LG München I, Endurteil v. 22.09.2021 – 9 O 8858/19
Titel:
Ärztlicher Behandlungsfehler bei länger andauerndem Husten ohne erkennbare Ursache
Normenkette:
BGB § 630a Abs. 2, § 823 Abs. 1
Leitsatz:
Es entspricht dem anerkannten und gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft, dass bei einem Patienten, der über sechs Wochen hinweg ohne erkennbaren Grund hustet, die Ursachen für den Husten technisch mit Röntgen und weiteren Untersuchungen abgeklärt werden. (Rn. 45 und 70 – 73) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
ärztlicher Behandlungsfehler, Husten, Beweiswürdigung, Kenntnis
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 14.02.2022 – 1 U 7600/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.09.2022 – VI ZB 17/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57870
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte - hinsichtlich der Kosten - vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadenersatz und Schmerzensgeld im Zusammenhang mit einer ärztlichen Heilbehandlung.
2
Der im Jahr 1939 geborene Kläger war seit Jahren Patient in der Praxis der Beklagten. Die internistische Hausarztpraxis wurde bis Ende 2015/Anfang 2016 von der Beklagten gemeinsam mit ihrem Ehemann geführt. Anfang 2016 wurde die Praxis von … übernommen. Die Beklagte und ihr Ehemann waren dort bis Ende 2016 weiterhin als angestellte Ärzte tätig. Sie befinden sich seit 2017 im Ruhestand. Die Tochter des Klägers, … arbeitete seit 1985 als Arzthelferin in der Praxis der Beklagten und ihres Mannes.
3
Bei dem Kläger bestehen seit Jahren; ein Diabetes mellitus, ein Hypertonus und eine Hypercholesterinämie. Im Rahmen des vaskulären Vorsorgeprogramms „INVADE“ (= Intervention gegen vaskuläre Hirnerkrankungen und Demenz) und DMP (= Disease-Management-Programm) Diabetes mellitus stellte er sich, stets in Begleitung seiner Ehefrau, vierteljährlich bei der Beklagten vor.
4
Im Rahmen der turnusgemäßen Vorstellung des Klägers am 20.02.2015 bei der Beklagten erwähnte er auf die Frage nach seinem Befinden keinerlei Beschwerden wie Husten oder Atemnot. Hieran litt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Beklagte führte die üblichen Stoffwechselkontrollen durch und überwies den Kläger zum Neurologen und Kardiologen.
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Am 26.06.2015 wurde der Kläger bei der Beklagten erneut turnusgemäß vorstellig.
6
Der Kläger stellte sich am 02.12.2015 beim Kardiologen … vor. Unter dem Punkt „Indikation/Anamnese“ wurde von diesem in der Behandlungsdokumentation vermerkt: „Routinekontrolle, keine Beschwerden, regelrecht“. Bei „Klinischer Befund“ ist unter anderem vermerkt: „Pulmo frei“.
7
Der Kläger suchte am 30.03.2016 Dr. L. auf. Dieser veranlasste eine Röntgenaufnahme der Lunge, die den dringenden Verdacht auf ein Bronchielkarzinom ergab. Er stellte umgehend eine Überweisung zur röntgenologischen Untersuchung an die … aus.
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Der Kläger trägt vor,
dass der Beklagten bei der Behandlung Anamnese-, Befundungs- und Diagnosefehler unterlaufen seien.
9
Der Kläger sei am 26.06.2015 wegen eines starken Reizhustens mit schleimigem Auswurf bei der Beklagten vorstellig geworden. Er habe der Beklagten berichtet, dass er seit dem Frühjahr 2015 an einer leichten Grippe sowie unter Husten mit Schleimauswurf leide. Er habe nachgefragt, ob dies am Kehlkopf liege oder worin die genaue Ursache hierfür zu finden sei. Trotz des starken Reizhustens habe keine eingehende Untersuchung der Lunge des Klägers stattgefunden. Es seien weder eine Ultraschall-, noch eine Röntgenuntersuchung erfolgt. Die Beklagte hätte im Rahmen der Anamnese durch gezielte Befragung des Klägers die schwerstmögliche Krankheit ausschließen müssen. Vielmehr sei lediglich der Blutdruck gemessen und nach Überprüfung der letzten Blutabnahme vom 21.04.2015 sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass alles in Ordnung sei. Es hätte zumindest zur Abklärung der Ursachen eine Überweisung an den Facharzt erstellt werden müssen.
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Trotz des Vermerks von … am 02.12.2015, dass es sich um eine Routinekontrolle handele und keine Beschwerden vorlägen, könne aus dem Arztbrief nicht geschlussfolgert werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Vorstellung bei seinen Kardiologen nicht an einem Husten gelitten habe. Aus der gesamten Behandlungsdokumentation des … ergebe sich, dass es sich bei der kardiologischen Untersuchung des Klägers am 02.12.2015 um eine Routineuntersuchung gehandelte habe, die durchgeführt worden sei, um eine funktionelle Herzerkrankung auszuschließen. Es habe für den Kläger kein Anlass bestanden, seinem Kardiologen über seinen anhaltenden Husten zu berichten.
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Hinsichtlich des Hinweises „Pulmo frei“ habe sich aus den Behandlungsunterlagen nicht ergeben, dass die Lunge auskultiert worden sei. Selbst wenn im Rahmen der kardiologischen Untersuchung die Auskultation durchgeführt worden sei, so sei diese erfolgt, um Erkrankungen des Herzens ausschließen zu können und nicht, um eine schwerwiegende pneumologische Erkrankung zu diagnostizieren. Es gehe aus dem Arztbrief vom 02.12.2015 eindeutig hervor, dass es dem behandelten Kardiologen um den Ausschluss kardiologischer Krankheiten gegangen sei. Dies mache der Vermerk in den Behandlungsunterlagen deutlich: „Kard. Befund unverändert, … ohne kard. Beschwerden, Blutdruckeinstellung ist regelrecht. Aktuell ergeben sich von kardinaler Seite keine neuen Gesichtspunkte/Konsequenzen.“ Im Übrigen sei eine Auskultation der Lunge kein geeignetes Diagnoseverfahren, um das fortgeschrittene Bronchialkarzinom des Klägers zu diagnostizieren.
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Auch im Arztbrief vom 07.05.2019 habe … „Pulmo frei“ vermerkt, obwohl hier bereits ein im fortgeschrittenen Stadium bestehendes Bronchialkarzinom diagnostiziert worden sei. Der Kläger habe zu diesem Zeitpunkt an pneumologischen Beschwerden wie belastungsabhängige Dyspnoe und schweren Husten gelitten. Die Dokumentation von … vom 07.05.2019 verdeutliche, dass der Kardiologe nur Beschwerden und Befunde dokumentiere, die im Zusammenhang mit einer kardiologischen Erkrankung stünden.
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Der Kläger habe die Praxis der Beklagten am 03.12.2015 erneut aufgesucht. Seine Ehefrau habe aus Dankbarkeit für die gute Behandlung Vanillekipferl für die Beklagte und ihren Ehemann mitgebracht. Die Tochter des Klägers sei ebenfalls zugegen gewesen.
14
Der Kläger habe seine nach nunmehr sechs Monaten bestehenden Beschwerden geschildert. Nach der Besprechung der Blutwerte vom 29.09.2015 und der Problematik der Ödeme aufgrund von Wassereinlagerungen habe der Kläger der Beklagten mitgeteilt, dass er immer noch unter starkem Reizhusten mit starkem Schleimauswurf leide. Er habe klargestellt, dass er sich ernsthafte Sorgen mache und nochmals nachgefragt, was der Grund für seine Beschwerden sein könne. Insbesondere habe er wissen wollen, ob die Ursache am Kehlkopf, den Bronchien oder gar der Lunge liegen könne. Darauf habe die Beklagte entgegnet, dass die Beschwerden zum einen „bei älteren Männern schon häufiger vorkommen“, es zum anderen aber auch an der Umstellung der Medikamente liegen könne.
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Auch im Rahmen dieses Termins habe keine ausreichende Untersuchung mittels bildgebender Maßnahmen stattgefunden. Die Lunge des Klägers sei nicht abgehört worden und es seien weder eine Ultraschall- noch eine Röntgenuntersuchung vorgenommen worden. Eine genauere Untersuchung hätte beim nächsten Termin durchgeführt werden sollen. Als nächsten Untersuchungstermin habe die Beklagte erst Mitte April 2016, also in über sechs Wochen, empfohlen. Auch auf Nachfrage der Tochter des Klägers, ob eine zeitnahe Abklärung der Symptomatik sinnvoll sei, habe die Beklage geantwortet, dass eine Abklärung im April 2016 nach dem geplanten Praxisumzug völlig ausreichend sei.
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Aus den Patientenquittungen der … ergebe sich eindeutig, dass der Kläger am 03.12.2015 bei der Beklagten vorstellig gewesen sei. Die Beklagte habe ausweislich dieser Quittung für ihre am 03.12.2015 erbrachten ambulanten ärztlichen Leistungen für den Kläger unter EBM-Ziffer 92276F Gebühren abgerechnet.
17
Es habe sich im weiteren Verlauf herausgestellt, dass der Kläger an einem Bronchialkarzinom des rechten Oberlappens leide. Vom 14.04.2016 bis 16.04.2016 sei er im Klinikum B2. stationär behandelt worden. Die zunächst begonnene Chemo-Vorbehandlung habe wegen Nierenversagens abgebrochen werden müssen. Es habe eine Strahlenbehandlung mit insgesamt 25 Bestrahlungen binnen fünf Wochen stattgefunden.
18
Die Lobektomie habe am 27.07.2016 in einer fünfstündigen Operation ebenfalls im … stattgefunden. Hierbei seien zwei Herde in der Größe von 6,5 cm und 2,5 cm entfernt worden. Im Rahmen der Operation sei dam Kläger die fünfte rechte Rippe gebrochen worden, da der operierende Arzt wegen der Größe des Tumors größere Instrumente eingesetzt habe und die Rippen habe spreizen müssen. Nachdem der Kläger am 28.07.2016 auf eine andere Station verlegt worden sei, habe er eine akute Herzinsuffizienz erlitten.
19
Vom 24.08.2016 bis 14.09.2016 habe sich der Kläger in Bad Reichenhall zur medizinischen Rehabilitation befunden.
20
Der Kläger leide unter stetigen Schmelzen und erheblichen Einschränkungen. Er sei bis heute nicht geheilt und müsse regelmäßig zu Nachbehandlungen gehen. Im Rahmen der PET-CT Untersuchung am 22.01.2019 sei das Wachstum von zwei Herden festgestellt worden. Der Kläger sei mit einem Grad der Behinderung von 80 beeinträchtigt.
21
Er sei erneut vom 11.02.2019 bis 27.02.2019 stationär im Klinikum B2. aufgenommen worden, wo er am 12.02.2019 an der Lunge operiert worden sei. Dort sei eine Biomarker-Analyse des Tumors veranlasst worden, um zu prüfen, ob eventuell eine Immuntherapie für die weitere Behandlung des Klägers in Betracht komme.
22
Der Kläger leide bis heute unter Schlafstörungen und Ängsten. Er habe die Sorge, dass sich weitere Metastasen bilden könnten. Diese seit 2,5 Jahren bestehende Sorge habe sich durch die Untersuchung im Januar 2019 bestätigt. Es seien auch nach der Operation am 12.02.2019 aller Wahrscheinlichkeit nach weitere Operationen, Chemotherapie, Bestrahlung und/oder Immuntherapie erforderlich.
23
Insbesondere leide er unter Angststörungen, welche zu einer Minderung der Lebensqualität und zu depressiven Stimmungslagen führe. Seit der Behandlung im … am 14.04.2016 sei der Kläger mit seiner Ehefrau nicht mehr verreist, da er Komplikationen befürchte. Das Eheleben sei durch die Beeinträchtigungen erheblich belastet.
24
Der Kläger habe demnach einen Anspruch auf Schmerzensgeld und halte einen Betrag von mindestens 50.000,00 € für angemessen.
25
Ferner habe der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von 2.454,70 € wegen weiterer materieller Schäden.
26
Der Anspruch umfasse zudem den Ersatz des Schadens, welcher durch die vermehrte Haushaltsführung für die Vergangenheit (14.04.2016 bis 13.03.2018 und 14.03.2018 bis 28.06.2019), in Höhe von 42.704,49 € entstanden sei.
27
Dem Kläger sei infolge der vermehrten Haushaltsführungsbedürfnisse eine angemessene monatliche Geldrente in Höhe von 732,08 €, mithin für die nächsten 42 Monate in Höhe von insgesamt 30.747,36 € zu zahlen.
28
Der Kläger beantragt,
- 1.
-
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 50.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
- 2.
-
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.454,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,
- 3.
-
die Beklagte zu verurteilen, wegen der bisherigen vermehrten Haushaltsführungsbedürfnisse im Zeitraum vom 14.04.2016 bis einschließlich 28.06.2019 an den Kläger einen Betrag in Höhe von 42.704,49 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,
- 4.
-
die Beklagte für die Folgen der vermehrten Haushaltsführungsbedürfnisse zu verurteilen, an den Kläger ab dem 29.06.2019 eine angemessene monatliche Geldrente zu zahlen, welche in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 732,08 € monatlich,
- 5.
-
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und - im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren - immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihm anlässlich der Behandlung entstanden sind und noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
29
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
30
Die Beklagte trägt vor,
dass weder Anamnese-, Befunderhebungs- oder Diagnosefehler vorlägen. Der Kläger sei nach dem Standard guter (haus-)ärztlicher Behandlung versorgt worden.
31
Im Rahmen des Termins am 26.06.2015 habe der Kläger angegeben, dass es ihm gut gehe. Er habe der Beklagten nicht von Husten oder Atemnot berichtet, was diese ansonsten dokumentiert und zu einer entsprechenden Befunderhebung und Medikation veranlasst hätte.
32
Im September 2015 habe die Tochter des Klägers, …, die Beklagte gefragt, ob eine Vorstellung ihrer Eltern in der Praxis erforderlich sei. Die Beklagte habe daraufhin mitgeteilt, dass dies nicht der Fall sei, wenn ihr Vater keine Beschwerden habe.
33
Es seien die üblichen Laborkontrollen sowie eine Überweisung zum Urologen erfolgt. Die Beklagte habe den Kläger zwischen dem 26.06.2015 und dem Termin im Januar 2016 nicht gesehen.
34
Einen Termin des Klägers bei der Beklagten am 03.12.2015 habe es nicht gegeben.
35
Die Eintragung mit der EBM-Ziffer 92276F am 03.12.2015 sei eine Abrechnung im Zusammenhang mit dem Disease-Management-Programm für die diesbezüglichen Tätigkeiten der Mitarbeiterin.
36
Der Kläger habe sich am 15.01.2016 turnusgemäß bei der Beklagten vorgestellt. Erstmalig habe er neben anderen Beschwerden auch „immer wieder morgens Kratzen im Hals und Hüsteln“ angegeben. Von „starkem Reizhusten“ oder „schleimigen Auswurf“ habe der Kläger nicht berichtet, da die Beklagte dies ansonsten dokumentiert und weitere Befunde erhoben hätte. Die Beklagte habe vorgeschlagen, die Hochdrucktherapie bei anhaltender Beschwerden entsprechend zu modifizieren. Der Kläger solle sich bei Persistenz oder Verschlechterung jederzeit wieder vorstellen.
37
In der Folgezeit habe sich der Kläger nicht mehr bei der Beklagten vorgestellt. Auch seine Tochter habe der Beklagten nicht von zunehmenden Hustenproblemen des Vaters berichtet.
38
Der hartnäckige Husten sei erstmals am 30.03.2016 von Herrn … dokumentiert worden. Dieser habe dann entsprechende Untersuchungen veranlasst.
39
Der gesamte weitere Verlauf nach dam 30.03.2016 entziehe sich der Wahrnehmung der Beklagten und werde daher mit Nichtwissen bestritten, soweit er sich nicht eindeutig aus den Behandlungsunterlagen ergeben sollte. Ebenso werde mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger in adäquat kausaler Folge der der Beklagten angelasteten Fehler irgendwelche materiellen und/oder immateriellen Schäden erlitten habe.
40
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Erholung eines internistischen Sachverständigengutachtens. Für die Einzelheiten des Gutachtens wird auf die schriftliche Stellungnahme von … vom 29.02.2020 (Bl. 80/82 d.A.). Die Kammer hat darüber hinaus die Parteien gemäß § 141 ZPO angehört sowie die Zeugin … vernommen; für das Ergebnis wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.08.2021 Bezug genommen.
41
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien mit Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.08.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
42
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
43
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der ärztlichen Pflichten aus dem Behandlungsvertrag (§§ 630a ff., 280 BGB) noch nach Dsliktsrecht (§§ 823 ff. BGB). Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stellt sich die streitgegenständliche Behandlung durch die Beklagte nicht als fehlerhaft dar.
44
1. Die streitgegenständliche Behandlung durch die Beklagte stellt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht als fehlerhaft dar.
45
1.1 Eine ärztliche Behandlung hat gemäß § 630a Abs. 2 BGB nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen. Der Arzt schuldet dem Patienten damit diejenige Behandlung, die dem zum Zeitpunkt der Behandlung anerkannten und gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Objektiver Maßstab dafür ist der Standard eines berufserfahrenen Facharztes, also das zurr Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, von einem durchschnittlichen Facharzt verlangte Maß an Kenntnis und Können (BGH, Urteil v. 19.04.2000 - Az. 3 StR 442/99 - Rz. 37 - alle Entscheidungen, sofern nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank). Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (BGH, Urteil v. 15.04.2014 - Az. VI ZR 382/12 - Rz. 11).
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1.2 Diesen Maßstab zugrunde gelegt, sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer keine Behandlungsfehler festzustellen.
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1.2.1 In Bezug auf die zwischen den Parteien streitigen Fragen, an welchen Tagen der Kläger bei der Beklagten vorstellig wurde und welche Symptome hierbei der Beklagten von dem Kläger anamnestisch geschildert wurden, hat die Kammer Beweis erhoben.
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1.2.1.1 Der Kläger berichtete im Rahmen seiner informatorischen Anhörung, dass er am 26.06.2015 bei der Beklagten vorstellig geworden sei. Er habe angegeben, seit längerer Zeit an starkem Reizhusten mit Auswurf zu leiden und die Beklagte gefragt, ob dies am Kehlkopf liegen könne. Es seien verschiedene Punkte besprochen worden. Zum Husten habe sich die Beklagte aber gar nicht geäußert. Sie habe gesagt, dass sonst alles in Ordnung sei.
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Der Husten sei im weiteren Verlauf immer stärker geworden, er sei jedoch davon ausgegangen, dass man ihm einen Termin geben werde, falls dies notwendig sei, zumal die Beklagte im Juni ja auch gesagt habe, dass alles in Ordnung sei.
50
Die für September vorgesehene Grippeimpfung, die ihm üblicherweise von seiner Tochter verabreicht worden sei, habe er sich aufgrund des Hustens in diesem Jahr nicht geben lassen. Mit seiner Tochter habe er danach auch nicht mehr über den Husten gesprochen.
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Seine Tochter habe dann den Termin am 03.12.2015 ausgemacht. Bei diesem Termin habe er gesagt, dass der Husten mit Auswurf zugenommen habe und er habe gefragt, woran dies liegen könne. Die Beklagte habe darauf hingewiesen, dass dies bei älteren Männern mal vorkommen könne; es könne jedoch auch mit der Medikamentenumstellung zu tun haben.
52
All die Punkte, die in der Dokumentation am 15.01.2015 stünden, seien eigentlich am 03.12.2015 gewesen. Für den 03.12.2015 sei schließlich auch etwas abgerechnet worden.
53
An Weihnachten habe er während der Feier, bei der auch die Kinder zugegen gewesen seien, wegen der sehr schmerzhaften Hustenanfälle immer wieder ins Bad gehen müssen. Gleichwohl sei er nicht eher zum Arzt gegangen, sondern erst Ende März, da er sich an die Vorgabe, erst in einem Vierteljahr wieder zu kommen, habe halten wollen.
54
Die Beklagte führte aus, sich nicht mehr an Details zu erinnern. Es sei ihr aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass sie immer sehr zeitnah, meist während des Termins, dokumentiert habe und dies zudem sehr ausführlich. Grundsätzlich könne man Veränderungen an der Dokumentation vornehmen, dies lasse sich jedoch feststellen. Ende des Jahres 2015, als die Übergabe der Praxis erfolgt sei, sei einmal die Gesamtdatei gespiegelt worden. Diese Spiegelung sei nicht änderbar. Im Zusammenhang mit dem Praxiswechsel habe es auch ein Zerwürfnis mit der … der Tochter des Klägers, gegeben. Mit dem Kläger habe dies allerdings nichts zu tun.
55
Sie gehe aufgrund der Dokumentation davon aus, dass der Kläger die Grippeimpfung am 11.09.2015 von seiner Tochter erhalten habe, zumal die Impfung auch abgerechnet worden sei. Sie gehe auch davon aus, dass die Tochter des Klägers sie gefragt hätte, wenn der Kläger Erkältungssymptome gehabt hätte. Sie könne sich in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass sie von der … erfragt worden sei, ob ihre Eltern kommen müssten. Sie, die Beklagte, habe geäußert, dass eine Vorstellung nicht erforderlich sei, wenn sonst alles in Ordnung sei. Dies sei von der … nicht verneint worden.
56
In dem streitgegenständlichen Zeitraum sei sie von der Tochter des Klägers zu keinem Zeitpunkt auf einen eventuellen Husten des Klägers angesprochen worden und die Zeugin habe auch nicht um einen Termin für ihre Eltern gebeten.
57
Am … sei ihr Mann 65 Jahre alt geworden und man habe den Geburtstag am selben Tag gefeiert. Den 03.12.2015 hätten sie für Einkäufe genutzt. Deshalb hätten sie an beiden Tagen Urlaub gehabt und es habe an beiden Tagen keinerlei Termin gegeben. Ihr seien an diesen Tagen von dem Kläger und seiner Ehefrau keine Plätzchen gebracht worden. Dies könne sie anhand der Ausdrucke des Praxisterminkalenders - diese wurden von der Beklagten im Termin übergeben - sowie der Kreditkartenabrechnungen der beiden Tage belegen. Bei der Eintragung in der Behandlungsdokumentation handle es sich um eine Abrechnungsziffer im Zusammenhang mit dem Desease-Management-Programm; diese stehe nicht im Zusammenhang mit einem Termin.
58
Sie sei sich ziemlich sicher, dass am 15.01.2016 der Husten so beschrieben worden sei, wie es in der Dokumentation stehe. Wenn ihr ein Husten, wie von dem Kläger geschildert, berichtet worden wäre, hätte sie ihn abgehört und abhängig vom Ergebnis, hätte sie eventuell zunächst einen Therapieversuch - nicht länger als zwei Wochen - unternommen. Wenn sich dann keine positiven Veränderungen ergeben hätten, hätte sie den Kläger zum Röntgen geschickt; möglicherweise hätte sie dies aber auch sofort, ohne Therapieversuch, getan. In jedem Fall hätte sie einen Husten dokumentiert.
59
Der hartnäckige Husten sei erstmal am 30.03.2016 dokumentiert worden. In der Zwischenzeit habe es auch Telefonate gegeben, die aber keinen Hinweis auf einen hartnäckigen Husten ergeben hätten.
60
Die Zeugin … gab an, dass sie - trotz anderslautender Behandlungsdokumentation - sicher sei, dass sie im September 2015 ihren Vater nicht geimpft habe. Dieser habe geäußert, nicht geimpft werden zu wollen, da er einen Infekt habe oder „verschleimt“ sei.
61
Ihr sei nicht erinnerlich, dass ihr Vater in diesem Zeitraum - auch nicht an Weihnachten - über stärkere Beschwerden oder einen Husten berichtet habe. Ebenso könne sie sich nicht an ein Gespräch mit der Beklagten bezüglich einer Kontrolluntersuchung erinnern.
62
Sie habe keinerlei Erinnerung daran, wenn ihr Vater in der Praxis gewesen sei. Wenn in der Dokumentation der 15.01.2016 stehe, gehe sie auch davon aus, dass der Termin an diesem Tag stattgefunden habe. Anhaltspunkte für eine nachträgliche Änderung der Dokumentation habe sie nicht. Während ihrer 30-jährigen Mitarbeit in der Praxis habe sie die Beklagte so kennengelernt, dass diese spätestens am Abend desselben Tages eine zunächst gefertigte Kurz-Dokumentation in das System übernommen habe. Die Beklagte habe immer alles zeitnah gemacht.
63
Am 04.12. sei der Ehemann der Kläger meistens weg gewesen.
64
1.2.2.2 Die Kammer vermochte sich im Ergebnis nicht davon zu überzeugen, dass der insoweit beweisbelastete Kläger der Beklagten - wie von ihm geschildert - bereits ab Ende Juni 2015 von einem hartnäckigen Husten berichtete, welchen die Beklagte unbeachtet ließ.
65
Die Angaben des Klägers und der Beklagten widersprechen sich. Wenngleich die Kammer davon ausgeht, dass der Kläger seine Angaben tatsächlich entsprechend seiner Erinnerung und persönlichen Überzeugung machte - und nicht etwa die Kammer vorsätzlich mit der Unwahrheit bediente -, ist sie gleichwohl der Überzeugung, dass die Behandlungstermine gemäß der Schilderung der Beklagten stattfanden. Dies gilt zum einen im Hinblick auf die Chronologie der Arzttermine, zum anderen aber auch in Bezug auf den Inhalt der Gespräche.
66
Die Angaben der Beklagten stehen in Einklang mit der von ihr vorgelegten Behandlungsdokumentation. Ein Husten im Zusammenhang mit der Vorstellung des Klägers bei der Beklagten am 26.06.2015 ergibt sich hieraus nicht. Die Beklagte machte auf die Kammer einen äußerst gründlichen, sorgfältigen und gewissenhaften Eindruck. Soweit sie angab, stets zeitnah zu dokumentieren, wurde dies von der Zeugin W. bestätigt. Die Angaben der Zeugin waren glaubhaft. Wenngleich es sich hierbei um die Tochter des Klägers handelt und im zeitlichen Zusammenhang mit der Praxisübernahme nach jahrzehntelanger, vertrauensvoller Zusammenarbeit ein persönlicher Konflikt zwischen ihr und der Beklagten entstand, zeigte die Zeugin keinerlei Belastungseifer. Im Gegenteil stützte sie in der Tendenz sogar eher die Angaben der Beklagten. Die Zeugin machte deutlich, dass ihr Vater in dem streitgegenständlichen Zeitraum keineswegs über einen (stärkeren) Husten geklagt hatte. Auch im Zusammenhang mit der abgesagten Grippeimpfung wurde ein solcher Husten von ihm nicht erwähnt. Für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Beklagten spricht auch der mit Anlage B1 vorgelegte Arztbrief des Kardiologen … vom 02.12.2015. Bei „Indikation/Anamnese“ ist vermerkt: „Routinekontrolle, keine Beschwerden“. Unter „Klinischer Befund“ findet sich: „Pulmo frei“.
67
Die Kammer geht - in Einklang mit den Angaben der Beklagten - davon aus, dass der Kläger erneut am 15.01.2016 und nicht, wie von ihm behauptet, am 03.12.2015 bei der Beklagten vorstellig wurde. In der Dokumentation der Beklagten finden sich ausführliche Einträge em 15.01.2016. Für die Schilderung der Beklagten, dass aufgrund des Geburtstags ihres Ehegatten und der hierfür erforderlichen Einkäufe am Vortag an beiden Tagen keine Termine vergeben worden seien, streitet der von ihr vorgelegte Ausdruck des Terminkalenders. Die Zeugin … konnte bestätigen, dass der Ehemann der Klägerin an seinem Geburtstag zumeist nicht arbeitete. Anhaltspunkte für eine nachträgliche Änderung der Behandlungsdokumentation sind für die Kammer in keiner Weise ersichtlich.
68
Auch bezogen auf die bei diesem Termin geschilderten Beschwerden des Klägers folgt die Kammer den Angaben der Beklagten, die durch ihre Behandlungsdokumentation bestätigt werden. Die Beklagte machte nachvollziehbar deutlich, wie sie im Falle einer Schilderung starken Hustens therapeutisch vorgegangen wäre. Die Zeugin W. vermochte die Schilderung des Klägers, der über schmerzhafte Hustenanfälle an Weihnachten - nur wenige Wochen vor dem Behandlungstermin - berichtete, nicht zu bestätigen.
69
Letztlich ist für die Kammer auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger - starken Husten ab Ende Juni 2015 unterstellt - nicht weitere Schritte unternahm, um eine ärztliche Behandlung zu erhalten, zumal, wie von der Beklagten berichtet, weitere Telefonate in diesem Zeitraum stattfanden. Auch über seine Tochter, die in der Praxis der Beklagten angestellt war, wäre ihm eine Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung ohne weiteres möglich gewesen.
70
1.2.2 Ausgehend davon, dass sich die streitgegenständliche Behandlung wie von der Beklagten berichtet ereignete, sind aus sachverständiger Sicht keine Behandlungsfehler festzustellen.
71
Der Sachverständige …egte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 28.02.2020 dar, dass Husten über sechs Wochen ohne andere erklärende Ursachen weitergehend, d.h. technisch mit Röntgen und ggfs. weiteren Untersuchungen abgeklärt werden müsse. Der Vorwurf unzureichender Anamneseerhebung, Untersuchung und fehlender technischer Untersuchung der Lunge würde jedoch überhaupt nur zutreffen, wenn das Symptom „Husten“, dann noch wochenlang anhaltend, überhaupt zur Kenntnis der Beklagten gekommen wäre.
72
In diesem Zusammenhang sei auch darauf hinzuweisen, dass es wohl nicht recht heftig oder gar quälend gewesen sein könne, weil kein Arztkontakt über die folgenden sechs Monate stattgefunden habe. Beim Kardiologen sei am 03.12.2015 vermerkt worden, dass keine Beschwerden vorhanden seien und die Lunge bei Untersuchung unauffällig sei.
73
Die Kammer schließt sich den verständlich und einzelfallbezogen begründeten Ausführungen des Sachverständigen an. Unter Zugrundelegung des von der Beklagten geschilderten Behandlungsverlaufes verneint sie mithin einen Behandlungsfehler.
74
1.3 Somit ist es dem Kläger nicht gelungen, zur Überzeugung der Kammer den Nachweis für einen Behandlungsfehler zu führen, so dass er insoweit auch keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz hat.
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2. Die Kammer hat sich bezüglich der internistischen Fragestellungen durch … sachverständig beraten lassen. Die schriftliche Stellungnahme ist schlüssig und verständlich. Der Sachverständige hat seine Beurteilung nach ersichtlich gründlicher Auswertung der umfassend beigezogenen Behandlungsunterlagen uneingeschränkt fundiert, sachlich nachvollziehbar und in überzeugender Auseinandersetzung mit der Argumentation der Parteien erstattet.
76
Die Ausführungen des Sachverständigen sind von großer praktischer Erfahrung geprägt und zeugen von großem Fachwissen. Kompetenz und Erfahrung stehen für die Kammer ebenso außer Zweifel wie seine Objektivität. Die Kammer schließt sich den Feststellungen von … daher uneingeschränkt an.
77
3. Auf Grund all dessen hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz, so dass die Klage als unbegründet abzuweisen ist.
78
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.