) ist die Berufung unbegründet, denn insoweit hat die Beklagte im angegriffenen Bescheid Leistungen bewilligt.
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Hinsichtlich der übrigen streitgegenständlichen Bewerbungsfahrten ab 21.05.2019 hat die Beklagte die Kostenerstattung zu Unrecht deshalb abgelehnt, weil der Kläger aus der Arbeitsvermittlung „abgemeldet“ worden sei bzw. nicht mehr zum förderungsfähigen Personenkreis der §§ 15 bis 17 SGB III gehört habe.
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Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB III können Ausbildungsuchende, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende und Arbeitslose aus dem Vermittlungsbudget der Agentur für Arbeit bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Dabei umfasst die Förderung nach § 44 Abs. 1 Satz 3 SGB III die Übernahme der angemessenen Kosten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. Arbeitslose sind gemäß § 16 Abs. 1 SGB III Personen, die wie beim Anspruch auf Arbeitslosengeld 1. vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, 2. eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen und 3. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben.
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Der Kläger hat sich am 01.04.2019 bei der Beklagten unstreitig persönlich arbeitslos gemeldet, § 141 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Die Voraussetzungen für ein Erlöschen der Meldung nach § 141 Abs. 2 SGB III lagen weder zum 16.05.2019 noch bis zum 17.06.2019 (letztes streitgegenständliches Bewerbungsgespräch) vor, denn weder war die Arbeitslosigkeit des Klägers mehr als sechs Wochen unterbrochen noch hat der Kläger der Beklagten die Aufnahme einer Beschäftigung oder sonstigen meldepflichtigen Tätigkeit nicht mitgeteilt. Auch war der Kläger, was die Beklagte ebenfalls nicht bestritten hat, nach Beendigung der Beschäftigung bei der Beruflichen Schule der Landeshauptstadt S. zum 31.03.2019 jedenfalls im Zeitraum vom 01.04.2019 bis 17.06.2019 beschäftigungslos. Aus seinen streitgegenständlichen Bewerbungsbemühungen ergibt sich die Suche nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 2 SGB III. Zweifel an der (subjektiven) Verfügbarkeit des Klägers i.S.d. § 138 Abs. 5 SGB III im genannten Zeitraum bestehen nicht, insbesondere nicht deshalb, weil der Kläger zu den Meldeterminen am 17.04.2019, 08.05.2019 und 16.05.2019 nicht erschienen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Senats (Urteil des BSG vom 14.05.2015 - B 11 AL 8/13 R - juris; dem zustimmend Urteil des Senats vom 23.01.2019 - L 10 AL 60/18 - unveröffentlicht) ist ein Schluss aus Meldeversäumnissen unmittelbar oder kraft Rechtsvermutung auf fehlende Verfügbarkeit mit der Konzeption des SGB III nicht vereinbar. Ein dreimaliges Nichterscheinen zum Meldetermin nach Meldeaufforderungen stellt danach lediglich ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass es an der subjektiven Verfügbarkeit des Arbeitslosen fehlt, wobei die gesamten Umstände des Einzelfalls und auch das Verhalten des Arbeitslosen außerhalb der Meldeversäumnisse zu würdigen ist. Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger den ersten Meldetermin am 17.04.2019 mit E-Mail vom 15.04.2019 und den zweiten Meldetermin am 08.05.2019 mit E-Mail vom 03.05.2019 jeweils wegen eines Vorstellungsgesprächs abgesagt hatte, was die Beklagte offenbar ohne weitere Nachprüfung akzeptiert hat. Auch anlässlich des dritten Meldetermins hat der Kläger mit Schreiben vom 16.05.2019, eingegangen bei der Beklagten am 20.05.2019 Stellung genommen und mitgeteilt, er führe im Rahmen seiner Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle zahlreiche telefonische und persönliche Gespräche und stehe in schriftlichem Kontakt mit verschiedenen Stellen. Auf Vermittlungsvorschläge der Beklagten hat er sich jeweils beworben. Das einmalige unentschuldigte Nichterscheinen zum Meldetermin am 16.05.2019 unter diesen Umständen bietet in der Zusammenschau mit dem Bewerbungsverhalten des Klägers im Übrigen somit keinen Anlass, einen Wegfall der subjektiven Verfügbarkeit des Klägers i.S.v. § 138 Abs. 5 SGB III anzunehmen.
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Auch die Voraussetzungen einer Einstellung der Arbeitsvermittlung nach § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III i.d.F. des Gesetzes zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifizierungschancengesetz) vom 18.12.2018 (BGBl. I, 2651) liegen nicht vor. Mit der Gesetzesänderung ist nach Absatz 1 ein Absatz 2 eingefügt worden und die bisherigen Absätze 2 bis 4 zu Absätzen 3 bis 5 gemacht worden (Art. 1 Nr. 9 Qualifizierungschancengesetz). Dass die Verweisung in § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III (neu) sich zunächst unverändert auf Abs. 2 bezog, ist dabei ein Redaktionsversehen (vgl. Jüttner in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl., § 38 Rn. 69), das der Gesetzgeber mit Art. 4 Nr. 3 lit. b des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12.06.2020 (BGBl. I, 1248) behoben hat. Dies ergibt sich aus der systematischen Betrachtung der Gesetzesänderung sowie daraus, dass Abs. 2 des neu gefassten § 38 SGB III keine Pflichten des Arbeitslosen, sondern solche der Agentur für Arbeit regelt.
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Die Agentur für Arbeit kann nach dem solcherart richtig verstandenen § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III i.d.F. vom 18.12.2018 die Arbeitsvermittlung einstellen, wenn die oder der Arbeitsuchende die ihr oder ihm nach Absatz 3 oder der Eingliederungsvereinbarung oder dem Verwaltungsakt nach § 37 Abs. 3 Satz 4 SGB III obliegenden Pflichten nicht erfüllt, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 SGB III haben Ausbildung- und Arbeitsuchende, die Dienstleistungen der Bundesagentur in Anspruch nehmen, dieser die für eine Vermittlung erforderlichen Auskünfte zu erteilen, Unterlagen vorzulegen und den Abschluss eines Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses unter Benennung des Arbeitgebers und seines Sitzes unverzüglich mitzuteilen.
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Die Vermittlungseinstellung nach § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III ist im Falle des Klägers einschlägig, denn er gehörte im streitgegenständlichen Zeitraum zum Kreis derjenigen Personen, bei denen nicht nach § 38 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 Satz 1 SGB III die Vermittlung durchzuführen ist. Sein am 21.11.2017 erworbener Anspruch auf Alg für 180 Tage war aufgrund der Minderung nach § 148 Abs. 1 Nr. 3 SGB III vom 21.11.2017 bis 27.11.2017 (7 Tage), des Bezuges von Alg vom 28.11.2017 bis 11.02.2018 (74 Tage), der Minderung nach § 148 Abs. 1 Nr. 3 SGB III vom 30.06.2018 bis 06.07.2018 (7 Tage, Änderungsbescheid vom 14.08.2018 und Urteil des SG vom 03.04.2019) und des Bezuges von Alg vom 07.07.2018 bis 07.10.2018 (92 Tage) erschöpft. Zum Eintritt der Arbeitslosigkeit am 01.04.2019 hatte der Kläger in der für ihn maßgeblichen Rahmenfrist vom 21.11.2017 bis 31.03.2019 (§ 143 Abs. 1, Abs. 2 SGB III) nicht mindestens zwölf Monate (360 Tage, vgl. § 339 Satz 2 SGB III) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden, sondern lediglich 339 Tage. Er bezog vom 12.02. bis 28.02.2018 (17 Tage) Krankengeld im unmittelbaren Anschluss an den Bezug von Alg (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III) und war vom 01.03. bis 23.04.2018 (54 Tage), vom 08.03. bis 29.06.2018 (114 Tage) sowie vom 29.10.2018 bis 31.03.2019 (154 Tage) versicherungspflichtig beschäftigt, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Eine auf sechs Monate verkürzte Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 2 SGB III i.d.F. vom 18.07.2016 kommt im Falle des Klägers nicht zum Tragen, denn er hat bereits nicht dargelegt und nachgewiesen, dass sich die in der Rahmenfrist zurückgelegten Beschäftigungstage überwiegend aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen ergeben haben, die auf nicht mehr als zehn Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet waren. Das Arbeitsverhältnis beim Pflegedienst A. war nicht befristet, das Arbeitsverhältnis beim Staatlichen Schulamt N. war auf 16 Wochen und zwei Tage befristet und das Arbeitsverhältnis beim Regionalen Beruflichen Bildungszentrum der Landeshauptstadt S. war auf neun Monate und drei Tage befristet, wurde aber vorzeitig beendet.
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Ein Wegfall der Arbeitslosmeldung ab 16.05.2019 aufgrund „Abmeldung“ scheitert bereits daran, dass die Beklagte ihre Einstellungsentscheidung lediglich formlos und nicht durch Verwaltungsakt getroffen hat. Nach herrschender Meinung in der Literatur gebietet das Rechtsstaatsprinzip aufgrund der Eingriffsqualität der Entscheidung über die vorläufige Einstellung der Vermittlung nach § 38 Abs. 4 Satz 2 ein Handeln durch Verwaltungsakt (vgl. Böttiger in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: April 2019, § 38 Rn. 149; Winkler in Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand Februar 2021, § 38 Rn. 61; Harks in Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB III, § 38 Rn. 69; Jüttner in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl., § 38 Rn. 75; Rademacker in: Hauck/Noftz, SGB III, Werksstand Januar 2014, § 38 Rn. 78; offengelassen, weil im zu entscheidenden Fall nicht relevant LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.06.2014 - L 9 AL 288/12 - juris; allein hierauf bezieht sich Brand in Brand, SGB III, 8. Aufl., § 38 Rn. 26 zu Fällen, in denen sich eine Handlung der AA darauf beschränkt, den Arbeitslosen aus der Berufsberatung abzumelden und ihn aus dem Kreis der bei ihr datenmäßig geführten Ausbildungssuchenden zu löschen). Vorliegend wollte die Beklagte keinen Verwaltungsakt erlassen, denn sie bekräftigte auch im Widerspruchsbescheid ihren Willen, eine formlose Verfügung zu treffen.
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Selbst wenn die Auslegung des Handelns der Beklagten ergäbe, dass sie einen Verwaltungsakt erlassen hätte, wäre dieser dem Kläger jedenfalls nicht im streitgegenständlichen Zeitraum - vor dem letzten Bewerbungsgespräch am 17.06.2019, für das er Kosten geltend macht - bekannt gegeben worden und hätte deshalb im Hinblick auf die streitgegenständlichen Leistungen keine Rechtswirkungen entfalten können, § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
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Daneben liegen auch die materiellen Voraussetzungen § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III nicht vor. Der Arbeitsuchende muss danach bei der Vermittlung nicht ausreichend mitgewirkt haben. Hierzu benennt das Gesetz die Fälle eines Verstoßes gegen die Mitwirkungsobliegenheiten, die sich aus § 38 Abs. 3 SGB III, einer Eingliederungsvereinbarung oder einem eine solche Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt nach § 37 Abs. 4 Satz 4 ergeben. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 SGB III haben Ausbildung- und Arbeitsuchende, die Dienstleistungen der Bundesagentur in Anspruch nehmen, dieser die für eine Vermittlung erforderlichen Auskünfte zu erteilen, Unterlagen vorzulegen und den Abschluss eines Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses unter Benennung des Arbeitgebers und seines Sitzes unverzüglich mitzuteilen. § 38 Abs. 3 Satz 3 SGB IIII regelt die entsprechende Anwendung der Anzeige- und Bescheinigungspflichten im Leistungsverfahren bei Arbeitsunfähigkeit nach § 311 SGB III. Die Meldepflichten der §§ 309 und 310 SGB III sind weder in § 38 Abs. 3 SGB III noch in § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III explizit genannt; damit berechtigt ein bloßer Verstoß gegen die allgemeine Meldepflicht nicht zur Einstellung. Vielmehr muss die Terminversäumnis eine nach § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III beachtliche Pflichtverletzung begründen bzw. mit der Nichterfüllung einer der dort genannten Pflichten im Zusammenhang stehen. So kommt eine Einstellung der Vermittlung bei einer Terminversäumnis z.B. dann in Betracht, wenn die entsprechende Pflicht zum Erscheinen in der Eingliederungsvereinbarung vereinbart ist (vgl. zum Ganzen BFH, Urteil vom 10.04.2014 - III R 19/12; Böttiger a.a.O., Rn. 140; Rademacker a.a.O., Rn 51). Eine Eingliederungsvereinbarung oder ein diese ersetzender Verwaltungsakt liegen jedoch nicht vor. Soweit die Beklagte ihre Entscheidung auf die in der Meldeaufforderung vom 03.05.2019 auferlegte Pflicht zur Vorlage von Nachweisen über seine Bewerbungsbemühungen (zum Beispiel Kopien seiner Bewerbungsanschreiben) stützen will, hat der Kläger dieser Pflicht nach Auffassung des Senats durch die regelmäßig erfolgte Vorlage von Nachweisen über Bewerbungsgespräche per E-Mail bzw. Post genügt. Auch die in der Rechtsfolgenbelehrung zur Meldeaufforderung vom 03.05.2019 formulierte Erforderlichkeit, Angaben zu beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen, persönlichen Vorstellungen sowie individuellen Einschränkungen des Klägers aufzunehmen, bestand zum Zeitpunkt des 16.05.2019 nicht, denn durch die Aktualisierung des der Beklagten bereits aus Vorbezugszeiten von Alg hinlänglich bekannten Lebenslaufes des Klägers am 01.04.2019 sowie den persönlichen Kontakt am 30.04.2019 war der hiermit verfolgte Zweck der Beklagten bereits erfüllt, eine aktuelle Tatsachengrundlage für ihre Eingliederungsbemühungen zu schaffen. Auch Pflichten nach § 311 SGB III hat der Kläger nicht verletzt.
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Zudem war die nach der Gesetzesbegründung zu § 38 SGB III (BT-Drs. 16/10810, S. 31) zu erteilende Rechtsfolgenbelehrung in der Meldeaufforderung vom 03.05.2019 unvollständig und damit unrichtig. Für die Wirksamkeit einer Rechtsfolgenbelehrung ist nach der Rechtsprechung des BSG bei drohender Sperrzeit bei Nichtteilnahme an einer Maßnahme erforderlich, dass sie konkret, richtig und vollständig ist und dem Arbeitslosen in verständlicher Form zutreffend erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen vorwerfbares Verhalten auf den Leistungsanspruch hat, wenn für das Verhalten kein wichtiger Grund vorliegt (vgl. für den Bereich der Arbeitsförderung nur BSG, Urteil vom 16.09.1999 - B 7 AL 32/98 R -; Urteil vom 01.06.2006 - B 7a AL 26/05 R - beide zit. nach juris). Diese Rechtsprechung ist auch auf die drohende Einstellung der Arbeitsvermittlung zu übertragen, denn auch diese kann Sanktionswirkungen mit ggf. gravierenden Auswirkungen auf den Betroffenen haben, wie im vorliegenden Fall etwa die Nichtgewährung von Leistungen aus dem Vermittlungsbudget. Vorliegend hat die Beklagte in ihrer Rechtsfolgenbelehrung zu erkennen gegeben, im Falle des Nichterscheinens des Klägers von einer gebundenen Entscheidung auszugehen („Wir müssen Sie in diesem Fall zum Tag des versäumten Termins aus der Arbeitsvermittlung abmelden“), obwohl § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III ihr eine Ermessensentscheidung einräumt (vgl. nur Böttiger a.a.O., Rn. 149). Auch ist der Kläger nur über die drohende „Abmeldung“, nicht jedoch über die Möglichkeit, nach § 38 Abs. 4 Satz 3 SGB III die Arbeitsvermittlung erneut nach Ablauf von zwölf Wochen in Anspruch zu nehmen, und damit über die zeitlichen Grenzen des § 38 Abs. 3 Satz 3 SGB III informiert worden.
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Die Einstellung ist auch ermessenfehlerhaft, denn die Beklagte hat weder in der formlosen Einstellungsverfügung vom 16.05.2019 noch in ihrem zur Einstellung der Arbeitsvermittlung ergangenen Widerspruchsbescheid vom 17.12.2019 das ihr zustehende Ermessen erkannt und ausgeübt. Nach § 38 Abs. 3 SGB III kann die Agentur für Arbeit die Arbeitsvermittlung einstellen, wenn die oder der Arbeitsuchende die ihr oder ihm nach Absatz 2 oder der Eingliederungsvereinbarung obliegenden Pflichten nicht erfüllt, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Die Einstellung steht damit im pflichtgemäßen Ermessen der Agentur für Arbeit, sie kann, aber sie muss nicht jede Vermittlungstätigkeit einstellen (vgl. Brand in Brand, SGB III, 8. Aufl., § 38 Rn. 29). Ermessensentscheidungen der Beklagten sind lediglich in den Grenzen der § 39 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG gerichtlich überprüfbar. Die Gerichte sind gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG darauf beschränkt zu kontrollieren, ob der Leistungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch), mit seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt hat (Ermessensüberschreitung) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit und Ermessensmissbrauch). Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn der Leistungsträger - aus welchem Grund auch immer - keine Ermessenserwägungen anstellt und damit unrichtigerweise so handelt, als sei er durch die betreffende Norm ohne Ermessensspielraum gebunden (Spellbrink in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Werkstand: September 2020, § 39 Rn. 15). Nach § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X muss die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Vorliegend hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid im Gegensatz dazu ausgeführt, im Falle des Nichterscheinens ohne wichtigen Grund „werde“ der „Kunde“ zum Tag des versäumten Termins aus der Arbeitsvermittlung formlos abgemeldet, und sich inhaltlich lediglich mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers ein wichtiger Grund im Sinne des § 38 Abs. 3 SGB III herleiten lässt und ob damit die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen für die Einstellungsverfügung vorliegen. Sie ist daher fälschlich davon ausgegangen, eine gebundene Entscheidung zu treffen.
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Nachdem der Kläger damit auch über den 16.05.2019 hinaus als Nichtleistungsbezieher arbeitslos war, ist die Beklagte nach § 131 Abs. 3 SGG zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Erstattung von Bewerbungskosten für die Zeit bis 17.06.2019 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, denn die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null liegen nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn jede andere Entscheidung der Beklagten als die Förderung der streitgegenständlichen, teils überregionalen, Bewerbungsgespräche und Probevorträge in der Zeit vom 21.05.2019 bis 17.06.2019 als ermessensfehlerhaft angesehen werden müsste. Eine das Ermessen der Beklagten auf Null reduzierende Eingliederungsvereinbarung (vgl. Urteil des Senats vom 24.02.2016 - L 10 AL 242/14 - juris) mit dem Kläger liegt nach Aktenlage nur für den Zeitraum vom 03.01.2018 bis 03.07.2018 vor, nicht aber für den hier streitigen Zeitraum. Auch die dem Kläger im Gespräch am 30.04.2019 mitgeteilten Erstattungsmöglichkeiten begrenzen das der Beklagten zustehende Ermessen nicht auf Null, denn der Tagespendelbereich für zu erstattende Reisekosten ist lediglich mit „ca. 200 km“ umrissen, womit die Beklagte jedenfalls für die Fahrten am 22.05. bis 24.05.2019 (einfache Fahrtstrecke: 232 km) und 27.05.2019 (einfache Fahrtstrecke: 283 km) noch Ermessen auszuüben hat.
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Somit war der Gerichtsbescheid des SG vom 06.05.2020 sowie der Bescheid der Beklagten vom 01.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2019 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag des Klägers vom 01.04.2019 und 16.06.2019 hinsichtlich der Kosten für Vorstellungsgespräche seit 21.05.2019 bis 17.06.2019 zu entscheiden. Im Übrigen, hinsichtlich des bereits erstatteten Bewerbungsgesprächs am 14.05.2019 und der Verurteilung in die begehrten Leistungen, war die Berufung zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Der Kläger hat mit seiner Berufung weitgehend obsiegt; das Unterliegen hinsichtlich der noch zu treffenden Ermessensentscheidung fällt demgegenüber nicht wesentlich ins Gewicht.
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Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.