VG Bayreuth, Urteil v. 19.05.2021 – B 4 K 20.311
Titel:
Erstmalige Herstellung einer Erschließungsmaßnahme
Normenketten:
BayKAG Art. 5a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b
BauGB § 123 Abs. 2, § 127 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3
FlurbG § 1
Leitsätze:
1. Gem. § 1 FlurbG dient die Flurbereinigung der Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie der Förderung der allgemeinen Landeskultur und der Landentwicklung. Wenn iRd Flurbereinigung Wege ausgebaut wurden, dienten sie nicht der Erschließung zum Zwecke der Bebauung. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar müssen bei der erstmaligen Herstellung einer Erschließungsanlage durch einen anderen Träger als die Gemeinde die in § 123 Abs. 2 BauGB genannten Erfordernisse der Bebauung und des Verkehrs nicht identisch sein mit den Merkmalen der endgültigen Herstellung, die die Gemeinde, in deren Straßenbaulast die Erschließungsanlage nach ihrer Erstherstellung (später) fällt, in ihrer Erschließungsbeitragssatzung festgelegt hat, die Erschließungsanlage muss aber den Erfordernissen gerecht werden, die durch den zu erwartenden Verkehr in dem betreffenden Gebiet gestellt werden, und sie muss das zu vermitteln geeignet sein, was eine Bebauung der anliegenden Grundstücke und in der Folge die funktionsgerechte Nutzbarkeit der auf den Grundstücken genehmigten baulichen Anlagen ermöglicht. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit einer Entwässerung, die Niederschlagswasser schadlos ableitet, einer Tragschicht, die eine Achslast von mindestens 3,0 t schadlos aufnehmen kann, einer Deckschicht, die vor dem Abrieb durch den Verkehr und vor dem Eindringen von Wasser und Schmutz schützt sowie einer Fahrbahnbreite von mindestens 2,5 m sind die Mindestanforderungen an eine zum Anbau bestimmte Erschließungsstraße nicht gegeben, weil nur eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit vorliegt. (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorausleistung auf Erschließungsbeitrag, erstmalige Herstellung einer Erschließungsstraße durch Flurbereinigung (verneint), 20-jährige Ausschlussfrist bei bestehender Vorteilslage (verneint), Erschließungsbeitrag, erstmalige Herstellung, Flurbereinigung, Dorferneuerung, Ausschlussfrist, Vorteilslage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.02.2022 – 6 ZB 21.2091
Fundstelle:
BeckRS 2021, 47180
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die Herstellung der Erschließungsanlage „… straße“ in …, Ortsteil … Der Kläger ist Eigentümer des bebauten Grundstücks Fl.-Nr. A. …, Gemarkung … (Anwesen ….). Das Grundstück mit einer Fläche von 3.125 m² grenzt unmittelbar an die „… straße“ an.
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Die als „… straße“ bezeichnete Erschließungsstraße besteht aus der Fl.-Nr. B. … sowie aus Teilflächen der Fl.-Nrn. C. … und D. …, Gemarkung …, und ist bislang als öffentlicher Feld- und Waldweg gewidmet. Bei der Flurbereinigung im Zeitraum von 1963 bis 1973 wurde das verfahrensgegenständliche Wegestück als erweiterter Feld- und Waldweg ausgewiesen. Von 1987 bis 1993 fand in …eine Dorferneuerung statt. Im Flurbereinigungsplan vom September 1993 ist unter Ziff. 17.1.1 ausgeführt, dass die Fl.-Nrn. B. …, C. … und D. … nach den Merkmalen der Verordnung vom 19.11.1968 (GVBl. S. 413) als ausgebaute öffentliche Feld- und Waldwege gewidmet seien.
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Im Jahr 2017 wurde in der „… straße“ eine Entwässerungsleitung verlegt und die Fahrbahn mit einer Ausbaubreite von 4,50 m versehen sowie eine durchgängige Straßenentwässerung und eine Beleuchtungseinrichtung hergestellt. Eine Widmung zur Ortsstraße steht noch aus.
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Mit Bescheid vom 27.05.2019 setzte die Beklagte für das Grundstück des Klägers eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 2.389,46 EUR fest.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 12.06.2019 Widerspruch. Die Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 09.09.2019 dem Landratsamt …zur Entscheidung vor. Außer dem Kläger haben noch 13 weitere Anlieger Widerspruch gegen die ihnen gegenüber erlassenen Vorausleistungsbescheide erhoben.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2020 wies das Landratsamt … den Widerspruch des Klägers zurück. Auf die Begründung des Bescheids, der dem Bevollmächtigten des Klägers laut Empfangsbekenntnis am 09.03.2020 zugestellt wurde, wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 25.03.2020, eingegangen bei Gericht am 26.03.2020, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und beantragt,
den Bescheid vom 27.05.2019 über die Erhebung einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag für das Grundstück Fl.-Nr. A. … der Gemarkung … in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 28.02.2020 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung wurde mit Schriftsatz vom 04.05.2020 ausgeführt, ursprünglich sei die Beklagte davon ausgegangen, dass für die … straße allenfalls Straßenausbaubeiträge erhoben werden könnten. Dies habe man im Zusammenhang mit dem Ausbau der Kanalisation auch so kommuniziert. Während der Planung und Vorbereitung der Maßnahme sei das Straßenausbaubeitragsrecht jedoch abgeschafft worden. Die Beklagte habe es dann versäumt, die Voraussetzungen für eine staatliche Ausgleichsleistung für die ausfallenden Ausbaubeiträge zu schaffen. Danach sei in Zusammenwirkung mit dem Landratsamt überlegt worden, Erschließungsbeiträge zu erheben. Um das Kostenrisiko gering zu halten, seien nur geringe Vorausleistungen (5%) festgesetzt und der Widerspruchsbescheid nur in einem Fall erlassen worden, um die Verantwortung auf das Verwaltungsgericht zu verschieben.
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Ein Erschließungsbeitrag könne nicht gefordert werden. Bei dem Ausbau der … straße handele es sich nicht um die erstmalige Herstellung einer öffentlichen zum Anbau bestimmten Straße, sondern um die Erneuerung und Verbesserung einer spätestens im Jahr 1993 im Rahmen der Flurbereinigung im technisch erforderlichen Umfang hergestellten Erschließungsanlage. Bereits im Zeitraum von 1963 bis 1973 sei ein Flurbereinigungsverfahren durchgeführt worden. Im Wegeplan des Flurbereinigungsplans sei das Flurstück B. …als neuer unbefestigter öffentlicher Feld- und Waldweg, weiterhin das Teilstück der Fl.-Nr. D. … als im Umgriff erweiterter Feld- und Waldweg und schließlich das Teilstück der Fl.-Nr. C. … als bestehender Weg ausgewiesen worden. Bis auf die Ortsstraße und die Gemeindeverbindungsstraßen hätten alle Erschließungsanlagen in … die rechtliche Qualität von Feld- und Waldwegen gehabt, auch wenn sie bebaute oder bebaubare Grundstücke erschlossen hätten. Im Zeitraum von 1989 bis 1993 sei ein Dorferneuerungsverfahren durchgeführt worden. Dabei habe es sich um ein Projekt gehandelt, das im Schwerpunkt auf die Innenentwicklung des Dorfes abgezielt habe, also auch auf den Zuschnitt und die Nutzbarkeit von Grundstücken im und am Rande des vorhandenen Siedlungsbereichs. Die Katasterkarte als Ergebnis des Dorferneuerungsverfahrens zeige, dass der nun nach Fläche und Breite wesentlich erweiterten bzw. neu entwickelten … straße eine Erschließungsfunktion sowohl für die Grundstücke im Innenbereich, als auch für die angrenzenden Grundstücke im Außenbereich zukommen sollte. Diese Erschließungsfunktion sei auch von der Beklagten und vom Landratsamt so gesehen worden. Das mache vor allem die zwischenzeitliche bauliche Entwicklung deutlich, die ja das Vorhandensein einer ausreichenden Erschließung vorausgesetzt habe. Ohne Bebauungsplan oder Ortsabrundungssatzung habe man hier eine Bebauung ermöglicht, wie sie im Dorferneuerungsverfahren angelegt worden sei. Die … straße sei dabei nicht nur planerisch verbindlich festgelegt, sondern auch real hergestellt und im vorgegebenen Umfang gewidmet worden. Das belege der Textteil zum Flurbereinigungsplan, Abschnitt 17.1.1. Die Anforderungen der Verordnung vom 19.11.1968 für ausgebaute öffentliche Feld- und Waldweg seien erfüllt gewesen, nämlich eine Entwässerung, die Niederschlagswasser ableite, eine Tragschicht, die eine Achslast von mindestens 3,0 t schadlos aufnehmen könne, eine Deckschicht, die vor dem Abrieb durch den Verkehr und vor dem Eindringen von Wasser und Schmutz schütze sowie eine Fahrbahnbreite von mindestens 2,5 m. Diese Merkmale der … straße (eine fehlende Straßenbeleuchtung ausgenommen) entsprächen nach Breite und Ausbauzustand auch heute noch den Anforderungen, die in dörflichen Ortsteilen der Beklagten an vorhandene Ortsstraßen gestellt würden. Die Mitglieder der Teilnehmergemeinschaft hätten nicht nur die erforderlichen Flächen bereitgestellt, sondern die Anlage auch finanziert. Mit dem Abschluss des Dorferneuerungsverfahrens habe es sich bei der … straße um eine erstmalig hergestellte Erschließungsanlage gehandelt. Der Widmung zur Ortsstraße habe es nicht bedurft. Bei den Erschließungsanlagen werde gesetzlich allein auf die Funktion abgestellt. Erfasst würden Straßen, Wege und Plätze, wenn sie dem öffentlichen Verkehr gewidmet und zum Anbau bestimmt seien, also auch öffentliche Feld- und Waldwege. Zwar dienten diese primär der Bewirtschaftung von Feld- und Waldgrundstücken. Das schließe jedoch nicht aus, dass es sich zugleich um Wege handele, die zum Anbau bestimmt seien. Dafür fänden sich eine Reihe von Entscheidungen in der Rechtsprechung. Wie der Katasterplan zum Flurbereinigungsplan ausweise, habe eine Innenbereichslage bereits zum Zeitpunkt der Herstellung im Flurbereinigungsverfahren bestanden. Unerheblich sei, dass einzelne Grundstücke auch von der Ortsstraße her erschlossen seien. Mehrfacherschließungen seien nicht selten. Die … straße habe in der Flurbereinigung eine neue Breite erhalten und einen Ausbauzustand, der die Befahrbarkeit auch mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen ermöglicht habe. Zwischenzeitlich habe eine systematische und weitreichende Bebauung stattgefunden, bei der das Erschlossensein der Grundstücke und damit die Erschließungsfunktion der … straße unproblematisch angenommen worden sei. Nicht entscheidend sei, dass der hergestellte Ausbau nicht vollständig den Merkmalen der gemeindlichen Erschließungsbeitragssatzung vom 15.03.2019 bzw. der Vorläufersatzung vom 26.07.2002 entsprochen habe, weil keine Straßenbeleuchtung vorhanden war. Es komme auf den Zeitpunkt der Herstellung an, der weit vor dem Jahr 2002 gelegen habe. Die technischen Anforderungen für die erstmalige Herstellung ergäben sich hier aus der Verordnung über die Merkmale für ausgebaute öffentliche Feld- und Waldwege. Auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, B. v. 06.05.2008 - 9 B 18/08, werde verwiesen. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte den Entschluss gefasst habe, es mit der Erhebung eines Erschließungsbeitrags zu probieren, sei sie selbst der Auffassung gewesen, dass es sich bei der … straße um eine bereits erstmalig hergestellte Erschließungsanlage handelt, für deren Erneuerung man allenfalls Straßenausbaubeiträge verlangen könne. In der Anlage zur Straßenausbaubeitragssatzung vom 12.12.1990 habe die Beklagte die … straße als Anliegerstraße erfasst. Die Beklagte und das Landratsamt lehnten das Vorliegen einer erstmaligen Erschließung ab, weil der … straße noch ein einziges der erforderlichen Merkmale, die Straßenbeleuchtung, fehle und sie noch nicht zur Ortsstraße gewidmet worden sei. Nicht erkannt werde, dass für die Straße keine Erschließungslast mehr bestehe, weil sich diese durch den Bau im Rahmen der Dorferneuerung erledigt habe. Die Gemeinden hätten kein Monopol für den Bau von Erschließungsanlagen. § 123 Abs. 1 BauGB verweise darauf, dass die Erschließungslast auch anderen Aufgabenträgen obliegen könne. Dies sei hier durch den Wegebau im Rahmen der Flurbereinigung erfolgt. Sehe der Wegeplan im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens die Errichtung einer Erschließungsanlage vor, dann fänden für deren Gestaltung die Normen und Regeln des Flurbereinigungsrechts und nicht die des Baugesetzbuchs Anwendung. Damit können sich auch die Beurteilungsmaßstäbe für das Vorliegen einer erstmaligen Erschließung unterscheiden. Sie müsse dann zwar den Erfordernissen des Verkehrs entsprechen, also eine gefahrlose und funktionsfähige Erschließung gewährleisten, nicht jedoch alle Merkmale der endgültigen Herstellung nach § 132 Nr. 4, § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB aufweisen.
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Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat mit Schriftsatz vom 22.06.2020 beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Klageerwiderung wird mit Schriftsatz vom 09.04.2021 ausgeführt, die … straße sei bisher als öffentlicher Feld- und Waldweg gewidmet und damit nur für den Verkehr, der der Bewirtschaftung von Feld- und Waldgrundstücken diene. Bei der Dorferneuerung im Jahr 1993 sei das Teilstück nicht dergestalt verändert worden, dass von der Herstellung einer Erschließungsanlage nach den damals geltenden Gesichtspunkten die Rede sein könne. Der Strecke habe es vor den jüngsten Baumaßnahmen an einem hierfür geeigneten Unterbau gemangelt, was an der starken Fragmentierung der Streckendecke erkennbar sei. Zudem mangele es an einer Straßenbeleuchtung. Auch die Straßenbreite von 2,60 bis 3,0 m habe nicht den Erfordernissen entsprochen, um sicheren Begegnungsverkehr zu gewährleisten. An einer die Gesamtstrecke umfassenden funktionierenden Straßenentwässerung habe es ebenfalls gefehlt. Die vor der Baumaßnahme gefertigten Lichtbilder vom 23.05.2016 würden dies belegen. Wie sich aus dem Aktenvermerk der Beklagten zur Festsetzung der Vorausleistungen vom 10.01.2019 ergebe, sei eine Erschließungsanlage von Anfang an geplant gewesen. Hinweise darauf, dass zunächst ein Ausbau einer bereits bestehenden Erschließungsanlage geplant gewesen wäre, ergäben sich aus den Unterlagen der Beklagten nicht. Bei den dem Bescheid zugrundeliegenden Baumaßnahmen handele es sich um die endgültige Herstellung einer erstmaligen Erschließung. Im Rahmen der Flurbereinigung in der Zeit von 1963 bis 1973 sei die … straße nicht als Erschließungsanlage erstmals fertiggestellt worden. Ebenso lag nach der Dorferneuerung im Jahr 1993 keine beitragspflichtige Erschließungsanlage vor. Bereits mangels einer öffentlichen Widmung als Ortsstraße sowie mangels einer Straßenbeleuchtung habe für die … straße bisher keine Erschließungsbeitragspflicht bestanden. Auch sei eine funktionierende Straßenentwässerung bisher nicht gewährleistet gewesen. Die bloße Benennung der … straße in der Straßenausbaubeitragssatzung von 1990 habe keine konstitutive Wirkung. Es handele sich nur um eine Auflistung und keine beitragsrechtlich relevante Feststellung. Eine bereits seit 20 Jahren bestehende Vorteilslage, die eine Beitragserhebung ausschließen könnte, habe ebenfalls nicht vorgelegen, da die Straße vor den jüngsten Baumaßnahmen nicht technisch nach den Merkmalen der Erschließungsbeitragssatzung hergestellt worden war. Es habe an den sichtbaren Merkmalen der Beleuchtung und Straßenentwässerung sowie einer ausreichenden Breite gefehlt. Mit Beginn der erstmaligen Herstellung sei die Beklagte berechtigt, Vorausleistungen auf einen Erschließungsbeitrag zu erheben und das Grundstück des Klägers entsprechend zu veranlagen. Die Beklagte sei gesetzlich zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen verpflichtet. Lediglich die Erhebung von Vorausleistungen stehe im Ermessen. Diese dürfe sie aber unter dem Gesichtspunkt der zügigeren Finanzierung der bereits entstandenen und noch entstehenden Aufwendungen dahingehend ausüben. Vorherige informelle Äußerungen, es werde kein Erschließungsbeitrag erhoben, würden bestritten und wären rechtlich unzulässig und unbeachtlich. Sie seien vom Kläger auch nicht dargelegt. Die Vorausleistung in Höhe von 5% des Aufwands sei rechtlich nicht zu beanstanden, da die Anteilshöhe im Ermessen der Gemeinde stehe. Eine Beschränkung bestehe lediglich nach oben. Die Beklagte habe sich auch vorbehalten, weitere Vorausleistungen im Zeitlauf vor Entstehen der Beitragspflicht zu erheben.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 06.05.2021 ergänzend ausgeführt, die Beklagte beurteile die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ausschließlich an den Maßstäben, die anzulegen wären, wenn die … straße erst in den letzten Jahren erstmals hergestellt worden wäre. Das wäre allenfalls richtig, wenn es für eine erstmalige Herstellung auf den Bebauungsplan vom 18.02./20.03.2020, der nun eine zweifelsfreie Bebaubarkeit von zum Außenbereich hin angrenzenden Grundstücken vorsehe, ankäme, und wenn die aktuelle Erschließungsbeitragssatzung anwendbar wäre. Dem sei aber nicht so. Eine erstmalige Herstellung liege bereits vor, wenn eine Erschließungsanlage entsprechend den Erfordernissen der Bebauung und des Verkehrs normgemäß hergestellt sei. Diese Voraussetzungen seien mit dem Abschluss des Dorferneuerungsverfahrens im Jahr 1993 erfüllt gewesen. Weder komme es auf das Vorhandensein einer ohnehin nicht zwingenden Beleuchtung, noch auf die Straßenentwässerung mit Kanälen, noch auf eine Fahrbahnbreite nach Maßgabe der geltenden Beitragssatzung an.
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Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten legte mit Schriftsatz vom 15.05.2021 einen Lageplan mit Einzeichnung des Bebauungsfortschritts entlang der … straße ab 1994 vor sowie Fotos über den Zustand der Straße vor Beginn der Maßnahme (2016) und nach dem Bau, außerdem die Abnahmeniederschrift über die Kanalbaumaßnahme vom November 2016 bis Oktober 2017, den technischen Bauplan mit Querschnitt und Baubeschreibung sowie den Bebauungsplan „…“, der am 18.02.2020 als Satzung beschlossen wurde. Ergänzend wurde vorgetragen, dass aus dem Akt „Dorferneuerung 1993“ keine Wegebaumaßnahme an der jetzigen Erschließungsstraße festgestellt werden konnte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
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Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 27.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts …vom 28.02.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).
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1. Nach Art. 5a Abs. 1 KAG, § 127 Abs. 1 BauGB erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Nach § 132 BauGB regeln die Gemeinden durch Satzung u.a. die Art und den Umfang der Erschließungsanlagen sowie die Merkmale der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage. Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage begonnen worden ist und die endgültige Herstellung innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.
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Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 27.05.2019 findet demzufolge seine Rechtsgrundlage in Art. 5a KAG i.V.m. § 133 Abs. 3 BauGB und § 12 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Beklagten vom 15.03.2019 (Erschließungsbeitragssatzung - EBS).
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2. Die dem Vorausleistungsbescheid zugrundeliegende Straßenbaumaßnahme aus dem Jahr 2017 stellt die erstmalige Herstellung einer Anbaustraße dar, für die gemäß § 127 Abs. 1 BauGB, § 1 EBS zu Recht Erschließungsbeiträge erhoben werden.
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2.1 Maßgebliche Erschließungsanlage ist die bogenförmige sog. „… straße“, laut Bescheid offiziell: „…“, die aus den Fl.-Nrn. C. …(teilw.), B. … und D. … (teilw.) besteht. Sie beginnt am westlichen Ende ab der Abzweigung von der Ortsdurchfahrt Fl.-Nr. E. …, verläuft ca. 80m nach Norden, schwenkt in Richtung Osten und verläuft ca. 258m geradeaus, bevor sie nach Süden führt und nach ca. 50m wieder auf die Ortsdurchfahrt trifft. Gegen diese Anlagenbildung bestehen unter dem Gesichtspunkt der „natürlichen Betrachtungsweise“ (vgl. BVerwG B.v. 09.01.2013 - 9 B 33.12; juris) keine Bedenken.
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Wie aus den in der Beiakte befindlichen und den mit Schriftsatz vom 15.05.2021 dem Gericht vorgelegten Fotos ersichtlich, bestand die … straße vor der Baumaßnahme aus einer Breite von 2,60 - 3,00m, hatte bis auf den jeweiligen Einmündungsbereich in die Ortsdurchfahrt keine Straßenentwässerungseinrichtung mit Randsteinen und Regenabläufen sowie keinerlei Straßenbeleuchtung. Zum Versickern des Niederschlagswassers dienten die beiderseits vorhandenen grasbewachsenen Seitenstreifen sowie teilweise ein niedriger Straßengraben entlang der nördlich gelegenen landwirtschaftlichen Flächen.
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2.2. Die Auffassung der Klägerseite, dass die … straße bereits vormals, spätestens mit Abschluss der Dorferneuerungsmaßnahme 1993 „erstmalig hergestellt“ war und deshalb nicht mehr dem Erschließungsbeitragsrecht unterliegt, teilt die Kammer nicht.
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Die Erschließung ist gemäß § 123 Abs. 1 BauGB grundsätzlich Aufgabe der Gemeinden, es sei denn, sie obliegt nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einem anderen.
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Auch wenn § 123 Abs. 1 BauGB vorsieht, dass ein anderer Hoheitsträger als die Gemeinde in Erfüllung seiner Erschließungslast die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage durchführt, muss damit doch eine „Erschließung“ einhergehen, d. h. es muss in der Verpflichtung und Intention des Hoheitsträgers liegen, eine „zum Anbau bestimmte Straße“ i. S. d. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB herzustellen.
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2.2.1 Es kann schon nicht festgestellt werden, dass es bei der ersten Flurbereinigungsmaßnahme aus den Jahren 1963 bis 1973 der Teilnehmergemeinschaft der Flurbereinigung nach gesetzlichen Vorschriften oblegen hat, eine Erschließungsstraße herzustellen. Gemäß § 1 FlurbG dient die Flurbereinigung der Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie der Förderung de4r allgemeinen Landeskultur und der Landentwicklung. Wenn im Rahmen der damaligen Maßnahme Wege ausgebaut wurden, dienten sie nicht der Erschließung zum Zwecke der Bebauung. Aus dem als Anlage 4 zum Schriftsatz vom 04.05.2020 (Gerichtsakte Bl. 35) beigefügten Auszug aus dem Flurbereinigungsplan ist eindeutig ersichtlich, dass die der heutigen … straße entsprechenden Wege komplett im Außenbereich verliefen. Die damals am südlichen Wegrand der Fl.-Nr. B. … bereits bestehenden Anwesen Fl.-Nrn. A. …, F. … und G. …lagen an der Ortsdurchfahrt und waren durch diese verkehrsmäßig erschlossen. Sie hatten nur zusätzlich über den Feldweg eine direkte Zufahrtsmöglichkeit in den landwirtschaftlich genutzten Außenbereich.
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2.2.2 Auch bei der Dorferneuerungsmaßnahme 1989 bis 1993 oblag es der Flurbereinigung nicht, eine Erschließungsstraße herzustellen.
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Nach der Gemeinsamen Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien des Innern, für Unterricht und Kultus und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 06.06.1978, Az.: II B 4 - 9130/1-170, IV/2 - 7/171 456 und N 3 - 5671/71, (juris, Ziff. IV, 7), ist die Dorferneuerung eine wirkungsvolle Maßnahme zur integralen Verbesserung der Agrarstruktur und der Lebensverhältnisse auf dem Lande, sowie ein Beitrag zur Landentwicklung. Bei den Maßnahmen der Dorferneuerung ist im Rahmen der Ordnungsmaßnahmen neben der Erhaltung und Sicherung einzelner Bauten vor allem auf die Gestaltung und Erhaltung des Ortsbildes zu achten. Bei einer umfassenden Dorferneuerung wird vom Vorstand der Teilnehmergemeinschaft gemeinsam mit der Gemeinde unter rechtzeitiger Beteiligung der Träger öffentlicher Belange, die durch die Maßnahmen berührt sein können, ein Dorferneuerungsplan aufgestellt. Dieser dient auch der gegenseitigen Abstimmung der Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und der städtebaulichen Maßnahmen sowie anderer Vorhaben öffentlicher und privater Träger im Ortsbereich. Im Dorferneuerungsplan sollen die agrarstrukturell begründeten Neugestaltungsmaßnahmen mit den städtebaulich begründeten Ordnungs- und Gestaltungsmaßnahmen der Gemeinde im Sinne eines städtebaulichen Rahmenkonzeptes verbunden werden, das Grundlage für die verbindliche Bauleitplanung ist.
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Die von Klägerseite vorgelegten Unterlagen zur Dorferneuerungsmaßnahme - Katasterkarte und Textteil zum Flurbereinigungsplan vom 06.09.1993 (Anlagen 5 und 6 zum o.g. Schriftsatz; Bl. 36-43 Gerichtsakte) - lassen weder darauf schließen, dass die Teilnehmergemeinschaft gesetzlich verpflichtet war oder auch nur den Willen hatte, eine Erschließungsstraße herzustellen, noch dass sie dazu einen Auftrag der Gemeinde hatte. Der Textteil enthält unter Ziff. 17.1.1 lediglich die Feststellung, dass die folgenden Straßen und Wege im Verfahrensgebiet gewidmet sind. Benannt sind dabei „die nach den Merkmalen der Verordnung vom 19.11.1968 (GVBl.S. 413) ausgebauten öffentlichen Feld- und Waldwege FlstNr. B. …, C. …, D. …, u.a., Eigentümer: Stadt …“. Unter Ziff. 17.1.2 wird ausgeführt: „Die Straßenbaulast der im Verfahren …ausgewiesenen öffentlichen Feld- und Waldwege, die nach den Merkmalen der Verordnung … ausgebaut wurden, ist kraft Gesetzes (Art. 54 Abs. 2 BayStrWG) mit der Beendigung des Ausbaus bzw. mit der Verkehrsübergabe auf die Stadt … übergegangen“. Dass im Zuge dieser Dorferneuerung ein Ausbau der streitgegenständlichen Wegeflächen stattgefunden hat, konnte die Beklagte nach eigenen Angaben nicht feststellen. Die Klägerseite trägt vor, es sei eine Verbreiterung des Weges erfolgt. Ausgehend von der Katasterkarte (Anlage 5) und den dort ersichtlichen schwarz hervorgehobenen Wegelinien, kann nicht ausgeschlossen werden, dass an diesen Wegen Ausbaumaßnahmen stattgefunden haben. Unterstellt, dies war der Fall, so hat es sich um Ausbaumaßnahmen „nach den Merkmalen der Verordnung vom 19. November 1968“ gehandelt, also um den Ausbau öffentlicher Feld- und Waldwege, nicht um die Herstellung einer zum Anbau bestimmten Erschließungsstraße. Eine Straße ist nur „zum Anbau bestimmt“ im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, wenn und soweit an sie angebaut werden darf, d. h. wenn und soweit sie die an sie angrenzenden Grundstücke nach Maßgabe der §§ 30 ff. BauGB bebaubar oder sonstwie in nach § 133 Abs. 1 BauGB beachtlicher Weise nutzbar macht (BVerwG, U.v. 06.12.1996 - 8 C 32.95 -, BVerwGE 102, 294).
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Aus dem Katasterplan von 1993 ist auch keine beginnende Bebauung entlang des Weges im Sinne einer Innenbereichsentwicklung erkennbar. Die Beklagte hat die Bebauungsentwicklung in einem als Anlage B 2 zum Schriftsatz vom 15.05.2021 vorgelegten Lageplan aufgezeigt. Demnach sind nach 1993 lediglich fünf Wohngebäude an der … straße errichtet worden (1994, 1997, 1999, 2000, 2008). Ob die Baugenehmigungen bauplanungsrechtlich rechtmäßig erteilt wurden, sei dahingestellt.
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2.2.3 Darüber hinaus liegen aber auch die Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BauGB nicht vor.
31
Ein nach § 123 Abs. 1 BauGB zuständiger Träger soll die Erschließungsanlage nach Maßgabe des § 123 Abs. 2 BauGB „entsprechend den Erfordernissen der Bebauung und des Verkehrs“ herstellen. Zwar müssen bei der erstmaligen Herstellung einer Erschließungsanlage durch einen anderen Träger als die Gemeinde die in § 123 Abs. 2 BauGB genannten Erfordernisse der Bebauung und des Verkehrs nicht identisch sein mit den Merkmalen der endgültigen Herstellung im Sinne von § 132 Nr. 4, § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB, die die Gemeinde, in deren Straßenbaulast die Erschließungsanlage nach ihrer Erstherstellung (später) fällt, in ihrer Erschließungsbeitragssatzung festgelegt hat (BVerwG, B.v. 06.05.2008 - 9 B 18/08 -, juris. Rn. 6), die Erschließungsanlage muss aber den Erfordernissen gerecht werden, die durch den zu erwartenden Verkehr in dem betreffenden Gebiet gestellt werden, und sie muss das zu vermitteln geeignet sein, was eine Bebauung der anliegenden Grundstücke und in der Folge die funktionsgerechte Nutzbarkeit der auf den Grundstücken genehmigten baulichen Anlagen ermöglicht. Mit den in § 123 Abs. 2 BauGB genannten Herstellungserfordernissen sind lediglich Mindestbedingungen beschrieben (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 5 Rn. 18). Aus der weiteren Vorgabe, dass die Erschließungsanlagen spätestens bis zur Fertigstellung der anzuschließenden baulichen Anlagen nutzbar sein sollen, folgt, dass sie noch nicht endgültig hergestellt sein müssen im Sinne von § 133 Abs. 2 BauGB, sondern lediglich eine gefahrlose und funktionsfähige Erschließung gewährleisten sollen (BVerwG, B.v. 06.05.2008, a.a.O., Rn. 7, BVerwG, B.v. 13.09.2018 - 9 B 34/17 - juris, Rn. 9).
32
Die Klägerseite sieht es im Sinne des § 123 Abs. 2 BauGB als ausreichend an, dass die Merkmale der Verordnung vom 19.11.1968 erfüllt waren, als da sind: eine Entwässerung, die Niederschlagswasser schadlos ableitet, eine Tragschicht, die eine Achslast von mindestens 3,0 t schadlos aufnehmen kann, eine Deckschicht, die vor dem Abrieb durch den Verkehr und vor dem Eindringen von Wasser und Schmutz schützt sowie eine Fahrbahnbreite von mindestens 2,5 m.
33
Damit waren nach Ansicht der Kammer die Mindestanforderungen an eine zum Anbau bestimmte Erschließungsstraße aber nicht gegeben, weil nur eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit vorlag.
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Selbst wenn man den Ausbauzustand der Fahrbahn des Feld- und Waldwegs hinsichtlich Trag- und Deckschicht als genügend ansehen wollte, ist eine Ausbaubreite von 2,60m bis 3,00m nicht ausreichend, um einen gefahrlosen Begegnungsverkehr auf einer Erschließungsstraße zu gewährleisten. Außerdem war eine Anlage zur Beseitigung des Straßenoberflächenwassers nicht durchgehend und den Erfordernissen des Verkehrs entsprechend vorhanden. Eine bloße Versickerung in Gräben stellte weder in den siebziger noch in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung dar. Hinzu kommt das gänzliche Fehlen einer Straßenbeleuchtung. Insbesondere auf der ca. 260m langen Strecke der Fl.-Nr. B. … ist ohne Beleuchtung ein ungefährdeter Haus-zu-Haus-Verkehr nicht gegeben (vgl. BayVGH, B.v. 29.06.2016 - 6 ZB 15.2786, juris). Eine Straßenbeleuchtung war bereits in den 70er Jahren allgemeiner Ausbaustandard für Erschließungsstraßen (vgl. BayVGH, B.v. 13.02.1995 - 6 CS 94.3674, BeckRS 1995, 14269). Das Argument der Klägerseite, dass § 123 Abs. 2 BauGB auf eine kostengünstige Herstellung gerichtet sei, weshalb es auf eine Beleuchtung nicht ankomme, liegt neben der Sache. Es muss zumindest überhaupt eine, wenn auch ggf. „kostengünstige“ Beleuchtung vorhanden sein, um den Erfordernissen des Verkehrs zu entsprechen.
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Somit führen die Flurbereinigungsmaßnahmen nicht dazu, dass von einer erstmalig hergestellten Erschließungsanlage auszugehen ist und das Erschließungsbeitragsrecht nicht mehr zur Anwendung kommt.
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3. Gegen die Beitragserhebung kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass die Ausschlussfrist von 20 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage verstrichen ist.
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Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig.
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Hintergrund dieser ab 01.04.2014 geltenden Regelung war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.03.2013, in der festgelegt wurde, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gesetzliche Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliege es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann (BVerfG, B.v. 05.03.2013 - 1 BvR 2457/08 - juris Rn. 40ff.).
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Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gewährleistet Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG eine bestimmbare zeitliche Obergrenze in Gestalt einer Ausschlussfrist, die durch den Eintritt der Vorteilslage ausgelöst wird und nach deren Ablauf eine Beitragserhebung zwingend und ausnahmslos ausscheidet, auch dann, wenn die Beitragsschuld noch nicht entstanden ist und deshalb auch noch nicht hätte festgesetzt werden dürfen und verjähren können.
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Der Begriff der Vorteilslage knüpft dabei an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten an und lässt rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld außen vor. Demnach kommt es für die Ausschlussfrist mit Blick auf die beitragsfähige Erschließungsanlage auf die tatsächliche - bautechnische - Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme an, nicht aber auf die rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten, wie die Widmung der Anlage, die planungsrechtliche Rechtmäßigkeit ihrer Herstellung, die Wirksamkeit der Beitragssatzung oder den vollständigen Grunderwerb als Merkmal der endgültigen Herstellung.
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Der Eintritt der Vorteilslage beurteilt sich nicht nach - kaum greifbaren - allgemeinen Vorstellungen von einer „Benutzbarkeit“ und „Gebrauchsfertigkeit“ der Anlage oder einer „ausreichenden Erschließung“ der angrenzenden Grundstücke. Vielmehr ist die konkrete Planung der Gemeinde für die jeweilige Anlage der Beurteilungsmaßstab, denn allein die Gemeinde entscheidet im Rahmen der ihr obliegenden Erschließungsaufgabe und der sich daraus ergebenden gesetzlichen Schranken über Art und Umfang der von ihr für erforderlich gehaltenen Erschließungsanlagen. Entscheidend kommt es darauf an, ob die wirksame, konkrete gemeindliche Planung für die Erschließungsmaßnahme sowohl im räumlichen Umfang als auch in der bautechnischen Ausführung bislang nur provisorisch ausgeführt oder schon vollständig umgesetzt ist (vgl. BayVGH, U.v. 24.02.2017 - 6 BV 15.1000 - juris Rn. 30f.; B.v. 04.05.2017 - 6 ZB 17.546 - juris Rn. 10f.).
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Gemessen daran, ist die 20jährige Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG nicht abgelaufen, weil die technische Fertigstellung der Erschließungsstraße gemäß dem gemeindlichen Bauprogramm nicht vor 2019 erfolgt ist. Auf den erst im Februar 2020 beschlossenen Bebauungsplan „…“ und die noch ausstehende Widmung des Feld- und Waldwegs zur Ortsstraße kommt es nicht an.
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Der Flurbereinigungsweg entsprach erkennbar nicht dem technischen Ausbauprogramm der Beklagten für Anbaustraßen. Die Satzungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 EBS sieht für die endgültige Herstellung von Anbaustraßen unter anderem eine Straßenentwässerung und eine Beleuchtung vor. Welchen konkreten technischen Anforderungen diese Teileinrichtungen genügen müssen, um als endgültig hergestellt zu gelten, ist in der Satzung nicht näher umschrieben. Das ist auch nicht erforderlich. Herstellungsmerkmale sollen es den Beitragspflichtigen ermöglichen, durch einen Vergleich des satzungsmäßig festgelegten Bauprogramms mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, ein Bild darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht (BVerwG, U.v. 15.05.2013 - 9 C 3/12 -, juris, Rn. 16). Mit dieser auf Laien abstellenden Zielrichtung wäre es nicht zu vereinbaren, das Merkmal Beleuchtung oder Straßenentwässerung in dem Sinn zu verstehen, dass es um Ausbaustandards unter Beachtung bestimmter technischer Regelwerke ginge. Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH - unabhängig von der Einhaltung der jeweils gültigen technischen Regelwerke - von einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung und Beleuchtung im Sinn der Satzungsbestimmung nur dann auszugehen, wenn eine funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Beleuchtung und Straßenentwässerung vorhanden ist (BayVGH, B.v. 04.05.2017 - a.a.O. - juris Rn. 14; B.v. 29.06.2016 - 6 ZB 15.2786 - juris Rn. 7). Das bedeutet, dass diese beiden Teileinrichtungen grundsätzlich durchgehend auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage vorhanden sein müssen.
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Diese Voraussetzungen waren bei dem Flurbereinigungsweg - wie bereits oben 2.2.3 ausgeführt - vor der erstmaligen Herstellung durch die Beklagte im Hinblick auf eine verkehrstechnisch erforderliche Ausbaubreite, eine funktionsfähige Straßenentwässerung und eine nicht vorhandene Straßenbeleuchtung nicht gegeben. Dies war auch für jeden laienhaften Betrachter erkennbar.
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4. Ohne Belang ist der Umstand, dass die „… straße nördlich der Ortsdurchfahrt“ in der Anlage zur Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 12.12.1990 (Anlage 7 zum Schriftsatz vom 04.05.2020; Bl. 44ff. Gerichtsakte) als Anliegerstraße aufgeführt ist. Daraus folgt keine rechtlich bindende Festlegung. Die Frage, ob auf eine von der Gemeinde abgerechnete Anlage das (vorrangige) Erschließungsbeitrags- oder das Ausbaubeitragsrecht anwendbar ist, unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. So kann ein rechtsirrtümlich erhobener Straßenausbaubeitrag im gerichtlichen Verfahren als Erschließungsbeitrag aufrechterhalten werden. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall (BVerwG, U.v. 19.08.1988, BVerwGE 80, 96 = NVwZ 1989, 471; juris).
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5. In welcher Höhe Vorausleistungen erhoben werden, steht im Ermessen der Gemeinde. Dass die Beklagte hier lediglich 5% der erwarteten Kosten dem Vorausleistungsbescheid zugrunde gelegt hat, um Rechtsbehelfskosten für die Beitragspflichtigen gering zu halten, ist zumindest ein sachlicher Grund, der den Kläger jedenfalls nicht beschwert. Die endgültige Beitragspflicht ist auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht entstanden, da es trotz technischer Fertigstellung der Anlage bis heute an der erforderlichen Widmung fehlt (BayVGH, U.v. 13.12.2016 - 6 B 16.978 -, juris).
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Die Klage war somit abzuweisen.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.