Inhalt

VG München, Urteil v. 17.08.2021 – M 13 K 19.4717
Titel:

Melderechtliche Berechnung von Aufenthaltszeiten

Normenketten:
BMG § 21 Abs. 2
DS-GVO Art. 5 Abs. 1 lit. d, Art. 16
Leitsätze:
1. Für die melderechtliche Bestimmung als Hauptwohnung (§ 21 Abs. 2 BMG) sind vorrangig die rein quantitativ festzustellenden Aufenthaltszeiten maßgeblich. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Tage mit Aufenthalten in mehreren Wohnungen sind melderechtlich voll dem Ort zuzuschlagen, an dem sich eine Person innerhalb oder außerhalb der jeweiligen Wohnung während des überwiegenden Teils des Tages aufhält. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Ermittlung von Aufenthaltszeiten kann es nicht darauf ankommen, ob, wann und wie lange sich der Meldepflichtige in seiner Freizeit oder Arbeitszeit außerhalb der Wohnung am Ort der Wohnung aufhält. Insoweit besteht ein Zurechnungszusammenhang dieses Aufenthalts mit der Nutzung der Wohnung. Ein solcher Zurechnungszusammenhang besteht auch, wenn Wohnungs- und Arbeitsort zwar nicht in derselben politischen Gemeinde liegen, aber ein evidenter räumlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen beiden Orten besteht. (Rn. 39 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Melderecht, Anspruch auf Berichtigung des Melderegisters, Vorwiegend benutzte Wohnung, Wochenendpendler, Reisetage, Zurechnung von Aufenthaltszeiten in Drittorten, Berichtigung des Melderegisters, Hauptwohnung, Aufenthaltszeiten, An- und Abreistag, VO (EU) 2016/679
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.11.2022 – 5 ZB 21.2538
Fundstelle:
BeckRS 2021, 26829

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Berichtigung des Melderegisters dahingehend, dass seine Wohnung in N … bei F … als Nebenwohnung eingetragen wird.
2
Der Kläger ist Wochenendpendler und seit … Dezember 2019 verheiratet. Er arbeitet seit Mai 2000 in M … Deshalb nahm er sich neben seiner Wohnung in L … im Allgäu, die dann als Hauptwohnung gemeldet war, eine Wohnung in N … bei F … und bezog am 28. April 2000 die Wohnung W … 14, … N … bei F …, die als Nebenwohnung gemeldet wurde.
3
Am 1. August 2010 zog der Kläger innerhalb von N … bei F … um in die H1. Straße 5, … N … bei F …
4
Der Kläger beantragte am … November 20 eine Meldebestätigung. Dabei wurde festgestellt, dass die im Melderegister eingetragene Nebenwohnung W … 14, … N … bei F …, nicht mehr zutreffend war, da der Kläger sie nach dem Umzug nicht mehr bewohnte. Der Kläger gab auf Befragung gegenüber der Beklagten an, in M … zu arbeiten und am Wochenende nach L … im Allgäu zu fahren.
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In der Umzugsmeldung vom … November 2018 wurde angegeben, dass der Kläger am 1. August 2010 von seiner alten Wohnung W … 14, … N … bei F …, in eine Wohnung in der H1. Straße 5, … N … bei F … umgezogen sei. Unter den Auswahlfeldern „Alleinige Wohnung“, „Hauptwohnung“ und „Nebenwohnung“ ist angekreuzt, dass die neue Wohnung im Bereich des Bundesgebietes die Hauptwohnung sei. Die Umzugsmeldung ist im Feld „Unterschrift des Meldepflichtigen“ vom Kläger unterschrieben.
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Ausweislich des Schreibens der Beklagten vom 28. November 2018 an das Landratsamt Freising wurde in der Folge die Adresse H1. Straße 5, … N … bei F …
, durch die Beklagte rückwirkend zum 1. August 2010 als Hauptwohnung eingetragen.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 30. November 2018 erhielt der Kläger eine Meldebestätigung, die die Adresse H2. Straße, … F …, seit Einzug am 1. August 2010 als Hauptwohnung und die Adresse I F … 7, … L … im Allgäu, als Nebenwohnung auswies.
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Der Klägerbevollmächtigte wandte sich außergerichtlich an die Beklagte und beantragte mit Schreiben vom 9. Mai 2019 die Berichtigung des Melderegisters dahingehend, dass die Wohnung des Klägers in N … bei F … als Nebenwohnung statt als Hauptwohnung registriert wird. Es wurde vorgetragen, dass die Wohnung in L … als die vorwiegend benutzte Wohnung anzusehen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei eine rein quantitative Betrachtung vorzunehmen. Tage der An- und Abreise seien dem Ort zuzurechnen, an dem sich die Person außerhalb der Wohnung während des überwiegenden Teiles des Tages aufhielt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Wohnung in N … lediglich die Arbeitswohnung sei; der Lebensmittelpunkt des Klägers sei in L … im Allgäu. Denn dort wohne seine Familie, dort habe er seinen Freundeskreis und dort halte er sich auch im Urlaub auf. In Arbeitswochen fahre er montags direkt von L … im Allgäu nach M … in die Arbeit und käme erst abends nach N … Freitags verlasse er seine Wohnung in N … morgens und fahre dann nach der Arbeit direkt von München nach L … im Allgäu. Als Nachweis darüber, wann sich der Kläger wo und wie lange aufgehalten hätte, wurden exemplarisch für die Jahre 2015 und 2016 Auflistungen von Fahrten des Klägers vom Allgäu nach M … und von M … zurück ins Allgäu vorgelegt. Die Tabellen seien zum Nachweis bei der Steuererklärung genutzt worden. Die aktuelle Situation sei unverändert.
9
Die überwiegende Zahl der jeweils 200 km weiten Hin- bzw. Rückfahrten fanden nach der Darstellung montags bzw. freitags statt, zum Teil auch dienstags bzw. donnerstags, einmal eine Rückfahrt samstags. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlage K3 verwiesen.
10
Mit Schreiben vom 25. Juni 2019 teilte die Beklagte dem Klägerbevollmächtigten mit, nach Rücksprache mit dem Landratsamt Freising von einer Berichtigung des Melderegisters abzusehen. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung:.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 13. September 2019, bei Gericht eingegangen am 17. September 2019, hat der Kläger Klage erheben lassen und hat ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr Melderegister dahingehend zu berichtigen, dass die Wohnung in N … bei F … antragsgemäß als Nebenwohnsitz eingetragen wird. Ein bestimmter Zeitraum wurde - auch im Antragschreiben gegenüber der Beklagten vom 9. Mai 2019 - nicht genannt.
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Zur Begründung führt er aus, dass der Kläger durch die Registrierung seiner Wohnung in L … im Allgäu als Nebenwohnung rechtliche Nachteile befürchte, insbesondere im Hinblick auf die Entrichtung einer Zweitwohnungssteuer. Hinsichtlich der Ausführungen zur rechtlichen Lage und zur Situation des Klägers entspricht die Begründung der des Antragsschreibens vom 9. Mai 2019 gegenüber der Beklagten. Darüber hinaus sei es willkürlich, Reisetage ohne sachlichen Grund dem einen oder anderen Wohnort zuzurechnen.
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Die Beklagte trug in ihrem Schriftsatz vom 10. Oktober 2019 vor, dass die Wohnung aufgrund der rechtlichen Vorgaben als Hauptwohnung angemeldet worden sei. Eine andere Regelung sei ihr nicht möglich. Sie könne finanzielle Gesichtspunkte, wie die Erhebung der Zweitwohnungssteuer am Ort der Nebenwohnung, bei der Festlegung nicht in die Entscheidung mit einbeziehen.
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Mit Schriftsatz vom 16. August 2021 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass der Kläger inzwischen verheiratet sei und mit seiner Frau in N … bei F … lebe. Zur Unterschrift auf dem Formblatt „Umzugsmeldung“ habe sich der Kläger gezwungen gesehen. Die Sachbearbeiterin habe ihm erklärt, dass es im Hinblick auf seine Arbeit in München keinen Unterschied machen würde, dass in L … sein soziales Leben stattfinden würde. Sie habe geäußert, dass die Hauptwohnung dort anzumelden wäre, von wo aus er seiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehe. Die Meldeverordnung wäre eindeutig, was ihr aus einer jüngst absolvierten Schulung bekannt gewesen sei.
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In der mündlichen Verhandlung am 17. August 2021 gab der Klägerbevollmächtigte ergänzend an, dass wegen der Nebenwohnung in N … mit Steuerbescheid vom 11. Oktober 2019 für die Zeit seit April 2015 die Zahlung von Zweitwohnungssteuer in Höhe von 2.979,98 EUR festgesetzt worden sei. Gegen den Bescheid sei Einspruch erhoben worden, über den noch nicht entschieden sei. Die Ehefrau des Klägers sei am 17. November 2019 aus dem Ausland nach Deutschland gekommen, der Kläger habe sie dann Mitte November in N … angemeldet und die Eheschließung habe am 30. Dezember 2019 stattgefunden. Nach Angabe des Klägers lebe sie seit ihrer Ankunft in Deutschland mit ihm in der Wohnung in N … Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hätten sie sich zwar bemüht, noch oft nach L … zu fahren, seien aber nicht mehr jedes Wochenende gefahren.
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Zu seinen Aufenthaltszeiten erklärte der Kläger, dass er teilweise variable Arbeitszeiten habe. Bei „normaler“ Schicht sei er montags bereits gegen 6:00 Uhr losgefahren, da es dann um 9:30 Uhr einen Jour fixe gebe. In diesem Fall sei er zwischen 19:00 Uhr und 20:00 Uhr in N … angekommen. Er habe aber versucht, möglichst oft Spätschicht zu machen. Dann sei er gegen 8:00 Uhr bis 8:30 Uhr in L … losgefahren für einen Arbeitsbeginn gegen 12:00 Uhr bis 13:00 Uhr. Abends sei er erst gegen 22:00 Uhr nach der Arbeit in N … angekommen.
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Um freitags zeitig in L … zu sein, habe er meistens früh angefangen. Dann sei er gegen 8:15 bis 8:30 Uhr in N … aufgebrochen, um gegen 9:00 Uhr und 9:30 Uhr mit der Arbeit anfangen zu können. Er habe gegen 17:00 Uhr Feierabend gehabt und sei gegen 19:00 Uhr bis 19:30 Uhr in L … eingetroffen. Wenn er Spätschicht gemacht habe, sei er entsprechend zum dargestellten Arbeitsbeginn erst später aufgebrochen. Auch wenn er dann erst gegen 21:15 Uhr aus der Arbeit aufgebrochen sei, sei er noch nach L … gefahren, auch wenn er dort meist nicht vor Mitternacht angekommen sei.
18
In Spätschichten arbeite er seiner Erinnerung nach erst seit einem internen Wechsel vor etwa zweieinhalb Jahren. Er habe 30 Urlaubstage, die er teilweise im Allgäu und teilweise im Ausland verbracht habe. Wegen der Spätschicht habe er auch zwei Sonderurlaubstage pro Jahr. Zur Unterschrift habe er sich aufgrund des Auftretens der Sachbearbeiterin gedrängt gefühlt; sein gefühlter Lebensmittelpunkt sei in L …
19
Der Kläger beantragt,
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Die Beklagte wird verurteilt, ihr Melderegister dahingehend zu berichtigen, dass die Wohnung des Klägers in N … bei F … für den Zeitraum vom 1. August 2010 bis zum 29. Dezember 2019 als Nebenwohnung eingetragen wird.
21
Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
23
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. August 2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
25
Der Kläger hat mangels Unrichtigkeit des Melderegisters nach § 21 Abs. 2 des Bundesmeldegesetzes (BMG) in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO) keinen Anspruch auf Berichtigung nach § 12 Satz 1 BMG i.V.m. Art. 16 Satz 1 DSGVO.
26
Die Eingrenzung des Klageantrags auf den Änderungszeitraum 1. August 2010 bis 29. Dezember 2019 war mangels eines bestimmten ursprünglichen Zeitraums nicht als Teilrücknahme, sondern als Konkretisierung des Klageantrags zu verstehen.
I.
27
Die Klage ist unabhängig von ihrer Statthaftigkeit als Verpflichtungsklage oder als allgemeine Leistungsklage zulässig, da sich insoweit keine durchgreifenden Unterschiede bei den Sachentscheidungsvoraussetzungen ergeben.
28
Insofern kann offenbleiben, ob die Äußerung der Sachbearbeiterin gegenüber dem Kläger bei dessen persönlicher Vorsprache im November 2018, die folgende Eintragung der Wohnung in N … bei F … mit Kennzeichnung als Hauptwohnung ins Melderegister, die Zusendung der aktualisierten Meldebescheinigung oder das Schreiben vom 25. Juni 2019 über das Absehen von der Berichtigung einen feststellenden Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG beinhaltet, oder das Klagebegehren der Berichtigungseintragung nur durch oder gemeinsam mit Erlass eines Verwaltungsakts voll erfüllbar ist. Jedenfalls ist das Begehren auf eine Vornahme entweder eines Verwaltungsakts oder eines schlicht-hoheitlichen Verwaltungshandelns gerichtet.
29
Einen Verwaltungsakt angenommen genügt alleine eine Beseitigung nicht, sodass jedenfalls eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO nicht in Betracht kommt. Somit ist entscheidungserheblicher Zeitpunkt jedenfalls der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Bei der Eintragung wurde einheitlich die Wohnung überhaupt erst erfasst und entgegen dem Willen des Klägers nach § 3 Abs. 1 Nr. 12 BMG als Hauptwohnung gekennzeichnet bzw. später nicht mehr geändert. Somit wurde und wird ein konkretes aliud und nicht nur eine Beseitigung begehrt (vgl. zum Erfordernis einer Verpflichtungsklage im Fall qualitativ unzureichender Bescheidung Schmidt-Kötters in BeckOK VwGO, Stand 1.10.2019, § 42 Rn. 85). Die Nichtkennzeichnung als Hauptwohnung hat auch unter Berücksichtigung des § 21 Abs. 3 BMG aus Klägersicht nicht zwingend die Kennzeichnung als Nebenwohnung zur Folge, da nach § 4 Abs. 1 Nr. 11 der Ersten Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung und nach der Ausgestaltung des verwendeten Umzugsformulars auch die Kennzeichnung als einzige Wohnung im Bundesgebiet in Betracht kommt (vgl. Süßmuth, BMG, Stand 12/2013, § 3 Rn. 24 zur Verbindlichkeit der Bezeichnungen), auch wenn dazu die Wohnung in L … im Allgäu als Wohnung von Amts wegen völlig abgemeldet werden müsste. Unabhängig davon führt die Nichtfeststellung als Hauptwohnung nicht automatisch zu einer verbindlichen positiven Feststellungswirkung für den Nebenwohnstatus. Eine verbindliche Festschreibung würde jedenfalls erst durch den Erlass eines diese Feststellung aussprechenden Verwaltungsakts erfolgen (vgl. von Alemann/Scheffczyk in BeckOK VwVfG, Stand 1.7.2021, § 35 Rn. 66).
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Relevante Unterschiede ergeben sich insbesondere nicht im Hinblick auf die für eine Verpflichtungsklage erforderliche Wahrung der Klagefrist gem. § 74 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 2 VwGO. Eine die Klagefrist ins Laufen setzenden Rechtsbehelfsbelehrung:nach § 58 Abs. 1 VwGO wurde nicht erteilt, sodass die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO jedenfalls gewahrt war.
II.
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Die Klage ist in der Sache erfolglos, da der Kläger keinen Anspruch auf Berichtigung des Melderegisters hat.
32
1. Die Anspruchsgrundlage für eine Berichtigung des Melderegisters ergibt sich aus § 12 Satz 1 BMG in Verbindung mit Art. 16 Satz 1 DSGVO. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass hinsichtlich den Meldepflichtigen betreffenden personenbezogenen Daten eine Unrichtigkeit nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. d Halbs. 1 DSGVO vorliegt.
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2. Die von Art. 16 Satz 1 DSGVO vorausgesetzte Unrichtigkeit des Melderegisters liegt nach Überzeugung der Kammer nicht vor.
34
Für die Unrichtigkeit ist auf den Kontext der zu verarbeitenden personenbezogenen Daten abzustellen (Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Artikel 16 DSGVO, Rn. 2). Für die sachliche Richtigkeit der Daten nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. d Halbs. 1 DSGVO kommt es demnach bei einer Eintragung ins Melderegister auf die gesetzlichen Vorgaben des Bundesmeldegesetzes an. Die Kennzeichnung als Haupt- oder Nebenwohnung gem. § 3 Abs. 1 Nr. 12 BMG bestimmt sich nach § 21 Abs. 1 bis 3 und § 22 BMG.
35
Hat ein Einwohner mehrere Wohnungen im Inland, so ist nach § 21 Abs. 1 BMG eine dieser Wohnungen seine Hauptwohnung. Nach § 21 Abs. 2 BMG ist die Hauptwohnung die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners. Jede weitere Wohnung ist nach § 21 Abs. 3 BMG eine Nebenwohnung. In Zweifelsfällen ist die vorwiegende Wohnung nach § 22 Abs. 3 BMG dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt.
36
Die Kennzeichnung der Wohnung in N … bei F … als Hauptwohnung für den Zeitraum vom 1. August 2010 bis zum 29. Dezember 2019 widerspricht diesen Vorgaben nicht, da sie zutreffender Weise nach den Vorgaben des § 21 Abs. 2 BMG die Hauptwohnung des Klägers war.
37
Nach dem Wortlaut, dem Zweck der Eintragung einer Wohnung als Hauptwohnung und im Hinblick auf die Ausgestaltung des § 22 Abs. 3 BMG als Zweifelsregel sind für die Bestimmung der vorwiegenden Nutzung vorrangig die rein quantitativ festzustellenden Aufenthaltszeiten in den Wohnungen maßgeblich (BVerwG, U. v. 30.9.2015 - 6 C 38/14 - NJW 2016, 99, juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 30.1.2018 - 5 ZB 17.869 - juris Rn. 19). Auf eine qualitative Bewertung der Aufenthaltszeiten kommt es nach § 22 Abs. 3 BMG erst dann an, wenn die vorwiegende Benutzung anhand der quantitativen Betrachtung nicht ermittelbar ist. Die Orientierung an einer objektiv bestimmbaren Hauptwohnung hat den Sinn, die Behördenzuständigkeiten sowie die an die Wohnung anknüpfenden Rechte und Pflichten des Einwohners eindeutig festlegen zu können (vgl. Gesetzesbegründung zum Entwurf des § 12 Abs. 1 Satz 1 Melderechtsrahmengesetz (MRRG) als Vorgängernorm zu § 21 Abs. 2 BMG, BT-Drucks. 8/3825 v. 19.3.1980, S. 20 und 30 f.; BVerwG, U. v. 30.9.2015 - 6 C 38/14 - NJW 2016, 99, juris Rn. 13). Schon zum MRRG ging der Gesetzgeber von einer reinen Mitteilungs- und keiner Selbstbestimmungspflicht aus (vgl. BT-Drucks. 11/5111 v. 31.8.1989, S. 16).
38
Bei der quantitativen Bestimmung muss die Berechnung der Aufenthaltszeiten taggenau erfolgen. Eine stundenmäßige Aufteilung von Reisetagen erfolgt im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung des melderechtlichen Massengeschäfts nicht (VG München, U. v. 21.2.2017 - M 13 K 16.4698 - BeckRS 2017, 141773 Rn. 19 m.w.N). Nach überzeugender Auffassung ist zur Zuordnung dieser Tage bei der taggenauen Berechnung maßgeblich, dass Tage mit Aufenthalten in mehreren Wohnungen voll dem Ort zuzuschlagen sind, an dem sich der Einwohner innerhalb oder außerhalb der jeweiligen Wohnung während des überwiegenden Teil des Tages aufhält (OVG NW, B. v. 10.7.2018 - 19 A 1060/16 - BeckRS 2018, 17108 Rn. 4). Ein vollständiges Nichtberücksichtigen von Reisetagen ist im Hinblick auf die verwaltungstechnische Handhabbarkeit vor allem bei eindeutiger Zuordenbarkeit zu einer Wohnung nicht erforderlich. Insbesondere bei Wochenendpendlern würde eine Außerachtlassung aller Reisetage eine übermäßige Vereinfachung der objektiven Aufenthaltszeiten darstellen, wenn man regelmäßig zwei von sieben Wochentagen außer Betracht ließe.
39
Zur Ermittlung der Aufenthaltszeiten ist aber nicht nur der Aufenthalt innerhalb der Wohnung maßgeblich, sondern auch der Aufenthalt innerhalb der politischen Gemeinde am Ort der Wohnung; die Aufenthaltszeiten in der Wohnung selbst sind nur dann maßgeblich, wenn sich mehrere Wohnungen des Meldepflichtigen innerhalb derselben politischen Gemeinde befinden (BVerwG, U. v. 30.9.2015 - 6 C 38/14 - NJW 2016, 99, juris Rn. 21). Bei der Ermittlung der Aufenthaltszeiten kann es nicht darauf ankommen, ob, wann und wie lange sich der Meldepflichtige in seiner Freizeit oder Arbeitszeit außerhalb der Wohnung im Ort der Wohnung aufhält. Insoweit besteht ein Zurechnungszusammenhang dieses Aufenthalts mit der Nutzung der Wohnung.
40
Ein solcher Zurechnungszusammenhang kann auch dann bestehen, wenn der Ort einer Wohnung und der Arbeitsort zwar dergestalt auseinanderfallen, dass Wohnungs- und Arbeitsort zwar nicht mehr in derselben politischen Gemeinde liegen, aber ein evidenter räumlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen beiden besteht (vgl. VG Augsburg, U. v. 22.1.2013 - Au 1 K 12.1117 - BeckRS 2013, 47127 Rn. 35). Es kann keinen Unterschied bei der Zurechnung der Aufenthaltszeiten machen, ob die Wohnung gerade noch innerhalb oder direkt außerhalb der Stadtgrenze liegt, wenn die andere als Hauptwohnung in Betracht kommende Wohnung nicht ebenfalls in zumindest hinreichender Nähe zum Ort der Arbeitsstätte liegt.
41
Als Gegenbeispiel kann auf die Rechtsprechung zu Fällen verwiesen werden, in denen mehrere Wohnungen innerhalb derselben politischen Gemeinde liegen. Dann ist überzeugenderweise nur auf die Aufenthaltszeiten innerhalb der Wohnung abzustellen (BVerwG, U. v. 30.9.2015 - 6 C 38/14 - NJW 2016, 99, juris Rn. 21), da in diesen Fällen die Aufenthaltszeiten außerhalb der Wohnung nicht eindeutig einer Wohnung zuordenbar sind.
42
Besteht demnach bei Fällen, in denen ein erheblicher Teil der regelmäßigen Aufenthaltszeiten an einem dritten Ort stattfindet, ein derart eindeutiger räumlich-sachlicher Zusammenhang zwischen diesem Ort und einem Wohnort, dass er mit Fällen einer Übereinstimmung von Wohnungs- und Arbeitsort innerhalb derselben politischen Gemeinde vergleichbar ist, so kann eine Zuordenbarkeit von Aufenthaltszeiten über die Grenze politischer Gemeinden hinweg erfolgen.
43
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze zur Ermittlung der Hauptwohnung unter mehreren Wohnungen ergibt sich für den Kläger, dass die Wohnung in N … bei F … im Zeitraum 1. August 2010 bis 29. Dezember 2019 die vorwiegend benutzte Wohnung im Sinne des § 21 Abs. 2 BMG war. Denn bei rein quantitativer Betrachtung der Aufenthaltszeiten überwiegt die Nutzung der Wohnung in N … bei F … die Nutzung der Wohnung in … im Allgäu.
44
Die aus Sicht des Klägers durchaus nachvollziehbare persönliche Bindung an den Heimatort L … im Allgäu ist bei objektiver Bestimmbarkeit einer vorwiegenden Nutzung für die melderechtliche Hauptwohnung nicht von Bedeutung. Ein Zweifelsfall, in dem der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen heranzuziehen wäre, liegt dann nicht vor. Dem Meldepflichtigen unbenommen bleibt jedoch die freie Wahl seines zivilrechtlichen Wohnsitzes nach § 7 BGB (Spickhoff in MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, § 7 Rn. 1), die einen von der Verwaltung nicht nachweisbaren rechtsgeschäftlichen Willen der ständigen Niederlassung „an einem Orte“ voraussetzt und deshalb für das Melderecht keine Bedeutung hat (Süßmuth, BMG, Stand 12/2013, § 21 Rn. 9).
45
Auch die Unterschrift des Klägers unter der Umzugsmeldung hat unabhängig von ihrer Willensfehler- oder Entschlussbildungsfreiheit keine entscheidende Auswirkung auf die Bestimmung der Hauptwohnung. Die Erklärung hat nur deklaratorische Wirkung, einzutragen ist die objektiv nachprüfbare Nutzungslage (Süßmuth, BMG, Stand 12/2013, § 21 Rn. 2). Ebenso hat die finanzielle Belastung infolge der Zweitwohnsitzsteuererhebung keinen Einfluss auf die Beurteilung der objektiven Nutzungszeiten der Wohnung.
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a. Zur tagesbezogenen Bestimmung der Aufenthaltszeiten in N … bei F … sind nicht nur die vom Kläger geltend gemachten Abends- und Nachtzeiten von regelmäßig Montagabend bis Freitagmorgen maßgeblich, sondern auch die Aufenthaltszeiten in München während der Arbeitszeit. Selbst bei Zugrundelegung der vorgetragenen Zeiten, nach denen sich der Kläger über das Wochenende möglichst lange in L … im Allgäu aufhielt, nämlich von Freitagabend um 19:00 Uhr bis Montagfrüh um 8:30 Uhr, ergibt sich hiernach für beide Reisetage eindeutig kein zeitlich überwiegender Aufenthalt in L … im Allgäu gegenüber den Aufenthaltszeiten in N … bei F …, denen die Zeiten in M … zuzuaddieren sind.
47
Die Aufenthaltszeiten des Klägers in München zum Zweck der Arbeit sind nach obigen Erwägungen den Aufenthaltszeiten in N … bei F … zuzurechnen. Zwischen dem Wohnort N … bei F … und dem Arbeitsort M … besteht insofern ein unmittelbarer Zusammenhang, als eine vollständige Außerachtlassung der montäglichen sowie freitäglichen Aufenthaltszeiten in M … unnatürlich wäre. Der nach Klägerangaben 200 km weiten Anfahrt von der Wohnung in L … im Allgäu nach M … steht eine Entfernung von nur etwa 15 km von der Wohnung in N … in F … bis zur M … Ortsgrenze entgegen. Die Wohnung in N … bei F … befindet sich im unmittelbaren Einzugsgebiet der Stadt M … N … bei F … ist über die Anschlussstelle 69 zur in die Innenstadt mündenden BAB 9 und mittels Öffentlichem Personennahverkehr unter anderem durch eine S-Bahn-Station an M … angeschlossen und damit ein typischer Pendlerort vor der Münchener Stadtgrenze. Nach den Angaben des Klägers nahm er sich die Wohnung in N … bei F … gerade aufgrund der besseren Erreichbarkeit seiner Arbeit in M …
48
Fielen Arbeits- und Wohnort direkt innerhalb einer politischen Gemeinde zusammen - etwa bei einer Wohnung gerade noch am M … Stadtrand oder einer Arbeitsstelle noch innerhalb der Ortsgrenze von N … bei F … -, so würde der Aufenthalt während der Arbeitszeit nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen unproblematisch der „Arbeitswohnung“ des Klägers zugerechnet, da es dann nicht nur auf die Aufenthaltszeiten innerhalb der Wohnung ankäme, sondern auch auf den Aufenthalt außerhalb der Wohnung im Ort der Wohnung.
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Aufgrund der erheblichen Unterschiede der Entfernungen der Wohnungen zum Arbeitsort sowie der stadtnahen Verkehrsanbindung von N … bei F … an den Arbeitsort M … einerseits und der Motivationslage des Klägers andererseits, die Wohnung gerade aufgrund der Nähe zu seiner Arbeit in M … zu beziehen, kann es für die Zuordnung der Aufenthaltszeiten innerhalb oder außerhalb der Wohnung am Ort der Wohnung nicht darauf ankommen, dass der Kläger - vielleicht nur aus Mietpreis- oder Wohnungsverfügbarkeitsgründen - nur unmittelbar außerhalb, aber nicht gerade noch innerhalb seines Arbeitsortes wohnt.
50
Diese Zurechnung widerspricht nicht der in § 22 Abs. 3 BMG verankerten Wertung, dass der Aufenthalt nur bei Unaufklärbarkeit qualitativ betrachtet wird und stellt auch nicht entgegen der Rechtsprechung (BVerwG, U. v. 20.03.2002 - 6 C 12/01 - juris Rn. 21; VG München, U. v. 21.2.2017 - 13 K 16.4698 - BeckRS 2017, 141773 Rn. 24) ein stillschweigendes Tatbestandsmerkmal über den Schwerpunkt der Lebensbeziehung dar. Insoweit wird nicht die Arbeitszeit unabhängig von ihrer Dauer höher gewichtet als die Freizeit in L … im Allgäu, sondern nur wegen des unmittelbaren Zusammenhangs quantitativ der Aufenthaltsdauer in N … bei F … zugerechnet.
51
Somit ergibt sich für den Kläger für den Reisetag Montag in N … bei F … unter Zurechnung der Arbeitszeit in M … ein regelmäßiger Aufenthalt von wenigstens 11 Stunden (13:00 Uhr bis 24:00 Uhr) gegenüber einem Aufenthalt in L … im Allgäu von höchstens 8,5 Stunden (0:00 Uhr bis 8:30 Uhr) und somit eine vorwiegende Benutzung der Wohnung in N … bei F … Gleiches gilt für die Reisetage Freitag mit einem Mindestaufenthalt von 17 Stunden in N … bei F … unter Zurechnung der Zeiten in M … (0:00 Uhr bis 17:00 Uhr) gegenüber höchstens 5 Stunden in L … im Allgäu (19:00 Uhr bis 24:00 Uhr). Im Ergebnis stehen bei regelmäßigem wöchentlichen Aufenthalt bei einer Fünf-Tage-Arbeitswoche zwei Tage am Wochenende in L … im Allgäu einem Aufenthalt von fünf Tagen unter der Woche in N … bei F … entgegen.
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b. Auf ein Jahr skaliert bedeutet das bei möglichen 260 Arbeitstagen (5 Tage x 52 Wochen) abzüglich der 30 Tage Jahresurlaub einen Aufenthalt von 230 Tagen in N … bei F … und damit auch auf ein Jahr gesehen eine vorwiegende Nutzung nach § 21 Abs. 2 BMG. Diese Nutzung ist quantitativ derart vorwiegend, dass einerseits regelmäßig freie Tage in Form von gesetzlichen Feiertagen, sowie andererseits auch sonstige einzelne vom Kläger dargestellte zusätzliche freie Tage nicht zu einem Umschlagen der vorwiegenden Benutzung der Wohnung in L … im Allgäu führen können.
53
Bei den regelmäßig im Jahr freien Tagen kann zumindest rechnerisch nach Art. 1 Bayerisches Feiertagsgesetz für die Stadt Augsburg von möglichen 14, im Rest Bayerns demnach von 13 Feiertagen ausgegangen werden (vgl. VG Augsburg, U. v. 22.1.2013 - Au 1 K 12.1117 - BeckRS 2013, 47127 Rn. 38), nicht aber zwangsläufig davon, dass die Feiertage so fallen, dass allesamt für verlängerte Wochenendheimfahrten genutzt werden können. Den Darstellungen für die Jahre 2015 und 2016 können zusätzliche, punktuelle frühere Rückreisen des Klägers nach L … im Allgäu entnommen werden.
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Selbst bei wohlwollendster Berücksichtigung all dieser Zeiten mit Aufenthalt außerhalb von N … bei F … oder M … verbleiben für die Wohnung in N … bei F … 205 Aufenthaltstage (230 Arbeitstage - 13 rechnerische Feiertage - 10 punktuell frühere Fahrten nach L … im Allgäu exemplarisch aus der Darstellung für das Jahr 2016 - 2 Tage Sonderurlaub), wenn man unterstellt, dass alle Urlaubstage tatsächlich ausschließlich in L … im Allgäu verbracht wurden. Bei selbst in den Schaltjahren 2012 und 2016 verbleibenden 161 Tagen in L … im Allgäu (366 Tage - 205 Tagen in N … bei F … ) ergibt sich dennoch ein klares Überwiegen der quantitativen Nutzung der Wohnung in N … bei F … Deshalb kann von einer einzelnen Betrachtung der Feiertagszeitpunkte für den Zeitraum abgesehen werden und der tatsächliche Indizwert der punktuellen Abweichungen in den Jahre 2015 und 2016 für die Jahre 2010 bis 2014 sowie 2017 bis 2019 offenbleiben.
III.
55
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
IV.
56
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.