LG München I, Endurteil v. 14.06.2021 – 27 O 7128/21
Titel:

Kein Arrestgrund bei Haft des Arrestbeklagten

Normenkette:
ZPO § 917
Leitsatz:
Befindet sich der Arrestbeklagte in Haft, kann auch dann, wenn dem Arrestanspruch eine unerlaubte Handlung zugrunde liegt, nicht grundsätzlich angenommen werden, er werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder wesentlich erschweren. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arrestgrund, unerlaubte Handlung, Haft
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 27.09.2021 – 3 U 4456/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 29075

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass eines Arrest- und Arrestpfändungsbeschlusses wird zurückgewiesen.
2. Der Arrestkläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Arrestkläger kann die Vollstreckung des Arrestbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Arrestbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet. 

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um einen Arrest wegen Schadensersatzansprüchen aufgrund von Aktienkäufen.
2
Der Arrestkläger erwarb im Zeitraum vom 20.9.2018 bis 15.5.2020 Aktien der W AG in einem Gesamtvolumen von 241.567,75 Euro. Um Zeitraum vom 25.9.2018 bis 22.6.2020 verkaufte der Arrestkläger dieselbe Menge Aktien der W AG zu einem Gesamtpreis von 152.027,94 Euro.
3
Der Arrestbeklagte war bis Mitte 2020 Vorstand der W AG. Mitte des Jahres 2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der W AG eröffnet. Das Amtsgericht München hat gegen den Arrestbeklagten Haftbefehl erlassen. Mit Pressemitteilung vom 20.07.2020 teilte die Staatsanwaltschaft München I mit, dass sie gegen den Arrestbeklagten Ermittlungen wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs, der Untreue, der unrichtigen Darstellung und der Marktmanipulation in mehreren Fällen führt. Hinsichtlich des Inhalts der Pressemitteilung wird auf die vorgelegten Anlagen verwiesen. Am 22.07.2020 wurde der Arrestbeklagte wegen des Verdachts auf bandenmäßigen Betrug und Fälschung der Geschäftsbilanzen seit mindestens 2015 sowie Marktmanipulation aufgrund eines Haftbefehls das Amtsgericht Münchens festgenommen. Seit diesem Zeitpunkt sitzt der Arrestbeklagte in Untersuchungshaft.
4
Die Staatsanwaltschaft München I hat beim Amtsgericht München im Rahmen des Ermittlungsverfahrens strafrechtliche Arreste zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe erwirkt.
5
Der Arrestkläger begehrt Sicherung in Form des Arrests sowie Erlass eines Arrestpfändungsbeschlusses.
6
Der Arrestkläger trägt vor, der Arrestbeklagte sei im Jahr 2015 mit weiteren Mittätern übereingekommen, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der W AG durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern aufzublasen. Das Unternehmen sollte finanzkräftige und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden. Entsprechend dem gemeinsamen Plan und in dem Wissen, dass angeblich vorhandene Vermögenswerte in Höhe von zuletzt 1,9 Milliarden Euro nicht existiert hätten, habe der Arrestgegner die Verhandlung verschiedener Kredite und ähnliche Geschäfte mit Investoren veranlasst.
7
Der Arrestkläger trägt vor, dass wenn er von dem Verhalten des Arrestbeklagten gewusst hätte, er keine Aktien erworben hätte.
8
Der Arrestkläger trägt vor, dass der Arrestbeklagte weiterhin in massiver Weise und trotz Untersuchungshaft Vermögen verschiebe. Hierüber werde in der Presse berichtet.
9
Nachdem der Arrestbeklagte weiterhin in der Lage sei, seine Anwälte zu bezahlen, müsse er noch in Besitz von Vermögen sein. Auch sei ein Grundbesitz in Kitzbühl noch nicht vollständig gepfändet.
10
Der Arrestkläger meint, ein Arrestgrund sei gegeben, dass er Antragsgegner österreichischer Staatsbürger sei und zahlreiche Immobilien im Ausland besitze. Es würden in einer Vielzahl von Parallelverfahren erfolgreich Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt. So sei zum Beispiel ein Steuerguthaben beim Finanzamt München erfolgreich gepfändet worden und Zwangs Sicherungshypotheken in die Immobilien des Gläubigers in Österreich für die Arrestgläubiger eingetragen worden.
11
Der Arrestkläger beantragt,
1.
Wegen einer Schadensersatzforderung des Antragstellers i.H.v. 89.539,81 EUR gegen den Antragsgegner wird der dingliche Arrest in das gesamte persönliche Vermögen des Antragsgegners angeordnet.
2.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Arrestverfahrens zu tragen.
3.
Die Vollziehung des Arrests wird durch Hinterlegung durch den Antragsgegner i.H.v. 89.539,81 EUR gehemmt.
4.
In Vollziehung des Arrestes werden die Ansprüche der Antragsgegnerin gegen die C AG,, aus sämtlichen Kontenverbindungen, bis zum Höchstbetrag von 89.539,81 EUR gepfändet.
12
Der Arrestbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass eines Arrest- oder Pfändungsbeschlusses zurückzuweisen.
13
Der Arrestbeklagte trägt vor, infolge der strafrechtlichen Arreste sei das Vermögen des Arrestschuldners umfassend gepfändet. Die staatsanwaltschaftlichen Vollziehungsmaßnahmen würden gemäß § 111h Abs. 2 StPO ein gesetzliches Vollstreckungsverbot entfalten. Entgegenstehende Pfändungsbeschlüsse und Maßnahmen seien nichtig. Etwaige Arrestbeschlüsse könnten daher nicht vollzogen werden. Es bestünde daher kein Rechtsschutzbedürfnis für die Erwirkung zusätzliche Arreste. Ein Arrest „auf Vorrat“ für den Fall der Aufhebung staatsanwaltschaftlichen Arreste sei wegen der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO nicht zulässig.
14
Der Beklagte habe zudem von einer angeblichen unrichtigen Darstellung der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage keine Kenntnis gehabt.
15
Mit Beschluss vom 28.5.2021 (Bl. 15) hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
16
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Schriftsätze der Klagepartei vom 20.5.2021, 1.6.2021 und 8.6.2021, die Schriftsätze des Beklagten vom 24.3.2021 und 2.6.2021 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9.6.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

17
Der Antrag auf Erlass eines Arrestes und eines Pfändungsbeschlusses war zurückzuweisen.
A.
18
Der Arrestantrag war zurückzuweisen, da ein Arrestgrund nicht gegeben ist.
19
Nach § 917 ZPO ist der Erlass eines Arrestes möglich, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.
20
Die Vorschrift verlangt die Besorgnis der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Vollstreckung eines Titels ohne die Verhängung des Arrestes. Ein solcher Zugriff kommt aber nur in Betracht, wenn das der Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehende Schuldnervermögen durch Abflüsse - und nicht nur durch Umschichtungen, etwa zur Tilgung von Verbindlichkeiten des Schuldners - verringert zu werden droht; dass solche Veränderungen unmittelbar bevorstehen oder jedenfalls noch nicht abgeschlossen sind, muss durch konkrete Tatsachen vorgetragen werden (vgl. Musielak/Voit/Huber, 18. Aufl. 2021, ZPO § 917 Rn. 2).
21
Dies ist vorliegend weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht. Zwar ist zutreffend, dass regelmäßig ein Arrestgrund besteht, wenn das dem Arrestanspruch zugrunde liegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet. In einem solchen Fall ist die Annahme gerechtfertigt, der Täter werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder wesentlich erschweren (vgl. OLG München Beschluss vom 13.10.2016 - 15 W 1709/16, BeckRS 2016, 20492, beck-online).
22
Vorliegend ist indes zu beachten, dass sich der Arrestbeklagte seit knapp einem Jahr in Untersuchungshaft befindet. Es ist insofern weder dargelegt, noch glaubhaft gemacht, dass der Arrestbeklagte auch noch einem knappen Jahr Untersuchungshaft weiterhin Vermögen verschiebt. Auch ist nicht dargelegt, wie er dies aus der Untersuchungshaft heraus bewerkstelligen soll. Soweit die Klagepartei auf einen Artikel des Handelsblatts vom 01.06.2021 (Anlage K 37) verweist, ist zunächst zu beachten, dass Presseartikel grundsätzlich nicht als substantiierter Sachvortrag und auch nicht als Mittel der Glaubhaftmachung gewertet werden können. Auch ergibt sich aus diesem Artikel nicht, dass auch nunmehr, Mitte des Jahres 2021 noch Vermögensverschiebungen bevorstehen oder nicht abgeschlossen sind. Der Artikel bezieht sich vor allem auf Mutmaßungen von Geschädigtenvertretern.
23
Nachdem ein Arrestgrund nicht vorliegt, muss das Gericht nicht entscheiden, ob die bloße Vorlage einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft als Glaubhaftmachung für eine vorsätzliche rechtswidrige Tag ausreichend ist, auch wenn der Beklagte eine eidesstattliche Versicherung vorliegt, dass er keine Kenntnis von den Straftaten gehabt habe.
24
Nachdem dem Arrestantrag nicht stattzugeben war, war der Pfändungsbeschluss nicht zu erlassen. Es muss daher auch nicht geklärt werden, ob der Erlass des Pfändungsbeschlusses zulässig wäre, auch wenn der Arrestbeklagte eine Auskunft der Staatsanwaltschaft München I vorliegt, wonach gerade dieses Vermögen bereits gepfändet wurde. Die insoweit vom Arrestkläger zitierte Rechtsprechung bezieht sich auf eine veraltete Rechtslage.
B.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
C.
26
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.