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AG München, Beschluss v. 25.02.2021 – 1291 C 2946/21 EVWEG
Titel:

Eigentümerversammlung während Corona-Pandemie

Normenkette:
WEG § 24
Leitsätze:
1. Wenn aufgrund der Corona-Pandemie das öffentliche Leben ruht, besteht ein Anspruch auf Absage einer Eigentümerversammlung.(Rn. 16 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem Eigentümer darf die Teilnahme an der Eigentümerversammlung nicht verwehrt werden, dies kann in einem Hinweis liegen, dass nur wenigen Personen der Zutritt gestattet wird. (Rn. 19 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandmie, Eigentümerversammlung, Infektionsschutz, Absage, Vertreter
Fundstellen:
ZMR 2021, 429
NJOZ 2022, 236
LSK 2021, 4712
BeckRS 2021, 4712

Tenor

1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann - wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
die von ihm für den 01.03.2021 eingeladene Eigentümerversammlung anzuhalten bzw. durchzuführen.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 20.527,50 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die von der Hausverwaltung GmbH verwaltet wird, begehrt die Untersagung der Durchführung einer Eigentümerversammlung.
2
Mit Schreiben vom 02.02.2021 lud der Antragsgegner zu einer Eigentümerversammlung für den 01.03.2021 mit dem Tagesordnungspunkt 1 „Verwalterbestellung“ ein.
3
Mit E-Mail Schreiben vom 08.02.2021 teilte der Antragsgegner der Verwalterin mit, dass er die Versammlung absagen werde, wenn die Coronaregeln eine WEG-Versammlung am 01.03.2021 nicht zulassen.
4
Die Antragstellerin macht geltend, der Antragsgegner sei nicht zur Einladung berechtigt, da er nicht Vorsitzender des Verwaltungsbeirates sei. Außerdem bestehe bis zum 07.03.2021 gemäß § 5 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung ein pandemiebedingtes Versammlungsverbot. Aufgrund dessen sei die Weigerung des Verwalters, eine Eigentümerversammlung einzuberufen nicht pflichtwidrig.
5
Die Antragstellerin beantragt:
6
Dem Verfügungsbeklagten wird es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, untersagt, die von ihm für den 01.03.2021 eingeladene Eigentümerversammlung abzuhalten bzw durchzuführen.
7
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Antragstellerin vom 16.02.2021 zurückzuweisen.
8
Er macht geltend, in der Eigentümerversammlung vom 14.10.2019 zum Mitglied des Verwaltungsbeirats und in dessen Sitzung vom 11.08.2020 zu dessen Vorsitzenden gewählt worden zu sein.
9
Mit Schreiben vom 19.11.2020 habe er (Antragsgegner) die Hausverwaltung mit Fristsetzung zum 15.01.2021 zur Einladung eine Eigentümerversammlung aufgefordert. Dem Schreiben sei eine Unterschriftenliste beigefügt worden, auf der 24 der insgesamt 25 Eigentümer die Einberufung einer Eigentümerversammlung gefordert hätten.
10
Mit Schreiben vom 11.02.2021 hatte das Kreisverwaltungsreferat der Landeshauptstadt München dem Antragsgegner eine Ausnahmegenehmigung zur Durchführung der Eigentümerversammlung am 01.03.2021 erteilt (Anlage AG 3). Die angemieteten Räumlichkeiten seien ausreichend groß, um den erforderlichen Mindestabstand zwischen den Teilnehmern zu gewährleisten.
11
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Antragsschrift vom 16.02.2021 nebst Anlagen sowie die Stellungnahme des Antragsgegners vom 24.02.2021 nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
12
Der gem. §§ 935, 936, 940, 920 ZPO zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet.
13
Sowohl Verfügungsanspruch als auch Verfügungsgrund wurden glaubhaft gemacht.
14
1. a) Es kann unterstellt werden, dass der Antragsgegner in der Sitzung der Verwaltungsbeiräte vom 11.08.2020 zum Verwaltungsbeiratsvorsitzenden bestellt wurde und gem. § 24 Abs. 3 WEG zur Einberufung der Eigentümerversammlung vom 01.03.2021 grundsätzlich befugt war.
15
Die Verwalterin handelte aber jedenfalls nicht pflichtwidrig, indem sie eine Eigentümerversammlung nicht einberief. Jeder einzelne Eigentümer hätte einen Anspruch auf eine Absage der Versammlung. Ein Verweis auf eine mögliche Vollmachtserteilung ist zwar ein praktisch möglicher, aber keineswegs rechtlich sicherer Ausweg, denn zu den elementaren Rechten der Eigentümer gehört nicht nur das Stimmrecht, sondern auch die Möglichkeit, durch eine Wortmeldung auf der Versammlung das Meinungsbild zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Wird dem Eigentümer dies genommen, droht eine erfolgreiche Beschlussanfechtung.
16
Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass das Erscheinen zur Eigentümerversammlung den Eigentümern zumutbar sein muss. Diese Frage wird bislang nur im Hinblick auf die Wahl von Ort und Zeit der Versammlung erörtert, lässt sich aber auf die hier relevante Frage der Durchführung der Versammlung übertragen. Ist es den Eigentümern nicht mehr zumutbar, zur Versammlung zu erscheinen, ist sie abzusagen.
17
Aktuell, wo nahezu das gesamte öffentliche Leben zum Erliegen kommt, besteht wohl in jedem Fall ein Anspruch auf Absage einer anberaumter Eigentümerversammlung (vgl. Zschieschack NZM 2020, 297, beck-online).
18
Da die Einladung regelmäßig mit Kosten der Gemeinschaft (Saalmiete, Portokosten etc.) verbunden ist, drohen an dieser Stelle bei einer Fehlentscheidung Schadensersatzforderungen. Herangezogen werden können auch hier die zuvor entwickelten Maßstäbe: Ist zum Zeitpunkt der Einladung klar, dass ein Absageanspruch besteht, weil entweder Eigentümern die Anreise nicht zumutbar ist oder mit Anreisen aus Infektionsgebieten zu rechnen ist oder fällt die Versammlung gar unter eine Schutzempfehlung nach dem IfSG, ist die Ladung pflichtwidrig und würde Ersatzansprüche begründen (vgl. Zschieschack NZM 2020, 297, beck-online).
19
b) Darüber hinaus ist die Antragstellerin zur ordnungs- und gesetzesgemäßen Verwaltung verpflichtet. Dazu gehört auch rechtlich einwandfreies Vorgehen bei der Herbeiführung und Durchführung einer Eigentümerversammlung. Sie hat daher einen Anspruch auf Unterbindung der Herbeiführung und Durchführung einer Eigentümerversammlung, die nicht im Einklang mit Gesetz und Recht steht. Sie muss nicht sehenden Auges das Zustandekommen einer Eigentümerversammlung hinnehmen, die den rechtlichen Vorgaben nicht genügt.
20
Die Versammlung soll zu einem Zeitpunkt stattfinden, in der grundsätzlich ein Verbot derartiger Versammlungen gemäß § 5 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung besteht. Entsprechend wurde auch in der Einladung vom 02.02.2021 darauf hingewiesen, dass „aus Pandemiegründen nicht mehr als 2-5 Teilnehmerinnen dabei sein“ sollten. Aufgrund dessen sollte die Ausübung des Stimmrechts über umfangreiche Vollmachtserteilung (an den Verwaltungsbeirat) erfolgen. Weiter heißt es: „Wenn durch eine sehr große Zahl von Vollmachtserteilung der präsente Personenkreis klein genug ist, kann die Versammlung wie geplant stattfinden und der notwendige Beschluss rechtsgültig herbeigeführt werden, …“
21
Die Formulierung in der Einladung deutet darauf hin, dass lediglich 2-5 Personen an der Versammlung teilnehmen dürfen. Dies bedeute, dass zwingend die Mehrheit der Eigentümer nicht persönlich teilnehmen darf, sondern von der Ausschließung bedroht ist. Auch der Hinweis, dass eine Vertretung durch einen Bevollmächtigten, etwa Verwaltungsbeirat oder auch Verwalter, grundsätzlich möglich sei, vermag daran nichts zu ändern. Denn auch zur Erteilung einer entsprechenden Vollmacht kann ein Wohnungseigentümer nicht gezwungen werden, da das Recht zu persönlichen Teilnahme zum Kernbereich zählt. Entscheidend ist, ob im Vorfeld der Versammlung durch die Einladung ein Druck erzeugt wird, von der Teilnahme der Versammlung Abstand zu nehmen. Dies kann dazu führen, dass ein Wohnungseigentümer alleine aufgrund der Formulierung der Einladung von vornherein von seinem Erscheinen absieht, um nicht einer ansonsten drohenden Absage der Eigentümerversammlung oder gar einem Zwangsausschluss unterworfen zu werden (vgl. AG Kassel Urt. v. 27.8.2020 - 800 C 2563/20, BeckRS 2020, 22007 Rn. 15). So liegt es auch hier: Die Formulierung der Einladung ist geeignet, einen psychischen Zwang bei den einzelnen Wohnungseigentümern auszulösen, der sie von der Wahrnehmung ihrer Kernrechte abhält, zumal auch § 5 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung entgegenstehen dürfte. Wohnungseigentümer, die gem. persönlich an der Versammlung teilnehmen würden, könnten von der Teilnahme im Hinblick auf die Ordnungswidrigkeitenandrohung in § 28 Nr. 4 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung abgehalten werden.
22
Daran vermag im Ergebnis auch die von der Landeshauptstadt München Kreisverwaltungsreferat am 11.02.2021 erteilte Ausnahmegenehmigung nichts ändern. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Eigentümer von dieser Ausnahmegenehmigung bislang Erkenntnis erlangt haben. Ausweislich des E-Mail-Schreibens des Antragsgegners vom 08.02.2021 (AG 4) stellt dieser der Verwalterin der Klägerin in Aussicht, die Versammlung abzusagen, wenn eine Nachfolgeregelung - wie geschehen - eine WEG-Versammlung am 01.03.2021 nicht zulassen sollte. Dass er zu diesem Zeitpunkt bereits eine entsprechende Ausnahmegenehmigung beantragt hatte, wurde nicht mitgeteilt.
23
Bei geplanter Durchführung der Eigentümerversammlung am 01.03.2021 würde in den Kernbereich der Wohnungseigentümer eingegriffen, da diese davon ausgehen müssen, rechtmäßiger-weise nicht an der Versammlung teilnehmen zu können. Etwaige auf der Versammlung gefasste Beschlüsse wären nichtig (vgl. AG Kassel Urt. v. 27.8.2020 - 800 C 2563/20, BeckRS 2020, 22007 Rn. 15, AG München Urt. V. 29.10.2020 - 483 C 8456/20).
24
2. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Antragstellerin ist zur Wahrung ihres Rechtes auf ordnungsgemäße und gesetzesgemäße Verwaltung auf einstweiligen Rechtsschutz angewiesen.
25
Dem Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung steht im vorliegenden Fall nicht bereits das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Die von der Antragsstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte Anordnung hat ihren Schwerpunkt in einem abwehrenden Charakter, bei der als Unterart der Leistungs- oder Befriedigungsverfügung das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dem Erlass nicht grundsätzlich entgegen steht.
26
Hierbei ist es zwar so, dass nicht allein der Umstand, dass die geschuldete Handlung so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Titel im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist, schon den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigt. Es ist vielmehr eine Interessenabwägung vorzunehmen. Hierbei ist auch darauf abzustellen, ob dem Antragssteller nicht auch mit einer späteren Realisierung seines Rechts hinreichend gedient ist (vgl. LG München I, 36 T 14667/14; Roth, in Bärmann, Wohnungseigentumsgesetz, 13. Auflage, § 43, 78).
27
Mit Blick auf den angekündigten Beschlussgegenstand der Verwalterbestellung erscheint es vorliegend geboten, bereits die Durchführung der Eigentümerversammlung durch den Antragsgegner zu untersagen.
28
Es fehlt auch nicht bereits an einem Rechtschutzbedürfnis für die begehrte einstweilige Verfügung, weil der auf der angekündigten Eigentümerversammlung gefasste Beschluss ohne Weiteres nichtig wäre. Eine gefestigte Rechtsprechung zu in Pandemiezeiten gefassten Eigentümerbeschlüssen unter Beschränkung des Teilnahmekreises hat sich noch nicht gebildet, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalls im Rahmen eines möglichen Anfechtungsverfahrens gegebenenfalls von einer bloßen Anfechtbarkeit ausgegangen werden könnte (vgl. LG München I Beschl. v. 5.5.2017 - 36 T 6633/17, BeckRS 2017, 126873).
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3. Der Streitwert wurde gem. §§ 48 Abs. 2 GKG, 3 ZPO festgesetzt. Er orientiert sich am Wert der zu verhindernden Beschlussfassung über die Verwalterneubestellung. Unter Zugrundelegung eines monatlichen Verwalterhonorars von 1368,50 € und einer Vertragslaufzeit von 30 Monaten ergibt sich ein Betrag von 41.055,00 €. Da es sich vorliegend um ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung handelt, ist gegenüber dem Hauptsacheverfahren ein Abschlag von 50 % angemessen (vgl. AG Kassel Urt. v. 27.8.2020 - 800 C 2563/20, BeckRS 2020, 22007 Rn. 25).