SG München, Endurteil v. 31.03.2021 – S 21 R 1441/18
Titel:

Hälftige Kostenerstattung für Widerspruch

Normenketten:
SGB X § 63
SGB VI § 43, § 99, § 101, § 102 Abs. 2
Leitsätze:
Wird im Widerspruchsverfahren gegen einen die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ablehnenden Bescheid geltend gemacht, dass eine Rente „ab Antragstellung“ zu bewilligen sei, ist eine hälftige Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen nicht zu beanstanden, wenn auf den Widerspruch lediglich eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung gewährt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger im Widerspruchsverfahren fachkundig vertreten wurde.
1. Die Kostenquote für ein Widerspruchsverfahren richtet sich nach dem Verhältnis von angestrebtem und erreichtem Erfolg. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein fachanwaltlicher Widerspruch auf Erwerbsminderungsrente "ab Antragstellung" zielt auf eine  Dauerrente, so dass bei Erreichen einer Zeitrente nur eine Kostenerstattung zur Hälfte veranlasst ist (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenerstattung, Widerspruchsverfahren, Erwerbsminderungsrente, Rente ab Antrag, Fachanwalt für Sozialrecht, Zeitrente, unbefristete Rente, siebter Kalendermonat
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6833

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Erstattung der vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens.
2
Der 1965 geborene Kläger stellte am 05.02.2018 einen Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Dieser wurde nach medizinischer Beurteilung nach Aktenlage vom 26.03.2018 mit Bescheid vom 29.03.2018 abgelehnt. Hierzu führte die Beklagte aus, dass der Kläger nach ihrer medizinischen Beurteilung noch dazu in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.
3
Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mit Schreiben vom 11.04.2018 Widerspruch erhoben. Mit weiterem Schreiben vom 25.05.2018 führte der Bevollmächtigte des Klägers, der auch Fachanwalt für Sozialrecht ist, aus, dass nicht sämtliche ärztliche Berichte bei der Entscheidung über den Rentenantrag berücksichtigt worden seien. In dem ärztlichen Bericht der Ärztin E. sowie der Diplomwissenschaftlerin und Physiotherapeutin F. vom 12.01.2018 sei nachvollziehbar dargestellt, dass der Kläger ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden habe und die Wegefähigkeit unter 100 Metern liege. Aus diesem Grund lägen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente beim Kläger vor, sodass der Ablehnungsbescheid aufzuheben „und dem Widerspruchsführer ab Rentenantragstellung volle Erwerbsminderungsrente zu bewilligen“ sei.
4
Die Beklagte beurteilte den Gesundheitszustand des Klägers im Widerspruchsverfahren nochmals neu und holte hierzu ein Gutachten beim Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G. ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund der bei ihm bestehenden Gesundheitseinschränkungen, insbesondere der bekannten Hüftdysplasie-Coxarthrose, nur noch über ein Leistungsvermögen für Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden arbeitstäglich verfüge. Die Leistungsfähigkeit könne durch einen alloplastischen Gelenkersatz gebessert werden, wobei mit einer langjährigen Rekonvaleszenz zu rechnen sei. Deshalb sei eine Befristung der Rente für drei Jahre ab Begutachtung möglich und sinnvoll. Auf Grundlage dieses Gutachtens gab die Beklagte dem Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 24.09.2018 insoweit statt, als sie feststellte, dass die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung ab dem 05.02.2018 erfüllt sind. Weil nicht unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, seien die Renten auf Zeit beginnend am 01.09.2018 bis zum 31.08.2021 zu leisten. Die Berechnung und Feststellung der Höhe der monatlich zustehenden Leistungen blieben einem Ausführungsbescheid vorbehalten. Eine Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten erkannte die Beklagte in Höhe von 50 vom Hundert an.
5
Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 24.10.2018 Klage erhoben und ausgeführt, dass ein Anspruch auf Erstattung der vollen Kosten bestehe. Dem Widerspruch hinsichtlich der Rente sei vollumfänglich stattgegeben worden.
6
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte hat mit Abänderung des Widerspruchsbescheids vom 24.09.2018 dem Kläger die vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten.
7
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
8
Sie ist der Ansicht, dass vor dem Hintergrund, dass eine Rente wegen Erwerbsminderung auch auf Dauer gewährt werden könne, eine hälftige Kostentragung angemessen sei.
9
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakte sowie der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheids statthaft, nachdem dieser hinsichtlich des Kostenausspruchs eine selbstständige Beschwer enthält.
11
Die Klage ist jedoch sachlich nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der vollen Kosten durch die Beklagte gemäß § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Widerspruchsbescheid vom 24.09.2018 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten.
12
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Dabei ist für die zu bildende Kostenquote entscheidend auf das Verhältnis von tatsächlichem Erfolg zu dem durch die Erhebung des Widerspruchs angestrebten Erfolg abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 68/12 R; siehe auch KassKomm/Mutschler, 112. EL, September 2020, § 68 SGB X, Rn. 21; Schütze/Roos/Blüggel, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 63 Rn. 20 m.w.N.).
13
Mit seinem Antrag vom 05.02.2018 hatte der Kläger zunächst einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung gestellt. Eine weitere Einschränkung bzw. Konkretisierung erfolgte nicht. Ohne nähere Eingrenzung des gestellten Rentenantrags ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Antragsteller die gesetzlich vorgesehene Rentenleistung beantragt. Da § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) für den Regelfall einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine befristete Rente vorsieht, ist ein nicht näher spezifizierter Rentenantrag somit dahingehend zu verstehen, dass eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung für einen maximalen Zeitraum von drei Jahren begehrt wird. Dies gilt umso mehr, als auch die Formblätter zur Rentenantragstellung keine Unterscheidung zwischen einer beantragten Rente auf Zeit bzw. einer Rente auf Dauer vorsehen (siehe dazu auch SG München, Urteil vom 22.06.2016 - S 11 R 1211/15; SG Stuttgart, Urteil vom 09.10.2014 - S 4 R 2046/12).
14
Im vorliegenden Fall hat der Klagebevollmächtigte in seinem der Begründung des Widerspruchs dienenden Schreiben vom 25.05.2018 allerdings eine, dem Kläger gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zuzurechnende, nähere Spezifizierung dahingehend vorgenommen, dass dem Widerspruchsführer „ab Rentenantragstellung“ eine volle Erwerbsminderungsrente zu bewilligen sei. Aus dieser Formulierung ist erkennbar, dass das Ziel des Widerspruchs die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen Erwerbsminderung war. Denn grundsätzlich werden Renten wegen Erwerbsminderung nur dann ab Rentenantragstellung bzw. zu Beginn des Kalendermonats an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind (§ 99 Absatz 1 Satz 1 SGB VI), wenn ein Anspruch auf die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen Erwerbminderung besteht, sodass die Regelung des § 101 Abs. 1 SGB VI keine Anwendung findet. Hiernach werden befristete Renten wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Ein früherer Rentenbeginn für befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung ergibt sich allein nach § 101 Absatz 1a SGB VI, dessen Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt waren. Hierzu wurde auch nichts vorgetragen. Damit verblieb für einen Anspruch auf Rentenzahlung vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit allein die Möglichkeit, dass dem Kläger eine unbefristete Rente gewährt wird, sodass § 101 Abs. 1 SGB VI keine Anwendung findet und es beim grundsätzlichen Rentenbeginn gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI verbleibt. Ob eine entsprechende Auslegung des Vortrages in einem Widerspruchsverfahren auch dann zutreffend wäre, wenn der Widerspruchsführer nicht anwaltlich vertreten wird und seinerseits keine grundlegenden Kenntnisse im Bereich des Sozialrechts hat, kann vorliegend dahinstehen. Denn hier stammt die relevante Formulierung vom Prozessbevollmächtigten des Klägers, der seinerseits Fachanwalt für Sozialrecht ist. Als solcher verfügt er aber über die erforderlichen Kenntnisse, um das Ziel des Widerspruchsverfahrens zweifelsfrei zu spezifizieren. Dieses hat er mit der gewählten Formulierung zur Überzeugung der Kammer auch in der vorgenannten Weise getan.
15
Da dem Widerspruch des Klägers, dessen Ziel die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen Erwerbsminderung war, nur insoweit stattgegeben wurde, als eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung gewährt wurde, hat der Kläger im Widerspruchsverfahren auch nur teilweise obsiegt. Unter Beachtung dieses Umstandes ist eine seitens der Beklagten anerkannte Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten gemäß § 63 SGB X von 50 vom Hundert nicht zu beanstanden.
16
Die Klage war daher abzuweisen.
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
18
Die Berufung war nicht zuzulassen. Die Klageforderung übersteigt nicht den Betrag von EUR 750,00 (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die im Widerspruchsverfahren entstandenen Anwaltskosten betragen (überschlägig) EUR 381,00. Davon wurde die Hälfte anerkannt, sodass die Klageforderung vorliegend (überschlägig) EUR 190,50 beträgt. Streitgegenstand war auch nicht eine wiederkehrende oder laufende Leistung für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht das Urteil, soweit ersichtlich, von einer Entscheidung der höheren Gerichte ab.