VG München, Urteil v. 26.10.2021 – M 5 K 17.37333
Titel:
Erfolgloser Asylantrag eines vorgeblich Homosexuellen (Pakistan)
Normenketten:
VwGO § 88, § 113 Abs. 5 S. 1
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 3 Abs. 1, § 3c Nr. 1, § 4, § 77 Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 11, § 60 Abs. 5, Abs. 7
Pakistanisches Strafgesetzbuch (PCC) § 377
Leitsätze:
1. Das Merkmal der sexuellen Orientierung kann als verbindendes Element einer Gruppe iSd § 3 Abs. 1 AsylG gelten. (Rn. 23) (red. LS Andreas Decker)
2. Das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, kann allein nicht als Verfolgungsmaßnahme qualifiziert werden. (Rn. 26) (red. LS Andreas Decker)
3. Je mehr ein Schutzsuchender mit seiner sexuellen Orientierung in die Öffentlichkeit tritt und je wichtiger gerade dieses Verhalten für seine Identität ist, desto mehr erhöht dies die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung. (Rn. 33) (red. LS Andreas Decker)
Schlagworte:
Pakistan, Homosexualität, Einreise auf dem Landweg, Flüchtlingseigenschaft, Strafbarkeit homosexueller Handlungen, Ausleben der Homosexualität, Öffentlichkeit, Einreise- und Aufenthaltsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2021, 39916
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger verfolgt mit der Klage sein Asylbegehren weiter.
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Der 1989 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und dem Volk der Punjabis angehörig. Er reiste nach eigenen Angaben im … 2014 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … Juli 2014 einen Asylantrag.
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In der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … September 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe Pakistan verlassen, da seine Mutter Zuckerkrank und Hepatitis C habe. Außerdem, da er erhebliche Kopfschmerzen habe. Sein Vater der die gleichen Symptome gehabt habe, sei an dieser Krankheit gestorben. Zudem habe es Erbschaftsstreitigkeiten mit seinen Geschwistern gegeben.
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Mit Schreiben vom … Oktober 2016 trug der Kläger zu seiner Anhörung vom … September 2016 nach, dass er homosexuell sei. Bei der ersten Anhörung durch das Bundesamt habe er sich nicht getraut darüber zu sprechen. Er habe Angst, vor den Leuten in seiner Unterkunft zu sprechen, selbst seine besten Freunde und seine Familienangehörigen würden nicht wissen, dass er homosexuell sei. Er wisse nicht was passieren würde, wenn sie dies herausfinden würden.
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In der Anhörung durch das Bundesamt am … Januar 2017 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er homosexuell sei. Im Alter von 17 Jahre sei er mit einem Nachbarjungen befreundet gewesen. Manchmal haben sie zusammen übernachtet, woraus sich ein intimes Verhältnis entwickelt habe. Die Beziehung habe ca. 3-4 Jahre angedauert. Der Bruder seines Freundes habe sie eines Tages, als die Tür nicht abgesperrt war, während des Geschlechtsverkehrs erwischt. Er habe beiden Familien davon erzählt, woraufhin der Kläger von der Familie seines Freundes geschlagen worden sei. Auch sein eigener Bruder habe ihn geschlagen und bedroht. Er habe noch 2-3 Jahre im gleichen Haus wie sein Bruder gewohnt, bevor er ausgereist sei. Seine Freunde in der Schule und später in der Arbeit haben sich über ihn lustig gemacht und ignoriert. Er sei schon immer an Männer interessiert gewesen, sei aber von Mullahs in seinem Dorf belästigt worden. Er habe versucht sich an die Polizei zu wenden, aber diese habe ihn nicht gut behandelt. Wegen ihm haben alle seine Verwandten den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen. Sogar seine Geschwister haben nichts mehr mit der Mutter zu tun haben wollen, da sie den Kläger nicht habe aufgeben wollen. Da Homosexualität im Islam nicht akzeptiert sei, haben ihn die Mullahs öfter geschlagen und gemobbt. Auch habe ihn ein Dorfältester aus einem Nachbardorf mitgenommen und zwei Tage eingesperrt. Während dieser zwei Tage sei er von 4-5 Männern vergewaltigt worden und mit Schlappen geschlagen worden.
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Mit Bescheid vom … März 2017 zugestellt am … März 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Der Sachvortrag des Klägers habe nicht den Kriterien einer glaubhaften Darstellung eines Verfolgungsschicksals genügt. Die Angaben des Klägers zu den fluchtauslösenden Ereignissen seien wenig plausibel. Weiterhin seien die geschilderte Bedrohung durch den Mullah sowie die geschilderte Vergewaltigung nicht glaubhaft, da es dem gesamten diesbezüglichen Vortrag an relevanten Einzelheiten fehlen würde und nichts davon zu spüren gewesen sei, dass der Antragsteller konkret erlebtes mitteilten würde. Sein Vortrag sei konturenlos gewesen, da nur äußerst vage, emotionslos, nicht plausibel nachvollziehbar und damit letztlich unergiebig, weil inhaltsleer, vorgetragen. Zudem sei nicht nachvollziehbar, dass andere außer seiner Familie von seiner Homosexualität erfahren haben. Nach eigenen Aussagen wusste es nur seine Familie und die Familie seines Freundes. Er selbst würde angeben, dass das Thema Homosexualität in Pakistan tabuisiert sei. Es könne nicht angenommen werden, dass die Mullahs beziehungsweise die Dorfältesten von seiner angegebenen Sexualität erfahren haben.
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Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes lägen nicht vor. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass ihm die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe drohe. Ihm drohe auch keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Der Kläger habe auch keine persönlichen Umstände vorgetragen, die bei einer Rückkehr die Gefahr für ihn so erhöhen würde, dass von individuellen konfliktbedingten Gefahren in Pakistan gesprochen werden könne.
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Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Pakistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegen würde. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Der Kläger habe keine individuellen Gefahren geltend gemacht. Es sei daher davon auszugehen, dass er als volljähriger, gesunder Mann, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten habe, auch ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen erzielen könne. Der Kläger trug vor, er sei bis zur 10. Klasse zur Schule gegangen. Danach habe er als Bauhelfer gearbeitet. Zudem habe er für seine Ausreise 5.000 Euro aufbringen können. Individuelle gefahrerhöhende Umstände habe der Kläger nicht vorgetragen, sodass davon auszugehen sei, dass er sich selbst ohne Rückkehrhilfen bei Rückkehr eine neue wirtschaftliche Existenz aufbauen könne, zumal er jung, gesund und arbeitsfähig ist.
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Mit Schriftsatz vom 6. April 2017 hat der Kläger beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erhoben und beantragt,
hiermit lege ich Klage gegen meinen Bescheid vom BAMF vom … März 2017 ein.
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Eine Begründung der Klage erfolgte nicht.
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Mit Schreiben vom 1. Juni 2018 beantragte die Bevollmächtigte des Klägers Prozesskostenhilfe, welche mit Beschluss vom 18. September 2019 abgelehnt wurde.
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Das Bundesamt hat für die Beklagte die Akte vorgelegt.
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Mit Beschluss vom 17. Juni 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Am 26. Oktober wurde zur Sache mündlich verhandelt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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1. Der Antrag des Klägers war entsprechend § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auszulegen, dass der Kläger begehrt, den Bescheid des Bundesamtes vom 27. März 2017 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen.
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2. Der streitgegenständliche Bescheid vom … März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, noch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Es bestehen auch keine Abschiebungsverbote (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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a) Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet bereits deswegen aus, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - i.V.m. § 26a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Asylgesetz - AsylG).
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b) Hinsichtlich des Nichtvorliegens der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie des ebenfalls Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend ist anzumerken, dass nach § 77 Abs. 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist. Auch unter diesem Aspekt ergeben sich jedoch weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht andere Bewertungen hinsichtlich des streitgegenständlichen Bescheids.
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Der Kläger ist kein Flüchtling i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG. Das Merkmal der sexuellen Orientierung kann als verbindendes Element einer Gruppe im Sinne der genannten Vorschrift gelten (EuGH, U.v. 7.11.2013 - Rs. C-199/12 bis C-201/12 - juris Rn. 49; VGH BW, U.v. 7.3.2013 - A 9 S 1872/12 - juris Rn. 34 ff.). Homosexuell veranlagte Menschen bilden in Pakistan eine solche soziale Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Es ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln unzweifelhaft, dass homosexuelle Personen in Pakistan als „andersartig“ betrachtet werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 29.9.2020, S. 15; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation von Homosexuellen, Stand 11.6.2015, S. 6).
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Gemessen daran liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG aber nicht vor. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Pakistan wegen seiner vorgebrachten sexuellen Orientierung Verfolgung droht. Weder droht dem Kläger eine staatliche Verfolgung noch eine nichtstaatliche Verfolgung durch die pakistanische Gesellschaft oder einzelne Dritte.
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Für die Beurteilung dieser Frage gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - BVerwGE 140, 22, juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 - 10 C 33/07 - DVBl 2008, 1255, juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162, juris Rn. 17).
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Dem Kläger droht keine staatliche Verfolgung im Sinne von § 3c Nr. 1 AsylG, und zwar weder in Form einer Gruppen- noch einer Individualverfolgung. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, allein nicht als Verfolgungsmaßnahme qualifiziert werden. Dagegen kann eine Freiheitsstrafe, wie sie § 377 Pakistanisches Strafgesetzbuch (PCC) androht, für sich alleine eine Verfolgungshandlung sein. Allerdings gilt dies nur für den Fall, dass sie auch tatsächlich verhängt wird (EuGH, U.v. 7.11.2013 - Rs. C-199/12 bis C-201/12 - juris Rn. 55 f., 79). Denn nur dann ist sie eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung und damit Verfolgungshandlung.
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Nach Auswertung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel stellt sich die strafrechtliche Situation für homosexuelle Männer in Pakistan wie folgt dar: Zwar bezieht sich das pakistanische Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich auf Homosexualität. Sie unterfällt nach der pakistanischen Strafordnung aber dem „fleischlichen Verkehr gegen die Naturordnung“ bzw. dem „gewollten unnatürlichen Geschlechtsverkehr“ gemäß § 377 des pakistanischen Strafgesetzbuches und wird mit einer Geldstrafe und/oder Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahre bestraft; in besonders schweren Fällen mit lebenslanger Freiheitsstrafe (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O., S. 15; UK Home Office, Country Information and Guidance - Pakistan: Sexual orientation and gender identity, S. 5, 9f.). Es sind dem Auswärtigen Amt aber keine Strafverfahren gegen männliche homosexuelle Personen, die Beziehungen auf einvernehmlicher Ebene unterhalten, bekannt. Laut der Analyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Pakistan: Situation von Homosexuellen, Stand 11.6.2015) sind seit der vorigen Auskunft (Stand Juni 2012) wenig neue Verhaftungen und Verurteilungen aufgrund von § 377 PCC bekannt geworden. Amnesty International hat ebenfalls keine Fälle der Anwendung von
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§ 377 PCC dokumentiert (Amnesty International an VG Wiesbaden zur Situation von Homosexuellen und Transgender, 2.10.2012). Nach der EASO Herkunftsländerinformation - Pakistan Länderüberblick (Stand August 2015, S. 113) kommt § 377 PCC selten zum Einsatz. Berichte über verhängte Freiheitsstrafen finden sich nicht.
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Damit kommt nach Einschätzung des Gerichts die von § 377 PCC angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis in Pakistan in einem Fall wie dem vorliegenden nicht beachtlich wahrscheinlich zur Anwendung. Es lässt sich den zitierten Quellen gerade nicht entnehmen, dass es regelmäßig zu strafrechtlichen Verurteilungen allein aufgrund von Homosexualität kommt. Auch wenn in Einzelfällen Verhaftungen dokumentiert wurden, besteht noch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger allein aufgrund seiner Homosexualität von ernsthaftem Schaden bedroht ist. Insoweit ist schon die Zahl der Referenzfälle, die sich aus den Erkenntnismitteln ergibt, im Verhältnis zur Gesamtzahl an homosexuellen Personen in Pakistan bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 200 Millionen Menschen zu gering.
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Anders könnte dies allenfalls zu beurteilen sein für Fälle, in denen homosexuelle Personen in Pakistan ihre Neigung besonders offensichtlich und exponiert, auch und gerade in der Öffentlichkeit und für jeden erkennbar und bemerkbar und damit in besonderem Maße anstößig im Sinne der pakistanischen Gesellschaftsordnung ausleben. Für diese ist möglicherweise die Gefahr, angeklagt und verurteilt zu werden, erhöht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (U.v. 7.11.2013 - Rs. C-199/12 bis C-201/12 - juris Rn. 65 ff.) darf von einem Asylbewerber nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität im Heimatland geheim hält oder sich beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung zurückhält, um eine Verfolgung zu vermeiden.
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Im vorliegenden Fall hat das Gericht aber keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seine sexuelle Orientierung in einer derartigen Weise ausübt. Auch vermochte der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts darzulegen, dass ihm gerade das öffentliche Ausleben seiner sexuellen Orientierung von hervorgehobener und identitätsprägender Wichtigkeit ist. Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung wiederholt betont hat, dass er auf Grund der Einstellung der pakistanischen Gesellschaft zum Thema Homosexualität, seine Homosexualität sowohl in Pakistan als auch in Deutschland gegenüber pakistanischen Landsleuten versucht zu verbergen, ist zur Überzeugung des Gerichts damit gerade ein nach-außen-Tragen seiner sexuellen Orientierung, also ein offensives Ausleben auch gerade in der Öffentlichkeit für den Kläger als wesentlicher Bereich seiner sexuellen Identität, weder dargelegt noch glaubhaft. Unter Berücksichtigung der Auskunftslage geht das Gericht daher davon aus, dass in solchen Fällen allein in der Strafandrohung des § 377 PCC nicht beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG liegt.
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Dem Kläger droht auch keine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure. Zwar wird in der pakistanischen Gesellschaft eine Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts grundsätzlich nicht akzeptiert. Angesichts dessen, dass - wie oben bereits festgestellt - der Kläger seine sexuelle Orientierung nicht in verfolgungsrelevanter Weise öffentlich lebt/e (und offenbar außer im Heimatdorf und seinen Familienangehörigen bislang niemand in Pakistan von seiner sexuellen Orientierung Kenntnis hat), droht dem Kläger unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen auch keine nichtstaatliche Verfolgung.
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Im Übrigen entsteht auch im Fall einer nichtstaatlichen Verfolgung ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur, wenn der Kläger nicht innerhalb seines Landes anderswo sicher leben kann (§ 3e AsylG). Die Möglichkeit, in einer der pakistanischen Großstädte unbehelligt leben zu können, gilt auch vor dem Hintergrund, wenn der Kläger homosexuell ist. Denn es ist auch insoweit eine konkrete Verfolgungsprognose unter Gesamtwürdigung des Einzelfalls, der Person des Klägers, seinem gesellschaftlichen Leben und einer individuellen Gefahrenprognose vorzunehmen. Dabei ist davon auszugehen, dass je mehr ein Schutzsuchender mit seiner sexuellen Orientierung in die Öffentlichkeit tritt, und je wichtiger gerade dieses Verhalten für seine Identität ist, desto mehr erhöht dies die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (VGH BW, U.v. 7.3.2013 - A 9 S 1872/12 - juris Rn. 55). Nach Auskunftslage können homosexuelle Menschen in Großstädten wie Lahore, Karachi und Islamabad relativ unbehelligt leben. Zwar könne man sich in Pakistan nicht offen dazu bekennen, homosexuell zu sein, diese Großstädte seien aber liberaler und aufgeschlossener (EASO Herkunftsländerinformationen - Pakistan Länderüberblick, August 2015, S. 114). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 7.11.2013 - Rs. C-199/12 bis C-201/12 - juris Rn. 65 ff.) darf von einem Asylbewerber nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität im Heimatland geheim hält oder sich beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung zurückhält, um eine Verfolgung zu vermeiden. Das Gericht ist nach den obigen Ausführungen davon überzeugt, dass der Kläger seine sexuelle Orientierung bisher ausschließlich privat gelebt hat und dies auch in Zukunft tut. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass diese Zurückhaltung durch äußere Umstände bedingt ist, liegen nicht vor. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Der Kläger muss also bei einer Rückkehr nach Pakistan nichts, was ein wesentlicher Aspekt seiner Gesamtpersönlichkeit wäre, verheimlichen. Er kann grundsätzlich seine sexuelle Orientierung in Pakistan genauso ausleben, wie er es bisher getan hat. Die Gefahr, dass er deshalb einen ernstlichen Schaden erleidet, ist vor diesem Hintergrund in einer der genannten Metropolen für das Gericht nicht beachtlich wahrscheinlich. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger sich ohne familiäre Unterstützung in den benannten Metropolen - wenigstens durch Hilfsarbeiten - nicht seinen Lebensunterhalt erwirtschaften könnte.
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c) Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte zutreffend verneint. Das Gericht nimmt auf die zutreffende Begründung des Bundesamtes Bezug, der es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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d) Die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Anhaltspunkte für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht gegeben. Auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib, Leben und Freiheit des Klägers i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr in sein Heimatland vermag das Gericht nicht zu erkennen; insbesondere ist der Kläger ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Arbeitserfahrung, sodass davon ausgegangen werden kann, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan für sich und seine Familie wird sichern können.
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e) Auch gegen die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine Bedenken.
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3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Nach § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.