VG Ansbach, Urteil v. 29.11.2021 – AN 2 K 21.00348
Titel:
Berücksichtigung von Dauerleiden bei Prüfungen
Normenketten:
BayVwVfG Art. 30 Abs. 5, Art. 41 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Ein Dauerleiden ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, die die Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft oder doch auf unbestimmte Zeit ohne sichere Heilungschance bedingt. Für das Nichtvorliegen eines Dauerleidens tragen die Prüflinge die Darlegungs- und Beweislast. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem Dauerleiden bleibt der fehlgeschlagene Prüfungsversuch gerade die Folge einer die Persönlichkeit prägenden und deshalb nicht irregulären Leistungsbeeinträchtigung des Prüflings. Der Grundsatz der Chancengleichheit verbietet es mit Blick auf den Prüfungszweck über derartige Leistungsmängel hinwegzusehen und die der tatsächlichen Leistungsfähigkeit entsprechenden Prüfungsleistung unberücksichtigt zu lassen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch wenn in der Nichtberücksichtigung von Dauerleiden eine Diskriminierung wegen der Behinderung gesehen wird, ist der Eingriff in das Benachteiligungsverbot gerechtfertigt, weil ansonsten berufsbezogene Prüfungen ihren Sinn verlören, die Leistungsfähigkeit der Prüflinge zu messen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erstmaliges Nichtbestehen der Diplomprüfung (Diplomarbeit), 3-Tages-Fiktion bei Bekanntgabe, Qualität des Bestreitens, Ruhen der Bearbeitungsfrist wegen Krankheit, Dauerleiden, Verfassungsmäßigkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Dauerleiden, Behinderung, Benachteiligungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49684
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Bescheides der Beklagten vom 3. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2021, in dem das erstmalige Nichtbestehen der Diplomprüfung der Klägerin festgestellt wurde.
2
Die Klägerin war ab dem Wintersemester … bis zum Ablauf des Sommersemesters … bei der Beklagten im Diplomstudiengang … immatrikuliert. Während des Studiums war sie mehrmals unter Vorlage von Attesten von Prüfungen zurückgetreten. Mit Schreiben vom … beantragte die Klägerin erstmals eine Studienzeitverlängerung um ein Semester auf Grund physischer und psychischer Beschwerden, die die Beklagte ihr gewährte. Eingereicht wurde dabei eine Bescheinigung, wonach sich die Klägerin seit … in psychosomatischer Behandlung befinde und ihre Lebensgestaltung in allen Lebensbereichen stark beeinträchtigt gewesen sei. In der Folgezeit wurden der Klägerin weitere Nachfristen für die Ablegung der Prüfungen gewährt, zuletzt mit Schreiben vom 3. Mai 2012.
3
Mit Schreiben vom 12. Februar 2013 teilte die Klägerin unter Vorlage eines Attestes und von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit, sie habe alle Klausuren erfolgreich absolviert. Leider habe sie von … bis … noch einmal operiert werden müssen, zur Endoskopie/Biopsie zweimal ins Krankenhaus etc. gemusst und sich daher nicht zur Diplomarbeit anmelden können. Sie habe ein Thema zugewiesen bekommen und im November mit dem Exposé begonnen, sei jedoch durch den folgenden, längeren Krankenhausaufenthalt unterbrochen worden. Sie arbeite seit dieser Woche weiter an dem Exposé. Sie würde ihre Diplomarbeit gerne bis Ende des Wintersemesters 2013 anmelden. Auf Grund der derzeitigen Beschwerden sei sie nicht in der Lage, die Arbeit zeitgerecht zu erstellen. Die Beklagte gewährte daraufhin eine Nachfrist von zwei Semestern - bis Ende des Wintersemesters 2013/2014 - für den Abschluss der Diplomprüfung.
4
Mit am ... April 2014 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben legte die Klägerin sinngemäß dar, sie habe sich am … Oktober 2013 für die Diplomarbeit angemeldet. Leider habe sie einige Krankheiten, die ihr einen normalen Alltag nicht möglich machten. Wöchentliche Arztbesuche und Checks in Kliniken, medikamentöse Behandlungen und grundlegende körperliche Einschränkungen begrenzten ihre zeitliche Kapazität stark. Körperliche Schmerzen, psychosomatische Folgen und extrem schnelle Erschöpfung wirkten sich zudem stark auf ihre Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit aus. Nachdem es ihr im Oktober 2013 besser gegangen sei, sei es ihr Ende 2013 wieder schlechter gegangen und sie habe nicht weiterarbeiten können. Den Abgabetermin am … April 2014 könne sie nicht einhalten. Deshalb bitte sie um eine Fristverlängerung von 3 Monaten. Der Prüfungsausschussvorsitzende antwortete der Klägerin, die Arbeit könne wegen Krankheit ruhen, wenn sie Belege bringe, aus denen Beginn und Ende der Krankheit hervorgingen. Die Klägerin reichte daraufhin ein Attest ein, wonach sie an diversen psychischen und physischen Erkrankungen leide. Ihre Beschwerden seien seit Dezember 2013 zu massiv, um an der Diplomarbeit schreiben zu können. Der Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Tätigkeit könne noch nicht festgelegt werden. Die Beklagte wies die Klägerin darauf hin, dass eine Krankmeldung einen zeitlichen Rahmen beinhalten müsse, woraufhin die Klägerin angab, eine Wiederaufnahme der Arbeit sei aktuell noch nicht absehbar. Mit Schreiben vom 3. Juni 2014 teilte die Beklagte der Klägerin sinngemäß mit, die Bearbeitungsfrist der Diplomarbeit ruhe vom 1. April 2014 bis 20. September 2014, so dass die Arbeit spätestens am 13. Oktober 2014 abzugeben sei.
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In der Folgezeit stellte die Beklagte die Bearbeitungsfrist jeweils antragsgemäß weitere zehn Mal ruhend, zuletzt mit Schreiben vom 31. Januar 2018 bis 1. Dezember 2018, wobei die Diplomarbeit am 29. Januar 2019 abzugeben sei. Die Klägerin hatte zuvor ein Attest vom … eingereicht, nach dem ihre Erkrankung weiterhin bestehe. An den bestehenden Diagnosen habe sich keine Veränderung ergeben. Sie sei noch nicht in der Lage, an ihrer Diplomarbeit zu arbeiten. Entsprechenden Behandlungserfolg vorausgesetzt, werde sie ab Dezember 2018 die Arbeit weiterschreiben können.
6
Mit Schreiben vom 21. Januar 2019 teilte die Klägerin mit, sie sei vom 5. Oktober 2017 bis 31. März 2020 erwerbsunfähig geschrieben. Die gutachterliche Stellungnahme dazu habe sie im Mai 2018 erreicht.
7
Mit Bescheid vom 26. Juli 2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Bearbeitungszeit der Diplomarbeit werde letztmalig bis zum geplanten Ablauf der Erwerbsunfähigkeit bis zum 31. März 2020 verlängert. Im letzten vorgelegten Attest vom … werde darauf verwiesen, dass die Erkrankung weiterhin bestehe und sich die Diagnosen nicht verändert hätten. Auf Grund der Vielzahl der vorgelegten Atteste, die immer wiederkehrende gleichartige Erkrankungen umfassten, und des vergangenen Zeitraums von nahezu sechs Jahren gehe der Prüfungsausschuss davon aus, dass ein prüfungsrechtlich nicht berücksichtigungsfähiges Dauerleiden vorliege. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung, wonach die Klägerin bis 31. März 2020 erwerbsunfähig sei. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung könnten keine weiteren Atteste mehr akzeptiert werden, die sich auf die nachgewiesenen chronischen Erkrankungen bezögen und zum Zwecke eines weiteren Ruhens eingereicht würden. Ein weiteres Ruhen wegen Krankheit komme daher nicht mehr in Betracht. Sollte daher der Abgabetermin abermals versäumt werden, könne ein erneutes Attest nicht mehr berücksichtigt werden. Der Prüfungsversuch gelte dann als nicht bestanden.
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Mit E-Mail vom 10. März 2020 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ihre Krankschreibung bis zum 31. März 2020 laufe. Sie habe in den letzten Jahren immer eine postalische Antwort bezüglich der Abgabefrist erhalten, nicht aber letztes Jahr. Da sich ihr körperlicher Zustand verschlechtert habe, werde sie auch 2020 krankgeschrieben bleiben. Sie denke zwar nicht, dass sich ihr Zustand noch einmal verbessere und sie die Arbeit irgendwann schreiben könne, aber vielleicht klappe es ja doch. Entsprechend würde sie die Arbeit gerne wieder ruhen lassen.
9
Mit E-Mails vom 17. März 2020 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sie ihre Diplomarbeit spätestens am 5. Mai 2020 abgeben müsse, da im Zuge der Corona-Krise die Abgabetermine von Abschlussarbeiten um fünf Wochen verlängert worden seien. Am 30. Juli 2019 sei ihr eine Antwort auf ihre Krankmeldung per Post zugesandt worden. Die Beklagte übersandte der Klägerin den Bescheid vom 26. Juli 2019 noch einmal im Anhang der E-Mail, allerdings ohne Abdruck der Rechtsbehelfsbelehrung.
10
Mit E-Mail vom 26. März 2020 teilte die Klägerin der Beklagten sinngemäß mit, sie habe den Bescheid nicht erhalten. Sie sei letztes Jahr über sechs Monate außerhalb in Behandlung gewesen. Vielleicht sei das Schreiben angekommen, aber von der Familie zur Werbung oder auf einen falschen Haufen gelegt worden. Dass sich die Bearbeitungszeit der Arbeit um fünf Wochen verlängert habe, spiele für sie keine Rolle, da sie nicht weiter daran habe arbeiten können. Sie wisse leider nicht, ob sie irgendwann wieder in der Lage sein werde, eine solche Arbeit zu schreiben oder zu arbeiten. Aber zu wissen, dass der Abschluss möglich wäre, wäre sehr schön.
11
Mit E-Mail vom 2. Mai 2020 bat die Klägerin darum, die Entscheidung noch einmal durchzusprechen. Sie habe den Brief mit der Information über die Beendigung ihrer Bearbeitungsfrist auf Grund der Annahme des Dauerleidens nicht erhalten und habe entsprechend nicht darauf reagieren können. Sie hätte damals die Widerspruchsfrist nicht verstreichen lassen.
12
In § 30 Abs. 5 der Prüfungsordnung für … stehe nur, dass die Bearbeitungsfrist der Diplomarbeit während einer nachgewiesenen Krankheit ruhe. Angaben über die maximal zugelassene Dauer einer Krankschreibung oder bzgl. der Nichtanerkennung von Attesten bei Dauerleiden fänden sich nicht. Gleichermaßen sei sie zu Beginn per E-Mail darüber informiert worden, dass die Diplomarbeit während der Zeit der Krankschreibung ruhe. Daher sei sie davon ausgegangen, dass die Atteste zum zeitlich unbegrenzten Ruhen der Arbeit ausreichten.
13
Die Kriterien eines Dauerleidens seien zudem nur bedingt erfüllt. Zum einen seien ihre Erkrankungen weder ausschließlich chronischer Natur noch ohne Heilungsmöglichkeit noch über Jahre stagnierend auf dieselben Diagnosen fixiert. Es seien zwar 2013 bereits die ersten Krankschreibungen erfolgt und diese Diagnosen seien größtenteils bestehen geblieben. Es seien aber über die Jahre immer wieder diverse neue Erkrankungen und akute Zustände dazu gekommen, die unabhängig voneinander und nicht chronifiziert seien. Zum anderen habe sie im letzten halben Jahr einzelne Erkrankungen heilen können. Gleichermaßen habe die Deutsche Rentenversicherung ihre Erwerbsminderung im März 2020 zeitlich begrenzt bis März 2021 festgesetzt, weil es nicht unwahrscheinlich sei, dass diese wieder behoben werden könne. Die Prüfungsfähigkeit sei somit zum aktuellen Zeitpunkt absehbar.
14
Sie sei davon ausgegangen, dass die Atteste bzw. Gutachten ausreichten, um die Arbeit auf unbestimmte Zeit ruhen zu lassen. Über eine potentielle Fristsetzung wegen Dauerleidens sei sie über die Jahre nicht informiert gewesen. Die Annahme eines Dauerleides sei für diverse ihrer chronischen Erkrankungen begründet, für andere Krankheitsbereiche aber unbegründet, während zudem eine zeitliche Beschränkung des Krankenstandes vorliege. Zusätzlich habe sie in den letzten Monaten Verbesserungen erreicht und wenn der Weg der Besserung über die folgenden Monate bestehen bleibe, habe sie eine Chance, danach an der Diplomarbeit arbeiten zu können. Ihre Bitte wäre, den 31. März 2021, also den Zeitpunkt, auf den die Erwerbsunfähigkeit begrenzt sei, als Anhaltspunkt zu nehmen. Die Beklagte erwiderte, dass sie eine andere Aussage als in der E-Mail vom 3. April 2020 aus rechtlichen Gründen nicht treffen könne.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 3. August 2020 stellte die Beklagte fest, dass die Diplomprüfung im Studiengang … im Prüfungsteil der Diplomarbeit als erstmals abgelegt und nicht bestanden gelte. Die Diplomarbeit könne einmal mit neuem Thema wiederholt werden. Eine zweite Wiederholung sei ausgeschlossen. Die Wiederholung müsse spätestens innerhalb von sechs Monaten nach erfolgter Ausgabe eines neuen Themas erfolgen. Diese Frist werde durch Beurlaubung oder Exmatrikulation nicht unterbrochen. Die Klägerin habe sich unverzüglich um die Ausgabe eines Themas für die neue Diplomarbeit zu bewerben.
16
Hierzu führte die Beklagte über ihre Begründung mit Schreiben vom 26. Juli 2019 hinaus aus, der Klägerin sei mit diesem Schreiben mitgeteilt worden, dass sie eine letztmalige Verlängerung der Bearbeitungszeit bis 31. März 2020 erhalte. Auf Grund der Corona-Pandemie habe sie noch einmal eine Verlängerung bis zum 5. Mai 2020 erhalten. Dieser Abgabetermin sei versäumt worden. Der Prüfungsversuch gelte somit als nicht bestanden. Die Klägerin könne die Diplomarbeit einmal mit neuem Thema wiederholen. Eine zweite Wiederholung sei ausgeschlossen.
17
Mit Schreiben vom 2. September 2020 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid ein. Über ihr bisheriges Vorbringen hinaus machte die Klägern nunmehr geltend, die Kriterien eines Dauerleidens seien nicht erfüllt.
18
Mit Bescheid vom 27. Januar 2021 wies die Beklagte den Widerspruch kostenfrei zurück. Die Klägerin habe die Diplomprüfung im Fach … erstmalig nicht bestanden, da sie die Diplomarbeit nicht innerhalb der festgesetzten Bearbeitungszeit eingereicht habe. Wie sich aus der Prüfungsordnung ergebe, dürfe die Zeit von der Themenstellung bis zur Ablieferung der Diplomarbeit sechs Monate nicht überschreiten. Lediglich auf begründeten Antrag des Kandidaten könne die Bearbeitungszeit ausnahmsweise um höchstens drei Monate verlängert werden. Nur wenn die Kandidatin bzw. der Kandidat durch ärztliches Zeugnis nachweise, dass sie bzw. er wegen Krankheit an der Bearbeitung gehindert sei, ruhe die Frist.
19
Die ursprüngliche, auf den Zeitraum vom … Oktober 2013 bis … April 2014 festgelegte Bearbeitungsfrist sei überschritten. In der Folgezeit habe die Bearbeitungszeit durchgängig geruht, da die Klägerin jeweils durch ärztliches Zeugnis habe nachweisen können, dass sie wegen Krankheit an der Bearbeitung der Diplomarbeit gehindert gewesen sei. Auf Grund der fortschreitenden Dauer der Erkrankung und des Attestes vom … sei der Prüfungsausschuss zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Klägerin ein prüfungsrechtlich nicht zu berücksichtigendes Dauerleiden vorliege und sie nicht (mehr) durch Krankheit an der Bearbeitung der Diplomarbeit gehindert sei. Ein Nachteilsausgleich könne nicht gewährt werden, da diese Leistungseinschränkungen gerade zur Beurteilung der durch die Prüfung festzustellenden Befähigung bedeutsam seien. Im Fall der Klägerin liege ein solches Dauerleiden vor, da ihre Erkrankung nunmehr seit mehr als sieben Jahren bestehe und sämtliche bis zum Erlass des Bescheides vorgelegten Atteste dieselben Diagnosen enthielten. Auch sei keinerlei Besserung in Sicht.
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Nichts anderes ergebe sich nach Berücksichtigung der Einwände der Klägerin. Denn selbst wenn über die Jahre immer wieder neue Erkrankungen und akute Zustände dazu gekommen seien, ändere dies nichts daran, dass die Grunderkrankung dieselbe sei. Es könne keinen Unterschied machen, wenn allein die mit der Grunderkrankung einhergehenden Symptome variierten. Entscheidend sei, dass die Erkrankung, wie sie sich aus dem Attest ergebe, weiterbestehe und sich an den bestehenden Diagnosen keine Veränderungen ergeben hätten.
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Ebenso wenig könnten die Ausführungen zu der nach Aussage der Klägerin am 31. März 2021 auslaufenden Erwerbsunfähigkeitsfeststellung etwas an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung ändern, auch wenn die Klägerin entsprechende Unterlagen vorgelegt hätte. Denn eine Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung gebe keinen Aufschluss darüber, ob ein prüfungsrechtlich relevantes Dauerleiden weiterbestehe. Ferner handele es sich nur um eine Prognose. Dies zeige sich eindeutig auch an der erfolgten Verlängerung der Feststellung der Erwerbsminderung über den ursprünglichen Feststellungszeitraum hinaus.
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Zwar sei zu Dauerleiden keine Regelung in der Prüfungsordnung vorhanden. Ebenso möge es stimmen, dass durch das Prüfungsamt vor geraumer Zeit mitgeteilt worden sei, die Bearbeitungszeit ruhe während der gesamten Krankschreibung. Beides sei jedoch irrelevant, da der Klägerin im Schreiben vom 26. Juli 2019 erläutert worden sei, dass ein Dauerleiden vorliege und die Bearbeitungszeit letztmalig bis zum 31. März 2020 verlängert worden sei. Dieses Schreiben sei der Klägerin zugegangen. Da es ausweislich des Stempels am 30. Juli 2019 versandt worden sei, sei die Bekanntgabe am 2. August 2019 erfolgt. Da sie den Zeitpunkt der Aufgabe des Bescheides zur Post in ihren Akten vermerkt habe, sei ein qualifiziertes Bestreiten des Zugangs durch die Klägerin erforderlich. An einem solchen fehle es. In der E-Mail vom 26. März 2020 sei sogar in Aussicht gestellt worden, dass das Schreiben vielleicht angekommen, aber von der Familie zur Werbung oder auf einen falschen Haufen gelegt worden sei, während die Klägerin sich außerhalb zur Behandlung befunden habe. Gerade in einem solchen Fall sei die Klägerin verpflichtet, sicherzustellen, dass an sie adressierte Post sie erreiche. Es liege in ihrer Verantwortung, eingesetzte Hilfspersonen sorgfältig auszuwählen. Im weiteren Verlauf gebe die Klägerin lediglich pauschal an, das Schreiben nicht erhalten zu haben.
23
Am 26. Februar 2021 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, die Rechtsprechung zur Nichtberücksichtigungsfähigkeit von Dauerleiden, vorliegend verbunden mit der Folge, dass ein weiteres Ruhen der Bearbeitungsfrist für sie wegen Krankheit als Ausgleich eines hiermit verbundenen Nachteils im weiteren Sinn nicht mehr in Betracht kommen solle, begegne erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Obwohl sämtliche Bestimmungen zum Nachteilsausgleich einen Ausgleich von Beeinträchtigungen behinderter Prüflinge insgesamt verfolgten, habe die bisherige Rechtsprechung den Begriff der Behinderung in zwei Unterkategorien aufgespalten, nämlich in persönlichkeitsbedingte generelle Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, die die aktuelle Prüfungsbefähigung beträfen, und in Behinderungen, die die vorhandene Befähigung lediglich erschwerten. Diese Kategorisierung lasse unberücksichtigt, dass die Minderleistung bei persönlichkeitsbedingten Dauerleiden auf einer Behinderung beruhe, die auszugleichen sei. Durch einen Nachteilsausgleich erfolge keine Bevorzugung der Studierenden, sondern würden nur möglichst gleiche äußere Prüfungsbedingungen sichergestellt. Daher greife der Verweis auf die Chancengleichheit nicht. Die Aufspaltung des Behindertenbegriffes im Prüfungsrecht schränke das Grundrecht des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ungerechtfertigt ein, weil durch sie die Berücksichtigung bestimmter Dauerleiden bei Prüfungen ausgeschlossen werde. Das Benachteiligungsverbot gelte jedoch für jede Form von Behinderung. Schließlich seien alle Behinderungen, auch solche derentwegen Nachteilsausgleich gewährt werde, persönlichkeitsbedingt. Im Hinblick auf Art. 12 GG werde ein unzulässiger Bogen zwischen der Nicht-Gewährung eines Nachteilsausgleiches in einer Prüfung und der prognostizierten (Nicht-)-Befähigung für einen bestimmten Beruf geschlagen. Bekomme der behinderte Prüfling in berufsbezogenen Prüfungen keinen Nachteilsausgleich, werde er nicht in der Lage sein, später den dementsprechenden Beruf zu ergreifen. Hierdurch würden Personen von der Bildung ausgeschlossen, die den Nachweis vertiefter Kenntnisse und Fertigkeiten führen könnten, nur nicht in der veranschlagten Zeit, was später jedoch ausgleichbar sei. Letztlich sei nicht zwischen persönlichkeitsbedingten oder körperlichen Ursachen des Dauerleidens bzw. der Behinderung zu unterscheiden. Die getroffene Entscheidung, dass es sich um ein prüfungsrechtlich nicht berücksichtigungsfähiges Dauerleiden handele und ein weiteres Ruhen der Bearbeitungsfrist wegen Krankheit nicht mehr in Betracht komme, mit der Folge der Beurteilung des Prüfungsversuchs als nicht bestanden, sei folglich rechtswidrig und rechtsverletzend.
24
Die Klägerin beantragt wörtlich,
den Bescheid der Beklagten vom 03.08.2020 Az. … in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2021 Az. … aufzuheben und der Klägerin zunächst eine erstmalige Fertigung der Diplomprüfung/Diplomarbeit im Studiengang … zu gestatten.
25
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
26
Sie ist der Ansicht, die ständige Rechtsprechung, wonach ein Dauerleiden, wie das der Klägerin, im Prüfungsrecht keine Berücksichtigung finden könne, sei nicht zu beanstanden. Die durchzuführende Interessenabwägung falle zu Lasten der Klägerin aus, da ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG hinter dem Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungsrecht, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG zurücktrete. Nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung seien Dauerleiden, die als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften die geistige Leistungsfähigkeit des Prüflings dauerhaft prägten, nicht ausgleichsfähig. Denn ihre Folgen bestimmten, im Gegensatz zu sonstigen krankheitsbedingten Leistungsminderungen, das normale und reguläre Leistungsbild des Prüflings. Schlage sich eine durch ein Dauerleiden bedingte generelle Einschränkung der Leistungsfähigkeit im Prüfungsergebnis negativ nieder, werde der Aussagewert des Ergebnisses nicht verfälscht, sondern bekräftigt. Die dauerhafte krankheitsbedingte Einschränkung sei Mitbestandteil des durch die jeweilige Prüfung zu belegenden Leistungsbildes. Denn sie sei für die Eignung zum Beruf, die in der Prüfung festgestellt werden solle, von Bedeutung.
27
Der Klägerin könne auf Grund ihrer seit mindestens 2013 bestehenden chronischen Erkrankung kein Nachteilsausgleich gewährt werden. Wie die Klägerin selbst vortrage, führten ihre Symptome dazu, dass sie seither nicht mehr in der Lage sei, ihren Alltag regulär zu bestreiten, geschweige denn, die Diplomarbeit anzufertigen. Die Erkrankung präge damit dauerhaft ihre Leistungsfähigkeit und bestimme ihr normales Leistungsbild. Diese Schwierigkeiten ließen sich auch nicht durch Hilfsmittel kompensieren und würden sich voraussichtlich im Berufsalltag nicht wesentlich anders als im Studium niederschlagen. Würde eine erstmalige Anfertigung erneut gestattet, würde dies den Grundsatz der Chancengleichheit konterkarieren. Denn dann würde der Klägerin de facto in zeitlich unbegrenzter Weise gestattet werden, die Arbeit erstmals anzufertigen.
28
Ebenfalls liege, selbst wenn das Dauerleiden der Klägerin als Behinderung eingestuft würde, kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Die Prüfungsanforderungen, die eine bestimmte Leistung mit dem Ziel verlangten, Aufschluss über Eignung und Befähigung zu erlangen, dürften nicht an die Leistungsfähigkeit des Prüflings angepasst werden. Anderenfalls würde die Prüfung ihren Zweck von vornherein verfehlen. Fehlten, wie vorliegend, einer Person auf Grund ihrer Behinderung bestimmte Fähigkeiten, die notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts seien, verstoße die Verweigerung dieses Rechts nicht gegen das Benachteiligungsverbot. Auch eine abschließende Interessenabwägung lasse keinen anderen Schluss zu. Denn es handele sich um ein erstmaliges Nichtbestehen. Eine Wiederholung mit neuem Thema sei möglich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die Sitzungsniederschrift vom 29. November 2021, und auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
30
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2021 ist rechtmäßig, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf erstmalige Ablegung der Diplomprüfung bzw. erstmalige Anfertigung der Diplomarbeit im Studiengang …, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
31
1. Der Ausspruch des erstmaligen Nichtbestehens der Diplomarbeit ergibt sich aus § 4 Abs. 3 Satz 2 Diplomprüfungsordnung für Studenten der … an der … Fakultät der …, zuletzt geändert durch die Satzung vom …, wonach insbesondere die Diplomarbeit erstmalig nicht bestanden ist, sofern sie auch nach Ablauf einer Überschreitungsfrist von vier Semestern über die Regelstudienzeit von acht Semestern hinaus aus Gründen nicht eingereicht ist, die Studierende zu vertreten haben, bzw. aus dem Rechtsgedanken des § 30 Abs. 5 … Danach ergibt sich das erstmalige Nichtbestehen bereits aus der Bestandskraft des Bescheides vom 26. Juli 2019 (nachfolgend lit. b). Überdies ist der streitgegenständliche Bescheid aber auch unabhängig von der Bestandskraft des genannten Bescheides vom 26. Juli 2019 rechtmäßig (nachfolgend lit. c).
32
a) Anwendbar ist vorliegend die … Im Übrigen unterscheidet sich die … in den vorliegend entscheidungserheblichen Vorschriften nicht von der zuletzt durch Satzung vom … geänderten Version (…).
33
b) Die Feststellung des erstmaligen Nichtbestehens nach § 4 Abs. 3 Satz 2 … bzw. dem Rechtsgedanken des § 30 Abs. 5 … ergibt sich hier bereits daraus, dass die letztmalige, krankheitsbedingte Verlängerung der Abgabefrist der klägerischen Diplomarbeit zum 31. März 2020 gemäß Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2019 in Bestandskraft erwachsen ist und die Diplomarbeit nicht rechtzeitig eingereicht wurde.
aa) § 4 Abs. 2 Sätze 1 und 2 … sehen sinngemäß vor, dass die Diplomprüfung spätestens bis zum achten Fachsemester abgelegt und spätestens innerhalb der ersten beiden Monate des folgenden Semesters beendet wird. Studierende sollen sich so rechtzeitig zur Diplomprüfung melden, dass sie diese mit allen Teilprüfungen und der Diplomarbeit bis zum genannten Fristende ablegen können. § 4 Abs. 3 Satz 1 … regelt, dass die Frist für die Ablegung der Diplomprüfung bis zu vier Semester überschritten werden kann. Wird diese Frist aus Gründen überschritten, die Studierende zu vertreten haben, gilt insbesondere eine nicht eingereichte Diplomarbeit als erstmalig nicht bestanden (§ 4 Abs. 3 Satz 2 …). Gem. § 30 Abs. 5 Satz 1 … darf die Zeit von der Themenstellung bis zur Ablieferung der Diplomarbeit sechs Monate nicht überschreiten. Auf begründeten Antrag des Kandidaten kann der Vorsitzende des Prüfungsausschusses mit Zustimmung des Prüfers, der die Arbeit vergeben hat, gem. § 30 Abs. 5 Satz 2 … die Bearbeitungszeit ausnahmsweise um höchstens drei Monate verlängern. Weist der Kandidat durch ärztliches Zeugnis nach, dass er wegen Krankheit an der Bearbeitung gehindert ist, ruht die Bearbeitungsfrist, § 30 Abs. 5 Satz 3 … Die Diplomarbeit ist innerhalb der festgesetzten Zeit in zwei Exemplaren und in gebundener Form beim Prüfungsamt einzureichen, § 30 Abs. 6 Satz 1 … bb) Danach ergibt sich hier das erstmalige Nichtbestehen des Prüfungsteils der Diplomarbeit bereits mit Blick auf die Bestandskraft des Bescheides vom 26. Juli 2019.
34
(1) Die Klägerin hat ihre Diplomarbeit unstreitig nicht innerhalb der fünfwöchigen Frist bis zum 5. Mai 2020 eingereicht, die an die letztmalige Fristsetzung bis 31. März 2020 gemäß Bescheid vom 26. Juli 2019 anknüpft.
35
(2) Mit dem Bescheid vom 26. Juli 2019 ist davon auszugehen, dass die ausgebliebene Einreichung der Diplomarbeit auf Gründe zurückgeht, die die Klägerin im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 2 bzw. § 30 Abs. 5 … zu vertreten hat. Mit dem genannten Bescheid hat die Beklagte die Bearbeitungszeit für die Diplomarbeit der Klägerin letztmalig bis zum 31. März 2020 festgesetzt. Dabei ergibt jedenfalls die Auslegung des Bescheides entsprechend §§ 133, 157 BGB (vgl. von Alemann/Scheffczyk, Beck‘scher Online-Kommentar VwVfG, 54. Edition Stand 1.1.2022, § 35 Rn. 46), dass sich die ausgesprochene Letztmaligkeit auf die Erkrankung der Klägerin bezieht. Denn in dem Bescheid ist im Kern ausgeführt, bei der Erkrankung der Klägerin handele es sich um ein prüfungsrechtlich nicht berücksichtigungsfähiges Dauerleiden. Damit stellt der Bescheid jedenfalls im Rahmen der Auslegung fest, dass eine weitere Verlängerung der Bearbeitungsfrist mit Blick auf die fortbestehende Erkrankung der Klägerin ausscheidet.
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(3) Weiter ist der Bescheid vom 26. Juli 2019 auch in Bestandskraft erwachsen, so dass an dieser Stelle unerheblich ist, ob die ausgesprochene Letztmaligkeit der Fristverlängerung mit Blick auf ein etwaig zugrundeliegendes Dauerleiden in tatsächlicher oder (verfassungs-)rechtlicher Hinsicht rechtmäßig war. Denn anerkannt ist, dass auch (ggf.) rechtswidrige Verwaltungsakte in Bestandskraft erwachsen (vgl. Schemmer in Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 53. Edition Stand 1.10.2021, § 43 Rn. 15, 20).
37
(a) Bestandskräftig wird ein Verwaltungsakt, wenn er nach Bekanntgabe nicht binnen Monatsfrist (§ 70 Abs. 1, § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) mit regulären Rechtsbehelfen angegriffen wird (vgl. Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 53. Edition Stand 1.10.2021, § 43 Rn. 20). Gem. Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt gem. Art. 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 BayVwVfG nicht, wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Ein Verwaltungsakt ist dann zugegangen, wenn er derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung die Möglichkeit hat, von ihm Kenntnis zu nehmen (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 41 Rn. 62). Abzustellen ist auf den gewöhnlichen Verlauf und normale Umstände, sodass in der Person des Empfängers liegende Gründe wie Urlaub oder Krankheit unberücksichtigt bleiben (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 41 Rn. 62). Gem. Art. 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 BayVwVfG hat im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet der Empfänger den Zugang, muss der Verwaltungsakt als nicht bzw. zu dem von dem Empfänger behaupteten späteren Zeitpunkt als zugegangen behandelt werden, es sei denn die Behörde kann beweisen, dass die Bekanntgabe an dem nach Absatz 2 anzunehmenden Tag erfolgt ist. Das Bestreiten des Empfängers muss sich hierbei auf den Zugang beziehen. Dass lediglich die tatsächliche Kenntnisnahme unterblieben ist, reicht nicht aus (vgl. hierzu im Ganzen Baer in Schoch/Schneider, VwVfG, Werkstand: Grundwerk Juli 2020, § 41 Rn. 88).
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(b) Danach ist hier der Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2019 in Bestandskraft erwachsen. Denn die Klägerin hat den Verwaltungsakt nach Bekanntgabe nicht binnen Monatsfrist angegriffen. Nach Aktenlage wurde der Bescheid am 30. Juli 2019 versandt. Nach Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gilt er daher als am 2. August 2019 der Klägerin bekannt gegeben. Ein hinreichendes Bestreiten des Zugangs durch die Klägerin liegt nicht vor. Denn selbst wenn man ein schlichtes Bestreiten des Zugangs zur Widerlegung der Drei-Tages-Fiktion des Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG genügen lassen will (vgl. etwa BayVGH, U.v. 24.11.2011 - 20 B 11.1659 - juris Rn. 27 ff.), fehlt es vorliegend bereits an einem solchen. So trug die Klägerin im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zunächst vor, sie habe den Bescheid nicht erhalten. Vielleicht sei das Schreiben angekommen, aber von der Familie zur Werbung oder auf einen falschen Haufen gelegt worden. Ein Bestreiten des Zugangs kann hierin nicht gesehen werden. Denn bereits mit Einlegen in den Briefkasten gelangt eine Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 41 Rn. 70). Dass der Bescheid in den Briefkasten eingelegt wurde, wurde durch die Klägerin nicht hinreichend bestritten. Da bezüglich der Möglichkeit der Kenntnisnahme auf einen gewöhnlichen Verlauf abzustellen ist, bleibt eine etwaige Abwesenheit der Klägerin wegen stationärer Behandlung unberücksichtigt. Insoweit wäre die Klägerin im Übrigen hinreichend durch die Grundsätze der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geschützt. Im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens verwies die Klägerin lediglich pauschal darauf, den Bescheid nicht erhalten zu haben, wobei unklar blieb, ob der Bescheid nicht zugegangen sein soll oder die Klägerin lediglich meint, hiervon keine Kenntnis genommen zu haben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Klägervertreter sodann klargestellt, die Klägerin habe keine Kenntnis von dem damaligen Bescheid genommen. Es sei nicht bekannt, wo das Schreiben letztlich geblieben sei, es könne aber sein, dass es im Briefkasten der Klägerin gelandet sei. Die Klägerin führte aus, es könne sein, dass das Schreiben bei ihr angekommen und auf einem falschen Stapel gelandet sei. Außerdem wohne sie in der Nähe eines … und es sei schon vorgekommen, dass Kinder etwas aus ihrem Briefkasten genommen hätten. Auch in diesem Vorbringen liegt kein Bestreiten des Zugangs, da gerade eingeräumt wird, dass der Bescheid möglicherweise in den Briefkasten der Klägerin eingelegt wurde.
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c) Der angegriffene Bescheid ist überdies auch unabhängig von der Bestandskraft des Bescheides vom 26. Juli 2019 rechtmäßig. Denn bei der Erkrankung der Klägerin ist von einem Dauerleiden auszugehen, das bei verfassungskonformer Auslegung der Prüfungsordnung keine Fristverlängerung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 … bzw. kein Ruhen der Bearbeitungsfrist nach § 30 Abs. 5 Satz 3 … ermöglicht.
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aa) Ein Dauerleiden ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, die die Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe bzw. des Einsatzes medizinisch-technischer Hilfsmittel prognostisch nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft oder doch auf unbestimmte Zeit ohne sichere Heilungschance bedingt (Jeremias in Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 258). Für das Nichtvorliegen eines Dauerleidens tragen die Prüflinge die Darlegungs- und Beweislast. Denn diese tragen die Darlegungs- und Beweislast für die Prüfungsunfähigkeit. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn ein Dauerleiden im Raum steht, das etwa einen Rücktritt, oder wie vorliegend ein weiteres Ruhen der Bearbeitungsfrist der Diplomarbeit, nicht rechtfertigt. Hier muss nicht etwa die Prüfungsbehörde das Vorliegen eines Dauerleidens als für sie günstige Ausnahme von der Prüfungsunfähigkeit nachweisen. Vielmehr bleibt es dabei, dass der Prüfling seine Prüfungsunfähigkeit darlegen und notfalls beweisen muss. Dies beinhaltet dann auch den Nachweis, dass ein akuter Zustand von seinem normalen, dauerhaften Zustand, der ggf. durch ein Dauerleiden geprägt ist, negativ abweicht (vgl. hierzu im Ganzen Jeremias in Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 281; VG Freiburg, U.v. 25.9.2020 - 1 K 4619/19 - juris Rn. 63). Anders wird dies lediglich in Fällen gesehen, in denen die Behörde eine bestehende, amtsärztlich bescheinigte Prüfungsunfähigkeit nicht anerkennen will, weil sie Folge eines Dauerleidens sei. Diesbezüglich wird von einer Darlegungs- und Beweislast der Prüfungsbehörde ausgegangen (vgl. hierzu im Ganzen VG Freiburg, U.v. 25.9.2020 - 1 K 4619/19 - juris Rn. 63).
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Danach ist hier von einem Dauerleiden auszugehen.
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Zunächst sprechen zahlreiche Umstände für die durch die Beklagte vorzunehmende Prognoseentscheidung, wonach ein Dauerleiden vorliege. So trug die Klägerin bereits … vor, unter physischen und psychischen Beschwerden zu leiden. Aus der eingereichten Bescheinigung ging hervor, dass die Klägerin sich bereits seit … in psychosomatischer Behandlung befunden habe und ihre Lebensgestaltung in allen Lebensbereichen stark beeinträchtigt gewesen sei. Mit psychologisch-psychotherapeutischer Stellungnahme vom … wurde der Klägerin bescheinigt, dass Geschehnisse in der privaten Lebenssituation ihre Lebensgestaltung derart massiv beeinträchtigt hätten, dass eine ordnungsgemäße Teilnahme am Vorlesungs- bzw. Seminarbetrieb im Wintersemester … nicht möglich gewesen sei. Mit Attest vom … wurde der Klägerin eine überlastungsbedingte Einschränkung der psychophysischen Leistungsfähigkeit bescheinigt. Auch mit Attest vom … wurden der Klägerin diverse psychische und physische Erkrankungen bescheinigt, die zu massiv seien, um weiter an der Diplomarbeit zu schreiben. Mit Attest vom … wurde bescheinigt, dass die Beschwerden noch anhielten. Mit E-Mail vom 7. Januar 2015 erklärte die Klägerin, dass sie nach wie vor krank sei und keine Besserung in Sicht sei. Es werde eher immer schlechter (Bl. 140 d. Behördenakte). Mit Attesten vom … und … wurde der Klägerin bescheinigt, dass die Beschwerden weiter anhielten (Bl. 146, 150 f. d. Behördenakte). Als Diagnose wurde im Attest vom …, wie auch in darauffolgenden, u.a. eine somatoforme Störung genannt. Mit E-Mail vom 17. Januar 2016 erklärte die Klägerin, dass sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert habe. Auch eine stationäre Behandlung in der … für Orthopädie und Psychosomatik vom … bis … war nach Angaben der Klägerin wenig erfolgreich. Sie begebe sich parallel in psychiatrische Behandlung, da ihre Psyche mittlerweile überhaupt nicht mehr mitspiele (Bl. 195 d. Behördenakte). Mit Attest vom …, wie auch mit Folgeattesten, wurden der Klägerin u.a. eine Somatisierungsstörung inklusive Schmerzstörung, eine mittelgradige depressive Episode sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung bescheinigt. Die Klägerin selbst erklärte mit E-Mail vom 10. März 2020, dass sich ihr körperlicher Zustand verschlechtert habe und sie auch 2020 krankgeschrieben bleibe. Sie denke zwar nicht, dass sich ihr Zustand noch einmal verbessere und sie ihre Arbeit irgendwann schreiben könne, aber vielleicht klappe es ja doch. Nach nochmaliger Übersendung des Bescheides vom 26. Juli 2019 per E-Mail, mithin nachdem die Klägerin unstreitig Kenntnis von der Feststellung des Dauerleidens genommen hatte, erklärte sie selbst, sie wisse nicht, ob sie irgendwann einmal wieder in der Lage sein werde, eine solche Arbeit zu schreiben, zu arbeiten etc. Aber zu wissen, dass der Abschluss grundsätzlich möglich wäre, wäre trotzdem sehr schön.
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Darüber hinaus hat Klägerin nicht substantiiert geltend gemacht, es liege kein Dauerleiden vor. Auch im Termin zur mündlichen Verhandlung ließ sie über ihren Prozessbevollmächtigten erklären, es solle nicht bestritten werden, dass eine somatoforme Erkrankung zugrunde liege. Es sei jedoch fraglich, inwieweit diese jeweils ursächlich für die jeweilige Prüfungsunfähigkeit gewesen sei.
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Nach alledem ist jedenfalls mit den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast von einem Dauerleiden auszugehen Dem steht auch die Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung über das Vorliegen einer vollständigen Erwerbsminderung auf Zeit nicht entgegen. Gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zwar ist auf der Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung vom 24. Mai 2018 angegeben, dass die volle Erwerbsminderung der Klägerin auf Zeit bestehe, weil nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Allerdings ist bereits der Prüfungsmaßstab, der durch die Deutsche Rentenversicherung zur Feststellung der Erwerbsminderung angelegt wird, ein anderer, als derjenige, der bzgl. der Prüfung eines Dauerleidens anzulegen ist. Denn § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI stellt auf eine beliebige Erwerbstätigkeit im Umfang von drei Stunden täglich ab. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Frage einer beliebigen Erwerbstätigkeit, sondern um die Tätigkeit des Schreibens einer Diplomarbeit bzw. die spätere Tätigkeit als … und zudem nicht lediglich um eine Tätigkeit von drei Stunden täglich. Überdies hatte die Beklagte eine Prognoseentscheidung im Zeitpunkt der Prüfungsentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser musste sie auch berücksichtigen, dass es bei der einmaligen Feststellung der Erwerbsminderung nicht sein Bewenden hatte. So hatte sich die für den Zeitraum 5. Oktober 2017 bis 31. März 2020 festgestellte Erwerbsminderung nach eigenem Vortrag der Klägerin schon einmal verlängert (bis zum 31. März 2021).
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Die Erkrankung der Klägerin beeinträchtigte auch ihre Leistungsfähigkeit, da ihr über einen Zeitraum von sieben Jahren eine Arbeit an der Diplomarbeit nicht möglich war.
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bb) Die Vorschriften nach § 4 Abs. 3 Satz 2 und § 30 Abs. 5 Satz 3 … sind im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.20 - BeckRS 2021, 8678) verfassungskonform dahingehend auszulegen bzw. teleologisch zu reduzieren, dass die Annahme eines Nichtvertretenmüssens bzw. ein Ruhen der Bearbeitungsfrist bei Dauerleiden nicht in Betracht kommt. Eine solche Auslegung ist vor dem Hintergrund des in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG verankerten Grundsatzes der Chancengleichheit verfassungsrechtlich geboten. Nach diesem Grundsatz muss der Normgeber Sorge dafür tragen, dass für alle Teilnehmer vergleichbarer Prüfungen so weit wie möglich gleiche Prüfungsbedingungen und Bewertungsmaßstäbe gelten. Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Teilnehmer oder Teilnehmerinnen müssen danach vermieden werden, um gleiche Erfolgschancen zu gewährleisten. Den Prüflingen muss etwa eine gleiche Anzahl an Prüfungsversuchen zustehen und die Prüfer müssen an die Prüfungsleistungen einen einheitlichen Bewertungsmaßstab ohne Rücksicht auf die individuelle Leistungsfähigkeit des jeweiligen Prüflings anlegen (vgl. hierzu im Ganzen BVerwG, U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.20 - BeckRS 2021, 8678 Rn. 17). Da durch die Prüfung gerade das Leistungsvermögen des Prüflings gemessen werden soll, sind die Prüfungsanforderungen nicht an das Leistungsvermögen des Prüflings anzupassen. Minderungen der Leistungsfähigkeit, deren Ursache in der Person des Prüflings liegt, sollen im Unterschied zur Darstellungsfähigkeit gerade nicht abgebildet werden (vgl. hierzu im Ganzen Jeremias in Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn 258 ff.). So kommt etwa die Anerkennung eines Rücktritts wegen krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit in Betracht, wenn der Prüfling auf Grund einer vorübergehenden krankheitsbedingten Beeinträchtigung seines physischen oder psychischen Zustands nicht in der Lage ist, in der Prüfung seine individuelle Leistungsfähigkeit nachzuweisen (vgl. BVerwG U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.20 - BeckRS 2021, 8678 Rn. 18). Ein Nachteilsausgleich kommt auch bei chronischen Krankheiten in Betracht, sofern der Prüfling durch seine Krankheit lediglich daran gehindert ist, seine tatsächlich uneingeschränkt bestehende Leistungsfähigkeit in der geforderten Prüfungsform nachzuweisen (OVG Lüneburg, U.v. 22.6.2021 - 2 LA 461/20 - juris Rn. 15). Anders liegt der Fall aber, wenn die Krankheit, wie vorliegend, dauerhaft den Zustand des Prüflings beeinträchtigt und dessen individuelle Leistungsfähigkeit prägt, mithin ein Dauerleiden vorliegt. Bei einem Dauerleiden bleibt der fehlgeschlagene Prüfungsversuch gerade die Folge einer die Persönlichkeit prägenden und deshalb nicht irregulären Leistungsbeeinträchtigung des Prüflings. Der prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit verbietet es mit Blick auf den Prüfungszweck über derartige Leistungsmängel hinwegzusehen und die der tatsächlichen Leistungsfähigkeit entsprechenden Prüfungsleistung unberücksichtigt zu lassen (vgl. hierzu im Ganzen BVerwG, U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.20 - BeckRS 2021, 8678 Rn. 17).
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Zwar stellt die Nichtgewährung des Ruhens der Arbeit mit der Folge des erstmaligen Nichtbestehens einen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit dar, Art. 12 Abs. 1 GG. Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist eröffnet, da es sich bei der Diplomprüfung um eine berufsbezogene Prüfung handelt. Der Eingriff ist jedoch mit Blick auf den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Die Nichtanerkennung eines Dauerleidens verfolgt den legitimen Zweck der Sicherstellung prüfungsrechtlicher Chancengleichheit. Die Nichtanerkennung von Dauerleiden ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich. Denn sonst würde die Prüfung aus den oben genannten Gründen letztlich ihren Zweck verfehlen, die individuelle Leistungsfähigkeit von Prüflingen zu messen, wie sie letztlich in der Persönlichkeit des Prüflings begründet liegt. Auch überwiegt die Sicherstellung der Chancengleichheit im Rahmen der Angemessenheitsprüfung die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit. Denn bei einer berufsbezogenen Prüfung sollen gerade die Fähigkeiten und Kenntnisse nachgewiesen werden, die in der Ausbildung erworben wurden und für die spätere Ausübung des Berufs erforderlich sind. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Chancengleichheit kann daher keine Angleichung der Prüfungsanforderungen an die jeweilige Leistungsfähigkeit des Prüflings erfolgen. Würden jedoch Dauerleiden Berücksichtigung finden, wäre dies, wie ausgeführt, der Fall.
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Auch ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG liegt nicht vor. Gem. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Bei psychischen Erkrankungen liegt eine Behinderung vor, wenn die Beeinträchtigung längerfristig und von solcher Art ist, dass sie den Betroffenen an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern kann (Kischel in Beck’scher Online-Kommentar, 49. Edition Stand 15.11.2021, Art. 3 GG Rn. 233). Danach dürfte zwar bei (überwiegend psychisch bedingten) Dauererkrankungen oftmals eine Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vorliegen. Aber auch wenn in der Nichtberücksichtigung von Dauerleiden eine nicht nur mittelbare (vgl. insoweit Kischel a.a.O. Rn. 235, 215, 186), sondern unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Merkmals der Behinderung gesehen wird, ist der Eingriff in das Benachteiligungsverbot jedenfalls gerechtfertigt. Denn anerkannt ist, dass die Benachteiligung durch zwingende Gründe gerechtfertigt werden kann (Kischel a.a.O. Rn. 236). Da - wie ausgeführt - im Fall der Berücksichtigung von Dauerleiden eine berufsbezogene Prüfung letztlich ihren Sinn verlöre, die Leistungsfähigkeit der Prüflinge zu messen, liegt hier ein rechtfertigender zwingender Grund vor. Auch im vorliegenden Fall verfolgt die Diplomarbeit den Zweck, dass die Prüflinge nachweisen, in der Lage zu sein, eine wissenschaftliche Arbeit innerhalb einer bestimmten Bearbeitungsfrist zu verfassen. Dieser Zweck verbietet eine Anpassung der Prüfungsbedingungen an die individuelle Leistungsfähigkeit. Hierin liegt auch nicht, wie vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung gerügt, eine pauschale Ungleichbehandlung von psychischen bzw. psychosomatischen Krankheiten auf der einen und physischen Erkrankungen auf der anderen Seite. Denn auch psychische Erkrankungen sind nicht pauschal als Dauerleiden einzustufen. Vielmehr ist auch bei diesen im Rahmen einer Prognoseentscheidung ausschlaggebend, ob die Erkrankung lediglich vorübergehend ist bzw. lediglich die Nachweisbarkeit der Leistungsfähigkeit betrifft oder ob sie als Dauerleiden die Leistungsfähigkeit des Prüflings dauerhaft beeinträchtigt. Danach wären etwa episodenhafte psychische Erkrankungen, die lediglich auf absehbare Zeit bestehen, nicht als Dauerleiden einzustufen. Ein solcher Fall ist vorliegend, wie bereits aufgezeigt, jedoch nicht gegeben. Schließlich ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass bzw. wie die krankheitsbedingten Einschränkungen der Klägerin im Rahmen einer künftigen Ausübung von Tätigkeiten als Diplom- … ausgeglichen werden könnten.
49
2. Ein Anspruch der Klägerin auf erstmalige Fertigung der Diplomarbeit scheidet nach alledem aus, zumal die Klägerin den erstmaligen Antrag auf Ruhen der Bearbeitungsfrist der Diplomarbeit erst am ... April 2014 stellte, mithin zwei Tage vor Ablauf der Frist am … April 2014.
II.
50
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, §§ 711, 713 ZPO.