LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 14.01.2021 – 19 O 4274/19
Titel:

Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. „Lkw-Kartell"

Normenketten:
ZPO § 286
GWB § 33 Abs. 3, § 33a
Leitsätze:
1. Für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Recht maßgeblich. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch erforderliche kausale Schaden setzt voraus, dass die festgestellte Zuwiderhandlung eine preissteigernde Wirkung hatte, die fraglichen Vorgänge (hier: Beschaffungsvorgänge) von dieser Wirkung erfasst waren und der Klagepartei daher durch die Zuwiderhandlung mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn das kartellierte Produkt nicht direkt von einem der an der Preisabsprache beteiligten Kartellanten, sondern von selbstständigen Zwischenhändlern bezogen worden ist, spricht angesichts der ökonomischen Komplexitat der Preisbildung, des eigenständigen Spielraums bei der Preisgestaltung und des unterschiedlichen Wettbewerbsdrucks auf den jeweiligen nachgelagerten Markten keine allgemeine Vermutung dafür, dass eine im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kartell auftretende Preiserhöhung auf den Anschlussmärkten ursächlich auf das Kartell zuruckzuführen ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kartellrecht, Anscheinsbeweis, Beschaffungsvorgänge, Schaden, Preiserhöhung
Fundstellen:
WuW 2021, 249
BeckRS 2021, 2916
LSK 2021, 2916
NZKart 2021, 251

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits .
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.776,80 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei begehrt von den Beklagten Zahlung von Schadensersatz zuzüglich Zinsen aufgrund des von der Europäischen Kommission mit Beschluss vom 19. Juli 2016 (AT.39824 - Trucks, bekannt gegeben unter dem Aktenzeichen C(2016) 4673; nachfolgend: Kommissionsentscheidung) festgestellten sogenannten „Lkw-Kartells“.
2
Die Klagepartei ist eine bayerische Gemeinde. Die Gruppe ist eine der führenden europäischen  Nutzfahrzeughersteller. Die Beklagte zu 1) ist die Holdinggesellschaft der Gruppe.  Die Beklagte zu 2) ist das größte Unternehmen innerhalb der Gruppe und weist in ihrem Produktportfolio u.a. Lkw, Transporter und Busse auf. Die Beklagte zu 3) ist eine Tochtergesellschaft der Beklagten zu 2), die fur sie seit Mai 2003 als Vertriebsgesellschaft in Deutschland tätig ist.
3
Die Beklagten zu 2) und 3) beteiligten sich mit anderen europäischen Herstellern von Lastkraftwagen an Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, wie sie Gegenstand der Feststellungen der Kommission in der Kommissionsentscheidung vom 19.07.2016 sind, deren Adressatinnen auch die Beklagten sind. Die Beklagte zu 2) beteiligte sich im Zeitraum vom 17.01.1997 bis 20.09.2010 und die Beklagte zu 3) im Zeitraum vom 03.05.2004 bis 20.09.2010.
4
Die kollusiven Kontakte zwischen den Adressatinnen der Kommissionsentscheidung fanden von 1997 bis 2010 in Form regelmäßiger Treffen statt und umfassten auch Kontakte über E-Mail und Telefon. Die Hauptverwaltungen der Adressatinnen waren bis 2004 direkt an den Gesprächen über Preise, Preiserhöhungen und die Einführung von neuen Emissionsnormen beteiligt. Spätestens ab August 2002 liefen die Gespräche über deutsche Tochtergesellschaften, die an ihre Hauptverwaltungen berichteten. Die Absprachen umfassten Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen mit dem Ziel, die Bruttopreise im Europäischen Wirtschaftsraum zu koordinieren, sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien nach den Abgasnormen Euro 3 bis Euro 6. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird vollumfänglich auf die Kommissionsentscheidung Bezug genommen wird (vgl. die als Anlage K2 vorgelegte „provisional non-confidential version“ in englischer Sprache).
5
Die Beklagten sind mit der AG, von der die Klagepartei den streitgegenständlichen Lkw erworben haben will, gesellschaftsrechtlich nicht verbunden.
6
Die Klagepartei behauptet ihr sei wegen eines Lkws, der ausweislich der Rechnung vom 10.12.2010 gemäß Anlage K3 im Kartellzeitraum von der AG zu einem am 20.12.2010 bezahlten Kaufpreis in Höhe von € erworben worden sei, ein Schaden entstanden, weil sie aufgrund der in der Kommissionsentscheidung festgestellten Verhaltensweisen in Bezug auf die Absprache von Bruttopreisen zu viel gezahlt habe. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei weiterhin Bestandteil des Fuhrparks der Klagepartei.
7
Hinsichtlich der Höhe des entstandenen Schadens beruft sie sich auf ein Gutachten der Lademann & Associates GmbH vom 20.11.2017 (Anlage K7) und deren individuelle Schadensberechnung für die Klagepartei (Anlage K4). Zum Gutachten der Beklagtenpartei legt die Klagepartei eine Stellungnahme von Lademann vom 06.11.2020 als Anlage K8 vor. Aus dem Gutachten ergebe sich, dass die Klagepartei bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs als Schaden einen kartellbedingten Preiseffekt von 3.673,13 € netto sowie einen Euronormeffekt von 1.581,66 € netto, zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 998,41 €, erlitten habe. Teil des kartellbedingten Schadens seien zudem die Aufwendungen des Klägers im Zusammenhang mit der Beteiligung an der wettbewerbsökonomischen Begutachtung zur Schadensermittlung. Hierfür habe die Klagepartei eine Teilnehmerpauschale in Höhe von € und zusätzlich für die Einzelauswertung bezüglich ihres kartellbefangenen Erwerbsvorgangs €, insgesamt mithin ein Honorar von € bezahlt.
8
Die Klagepartei beantragt,
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 6.776,80 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.253,20 € seit
20.12.2010 und aus 523,60 € seit 19.06.2018, ferner 571,44 € an vorgerichtlichen Anwaltskosten zu bezahlen.
9
Die Beklagten beantragen,
Die Klage wird abgewiesen.
10
Die Beklagte behauptet die Bruttolistenpreise hätten für die Kundennettopreise keine Bedeutung. Die Beklagte verweist auf ein privates Sachverständigengutachten vom 08.05.2019 zur Beurteilung etwaiger Auswirkungen des „Lkw-Falls“ der Oxera Consulting LLP (Anlage 17) sowie auf eine Plausibilitätsanalyse der Compass Lexecon vom 01.04.2019 (Anlage 31), eine Prüfung der Schadensschätzung vom 28.07.2020 und eine Stellungnahme zum zweiten Gutachten von Lademann & Associates vom 05.01.2021 40). Die Beklagte behauptet unter Verweis auf die eingeholten Gutachten, dass sich im relevanten Zeitraum Bruttolistenpreise und Nettopreise völlig unterschiedlich entwickelt hätten. Die im Zeitraum des Kartells schwankenden Marktanteile der LKW-Hersteller, die die Beklagte unter Verweis auf die in den Privatgutachten aufbereiteten Daten darstellt, zeigten, dass es einen Preiswettbewerb weiterhin gegeben habe.
11
Soweit die Klagepartei, die lediglich mittelbare Abnehmerin des streitgegenständlichen Lkws sei, behaupte, aufgrund des Erwerbs Schäden in Gestalt höherer Kaufpreise erlitten zu haben, fehle es jedenfalls an Sachvortrag der Klägerin dazu, wie eine preiserhöhende Wirkung der Zuwiderhandlung auf der ersten Marktstufe die von ihr angeblich auf nachgelagerter Marktstufe gezahlten Preise negativ beeinflusst haben soll.
12
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2021 Bezug genommen.
13
Die Kammer hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe

14
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
15
Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist sachlich und örtlich zuständig.
B.
16
1. Die Klage ist unbegründet, da von der Klagepartei lediglich ein indirekter Erwerb des streitgegenständlichen Lkws behauptet wird und sie schon nicht dargelegt hat, dass ein etwaiger kartellbedingter Preisaufschlag auf sie von der AG abgewälzt worden ist.
17
1. Für den Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse geltende Recht maßgeblich (BGH, Urteil vom 11.12.2018 - KZR 26/17, Rn. 44 - Schienenkartell). Für Bestellungen 01.01.1999 bis 30.06.2005 ist die Vorschrift des § 33 S. 1 GWB in der Fassung vom 26.08.1998 und ab dem 01.07.2005 die Vorschrift des § 33 Abs. 3 GWB in der Fassung vom 07.07.2005 maßgeblich. Somit ist auch die Vermutung des § 33a Abs. 2 GWB auf die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht anwendbar (§ 186 Abs. 3 GWB).
18
2. Ein Kartellschadensersatz setzt auch nach den Urteilen des BGH vom 28.01.2020 (Az. KZR 24/17 - Schienenkartell II) und vom 23.09.2020 (Az. KZR 35/19 - Lkw-Kartell) noch voraus, dass die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge kartellbefangen waren. Maßgeblich für die Kartellbefangenheit ist die Frage, ob dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das - vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise - geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers mittelbar oder unmittelbar zu begründen. Für die Feststellung dieser Voraussetzungen gilt der Maßstab des § 286 ZPO (BGH, Urteil vom 28.1.2020 - KZR 24/17 -, Rn. 25 - Schienenkartell II).
19
Ob die Voraussetzungen der Kartellbefangenheit hinsichtlich des streitgegenständlichen Beschaffungsvorganges vorliegen, kann hier dahingestellt bleiben.
20
3. Die Klage ist nämlich bereits unbegründet, weil kein kausaler Schaden ersichtlich ist. Hierfür wäre erforderlich, dass die festgestellte Zuwiderhandlung eine preissteigernde Wirkung hatte, die Beschaffungsvorgänge von dieser Wirkung erfasst waren und der Klagepartei daher durch die Zuwiderhandlung mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.01.2020 - KZR 24/17, juris Rn. 35 - Schienenkartell II). Dies ist nicht der Fall. Denn es wird lediglich der mittelbare Erwerb des streitgegenständlichen Lkw behauptet und die Klagepartei hat schon nicht dargelegt, dass ein etwaiger kartellbedingter Preisaufschlag auf sie von der AG abgewälzt worden ist.
21
a) Die Darlegungslast dafür, dass und gegebenenfalls in welcher Höhe ein kartellbedingter Preisaufschlag auf die nachfolgende Marktstufe abgewälzt wurde, trägt der indirekte Abnehmer, der sich hierauf beruft (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10 -, BGHZ 190, 145-172, Rn. 44, vgl. ausführlich auch z.B. LG Stuttgart, Urteil vom 30. Januar 2020- 30 O 9/18-, Rn. 46 ff., juris m.w.N.).
22
Ein Anscheinsbeweis kommt der Klagepartei nicht zugute. Wenn das kartellierte Produkt nicht direkt von einem der an der Preisabsprache beteiligten Kartellanten, sondern von selbstständigen Zwischenhändlern bezogen worden ist, spricht angesichts der ökonomischen Komplexität der Preisbildung, des eigenständigen Spielraums bei der Preisgestaltung und des unterschiedlichen Wettbewerbsdrucks auf den jeweiligen nachgelagerten Märkten keine allgemeine Vermutung dafür, dass eine im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kartell auftretende Preiserhöhung auf den Anschlussmärkten ursächlich auf das Kartell zurückzuführen ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.6.2011 - KZR 75/10).
23
b) Die Klägerin ist hinsichtlich des streitgegenständlichen Lkws allenfalls mittelbare Abnehmerin, weil sie den streitgegenständlichen Lkw nicht von einer der Beklagten, sondern von einem unabhängigen Händler, der AG, die keine Adressatin des Bußgeldbescheides ist, erworben haben will. Soweit die Klägerin behauptet, aufgrund des Erwerbs des streitgegenständlichen Lkw einen Schaden in Gestalt höherer Kaufpreise erlitten zu haben, fehlt es an Sachvortrag der Klägerin dazu, wie eine preiserhöhende Wirkung der Zuwiderhandlung auf der ersten Marktstufe die von ihr angeblich auf nachgelagerter Marktstufe gezahlten Preise negativ beeinflusst haben soll. Dieser Vortrag wäre aber notwendig, weil angesichts der ökonomischen Komplexität der Preisbildung und des unterschiedlichen Wettbewerbsdrucks auf den jeweiligen nachgelagerten Märkten keine Vermutung dafür spricht, dass eine im zeitlichen Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung auftretende (angebliche) Preiserhöhung auf den Anschlussmärkten ursächlich auf die Zuwiderhandlung zurückzuführen ist (BGH, Urt. v. 28.06.2011 - KZR 75/10, juris Rn. 47 - ORWI). Die Kausalität muss hier stets im Einzelfall nachgewiesen werden (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2011 - KZR 75/10, juris Rn. 45 ff. - ORWI) .
24
Vortrag, dass ein etwaiger kartellbedingter Preisaufschlag vom unmittelbaren Erwerber auf die Klagepartei abgewälzt worden wäre, unterblieb in der Replik der Klagepartei, obwohl bereits in der Klageerwiderung auf diesen Umstand ausführlich hingewiesen wurde (vgl. S. 25f. des Klageerwiderungsschriftsatzes).
II.
25
Der Klagepartei steht somit auch kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für ihr vorprozessual erholtes Privatgutachten zu. Ebenfalls teilen die Nebenforderungen das Schicksal der Hauptforderung.
III.
26
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit war nach§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO zu entscheiden.
27
Die Streitwertentscheidung beruht auf§ 3 ZPO.