Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 11.10.2021 – 202 StRR 117/21
Titel:

Tatvollendung und Strafzumessungsgründe bei Umsatzsteuerhinterziehung

Normenketten:
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 46
Leitsätze:
1. Im Falle der Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung ist die Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO mit Ablauf der in § 149 Abs. 2 Satz 1 AO vorgesehenen Frist vollendet. (Rn. 5 – 7)
2. Die strafschärfende Erwägung, dass der Steuerschuldner auch nach diesem Zeitpunkt keine Steuererklärung abgegeben hat, ist rechtsfehlerhaft, weil dies darauf hinausläuft, dem Angeklagten das Fehlen eines Strafmilderungsgrunds anzulasten. (Rn. 10)
3. Die berufliche Stellung eines Angeklagten darf nur dann strafschärfend gewertet werden, wenn sich aus ihr besondere Pflichten ergeben. Dies ist nicht der Fall, wenn der Angeklagte, der als Steuerberater tätig ist, seinen eigenen Steuerpflichten nicht nachkommt. (Rn. 11)
4. Berufsrechtliche Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung sind jedenfalls dann bei der Strafzumessung ausdrücklich zu berücksichtigen, wenn der Angeklagte durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert. (Rn. 12)
Schlagworte:
Revision, Sachrüge, Aufhebung, Zurückverweisung, Strafzumessung, Rechtsfolgenausspruch, Strafausspruch, Umsatzsteuer, Steuerhinterziehung, Umsatzsteuerhinterziehung, Steuererklärung, Umsatzsteuerjahreserklärung, Abgabe, Nichtabgabe, Steueranmeldung, Vollendung, Steuerschuldner, Strafmilderungsgrund, Pflicht, Rechtsanwalt, Steuerberater, Unternehmer, Besteuerungszeitraum, Steuerverkürzung, Festsetzung, Fälligkeitssteuer, Vorbehalt, Nachprüfung, Stichtag, Einkommenssteuer, Gewerbesteuer, Steuererstattung, Steuererstattungsanspruch, Finanzbehörde, Finanzamt, Überzahlung, Verrechnung, Anmeldesteuer, Folgejahr, Verkürzungserfolg, Jahresabschluss, Leistung, Vorsatz, Tatbestandsirrtum, Unterlassen, Pflichtwidrigkeit, Beendigung, Beruf, Existenz, Existenzverlust, berufliche Stellung, berufsrechtliche Folgen
Fundstellen:
LSK 2021, 34032
NZWiSt 2023, 77
BeckRS 2021, 34032

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 07.05.2021 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht hat den Angeklagten, der Rechtsanwalt und Steuerberater ist und daneben weitere Unternehmen innehat, am 04.04.2019 wegen Umsatzsteuerhinterziehung in 5 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Urteil vom 07.05.2021 verwarf das Landgericht die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft als unbegründet. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
II.
2
Die zulässige Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Schuldsprüche wegen Umsatzsteuerhinterziehung in 5 Fällen sind nicht zu beanstanden.
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a) Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils tragen jeweils die Verurteilung wegen Umsatzsteuerhinterziehung in 5 Fällen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 53 StGB, weil es durch die nicht rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Besteuerungszeiträume 2011 bis 2015 jeweils mit Ablauf des 31.05. des Folgejahres zur Steuerverkürzung im Sinne der „nicht rechtzeitigen Festsetzung“ im Sinne des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO der Jahresumsatzsteuer kam.
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aa) Bei der Umsatzsteuer handelt es sich um eine Fälligkeitssteuer. Hierbei ist der Unternehmer gemäß 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 150 Abs. 1 Satz 3 AO zur Abgabe einer Steueranmeldung verpflichtet, in der er nicht nur die tatsächlichen Umsätze anzugeben, sondern die Steuer auch zu berechnen hat. Mit Ablauf dieser Frist ist die Umsatzsteuer verkürzt, weil die Umsatzsteuerjahreserklärung als Steueranmeldung (§ 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO), zu einer derartigen Steuerfestsetzung es aber spätestens zum maßgeblichen Stichtag gerade nicht kam. Auf eine „Veranlagung“, die etwa bei der Einkommens- oder Gewerbesteuer, nicht aber bei der Umsatzsteuer stattfindet, kommt es daher - entgegen der Revision und auch den missverständlichen, freilich nicht entscheidungserheblichen Formulierungen der Berufungskammer - von vornherein nicht an.
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bb) Die Frist zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen endete nach § 149 Abs. 2 Satz 1 AO in der zu den Tatzeitpunkten geltenden Fassung jeweils am 31.05. des Folgejahres. Da der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen bis dahin keine Umsatzsteuerjahreserklärungen abgegeben hatte, trat die Steuerverkürzung durch nicht rechtzeitige Festsetzung im Sinne des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO jeweils zu diesen Zeitpunkten ein (vgl. nur BGH, Beschluss vom 08.12.2016 - 1 StR 389/16 = NStZ-RR 2017, 82 = StraFo 2017, 75 = wistra 2017, 234; 19.01.2011 - 1 StR 640/10 = wistra 2012, 484; Graf/Jäger/Wittig/Rolletschke AO § 370 Rn. 105-108). Die Frage, ob der Angeklagte Steuererstattungsansprüche hatte, mit denen die festzusetzende Umsatzsteuer hätte verrechnet werden können, ist demgegenüber irrelevant.
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cc) Soweit die Revision unter Hinweis auf die Rechtsprechung des OLG Köln (Beschluss vom 31.01.2017 - 1 RVs 253/16 = StraFo 2017, 208 = NZWiSt 2017, 317 = wistra 2017, 363 = StV 2018, 46 = OLGSt AO § 370 Nr. 13) die Auffassung vertritt, der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sei nicht verwirklicht, weil der Finanzbehörde die für die Besteuerung relevanten Fakten bekannt gewesen seien, liegt dies schon deswegen neben der Sache, weil sich das OLG Köln mit der Hinterziehung von „Veranlagungssteuern“ beschäftigt hat, um die es hier nicht geht. Vielmehr handelt sich - wie bereits dargelegt - bei der Umsatzsteuer um eine Anmeldesteuer, bei der jeweils am 01.06. des Folgejahres der Verkürzungserfolg durch die pflichtwidrige Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung eintrat. Nach den für den Senat allein maßgeblichen Urteilsfeststellungen sind die für die Berechnung der Umsatzsteuerhöhe relevanten Umsätze dem zuständigen Sachbearbeiter des Finanzamts zu diesem Zeitpunkt indes nicht bekannt gewesen. Vielmehr ist lediglich festgestellt, dass der Angeklagte erst im August 2016 die Jahresabschlüsse und die Einkommensteuererklärungen für 2010 bis 2013 abgegeben habe. Unabhängig davon, dass sich aus den Jahresabschlüssen und den Einkommensteuererklärungen die Höhe der Umsatzsteuer, die sich in der Regel nach vereinbarten Entgelten berechnet (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG), die Steuer also gemäß § 13 Abs. 1 Abs. 1 Satz 1 lit. a) UStG mit Erbringung der Leistung entsteht, nicht ohne weiteres ermitteln lässt, konnten spätere Erkenntnisse des Finanzamts die schon vorher verwirklichten Straftaten nicht mehr berühren.
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b) Dass die Berufungskammer von vorsätzlichem Verhalten ausging, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Es bestehen nicht die geringsten Hinweise dafür, dass dem Angeklagten, der immerhin Volljurist und zudem Steuerberater ist, seine steuerrechtlichen Verpflichtungen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärungen nicht bekannt gewesen wären, zumal es sich hierbei um völlig einfach gelagerte Fragen, die schon nahezu zum Allgemeinwissen der Bevölkerung gehören, handelt. Soweit die Revision auf angeblich „überhöhte Zahlungen“ auf die Einkommensteuer hinweist, ist dies nicht im Ansatz rechtlich relevant, weil es - wie aufgezeigt - allein auf die nicht rechtzeitige Festsetzung und nicht etwa die Nichtentrichtung der Steuerschuld ankommt. Dass dem Angeklagten als Steuerberater dies nicht geläufig war, er vielmehr, wie die Revision geltend macht, von einer „Kompensation“ der Steuerarten ausging und überdies der Meinung war, es könnten Verrechnungen stattfinden, ohne dass die Umsatzsteuern festgesetzt würden, ist derart abwegig, dass sich das Landgericht hiermit nicht ernsthaft beschäftigen musste. Im Übrigen reicht es aus, dass dem Angeklagten die relevanten Umstände, nämlich die Verpflichtung zur fristgerechten Steueranmeldung bekannt waren. Wenn er subjektiv der Meinung gewesen sein sollte, eine Steuerhinterziehung träte gleichwohl nicht ein, weil es bei anderen Steuerarten zu Überzahlungen gekommen sei, würde dies keinen Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB begründen. Nur dann, wenn der Angeklagte als Steuerpflichtiger irrtümlich angenommen hätte, dass ein Steueranspruch gar nicht entstanden sei, wäre ein Tatbestandsirrtum anzunehmen, der den Vorsatz ausschlösse (vgl. BGH, Beschluss vom 10.02.2021 - 1 StR 525/20 = wistra 2021, 285). Hierfür bieten die Urteilsgründe allerdings keinen Anhalt und der Beschwerdeführer kann mit seinem urteilsfremden Vortrag aufgrund der allein erhobenen Sachrüge im Revisionsverfahren nicht gehört werden.
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2. Jedoch sind die Erwägungen zur Bemessung der Einzelstrafen in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
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a) Soweit die Berufungskammer zulasten des Angeklagten dessen „kriminelle Energie“ wertet, die bei der Ausführung der Taten durch sein „beharrliches und berechnendes Agieren“ zum Ausdruck gekommen sei, findet dies in den tatsächlichen Feststellungen keine Stütze. Im Gegenteil handelt es sich um ein schlichtes Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung, bei der eine besondere kriminelle Energie grundsätzlich nicht ersichtlich ist. Der von der Berufungskammer herangezogene Umstand, dass er auch in der Folgezeit nach dem Ablauf der Anmeldefristen „trotz Aufforderungen und Schätzungsandrohungen durch die Finanzbehörde“ keine Erklärungen abgegeben hat, erhöht die Tatschuld nicht, weil mit Verstreichenlassen des Fälligkeitstermins die Tat nicht nur vollendet, sondern auch beendet ist (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 01.06.2021 - 1 StR 127/21; 21.04.2021 - 1 StR 27/21 bei juris; 13.03.2019 - 1 StR 50/19 = NStZ-RR 2019, 213; 08.12.2016 - 1 StR 389/16 = NStZ-RR 2017, 82 = StraFo 2017, 75 = wistra 2017, 234), das Tatunrecht damit seinen Abschluss gefunden hat. Die nachträgliche Abgabe einer Steuererklärung würde einen Strafmilderungsgrund darstellen, das Fehlen eines Strafmilderungsgrund darf aber nicht strafschärfend berücksichtigt werden (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 11.08.2021 - 1 StR 222/21; 19.05.2021 - 1 StR 147/21 jew. bei juris; 23.04.2020 - 1 StR 15/20 = BGHSt 65, 5 = NJW 2020, 3185 = wistra 2021, 109 = NStZ 2021, 217 = BGHR StGB § 55 Abs. 1 S. 1 Härteausgleich 24; 24.01.2017 - 1 StR 481/16 = NStZ-RR 2017, 217 = wistra 2017, 274 = StV 2018, 40; 13.06.2017 - 3 StR 106/17 bei juris).
11
b) Ebenso fehlerhaft ist es, soweit die Berufungskammer als Strafschärfungsgrund die berufliche Stellung des Angeklagten als Steuerberater unter Verweis auf den Umstand heranzieht, dass er „für außenstehende Dritte als Fachmann auf dem Gebiet des Steuerrechts gilt“. Unter dem Gesichtspunkt des Maßes der Pflichtwidrigkeit (§ 46 Abs. 2 StGB) kann die berufliche Stellung eines Angeklagten nur dann strafschärfend gewertet werden, wenn sich aus ihr besondere Pflichten ergeben, deren Verletzung gerade im Hinblick auf die abzuurteilende Tat Bedeutung hat (BGH, Beschluss vom 19.05.2021 - 1 StR 496/20 bei juris; 20.06.2017 - 4 StR 575/16 = StraFo 2017, 374 = NStZ 2017, 577 = BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 18 = StV 2018, 137). Dies ist hier indes nicht der Fall. Der vom Angeklagten ausgeübte Beruf als Steuerberater steht in keinem spezifischen Zusammenhang mit der verwirklichten Straftat. Er hat nicht etwa seine ihm als Steuerberater obliegenden Pflichten verletzt, sondern seine Pflichten als Steuerschuldner, die jeden Steuerpflichtigen gleichermaßen treffen. Ohne Bedeutung für das Ausmaß der Schuld ist zudem, ob außenstehende Dritte den Angeklagten „als Fachmann des Steuerrechts“ ansehen.
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3. Die Berufungskammer hat überdies etwaige berufliche Folgen nach § 90 StBerG und § 114 Abs. 1 BRAO nicht in ihre Überlegungen zur Strafzumessung eingestellt. Die berufsrechtlichen Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung für das Leben des Angeklagten sind aber jedenfalls dann bei der Strafzumessung ausdrücklich zu berücksichtigen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (BGH, Beschluss vom 17.09.2019 - 1 StR 334/19 = wistra 2020, 66; 12.07.2018 - 3 StR 595/17 = StraFo 2018, 485; 08.12.2016 - 1 StR 492/16 = wistra 2017, 267; 27.07.2016 - 1 StR 256/16 = ZWH 2016, 398 = StV 2017, 83 = NZWiSt 2017, 39 = BGHR AO § 370 Abs. 1 Strafzumessung 27; 20.01.2016 - 1 StR 557/15 = wistra 2016, 190 - jew. m.w.N.). Steht die Möglichkeit eines Verlustes der beruflichen oder wirtschaftlichen Existenz aufgrund berufsrechtlicher Folgen aus Anlass der Begehung einer Straftat im Raum, was das Tatgericht zu prüfen hat, handelt es sich regelmäßig um einen zu berücksichtigenden Strafzumessungsgrund (BGH, Beschluss vom 27.07.2016 - 1 StR 256/16 a.a.O.).
III.
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Wegen der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel ist das Urteil des Landgerichts im Strafausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Die zugehörigen Feststellungen bleiben von den aufgezeigten Wertungsfehlern unberührt, sodass sie gemäß § 353 Abs. 2 StPO bestehen bleiben können. Weitergehende Feststellungen, die den bislang getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.