Inhalt

AG München, Endurteil v. 20.10.2021 – 1295 C 17749/20 WEG
Titel:

Kein Rechtsmissbrauch durch Vergemeinschaftungsbeschluss mit dem Ziel der gütlichen Einigung

Normenketten:
WEG § 9a Abs. 2, § 48 Abs. 5
WEG § 43 Nr. 4, § 46 Abs. 1 S. 2 (idF bis zum 30.11.2020)
ZPO § 278 Abs. 1
Leitsatz:
Ein Vergemeinschaftungsbeschluss im Zeitpunkt einer anhängigen Individualklage eines Wohnungseigentümers auf Rückbau ist nicht bereits deshalb rechtsmissbräuchlich, weil mit ihm das Ziel einer gütlichen Einigung verfolgt wird. (Rn. 33 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentümer, Beschlussanfechtung, Individualklage, Vergemeinschaftungsbeschluss, Rechtsmissbrauch, Rückbauanspruch, gütliche Einigung
Fundstellen:
ZMR 2022, 81
LSK 2021, 42544
BeckRS 2021, 42544

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Gegenstand der Klage ist die Anfechtung eines Beschlusses einer Wohnungseigentümergemeinschaft.
2
Die Parteien bilden die rubrizierte Wohnungseigentümergemeinschaft, deren Verwalterin die Beigeladene ist.
3
Durch Beschluss zu TOP 9 der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 30.05.2017 genehmigten die Eigentümer dem hier Beklagten zu 2) den Bau einer Dachterrasse am Schrägdach des Anwesens, samt Dachaustritt, gegen Vornahme der erforderlichen Ertüchtigung des Dachstuhls, der Erneuerung der Fenster, sowie die Erneuerung des Brandschutzes im Bereich seiner Wohnung Nr. 22 auf dessen Kosten.
4
Auf die Anfechtung der hiesigen Klägerin hin, erklärte das Amtsgericht München mit Urteil vom 02.05.2018, Az.: 485 C 11916/17 WEG, den Beschluss zu TOP 9 der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 30.05.2017 für ungültig. Das Urteil ist rechtskräftig.
5
Der Beklagte zu 2) errichtete den Dachaustritt.
6
Mit Klageschrift vom 25.02.2020, dem hier Beklagten zu 2) am 01.04.2020 zugestellt, begehrte die hiesige Klägerin von dem hier Beklagten zu 2) vor dem Amtsgericht München, Az.: 485 C 3241/20 WEG, den Rückbau der baulichen Veränderung am Gemeinschaftseigentum.
7
In der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 08.09.2020 (Anlage K2) lehnten die Eigentümer unter TOP 6 den Beschlussantrag des Beklagten zu 2) auf Kostenerstattung für die Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums im Bereich seiner Wohnung Nr. 22 in Höhe von 111.651,33 € mehrheitlich ab.
8
Bei der Beratung zur Beschlussfassung über den hier streitgegenständlichen Beschluss zu TOP 7 der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 08.09.2020 (Anlage K2) wies die Klägerin auf die Klageerhebung im Verfahren Az.: 485 C 3241/20 WEG hin. Die Eigentümer fassten sodann mehrheitlich folgenden streitgegenständlichen Beschluss:
„TOP 7 …
Die Eigentümer der WEG beschließen, den Anspruch auf Rückbau der vorgenommenen Baumaßnahmen (Einbau von zwei Dachliegefenstern und Errichtung eines Dachaustritts) im Bereich der Einheit Nr. 22 (Herr) an sich zu ziehen und zur gemeinschaftlichen Sache zu machen. Die Hausverwaltung wir [sic] ausdrücklich bevollmächtigt, die Forderung gegen über [sic] der Einheit Nr. 22 (Herr) außergerichtlich und gerichtlich geltend zu machen. Die Hausverwaltung wird weiterhin bevollmächtigt, hierzu Herrn RA Dr) zu einem Stundensatz in Höhe von 290,00 € zzgl. USt. hinzuzuziehen. Die Finanzierung erfolgt über den laufenden Etat.“
9
Die Klägerin stimmte gegen den Beschluss.
10
Unter Fristsetzung forderte die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer den Beklagten zu 2) mit Anwaltsschreiben vom 20.10.2020 (Anlage B1) zum Rückbau auf. Dieser wiederum forderte mit anwaltlichem Schreiben vom 16.11.2020 (Anlage B2) die Wohnungseigentümergemeinschaft unter Fristsetzung zur Kostenerstattung auf, was die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit anwaltlichem Schreiben vom 18.11.2020 ablehnte (Anlage B3).
11
Am 15.06.2021 schlossen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und der Beklagte zu 2) eine Vergleichsvereinbarung (Anlage B4), welche in der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 20.07.2021 unter TOP 7 von den Eigentümern mehrheitlich genehmigt wurde.
12
Die Klägerin ist der Ansicht, der streitgegenständliche Vergemeinschaftungsbeschluss sei ausschließlich gefasst worden, um die Klage der Klägerin vor dem Amtsgericht München, Az.: 485 C 3241/20 WEG, auf Rückbau der baulichen Veränderung am Gemeinschaftseigentum gegen den Beklagten zu 2) zu torpedieren. Von vornherein habe die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und der Beklagte zu 2) eine vergleichsweise Einigung dahingehend angestrebt, dass die Eigentümergemeinschaft gegen den Verzicht des Beklagten zu 2) auf Ersatz seiner Baukosten - die ohnehin nicht erstattungsfähig seien - auf den Rückbau verzichte. Zweck der Vergemeinschaftung sei daher nicht der Rückbauanspruch selbst, sondern die finanzielle Entlastung der Wohnungseigentümergemeinschaft bei der Renovierung des Dachstuhls. Hierin liege ein kollusives Zusammenwirken des Beklagten zu 2) und der Eigentümergemeinschaft zum Nachteil der Klägerin. Bei dem anwaltlichen Schreiben vom 20.10.2020 (Anlage B1) handele es sich um eine Finte. Der Vergemeinschaftungsbeschluss diene nicht der einheitlichen Durchsetzung des Rückbauanspruchs, sondern der Geschäftemacherei mit dem Beklagten zu 2). Dass die Wohnungseigentümergemeinschaft nie beabsichtigt habe das Recht auf Rückbau zu verfolgen, sei nun evident durch den am 20.07.2021 zu TOP 7 gefassten Genehmigungsbeschluss der Vergleichsvereinbarung.
13
Mit am 07.10.2020 beim Amtsgericht München eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Anfechtungsklage eingereicht und mit beim Amtsgericht München am 19.10.2020 eingegangenem Schriftsatz begründet. Am 19.10.2020 wurde die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses angefordert. Der Gerichtskostenvorschuss wurde am 05.11.2020 eingezahlt und die Anfechtungsklage und die Anfechtungsbegründung der Beigeladenen am 25.11.2020 zugestellt.
14
Die Klägerin beantragt,
Der Beschluss zu TOP 7 der ordentlichen Wohnungseigentümerversammlung vom 08.09.2020 wird für ungültig erklärt.
15
Die Beklagten beantragen,
Klageabweisung.
16
Die Beklagten tragen vor, dass ausweislich des Einladungsschreibens vom 27.02.2020 (Anlage B6) bereits für den 17.03.2020 eine Eigentümerversammlung einberufen gewesen sei, in der die Vergemeinschaftung der Rückbauansprüche auf der Tagesordnung (TOP 3) gestanden habe. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klage auf Rückbau der hiesigen Klägerin gegen den hier Beklagten zu 2) zwar bereits anhängig, allerdings noch nicht rechtshängig gewesen. Die für den 17.03.2020 einberufene Eigentümerversammlung habe lediglich aufgrund des ersten Lockdowns der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden können.
17
Die Beklagten sind der Ansicht, mit Blick auf die §§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG n.F. fehle es bereits am Rechtsschutzbedürfnis, welches aber jedenfalls durch die Genehmigung der Vergleichsvereinbarung zwischen der Wohnungseigentümergemeinschaft und dem hier Beklagten zu 2) durch Beschluss zu TOP 7 der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 20.07.2021 entfallen sei. Mit der Rechtsänderung zum 01.12.2020 sei eine gesetzliche Vergemeinschaftung erfolgt, aufgrund derer die Klägerin ihr mit der Klage verfolgtes Ziel ohnehin nicht mehr erreichen könne. Schon aufgrund eines effektiven Abwehrinteresses der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen einen Kostenerstattungsanspruch des hier Beklagten zu 2) überwiege im Übrigen das Interesse der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer an der Vergemeinschaftung der Rückbauansprüche das Individualinteresse der Klägerin an der Rechtsverfolgung. Aus den §§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG n.F. lasse sich ferner ableiten, dass auch nach der Wertung des Gesetzgebers das Interesse an einer gemeinschaftlichen und einheitlichen Rechtsverfolgung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft stets das Interesse des einzelnen Wohnungseigentümers an der Rechtsverfolgung überwiege.
18
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.07.2021 abschließend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
Die Klage ist als unbegründet abzuweisen. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
20
Gem. § 48 Abs. 5 WEG sind die Vorschriften des dritten Teils des WEG in der bis zum 30.11.2020 gültigen Fassung weiter anzuwenden, da das Verfahren bereits vor dem 01.12.2020 anhängig war. Da auch die Beschlussfassung vor dem 01.12.2020 erfolgte, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Beschlusses an der bis zum 01.12.2020 geltenden Rechtslage.
21
I. Das Amtsgericht München ist gem. § 43 Nr. 4 WEG a.F., § 23 Nr. 2 lit. c) GVG a.F. örtlich und sachlich ausschließlich zuständig.
22
II. Sowohl die einmonatige Klage- als auch die zweimonatige Klagebegründungsfrist gem. § 46 Abs. 1 S. 2 WEG a.F. sind eingehalten. Die Zustellung der Klage erfolgte demnächst i.S.d. § 167 ZPO.
23
III. Bereits am Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses bestehen erhebliche Zweifel.
24
Grundsätzlich ist das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschlussanfechtung durch die hierzu befugten Personen zu vermuten. Regelmäßig besteht das Rechtsschutzbedürfnis somit fort und ist im Beschlussanfechtungsverfahren nicht zu prüfen, weil das Anfechtungsrecht dem Interesse der Gemeinschaft an einer ordnungsgemäßen Verwaltung dient. Es entfällt deshalb nur ausnahmsweise, wenn ein Erfolg der Klage den Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft keinen Nutzen mehr bringen kann (vgl. BGH, Urteil vom 13.05. 2011 − V ZR 202/10, NJW 2011, 2660, 2661, Rn. 16). Auch nach Vollzug des angefochtenen Beschlusses entfällt das Rechtsschutzbedürfnis nicht, solange Auswirkungen der Anfechtung auf Folgeprozesse nicht sicher auszuschließen sind (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.2011 - V ZR 202/10, ZWE 2011, 319).
25
Für die vorliegende Klage ist im Hinblick auf die Gesetzesänderung zum 01.12.2020 und die Einführung des § 9a Abs. 2 WEG n.F. fraglich, ob weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, da der Vergemeinschaftungsbeschluss keine Wirkung mehr entfaltet. Ob hierdurch aber bereits das Rechtsschutzbedürfnis entfällt und auch eine abschließende Entscheidung darüber, ob wie von den Beklagten behauptet das Rechtsschutzbedürfnis aufgrund der Genehmigung der Vergleichsvereinbarung durch den Beschluss zu TOP 7 der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 20.07.2021 entfallen ist, kann mit Blick auf die grundsätzliche Vermutung des Vorliegens des Rechtsschutzbedürfnisses unter Berücksichtigung effektiven Rechtsschutzes jedoch dahinstehen, da die Klage in jedem Fall unbegründet ist und daher als unbegründet abzuweisen war.
26
IV. Ferner kann dahingestellt bleiben, ob sich der Rechtsstreit in der Hauptsache aufgrund der Gesetzesänderung (vgl. Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 91a Rn. 58) oder durch den Vollzug erledigt hat und die Klage daher schon mangels Erledigungserklärung abzuweisen wäre, da die Klage jedenfalls von Anfang an unbegründet war.
27
V. Die Klage ist unbegründet. Der Beschluss zu TOP 7 der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 08.09.2020 entspricht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.
28
Nach der Rechtsprechung zur nicht geborenen, sondern lediglich gekorenen Ausübungsbefugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft bleibt den übrigen Wohnungseigentümern grundsätzlich die Möglichkeit, ihr Zugriffsermessen ordnungsgemäß auszuüben und gegebenenfalls durch Beschluss die Zuständigkeit des Verbands zu begründen. Nur in Ausnahmefällen kann ein Beschluss, mit dem Individualansprüche der Wohnungseigentümer vergemeinschaftet werden, als rechtsmissbräuchlich und deshalb als nichtig anzusehen sein, wenn ein einzelner Wohnungseigentümer seinen Individualanspruch bereits gerichtlich geltend gemacht hat, eine Rechtsverfolgung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht beabsichtigt ist und die Beschlussfassung allein dazu dienen soll, den laufenden Individualprozess zu beenden. Dies widerspräche Sinn und Zweck der Vergemeinschaftung, die die Rechtsverfolgung nicht verhindern, sondern die Möglichkeit zu einer gemeinschaftlichen Rechtsverfolgung eröffnen soll, und bezweckte eine treuwidrige Benachteiligung des klagenden Wohnungseigentümers (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.2018 - V ZR 328/17, NJW 2019, 1216 Rn. 22).
29
Der Beschluss zu TOP 7 der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 08.09.2020 hat eine Vergemeinschaftung der Rückbauansprüche gegen den hier Beklagten zu 2) zum Inhalt. Dies entspricht seinem eindeutigen Wortlaut, wonach sowohl die außergerichtliche als auch gerichtliche Geltendmachung erfasst ist (Anlage K2). Zwar hat die Klägerin als einzelne Wohnungseigentümerin ihren Individualanspruch zum Zeitpunkt der Vergemeinschaftung bereits gerichtlich geltend gemacht, gemessen an den oben dargelegten notwendig kumulativen Voraussetzungen ist dies jedoch nicht ausreichend, da die Klägerin weder hinreichend dargelegt und bewiesen hat, noch es ersichtlich ist, dass eine Rechtsverfolgung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht beabsichtigt war und der Vergemeinschaftungsbeschluss ausschließlich dazu dienen sollte, den laufenden Individualprozess der Klägerin zu beenden.
30
1. Zutreffend ist, dass zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Beschlussfassung am 08.09.2020 die Rückbauklage der Klägerin vor dem Amtsgericht München, Az.: 485 C 3241/20 WEG, bereits rechtshängig war und die Eigentümer ausweislich des Protokolls zur ordentlichen Eigentümerversammlung vom 08.09.2020 von der Klägerin hierüber auch informiert wurden.
31
In der wertenden Betrachtung, zum notwendigen kumulativen Vorliegen der für eine Bejahung von Rechtsmissbrauchs erforderlichen Voraussetzungen, ist jedoch bereits an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass die Beklagten durch Vorlage der Anlage B6 nachgewiesen haben, dass schon im Einladungsschreiben vom 27.02.2020 zur ordentlichen Eigentümerversammlung vom 17.03.2020 unter TOP 3 die „Beratung und Beschlussfassung über die Vergemeinschaftung der Ansprüche auf Rückbau der von Herrn im Bereich der Einheit Nr. 22 vorgenommenen Baumaßnahmen (Einbau von zwei Dachliegefenstern und Errichtung eines Dachaustritts)“ Gegenstand war. Zum Zeitpunkt des Einladungsschreibens vom 27.02.2020 war die Rückbauklage der Klägerin vom 25.02.2020 bereits anhängig, jedoch nicht rechtshängig. Auch zum Zeitpunkt, der sodann laut unbestrittenen Vortrag der Beklagten aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattgefundenen Eigentümerversammlung vom 17.03.2020, wäre die Rückbauklage noch nicht rechtshängig gewesen, da diese dem hier Beklagten zu 2) am 01.04.2020 zugestellt wurde. Zwar hat die Klägerin als einzelne Wohnungseigentümerin ihren Individualanspruch zum Zeitpunkt der Vergemeinschaftung bereits gerichtlich geltend gemacht, zum Zeitpunkt der ersten Befassung der Eigentümer mit einer möglichen Vergemeinschaftung, initiiert von der Beigeladenen durch das Einladungsschreiben vom 27.02.2020, lag jedoch noch keine Kenntnis der Eigentümer von dem Individualprozess der Klägerin vor.
32
2. Dass eine Rechtsverfolgung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft beabsichtigt war, steht zur Überzeugung des Gerichts fest.
33
Dem Vortrag der Klägerin, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft nie beabsichtigt habe das Recht auf Rückbau zu verfolgen, sei nun evident durch den am 20.07.2021 zu TOP 7 gefassten Genehmigungsbeschluss der Vergleichsvereinbarung zwischen der Wohnungseigentümergemeinschaft und dem Beklagten zu 2) kann nicht gefolgt werden. Vielmehr lässt sich hieraus ableiten, dass eine Rechtsverfolgung nicht nur zum Zeitpunkt des Vergemeinschaftungsbeschlusses beabsichtigt war, sondern nun auch bereits tatsächlich erfolgt ist, woraus wiederum auf die Absicht zum Zeitpunkt der Beschlussfassung geschlossen werden kann. Wenn die Klägerin vorträgt, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und der Beklagte zu 2) von vornherein eine vergleichsweise Einigung angestrebt hätten und Zweck der Vergemeinschaftung daher nicht der Rückbauanspruch selbst, sondern die finanzielle Entlastung der Wohnungseigentümergemeinschaft gewesen sei, verkennt die Klägerin, dass auch eine außergerichtliche Einigung ein anerkanntes Mittel der Rechtsverfolgung ist. Nicht lediglich durch die gerichtliche Geltendmachung wird ein Recht verfolgt. Dass eine gütliche Streitbeilegung zur Rechtsverfolgung nicht nur anerkannt, sondern vom Gesetzgeber auch gefördert wird, lässt sich in wertender Betrachtung beispielsweise gerade auch aus § 278 ZPO ableiten, wonach gem. § 278 Abs. 1 ZPO das Gericht in jeder Lage des Verfahren auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkt bedacht sein soll. Auch der BGH hat die Bedeutung einer vergleichsweisen Einigung zur Streitbeilegung im Wohnungseigentumsrecht unlängst in seiner Entscheidung zum Verlust der Prozessführungsbefugnis für die bereits vor dem 01.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren eines Wohnungseigentümers, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend macht, bestärkt, indem der BGH die Prozessführungsbefugnis zu dem Zeitpunkt entfallen lässt, in welchem dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2021 - V ZR 299/19 -, Rn. 22, juris). Hierzu führt der BGH aus, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach dem Willen des Gesetzgebers das bereits anhängige Verfahren selber als Partei übernehmen oder aber dem Wohnungseigentümer die Fortführung des Verfahrens untersagen könne, etwa weil sie den Konflikt auf andere Weise als durch einen gerichtlichen Rechtsstreit beilegen wolle (BGH, Urteil vom 07.05.2021 - V ZR 299/19 -, Rn. 23, juris). Wenn aber aus dem Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einen Konflikt auf andere Weise als durch einen gerichtlichen Rechtsstreit beilegen zu wollen ein Verlust der Prozessführungsbefugnis, der zum Verlust eines Individualprozesses führt, abgleitet werden kann, dann muss dies erst Recht für die Bejahung einer beabsichtigten Rechtsverfolgung zum Zeitpunkt eines Vergemeinschaftungsbeschlusses gelten, selbst wenn, wie von der Klägerin behauptet aber nicht nachgewiesen, eine gerichtliche Geltendmachung zu diesem Zeitpunkt nicht angestrebt war. Ein kollusives Zusammenwirken des Beklagten zu 2) und der Eigentümergemeinschaft zum Nachteil der Klägerin kann hieraus somit gerade nicht abgeleitet werden.
34
Dass es sich bei dem anwaltlichen Schreiben vom 20.10.2020 (Anlage B1) um eine „Finte“ handele, hat die Klägerin lediglich pauschal behauptet, ein Nachweis hierzu wurde nicht erbracht.
35
3. Dafür, dass der Vergemeinschaftungsbeschluss nicht ausschließlich dazu dienen sollte, den laufenden Individualprozess der Klägerin zu beenden, spricht entscheidend, dass ausweislich des Einladungsschreibens vom 27.02.2020 (Anlage B6) bereits für den 17.03.2020 eine Eigentümerversammlung einberufen war, in der die Vergemeinschaftung der Rückbauansprüche auf der Tagesordnung (TOP 3) gestanden hat. Insoweit wird auf die Ausführungen unter V.1. der Entscheidungsgründe verwiesen. Hieraus lässt sich ableiten, dass die Vergemeinschaftung nicht ausschließlich im Zusammenhang mit der klägerischen Rückbauklage steht. Von einer solchen Ausschließlichkeit kann darüber hinaus auch mit Blick auf die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht ausgegangen werden.
36
Dass in einer Abwägung die Interessen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer an einer gemeinsamen Durchsetzung die Interessen der Klägerin an ihrer Klage nicht deutlich überwiegen würden, hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt und lediglich daraus geschlossen, dass von vornherein eine vergleichsweise Einigung zwischen der Wohnungseigentümergemeinschaft und dem hier Beklagten zu 2) angestrebt gewesen sei. Zur gütlichen Streitbeilegung als legitimes Mittel der Rechtsverfolgung wurde bereits ausgeführt. Bei wertender Betrachtung des § 9a Abs. 2 WEG n.F. ergibt sich, dass auch nach dem Willen des Gesetzgebers das Interesse an einer gemeinschaftlichen und einheitlichen Rechtsverfolgung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft das Interesse des einzelnen Wohnungseigentümers an der Rechtsverfolgung überwiegt. Dies wird im Ergebnis auch durch die aktuelle Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 07.05.2021 - V ZR 299/19 -, juris) bestätigt. Sowohl der Gesetzesänderung, als auch dieser Rechtsprechung entspricht die bereits zur alten Rechtslage von der Rechtsprechung vorgenommene wertende Betrachtung des weiten Zugriffsermessens der Wohnungseigentümer zur Begründung der Zuständigkeit des Verbandes durch Beschlussfassung (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.2018 - V ZR 328/17, NJW 2019, 1216).
37
Durch den streitgegenständlichen Vergemeinschaftungsbeschluss sollte die Möglichkeit zu einer gemeinschaftlichen Rechtsverfolgung eröffnet werden. Eine treuwidrige Benachteiligung der Klägerin war damit nicht bezweckt. Ein derartiger Zweck läge auch nicht in der Absicht der gemeinschaftlichen Rechtsverfolgung durch gütliche Einigung begründet. Die Rechtsverfolgung an sich sollte nicht verhindert, sondern die gemeinschaftliche Rechtsverfolgung ermöglicht werden. Die Beschlussfassung hat damit nicht allein dazu dienen sollen, den laufenden Individualprozess der Klägerin zu beenden.
38
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
39
VII. Der Streitwert wurde gem. § 49a Abs. 1 GKG a.F., § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.
40
Gem. § 71 Abs. 1 GKG ist in Rechtsstreitigkeiten, die vor dem 01.12.2020 anhängig geworden sind, weiterhin § 49a GKG a.F. maßgeblich.
41
Danach ist der Streitwert auf 50% des Interesses der Parteien und aller Beigeladenen an der Entscheidung festzusetzen. Er darf das Interesse des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen an der Entscheidung nicht unterschreiten und das Fünffache des Wertes ihres Interesses nicht überschreiten. Der Wert darf in keinem Fall den Verkehrswert des Wohnungseigentums des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen übersteigen.
42
Da der Sachverhalt nicht genügend Anhaltspunkte für eine Schätzung des Interesses der Parteien an der Entscheidung bietet, hat das Gericht den Streitwert frei zu schätzen. Grundsätzlich ist dabei auf den Regelwert zurückzugreifen. Für Zivilsachen enthält das GKG keine Vorschrift zu einem Regelwert. Das Gericht greift daher auf die Regelvorschriften der §§ 52 Abs. 2 GKG, 23 Abs. 3 RVG und 30 Abs. 2 KostO zurück und setzt den Streitwert auf 5.000,00 € fest.