VGH München, Beschluss v. 17.12.2021 – 20 NE 21.3012
Titel:

Keine Zugangsbeschränkung für Spielwarengeschäfte aufgrund der Corona-Pandemie

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1, Abs. 6
15. BayIfSMV § 5 Abs. 1, § 10 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Ein Spielwarengeschäft dient der „Deckung des täglichen Bedarfs“ iSd § 10 Abs. 1 S. 1 iVm S. 2 15. BayIfSMV und fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der Zugangsbeschränkung nach § 10 Abs. 1 S. 1 15. BayIfSMV iVm § 5 Abs. 1 15. BayIfSMV. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Zugangsbeschränkung („2G“), Handelsbetrieb/Ladengeschäft mit Kundenverkehr, Ladengeschäft zur Deckung des täglichen Bedarfs (hier: Spielwarengeschäft), Antragsbefugnis, Spielwarengeschäft, Zugangsbeschränkung, Zutrittsverbot, Deckung des täglichen Bedarfs
Fundstelle:
BeckRS 2021, 40091

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt

Gründe

I.
1
Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO wendet sich der Antragsteller, der in Bayern ein Spielwarengeschäft betreibt, sinngemäß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 816), zuletzt geändert durch Änderungsverordnung vom 14. Dezember 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 875).
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Die angegriffene Norm hat folgenden Wortlaut:
3
„§ 10 Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte
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(1) Die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handelsangebote ist nur unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 und des § 4 Abs. 3 und 5 gestattet, soweit diese nicht der Deckung des täglichen Bedarfs dienen. Zum täglichen Bedarf gehört insbesondere der Lebensmittelhandel einschließlich der Direktvermarktung, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Schuhgeschäfte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörakustiker, Tankstellen, der Verkauf von Presseartikeln und Tabakwaren, Filialen des Brief- und Versandhandels, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte, Baumärkte, Gartenmärkte, der Verkauf von Weihnachtsbäumen und der Großhandel.“
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Nach den in Abs. 1 Satz 1 der angegriffenen Bestimmung in Bezug genommenen Vorschriften darf der Zugang zu geschlossenen Räumen nur durch Besucher erfolgen, soweit diese i.S.d. § 2 Nr. 2 und 4 SchAusnahmV geimpft oder genesen oder noch nicht zwölf Jahre und drei Monate alt sind (§ 5 Abs. 1 15 BayIfSMV) oder die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung nach § 4 Abs. 3 15. BayIfSMV erfüllen.
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Der Antragsteller trägt zur Begründung seines Eilantrags vom 7. Dezember 2021 vor, aufgrund der angegriffenen „2G-Regelung“ in Ladengeschäften komme es in seinem Ladengeschäft zu einem „faktischen Lockdown“. Hierfür fehle es schon an einer tragfähigen Begründung. Die Zugangsbeschränkung verstoße zudem - insbesondere wegen der Privilegierung einzelner Sparten - gegen das Willkürverbot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und sei daher vorläufig auszusetzen.
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Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen. Die angegriffene Regelung sei rechtmäßig, insbesondere auch verhältnismäßig. Im Einzelhandel kämen viele Menschen in geschlossenen Räumen zusammen und hätten so Gelegenheit, Infektionen weiterzugeben. Es bestehe auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, denn die Privilegierung der von der Zugangsbeschränkung ausgenommenen Ladengeschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV sei sachlich gerechtfertigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
9
Der Antrag ist unzulässig und hat deshalb keinen Erfolg.
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1. Dem Antragsteller fehlt es bereits an der erforderlichen Antragsbefugnis i.S.v. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Er kann nicht geltend machen, durch die angegriffene Norm in seinen Rechten verletzt zu sein, weil das von ihm betriebene Spielwarengeschäft vom Tatbestand des § 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV nicht unmittelbar erfasst wird.
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Ein Spielwarengeschäft dient der „Deckung des täglichen Bedarfs“ i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 15. BayIfSMV und fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der Zugangsbeschränkung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 15. BayIfSMV.
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Zur Begründung kann zunächst sinngemäß Bezug genommen werden auf die Senatsrechtsprechung zu § 12 Abs. 1 Satz 2 11./12. BayIfSMV (vgl. insbesondere B.v. 31.3.2021 - 20 NE 21.540 - juris Rn. 10; B.v. 3.3.2021 2021 - 20 NE 21.391 - juris Rn. 10). Der Verordnungsgeber hat insofern an dem bereits in diesen Vorschriften verwendeten Regelungsmodell festgehalten, einen bestimmten Kreis von Ladengeschäften von einer allgemeinen Beschränkung - einem Öffnungsverbot (§ 12 Abs. 1 Satz 2 11./12. BayIfSMV) bzw. aktuell einem Zutrittsverbot für nicht-immunisierte Kunden (§ 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV) - auszunehmen, die Ausnahmen aber weder eindeutig abstrakt noch durch eine abschließende Aufzählung (so etwa § 17 Abs. 1 Satz 4 CoronaVO Baden-Württemberg vom 15.9.2021 i.d.F. der ÄnderungsVO vom 14.12.2021) konkret definiert. Der Zugangsbeschränkung unterfallen danach Ladengeschäfte nur, „soweit diese nicht der Deckung des täglichen Bedarfs dienen“, wobei diese Formulierung durch eine - allerdings ausdrücklich nicht abschließende („insbesondere“) - regelbeispielhafte Aufzählung von Ladengeschäften in § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV erläutert wird.
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a) Der Begriff der „Ladengeschäfte mit Kundenverkehr für Handelsangebote (…), soweit diese nicht der Deckung des täglichen Bedarfs dienen“ ist danach unter Berücksichtigung der in § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV aufgelisteten Regelbeispiele auszulegen. Dabei belegen die Regelbeispiele - die auch vergleichsweise selten und i.d.R. nur anlassbezogen aufzusuchende Läden wie Optiker, Hörakustiker, Baumärkte und Weihnachtsbaumverkäufe umfassen - zum einen, dass Ladengeschäfte einem „täglichen Bedarf“ nicht erst dann dienen, wenn sie der Deckung eines im eigentlichen Wortsinn „täglich“ auftretenden Bedarfs jedes einzelnen dienen, sondern vielmehr schon dann, wenn sie einen individuellen Bedarf abdecken, der jederzeit und damit „täglich“ eintreten kann (vgl. bereits BayVGH, B.v. 31.3.2021 - 20 NE 21.540 - juris Rn. 10; B.v. 3.3.2021 - 20 NE 21.391 - juris Rn. 11).
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Zum mindestens erforderlichen Gewicht bzw. zur Dringlichkeit und Wichtigkeit eines solchen Bedarfs ist weder dem Verordnungstext noch der Begründung (vgl. BayMBl. 2021 Nr. 842 S. 6) eine abstrakte Aussage zu entnehmen. Einziger Anhaltspunkt ist insofern das Gewicht der genannten Regelbeispiele, die aus Sicht des Verordnungsgebers der täglichen Bedarfsdeckung dienen sollen. Dabei zeigt sich - wie schon bei den in § 12 Abs. 1 Satz 2 11./12. BayIfSMV aufgeführten Regelbeispielen - eine heterogene Gemengelage: Einige der genannten Läden sind eindeutig der (lebens-)notwendigen Grund- und Akutversorgung zuzuordnen (wie Lebensmittel- und Getränkemärkte, Apotheken und Tankstellen), andere hingegen ebenso eindeutig nicht (wie insbesondere Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte und Gartenmärkte). Wenn aber auch solche nicht der notwendigen Akutversorgung dienenden Ladengeschäfte ausdrücklich von den Zugangsbeschränkungen ausgenommen sind, kann ein „Bedarf“ i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV jedenfalls kein größeres Gewicht und keine höhere Dringlichkeit voraussetzen als dem Bedarf an Buchhandlungen, Blumenfachgeschäften und Gartenmärkten zukommt.
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Ob die vom Antragsgegner vorgetragenen Rechtfertigungsgründe der Privilegierungen einzelner Sparten (im Hinblick auf den Buchhandel das Informationsbedürfnis der Bevölkerung und der Schutz der Kultur; im Hinblick auf Blumengeschäfte und Gartenmärkte die Verderblichkeit von Blumen und Pflanzen) tragfähig sind, hat in diesem - nur die Ermittlung des Norminhalts betreffenden - Zusammenhang keine Bedeutung.
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b) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass auch Spielwarengeschäfte der „Deckung des täglichen Bedarfs“ i.S.d § 10 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV dienen. Obwohl das Angebot von Spielwarengeschäften im Regelfall keine lebensnotwendigen Bedarfsgüter umfasst, haben Spielwaren - was der Senat als allgemein bekannt voraussetzt - bei generalisierender Betrachtung jedenfalls für Kinder und zumal in der Weihnachtszeit (mindestens) dieselbe Bedeutung wie (für Erwachsene) Bücher, Schnittblumen und Gartengeräte.
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Auf die Möglichkeit, Spielwaren alternativ unter Verwendung technischer Hilfsmittel außerhalb von Ladengeschäften zu erwerben, kommt es nicht an, denn dies gilt ohne weiteres auch für einen großen Teil des Angebots der in § 10 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV ausdrücklich genannten Ladengeschäfte.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die vom Antragsteller angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 12. Januar 2022 außer Kraft tritt (§ 18 15. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das
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Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 hier nicht angebracht ist.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).