LG Passau, Endurteil v. 06.04.2021 – 4 O 1273/20
Titel:
Verjährungsbeginn begründende Kenntnis im Diesel-Skandal
Normenkette:
BGB § 31, § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 818 Abs. 1 § 826, § 852
Leitsätze:
Für die im Sinne von § 199 Abs. 1 Nummer 2 BGB erforderliche Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände ist es nicht erforderlich, dass die Klägerin den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt (vgl. BGH NJW 2008, 1729). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine den Verjährungsbeginn begründende Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände ist es nicht erforderlich, dass der Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt wird (Anschluss an BGH BeckRS 2008, 5761 Rn. 26). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verjährungsbeginn, Kenntnis, EA 189, Motorsteuerungssoftware, Software-Update, Ad-hoc-Mitteilung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 20.10.2021 – 13 U 2620/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 25.04.2022 – VIa ZR 524/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 53559
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Streitwert: 9.411,76 Euro.
Tatbestand
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Die Klägerin erwarb am 17.08.2015 von Privat in W. einen gebrauchten Pkw Skoda Octavia Combi 1,6 TDI mit einem Kilometerstand von 85.800 km, Erstzulassung xx.xx.2011 zu einem Kaufpreis von 11.200,00 Euro.
2
In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut, dessen Motorsteuerungssoftware zum Zeitpunkt der Erstzulassung eine Prüfstandserkennung enthielt, die dazu führte, dass sich das Abgasverhalten des Fahrzeugs danach richtete, ob es auf einem Prüfstand betrieben wurde oder nicht. Das Kraftfahrtbundesamt hat diese Prüfstandserkennung beanstandet. Die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs hat ein Update zur Motorsteuerung entwickelt, das, wenn es aufgespielt wird, die Bedenken des Kraftfahrtbundesamtes zur Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs beseitigt.
3
Im September 2015 ging die Beklagte an die Öffentlichkeit und informierte diese, dass in etwa 11.000.000 Volkswagenkonzern-Fahrzeugen mit dem EA 189 Motor eine Software eingebaut ist, die zu auffälligen Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb führte. Am selben Tag, den 22.09.2015, veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung mit demselben Inhalt. Eine weitere Pressemitteilung erging am 02.10.2015 mit der Mitteilung einer Internetseite, auf der Jedermann durch Eingabe einer Fahrzeugidentifikationsnummer FIN überprüfen konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit dieser Umschaltlogik ausgestattet war. Entsprechende Pressemitteilungen ergingen durch die Audi AG am 02.10.2015.
4
Im Februar 2016 teilte die Beklagte allen betroffenen Eigentümern mit, dass deren Fahrzeug betroffen sei und ein Update durchgeführt werden sollte.
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Die Klägerseite behauptet, sie sei durch die Beklagte laut Herstellerin des Fahrzeugs und des Motors getäuscht und sittenwidrig geschädigt worden. Sie hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn sie zum Zeitpunkt des Kaufes die Manipulation gekannt hätte.
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Der Musterfeststellungsklage hat sich die Klägerseite nicht angeschlossen.
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Verjährung läge nicht vor, da eine frühere Klageerhebung mangels Kenntnis nicht möglich gewesen wäre.
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Die Klägerin beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 8184,99 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01. Juni 2018 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Skoda vom Typ Octavia 1.6 TDI Combi mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …19 nebst zwei Fahrzeugsschlüsseln, KFZ-Schein und KFZ-Brief,zu bezahlen.
Hilfsweise:
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Artikel 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug der Marke Skoda vom Typ Octavia 1.6 TDI Combi mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …19 resultieren.
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
IV. Es wird festgestellt, dass der im Antrag zu I. bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
V. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von € 1.461,32 freizustellen.
9
Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
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Sie trägt vor, die Klägerseite sei durch die Beklagte weder getäuscht noch arglistig geschädigt worden, im Übrigen habe sie auch keinen Schaden erlitten, da sie zu jedem Zeitpunkt das Fahrzeug ordnungsgemäß nutzen könne und konnte. Auch sei der Anspruch verjährt.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Hauptverhandlungsprotokoll vom 30.03.2021, sowie die einseitige Teilerledigungserklärung Bezug genommen. Die Klage wurde am 30.12.2020 erhoben.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Das Gericht geht von der Anwendung deutschen Rechtes, wie auch die Klägerseite aus. Der Pkw wurde in Deutschland gekauft, hier der Vertrag geschlossen, hier fand zumindest auch die behauptete unerlaubte Handlung statt.
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1. Ansprüche der Klagepartei sind verjährt.
15
Die Ansprüche der Klagepartei aus § 826, 31 BGB unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB). Verjährungsbeginn war der 31.12.2015 (§ 199 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 BGB). Maßgeblich war die Kenntnis der Klagepartei von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners. Das Gericht geht davon aus, dass bereits im Jahr 2015 mit der ad-hoc-Mitteilung grob fahrlässige Unkenntnis vorlag. Von der Kenntnis der Klagepartei, dass ihr gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen der Prüfstandserkennung und Softwaremanipulation zustehen, ist aus Sicht des Gerichtes jedoch aber auch spätestens mit der Mitteilung, dass das Fahrzeug der Klägerseite betroffen war und sie ein Software-Update durchführen lassen sollte, gegeben. Dies war im Februar 2016. Unerheblich ist dabei, inwiefern einzelne Gerichte der Beklagten bereits eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Verantwortlichkeiten im Konzern zugewiesen haben. Die breite Argumentationsschiene sämtlicher Klägervertreter in Verfahren gegen die Beklagte wegen der Manipulationen am EA 189 Motor ging dahin, eine sekundäre Darlegungslast anzunehmen und den Vorstand in die Verantwortung zu nehmen. Für die im Sinne von § 199 Abs. 1 Nummer 2 BGB erforderliche Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände ist es nicht erforderlich, dass die Klägerin den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt (BGH NJW 2008, 1729). Sie muss lediglich die Tatsachen kennen, die die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm erfüllen. Kenntnis von der Person des Schuldners liegt dann vor, wenn die Verantwortlichkeit soweit geklärt ist, dass der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten oder erkennbaren Tatsachen eine hinreichend aussichtsreiche wenn auch nicht risikolose Klage gegen den Schuldner erheben kann (BGH NJW 2000,1499). In Zusammenschau dieser Umstände war der Klagepartei, nachdem sie die Mitteilung, dass ihr Fahrzeug betroffen ist, erhalten hatte, eine Klageerhebung gegen die Beklagte möglich.
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Verjährungshemmende oder verjährungsunterbrechende Maßnahmen hat die Klägerin nicht getroffen.
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Im Übrigen wurden auch bereits 2016 Klagen erhoben, auch mit Erfolg (vgl. z. B. LG Hildesheim, 3 O 139/16).
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Im Übrigen ist die 10-jährige Verjährung eingetreten, der Pkw wurde 2009 erstanden, sodass 10 Jahre später, zum 03.06.2019 die Verjährung eingetreten ist.
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2. Auch Ansprüche aus § 852 BGB scheitern. Der Anspruch, unabhängig davon, ob er dem Grunde nach besteht, ist auf den Betrag gerichtet, den die Beklagte auf Kosten der Verbraucher erlangt hat, also den Kaufpreis abzüglich der Händlermarge. Zu dem durch die unerlaubte Handlung erlangten Vorteil gehören gem. § 818 Abs. 1 BGB auch die durch die Nutzung des Kapitals erlangten tatsächlichen Zinsen.
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Vortrag oder eine Bezifferung diesbezüglich fehlt jedoch völlig, insbesondere wurde der PKW auch gebraucht und nicht von der Beklagten erworben.
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3. Auch die Aufspielung des Updates ändert nichts an der Verjährung, abgesehen davon, dass dies bereits auch im Jahr 2016 erfolgt ist, stellt dies kein Anerkenntnis dar, das die Verjährung hemmen würde.
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4. Nachdem keine Anspruchsgrundlage ersichtlich ist, ist auch der Hilfsantrag abzuweisen.
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II. Kosten: § 91 ZPO, die Teilerledigungserklärung ist ohne Einfluss auf die prinzipielle Kostentragungspflicht.
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III. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.
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IV. Streitwert: § 3 ZPO.