Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 20.04.2021 – 1 K 186/19
Titel:

Angemessenheit von Pensionszusagen

Normenketten:
EStG § 4 Abs. 1 S. 1 § 6a Abs. 1, Abs. 3 S. 4,
KStG § 8 Abs. 1 S. 1
BGB § 1587
GewStG § 7
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 u Nr. 2, § 135 Abs. 1, § 139 Abs. 3 S. 3, § 151 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 3,
ZPO § 708 Nr. 10, § 711
Leitsatz:
Die Ursächlichkeit des Gesellschaftsverhältnisses ist im Allgemeinen gegeben, wenn die Kapitalgesellschaft bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters den Vermögensvorteil einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umständen nicht gewähren würde (vgl. BFH-Urteile vom 24.08.1983 I R 16/79, BFHE 140, 167, vom 23.05.1984 I R 294/81). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Verdeckte Gewinnausschüttung
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – I R 42/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2022, 958
LSK 2021, 50866
BeckRS 2021, 50866
DStRE 2023, 269

Tenor

1. Unter Abänderung der geänderten Körperschaftsteuerbescheide und der Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2011 bis 2013 jeweils vom 11.10.2018 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 18.01.2019 wird die Körperschaftsteuer auf 23.212 € (2011), 38.820 € (2012) und 73.017 € (2013) sowie der Gewerbesteuermessbetrag auf 5.414 € (2011), 9.058 € (2012) und 17.034 € (2013) festgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Angemessenheit von Pensionszusagen gegenüber den Minderheitsgesellschafterinnen M und W-O.
2
Die Klägerin ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand die Ausbeute von Bodenschätzen sowie deren Lieferung und Verkauf an Bauunternehmer, Bauherren u.a. sowie die Ausführung von damit zusammenhängenden Arbeiten ist. Die wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin besteht im Vertrieb der Erzeugnisse der AGmbH & Co. KG, die ebenfalls zur Firmengruppe gehört.
3
An der Klägerin waren in den Streitjahren A1 (25%), A2 (25%), A3 (30%), W-O (10%) und M (10%) beteiligt. Derzeitiger Geschäftsführer der Klägerin ist A1.
4
Für die Streitjahre 2011 bis 2013 führte das Finanzamt eine Betriebsprüfung durch. Streitgegenständlich sind die Feststellungen im Bericht der Fachprüfung des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 16.12.2015. Der Prüfer stellte bei der Angemessenheit der Pensionszusagen für die Gesellschafterinnen W-O und M unter Berücksichtigung der Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Überversorgung in allen Streitjahren fest und setzte eine entsprechende vGA an.
5
W-O ist am ... 08.1974 und ihre Schwester M ist am ... 06.1970 geboren. Rentenbeginn von W-O ist regulär am 01.09.2041 und von M am 01.07.2037.
6
Die Aktivbezüge von W-O betrugen im in den Streitjahren 89.847 € (2011), 92.068 € (2012) und 91.670 € (2013), sowie für M 98.079 € (2011), 100.118 € (2012) und 98.369 € (2013).
7
Den Feststellungen des Betriebsprüfers folgend erließ das Finanzamt am 09.02.2017 für die Streitjahre geänderte Steuerbescheide.
8
Dagegen legte der steuerliche Vertreter fristgerecht Einspruch ein. Hierbei vertritt er die Ansicht, dass sich der Prüfer mit seiner Feststellung in Widerspruch zur gängigen Rechtsprechung des BFH gesetzt habe und verwies auf die Urteile vom 20.12.2006 (Az. I R 29/06) sowie vom 31.03.2004 (Az. I R 79/03).
9
Der Ansatz von fiktiven Ansprüchen aus der Rentenversicherung aufgrund zukünftiger Beitragszahlungen sei aufschiebend bedingt; ihre Realisierung sei ungewiss. Die Annahmen des Prüfers seien nicht schlüssig, denn wenn die zukünftigen Beitragszahlungen berücksichtigt würden, so sei auch mit den Gehältern der Zukunft zu rechnen und nicht mit denen der Streitjahre. Für die Ermittlung der Überversorgung seien nur die erreichten Rentenanwartschaften zu berücksichtigen.
10
W-O:

31.12.2011

31.12.2012

31.12.2013

Fiktive künftige Altersrente

32.804 €

32.804 €

32.729 €

Erreichte Rentenanwartschaft vgl. Klageantrag

11.798 €

12.479 €

13.213 €

Differenz

21.006 €

20.325 €

19.516 €

11
M:

31.12.2011

31.12.2012

31.12.2013

Fiktive künftige Altersrente

33.551 €

33.551 €

33.412 €

Erreichte Rentenanwartschaft vgl. Klageantrag

14.908 €

16.065 €

16.773 €

Differenz

18.643 €

17.486 €

13.896 €

12
Die Werte für die künftige Altersrente für die Streitjahre 2012 und 2013 sowie die erreichten Rentenanwartschaften für alle Streitjahre sind den Renteninformationen der beiden Gesellschafterinnen für die jeweiligen Stichtage entnommen. Für das Jahr 2011 hat der Fachprüfer die Werte aus dem Jahr 2012 übernommen.
13
Der Ansatz der fiktiven künftigen Altersrente führe bei M und W-O zu einem annähernd gleichen Wert, obwohl ein Altersunterschied zwischen den beiden Gesellschafterinnen von 4 Jahren bestehe. W-O verbliebe bei einer Direktzusage ein geringerer Restbetrag als ihrer älteren Schwester. Die Berechnung der Klägerin anhand des erreichten Rentenanwartschaft berücksichtige diesen Altersunterschied und sei sachgerechter.
14
Die verdeckten Gewinnausschüttungen aufgrund der sog. Überversorgung seien unter Zugrundelegung der tatsächlichen, erreichten Rentenanwartschaften zu berechnen.
15
Auf den Antrag der Klägerin vom 02.11.2017 hin, ergingen am 11.10.2018 für alle Streitjahre geänderte Steuerbescheide. Hierbei wurden auch Rechenfehler im Bericht des Fachprüfers ausgeglichen, da die vGA im Streitjahr 2013 unzutreffend ermittelt wurde. An der Ermittlung der Überversorgung unter Berücksichtigung der künftigen Rentenanwartschaften wurde jedoch festgehalten.
16
Es wurden folgende streitgegenständlichen vGA angesetzt:

2011

2012

2013

vGA gesamt

102.216 €

5.133 €

23.761 €

17
Das Finanzamt erließ am 18.01.2019 eine Einspruchsentscheidung und wies die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurück.
18
Hiergegen richtet sich die am 14.02.2019 fristgerecht erhobene Klage.
19
Zur Begründung verweist der Klägervertreter auf das BFH-Urteil vom 31.03.2004 (Az. I R 79/03). Dieses sei einschlägig, auch wenn es sich bei den beiden Gesellschafterinnen nicht um Geschäftsführer, sondern um reguläre Angestellte handle.
20
Die Klägerin hat beantragt,
die angefochtenen Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.01.2019 dahingehend zu ändern, dass die verdeckten Gewinnausschüttungen auf die Beträge reduziert werden, die sich durch die mitgeteilten Rentenanwartschaften ergeben. Dies sind für M 14.908 € (2011), 16.065 € (2012) und 16.773 € (2013), sowie für W-O 11.798 € (2011), 12.479 € (2012) und 13.213 € (2013).
21
Das Finanzamt hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
22
Beide beantragen im Fall des Unterliegens die Zulassung der Revision, da zu der Frage, welcher Rentenbetrag in die Berechnung einfließt, noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt.
23
Das Finanzamt führt aus, dass die Angemessenheitsprüfung auf Grundlage der sog. Überversorgungsgrundsätze des BFH erfolgt sei. Nach diesen Grundsätzen sei eine Pensionszusage nur angemessen, wenn die zugesagten Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge zusammen mit der zu erwartenden Sozialversicherungsrente und der Rente aus der Direktversicherung 75% des letzten steuerlich anzuerkennenden Arbeitslohns nicht übersteige. Es sei dabei auf die zugesagte Rente im Pensionsalter abzustellen. Diese sei noch nicht voll erdient und stelle aus Sicht des Bilanzstichtages einen in der Zukunft liegenden möglichen Wert dar. Insoweit sei auch die zu erwartende Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu berücksichtigen, welche sich im Pensionsalter unter den Verhältnissen am Bilanzstichtag (sog. Stichtagsprinzip) ergeben würde.
24
Beide Gesellschafterinnen seien sozialversicherungspflichtig und in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bei der Klägerin beschäftigt, es sei daher die zu erwartende Sozialversicherungsrente anzusetzen, die sich bei Fortzahlung der Sozialversicherungsbeiträge bis zum Renteneintritt ergebe.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Vorbringen der Beteiligten, auf die Akten des Finanzamts, die Finanzgerichtsakte, sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 20.04.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26
Die Klage ist begründet. In die Berechnung der Überversorgung ist die tatsächlich erdiente Rentenanwartschaft bei der gesetzlichen Rentenversicherung einzubeziehen.
27
1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 6a Abs. 1 EStG darf für Pensionsverpflichtungen eine steuerwirksame Rückstellung gebildet werden, sofern die in § 6a EStG genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Rückstellung ist nach § 6a Abs. 3 Satz 1 EStG höchstens mit dem Teilwert der Pensionsverpflichtung anzusetzen. Nach § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 EStG sind Erhöhungen oder Verminderungen der Pensionsleistungen nach dem Schluss des Wirtschaftsjahres, die hinsichtlich des Zeitpunktes ihres Wirksamwerdens oder ihres Umfanges ungewiss sind, bei der Berechnung des Barwertes der künftigen Pensionsleistungen und der Jahresbeträge erst zu berücksichtigen, wenn sie eingetreten sind.
28
Im Streitfall ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob zum jeweiligen Stichtag eine sog. Überversorgung vorliegt. Hierbei ist nach der ständigen BFH-Rechtsprechung die zu erwartende Sozialversicherungsrente zu berücksichtigen und in Abzug zu bringen. In einem zweiten Schritt ist bei Vorliegen einer Überversorgung zu prüfen, ob eine vGA vorliegt. Dies ist dann anzunehmen, wenn die tatsächliche Zuführung zur Pensionsrückstellung den angemessenen Teil der jährlichen Zuführung überschreitet.
29
1.1 Bei W-O liegt in allen Streitjahren eine Überversorgung vor, bei M nur im Streitjahr 2013. Hierbei stellt der erkennende Senat auf die am Bilanzstichtag erreichte Sozialversicherungsrentenanwartschaft, die sich aus den vorliegenden Renteninformationen für W-O und M ergibt, ab.
30
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zur sog. Überversorgung ist in der Vorwegnahme künftiger Entwicklungen eine Überversorgung zu sehen, die zur Kürzung der Pensionsrückstellung führt, und zwar typisierend dann, wenn die Versorgungsanwartschaft zusammen mit der Rentenanwartschaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung 75 v.H. der am Bilanzstichtag bezogenen Aktivbezüge übersteigt. Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die letzten Aktivbezüge und die zu erwartenden Sozialversicherungsrenten zu schätzen, hat der BFH zur Prüfung einer möglichen Überversorgung auf die vom Arbeitgeber während der aktiven Tätigkeit des Begünstigten tatsächlich erbrachten Leistungen abgestellt. Die Verwaltungspraxis hat sich dem mit BMF-Schreiben vom 03.11.2004 (BStBl I 2004, 1045) angeschlossen. Einer weiteren Differenzierung der gesetzlichen Rentenversorgung bedarf es bei der hier gebotenen Typisierung nicht (vgl. BFH-Urteil vom 20.12.2016 I R 4/15, BStBl II 2017, 678), da andernfalls der Empfänger der Versorgungszusage gegenüber seinem Arbeitgeber Details aus seiner Versorgungssituation offenlegen müsste.
31
Der vom Finanzamt gewählte Ansatz eines fiktiven Rentenanspruchs ist abzulehnen. Denn unter Anwendung der ständigen Rechtsprechung des BFH steht dieser Wert gerade nicht fest, sondern ist ungewiss. Es handelt sich vielmehr um die Vorwegnahme künftiger Entwicklungen.
32
1.1.1 Bei Ansatz eines fiktiven Rentenanspruchs unterstellt das Finanzamt, dass das Arbeitsverhältnis von W-O und M unter den gleichen Bedingungen bis zum Renteneintritt fortbesteht. Bei den bisher vom BFH entschiedenen Fällen stand der Renteneintritt des Empfängers der Versorgungszusage kurz bevor und dieser befand sich zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung bereits in Rente bzw. hat - anders als im Streitfall - keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mehr ausgeführt.
33
Im Streitfall muss M bis zu ihrem regulären gesetzlichen Renteneintritt noch 24 Jahre und W-O noch weitere 28 Jahre arbeiten und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in gleicher Höhe leisten. Dies lässt sich nach den Maßstäben des erkennenden Senats realistischer Weise nicht unterstellen, da die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zukünftig steigen müssen, um das Rentenniveau beizubehalten.
34
1.1.2 Weiterhin unterstellt das Finanzamt, dass das Gehalt von W-O und M bis zum Renteneintritt gleichbleibt. Dieser Ansatz ist unter Beachtung des Stichtagsprinzips zutreffend, führt aber beim Ansatz eines fiktiven Rentenanspruchs zu einer Verzerrung.
35
Während der fiktive Rentenanspruch Beitragszahlungen bis zum Renteneintritt einbezieht bleiben (fiktive) Gehaltssteigerungen außen vor.
36
Der erkennende Senat bezieht daher unter strikter Anwendung des geltenden Stichtagsprinzips weder die zukünftigen Rentenbeiträge noch zukünftige Gehaltssteigerungen der Gesellschafterinnen mit ein.
37
1.1.3 Bei der Annahme eines fiktiven Rentenanspruchs unterstellt das Finanzamt weiter, dass sich bis zum Renteneintritt die persönlichen Verhältnisse der Gesellschafterinnen nicht ändern. Mögliche Entwicklungen hinsichtlich Krankheit, Arbeitslosigkeit, Teilzeittätigkeit, Mutterschutz und Elternzeit, Berufsunfähigkeit oder Tod werden bei der Prognose des Finanzamts für die nächsten 24 bzw. 28 Jahre gänzlich außer Acht gelassen. Der als künftige Altersrente in den Renteninformationen ausgewiesene Betrag enthält diverse Unwägbarkeiten, die in der Realität zu einem erheblich niedrigeren Rentenanspruch der Gesellschafterinnen führen können.
38
1.1.4 Bei W-O ist in diesem Zusammenhang zudem zu berücksichtigen, dass sie verheiratet ist. Eine mögliche Scheidung der Ehe hätte erheblichen Einfluss auf die Höhe der zu erwartenden Rente. Denn bei einem sog. Versorgungsausgleich nach § 1587 BGB, der bei einer Scheidung verpflichtend durchzuführen ist, werden alle während der Ehezeit erworbenen Rentenansprüche addiert und im Anschluss hälftig geteilt. Die Deutsche Rentenversicherung Bund weist in den Renteninformationen auf diese Tatsache hin, indem sie ausführt, dass „auch wir die Entwicklung nicht vorhersehen“ können.
39
1.1.5 Bei Ansatz eines fiktiven Rentenanspruchs wird auch der Autonomie der Gesellschafterinnen nicht genügend Beachtung geschenkt. Sie könnten sich für einen vorzeitigen Rentenbeginn unter Abschlägen oder für ein Altersteilzeitmodell entscheiden. Diese zukünftigen, zum jeweiligen Stichtag nicht feststehenden Entwicklungen, haben erheblichen Einfluss auf die Höhe der zu erwartenden Rente.
40
1.1.6 Der BFH selbst führt in seinem Urteil vom 02.12.2014 aus, dass sich die zu erwartende Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung durch die zuverlässige Mitteilung des gesetzlichen Trägers ohne Schwierigkeiten in die Besteuerungspraxis einbeziehen lässt. Dem folgend, kann jedoch nur die bereits erreichte Rentenanwartschaft gemeint sein, da die dort genannte künftige Rente erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungen unterworfen ist und - einer Prognose immanent - eben keinen zuverlässigen Wert angibt.
41
1.1.7 Der Gesetzgeber stellt im Wortlaut des § 6a Abs. 3 Satz 4 EStG explizit darauf ab, dass Veränderungen der Pensionsleistungen erst berücksichtigt werden, wenn diese eingetreten sind und damit Ungewissheiten gerade keine Berücksichtigung finden. Diese Wertung ist nach Auffassung des Gerichts auch auf die bei Ermittlung einer Überversorgung auf die hierbei zu berücksichtigende Sozialversicherungsrente anzuwenden. Es ist nur auf die bis zum Stichtag erdiente bzw. erreichte Rentenanwartschaft abzustellen und nicht auf ein fiktive, auf einer unsicheren Prognose beruhende, mögliche Rente.
42
1.1.8 Der weiterhin bestehenden Sozialversicherungspflicht der beiden Gesellschafterinnen wird dadurch Rechnung getragen, dass die Berechnung einer Überversorgung und die damit in der Regel einhergehende vGA zu jedem Stichtag neu zu berechnen ist.
43
1.2 Im Streitfall liegt nur für W-O in den Jahren 2011 und 2013 eine vGA vor; für M hingegen in keinem der Streitjahre.
44
Unter einer vGA im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG (für die Gewerbesteuer i.V.m. § 7 GewStG) auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der BFH eine Veranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter oder einer diesem nahe stehenden Person einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (BFH-Urteil vom 16.03.1967 I 261/63, BStBl III 1967, 626). Die Ursächlichkeit des Gesellschaftsverhältnisses ist im Allgemeinen gegeben, wenn die Kapitalgesellschaft bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters den Vermögensvorteil einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umständen nicht gewähren würde (vgl. BFH-Urteile vom 24.08.1983 I R 16/79, BFHE 140, 167, vom 23.05.1984 I R 294/81, BFHE 141, 266 und vom 17.10.1984 I R 22/79, BFHE 142, 276).
45
Von einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist im Streitfall auszugehen, wenn die zugrundeliegende Vereinbarung nicht fremdüblich ist. Im Fall einer betrieblichen Pensionszusage an einen Gesellschafter ist jeweils stichtagsbezogen zu prüfen, ob eine Überversorgung vorliegt. Bei Überschreiten der von der Rechtsprechung entwickelten 75%-Grenze ist eine vGA dann anzunehmen, wenn die tatsächliche Zuführung zur Pensionsrückstellung die angemessene Zuführung überschreitet.
46
Im Streitfall hat eine entsprechende Prüfung, ob eine vGA vorliegt, für W-O in allen Streitjahren und für M nur im Jahr 2013 zu erfolgen. Denn bei M liegt nur im letzten Streitjahr eine Überversorgung vor. Im Jahr 2011 ist eine vGA von 2.134 € und im Jahr 2013 eine von 6.898 € in Ansatz zu bringen. Für W-O ergibt sich rechnerisch keine vGA im Jahr 2012, da der tatsächlichen Zuführung von 7.384 € eine angemessene Zuführung von 8.504 € gegenübersteht. Gleiches gilt für das Jahr 2013 für die Gesellschafterin M, die tatsächliche Zuführung zur Pensionsrückstellung beträgt 20.914 € und angemessen wären 43.409 €.
47
Einzelheiten sind der nachfolgenden Berechnung jeweils getrennt nach Gesellschafterinnen zu entnehmen.
1.3. Berechnungen für die beiden Gesellschafterinnen
48
1.3.1 Berechnungen für W-O
49
50

31.12.2011

31.12.2012

31.12.2013

Aktivbezüge

89.847,00 €

92.068,00 €

91.670,00 €

mtl. Rentenanwartschaft (Dt. RV) zum Stichtag

983,13 €

1.039,88 €

1.101,09 €

Berechnung der Überversorgung

Maximale betriebliche Altersvorsorge

75% der Aktivbezüge

67.385 €

69.051 €

68.753 €

abzgl. Direktversicherung 1/10

- 11.346 €

- 11.346 €

- 11.346 €

abzgl. Rentenanwartschaft p.a.

- 11.798 €

- 12.479 €

- 13.213 €

maximale betriebliche Altersvorsorge

44.242 €

45.226 €

44.193 €

Überversorgung

Versorgungszusage

45.942 €

45.942 €

48.630 €

maximale betriebliche Altersvorsorge

44.242 €

45.226 €

44.193 €

Überversorgung (nur wenn positiv)

1.700 €

716 €

4.437 €

Berechnung der vGA

Teilwert zum 31.12.

57.601 €

64.985 €

86.725 €

Teilwert zum 01.01.

0 €

57.601 €

64.985 €

gewinnmindernde Zuführung PensRSt

57.601 €

7.384 €

21.740 €

angemessener Teilwert zum 31.12.

55.467 €

63.971 €

78.813 €

angemessener Teilwert zum 01.01.

0 €

55.467 €

63.971 €

Zuführung angemessen

55.467 €

8.504 €

14.842 €

vGA lt. FG (nur wenn positiv)

2.134 €

- 1.120 €

6.898 €

In allen Streitjahren liegt bei W-O eine Überversorgung vor. Diese führt jedoch nur in den Jahren 2011 und 2013 zum Ansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung, da jeweils der Vorjahreswert bei der Berechnung der Höhe der angemessenen Zuführung zu berücksichtigen ist.

1.3.2 Berechnungen für M

31.12.2011

31.12.2013

31.12.2011

31.12.2012

31.12.2013

Aktivbezüge

98.079,00 €

100.118,00 €

98.369,00 €

mtl. Rentenanwartschaft (Dt. RV) zum Stichtag

1.242,37 €

1.338,74 €

1.397,73 €

Berechnung der Überversorgung

Maximale betriebliche Altersvorsorge

75% der Aktivbezüge

73.559 €

75.089 €

73.777

abzgl. Direktversicherung 1/10

- 9.904 €

- 9.904 €

- 9.904

abzgl. Rentenanwartschaft p.a.

- 14.908 €

- 16.065 €

- 16.773

maximale betriebliche Altersvorsorge

48.747 €

49.120 €

47.100

Überversorgung

Versorgungszusage

48.516 €

48.516 €

51.630 €

maximale betriebliche Altersvorsorge

48.747 €

49.120 €

47.100 €

Überversorgung (nur wenn positiv)

- 231 €

- 604 €

4.530 €

Berechnung der vGA

Teilwert zum 31.12.

116.326 €

127.664 €

148.578 €

Teilwert zum 01.01.

0 €

116.326 €

127.664 €

gewinnmindernde Zuführung PensRSt

116.326 €

11.338 €

20.914 €

angemessener Teilwert zum 31.12.

42.581 €

50.079 €

93.488 €

angemessener Teilwert zum 01.01.

50.079 €

Zuführung angemessen

43.409 €

vGA lt. FG (nur wenn positiv)

- 22.495 €

51
Bei M liegt nur im Streitjahr 2013 eine Überversorgung vor. Allerdings führt diese nicht zur Feststellung einer vGA, da nur 20.914 € tatsächlich zugeführt wurden und unter Übernahme des Teilwerts zum 01.01.2013 eine Zuführung von 43.409 € angemessen wäre.
1.3.3 Steuer- und Messbetragsberechnung
52
1.3.3.1 Körperschaftsteuer

2011

2012

2013

zvE lt. FA

254.830 €

263.939 €

503.645 €

vGA lt. Bescheiden

- 102.216 €

- 5.133 €

- 23.761 €

vGA Urteil

2.134 €

0 €

6.898 €

zvE Urteil

154.748 €

258.806 €

486.782 €

KSt lt. Urteil (15%)

23.212 €

38.820 €

73.017 €

Gewerbesteuermessbetrag

2011

2012

2013

verbleibender Betrag lt. Urteil

154.748 €

258.806 €

486.782 €

Gewerbeertrag lt. Urteil

154.700 €

258.800 €

486.700 €

Messbetrag lt. Urteil (3,5%)

5.414 €

9.058 €

17.034 €

53
2. Die Kosten des Verfahrens waren dem Beklagten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 FGO), da er unterlegen ist.
54
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren diente der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), da die Sach- und Rechtslage nicht so einfach war, dass sich die Beteiligte selbst vertreten konnte (vgl. BFH VIII R 73/00, BFH/NV 2003, 25).
55
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO und hat von Amts wegen zu erfolgen.
56
5. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zuzulassen, da zur Frage des Ansatzes der zu erwartenden Sozialversicherungsrente bei weiterhin sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Anwartschaftsphase und zu einer Überversorgung von Minderheitsgesellschaftern keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt.