Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.08.2021 – 19 C 21.1861
Titel:

Vorführung zur Anhörung durch eine Expertendelegation in Abschiebefällen keine Freiheitsentziehung 

Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114, § 121
BPolG § 40
AufenthG § 82 Abs. 4 S. 2
GG Art. 104 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges gegen Personen zur Durchsetzung eines Verhaltens, zu dem der jeweils Betroffene verpflichtet ist, sind nicht wegen des mit ihnen verbundenen Eingriffs in die körperliche Bewegungsfreiheit notwendig Freiheitsentziehungen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Vorführung – wie bei einer bloßen Abschiebung – ohne Ingewahrsamnahme oder Einschließen in einen eng umgrenzten Raum stellt keine Freiheitsentziehung iSd Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG dar. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Regelung des § 82 Abs. 4 S. 3 AufenthG handelt es sich nicht um eine Rechtsfolgen-, sondern um eine Rechtsgrundverweisung, die das Vorliegen einer Freiheitsentziehung voraussetzt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtung zur Vorsprache bei einer Expertendelegation, Erledigung der Verpflichtung, Kosten für zwangsweise Vorführung, Verhältnismäßigkeit der zwangsweisen Vorführung, Richterliche Anordnung vor einer zwangsweisen Vorführung, Freiheitsbeschränkung, Freiheitsentziehung, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Expertendelegation, Äthiopien, Identitätsfeststellung, Erledigung, Vorsprachetermin, zwangsweise Vorführung
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 11.06.2021 – B 6 K 20.196
Fundstellen:
BayVBl 2021, 700
BeckRS 2021, 24945
LSK 2021, 24945

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
2
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 29. Januar 2020 zu Recht versagt (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO). Mit Bescheid wurde die Klägerin aufgefordert, die in Verbindung mit ihrer am 17. Oktober 2019 (letztendlich gescheiterten) Vorführung bei der Expertendelegation aus Äthiopien in München entstandenen Kosten (hier: Fahrt- und Personalkosten) in Höhe von 873 EUR zu zahlen (die Einforderung weiterer Kosten hat sich der Beklagte vorbehalten).
3
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg liegt stets dann vor, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung spricht. Bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 166 Rn. 8 m.w.N.).
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Die am 9. Januar 1988 geborene, nach eigenen Angaben am 21. Oktober 2010 in das Bundesgebiet eingereiste, im Asylverfahren erfolglose (Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11.2.2011; klageabweisendes Urteil vom 26.10.2011 <B 3 K 11.30059>; Asylfolgeantrag ablehnender Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.4.2012; klageabweisendes Urteil vom 8.5.2013 <B 3 K 12.30089>; den Antrag auf Zulassung der Berufung ablehnender Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2.8.2013 <21 ZB 13.30234>) Klägerin, nach eigenen Angaben äthiopische Staatsangehörige, trägt zur Begründung ihrer Beschwerde vor, der (von ihr gerichtlich nicht angegriffene) Bescheid vom 14. Oktober 2019 (durch den sie verpflichtet worden ist, am 14. Oktober 2019 um 11:00 Uhr zum Zweck der Identitätsfeststellung in Form einer Anhörung durch eine Expertendelegation aus der Republik Äthiopien im Dienstgebäude des Bayerischen Landesamtes für Asyl- und Rückführungen <LfAR> in München zu erscheinen) habe wegen Ablaufs dieses Termins seine Erledigung gefunden. Die Verpflichtung zur Vorsprache sei aus der Sicht des Empfängers allein auf das konkrete Vorsprachedatum bezogen. Die verwaltungsgerichtliche Auffassung, es bedürfe bei einer solchen Maßnahme des zwangsweisen Verbringens keiner richterlichen Entscheidung, treffe nicht zu. Die Verweisung auf § 40 BPolG stelle eine Rechtsfolgenverweisung dar. Zum einen wäre schon nicht zu erklären, aus welchen Gründen die Bundespolizei bei identischen Maßnahmen in eigener Befugnis eine richterliche Entscheidung einholen müsse, nicht jedoch, wenn diese Maßnahmen in Amtshilfe für die Ausländerbehörde vorgenommen würden. Zum zweiten würde dies zu einer völligen Rechtsunsicherheit führen, da letztlich der jeweilige Rechtsanwender im Rahmen seiner Möglichkeiten festzustellen hätte, ob im konkreten Fall die Schwelle des Freiheitsentzuges bereits überschritten sei oder nicht. Jenseits der fehlenden Erheblichkeit treffe die verwaltungsgerichtliche Auffassung, eine ärztliche Bestätigung für die Entschuldigung der Nicht-Vorsprache müsse den Anforderungen des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG [gemeint § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG] entsprechen, nicht zu. Das Gericht fordere damit Unmögliches, da in der jeweiligen Situation ein solches Attest nicht zu erstellen bzw. beizubringen sei. Zudem handele es sich um eine völlig andere Sachlage. Das Verwaltungsgericht werte das Attest als Gefälligkeitsattest. Weder der Arzt noch die Klägerin habe Kenntnis von den Anforderungen, die das Verwaltungsgericht an ein Attest stelle. Beiden sei jedoch bekannt, dass es sich um die Folgen einer chronischen psychischen Erkrankung handle, die dem Beklagten - wie auch aus der Akte ersichtlich - bekannt sei. Auch dieser Kenntnis des Beklagten seien sich Arzt und Klägerin bewusst gewesen. Die gerichtlichen Spekulationen, ein am Freitag erstelltes Attest, das durch das Büro des Bevollmächtigten der Klägerin am Montag ca. um 8:22 Uhr per Fax übersandt worden sei, sei wohl absichtlich zu spät übermittelt worden, seien sachfremd und haltlos. Eine Verhinderung wäre hier unverzüglich geltend zu machen, was auch unter Umständen ein nachträgliches Einreichen eines Attestes nicht ausschließe.
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Aus dem Beschwerdevorbringen des Klägers lässt sich eine hinreichende Erfolgsaussicht der am 28. Februar 2020 erhobenen Klage nicht ableiten.
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1. Die verwaltungsgerichtliche Auffassung, der Verwaltungsakt habe sich nicht dadurch erledigt, dass die Klägerin am 14. Oktober 2019 um 11:00 Uhr nicht zur Anhörung in München erschienen sei, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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Die in Nr. 1 des Bescheides vom 11. September 2019 verfügte Verpflichtung, am 14. Oktober 2019 um 11:00 Uhr zum Zwecke der Identitätsfeststellung in Form einer Anhörung durch eine Expertendelegation aus der Republik Äthiopien, im Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen in München zu erscheinen, hat sich nicht durch Zeitablauf erledigt (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 19 CS 19.1127 - Rn. 6; a.A. noch BayVGH, B.v. 12.3.2007 - 24 CS 06.3176 - juris Rn. 11). Die Anordnung gem. § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG konkretisiert gegenüber der Klägerin die gesetzlich geregelte Verpflichtung, an der Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken (§ 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Auch wenn mit dem 14. Oktober 2019, 11:00 Uhr, ein konkreter Mitwirkungszeitpunkt festgelegt worden ist, ist die Anordnung nicht so zu verstehen, dass sich die Erfüllung der der Klägerin gegenüber konkretisierten Mitwirkungsverpflichtung (Erscheinen zur Anhörung durch eine Expertendelegation) mit Ablauf des Vorsprachetermins (wahrgenommen oder nicht) erübrigen würde, sondern dahingehend, dass die konkretisierte Mitwirkungsverpflichtung notfalls mittels Zwangsmittelanwendung (an einem anderen Tag) durchgesetzt werden soll (vgl. Nr. 2 des Bescheids vom 11.9.2019: "Für den Fall, dass sie der Verpflichtung unter Nr. 1 dieses Bescheids nicht nachkommen, wird Ihnen die zwangsweise Vorführung bei der Expertendelegation zu einem anderen Termin angedroht.").
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2. Das Verwaltungsgericht ist auch zurecht davon ausgegangen, dass die (letztendlich abgebrochene) zwangsweise Vorführung der Klägerin am 17. Oktober 2019 keiner vorherigen richterlichen Entscheidung bedurfte.
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Dass eine richterliche Anordnung vor der zwangsweisen Vorführung aus verfassungsrechtlichen Gründen gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden hat, erforderlich gewesen wäre, macht die Klägerin nicht geltend. Ob grundsätzlich eine Freiheitsbeschränkung (Art. 104 Abs. 1 GG) oder eine Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG) gegeben ist, hängt von der Intensität des Eingriffs ab. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Eine Freiheitsentziehung ist die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung. Der Tatbestand der Freiheitsentziehung kommt nur in Betracht, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (BVerfG, B.v. 15.5.2002 - 2 BvR 2292/00 - juris Rn. 23). Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges gegen Personen zur Durchsetzung eines Verhaltens, zu dem der jeweils Betroffene verpflichtet ist, sind demgemäß nicht wegen des mit ihnen verbundenen Eingriffs in die körperliche Bewegungsfreiheit notwendig Freiheitsentziehungen (BVerwG, U.v. 23.6.1981 - I C 78.77 - juris Rn. 12). Es entspricht - soweit ersichtlich - einheitlicher Auffassung, dass eine Vorführung - wie bei einer bloßen Abschiebung - ohne Ingewahrsamnahme oder Einschließen in einen eng umgrenzten Raum keine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG darstellt (OVG NRW, B.v. 28.11.2006 - 19 B 1789/06 - juris Rn. 23; SächsOVG, U.v. 24.11.2011 - 3 A 130/11 - juris Rn. 29).
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Da die Polizeibeamten die Klägerin lediglich am 17. Oktober 2019 um 6:45 Uhr abgeholt haben, um sicherzustellen, dass sie um 11:00 Uhr an einer für 15 bis 20 Minuten dauernden Befragung durch die Expertendelegation ihres Heimatlandes in München teilnimmt und in der Folge (bis zum Abbruch wegen - bei Fahrtantritt nicht geäußerter - gesundheitlicher Beschwerden der Klägerin) keinerlei Ingewahrsamnahme oder ein Einschließen in einen eng umgrenzten Raum erfolgt ist, sind (unabhängig davon, dass solche nicht vorgetragen worden sind) keine Anhaltspunkte für eine Freiheitsentziehung gem. Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG ersichtlich.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich eine Pflicht zur Einholung einer richterlichen Entscheidung auch nicht aus der Bezugnahme auf § 40 BPolG durch § 82 Abs. 4 Satz 3 AufenthG. Insoweit handelt es sich nicht - wie die Klägerin meint - um eine Rechtsfolgen-, sondern eine Rechtsgrundverweisung, die das Vorliegen einer Freiheitsentziehung voraussetzt (SächsOVG, U.v. 24.11.2011 - 3 A 130/11 - juris Rn. 30; Winkelmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Auflage 2020, § 62 AufenthG Rn. 35; Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 82 Rn. 28; Hailbronner in Hailbronner, AuslR, Stand Mai 2021, § 82 AufenthG Rn. 84; Funke-Kaiser, in GK-AufenthG, Stand Juni 2021, § 82 Rn. 166; Kluth in BeckOK AuslR, Stand 1.1.2021; a.A. OVG NRW, B.v. 28.11.2006 - 19 B 1789/06 - juris Rn. 14 ff.). Das sächsische OVG führt in seinem Urteil vom 20. November 2011 insoweit in Rn. 30 aus:
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"Der Verweis auf §§ 40, 41 und 42 BPolG findet sich erstmals in der Vorgängervorschrift des § 82 Abs. 4 AufenthG, nämlich in § 70 Abs. 4 Satz 3 AuslG. Der Verweis ist zum 1. November 1997 mit dem Gesetz vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 2584) in die Vorschrift eingefügt worden. Anlass war eine Stellungnahme der Bundesregierung auf einen Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu § 70 Abs. 4 AuslG hin, der den Verweis noch nicht vorsah. Die Bundesregierung wies hierzu darauf hin, dass, wenn "der Betroffene im Zuge der zwangsweisen Durchsetzung der Anordnung nicht nur kurzfristig festgehalten" würde, "es sich um eine Freiheitsentziehung (handelt), über die gemäß Art. 104 Abs. 2 GG unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen ist. Insoweit sollen nach Satz 3 die für den Parallelfall einer zwangsweisen Durchsetzung einer polizeilichen Vorladung maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgrenzschutzgesetzes entsprechende Anwendung finden" (BT-Drs. 13/5986, S. 17). Diese Begründung hatte sich der Innenausschuss des Bundestages und in der Folge auch der Bundestag selbst zu Eigen gemacht. Dies legt nahe, dass der Gesetzgeber nicht schon bei jeder zwangsweisen Durchsetzung der nunmehr in § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG festgelegten Mitwirkungspflichten von einer Pflicht zur Anrufung der ordentlichen Gerichte ausgeht, sondern nur dann, wenn sie über ein kurzfristiges Festhalten hinausgeht und die Intensität der freiheitsentziehenden Maßnahmen erreicht, die von § 40 Abs. 1 BPolG erfasst sind."
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Diesen Ausführungen schließt sich der Senat zur eigenen Überzeugung an. Eine richterliche Entscheidung im Rahmen der Durchsetzung einer Anordnung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist daher nur in den Fällen heranzuziehen, bei denen aufgrund der zeitlich und örtlichen Umstände die Durchsetzung mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist.
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3. Zudem ist die verwaltungsgerichtliche Auffassung, die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Vorführung am 17. Oktober 2019 habe - unter Berücksichtigung des ärztlichen Attestes des Dr. med. P.R. vom 11. Oktober 2019 - auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, nicht zu beanstanden.
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Es kann dahinstehen, ob die Klägerin durch Vorlage des am 14. Oktober 2019 (dem Tag der Anhörung) um 8:22 Uhr per Fax beim Beklagten eingegangenen Attests des Facharztes Allgemeinmedizin Dr. med. P.R. vom 11. Oktober 2019 mit dem ausschließlichen Inhalt, die Klägerin "leidet an einer psychischen Erkrankung und kann wegen der Gefahr einer akuten Verschlimmerung den Termin am 14.10.2019 nicht wahrnehmen", den Termin zur Anhörung durch eine Expertendelegation für Äthiopien in München am 14. Oktober 2019 unverschuldet nicht wahrgenommen hat. Denn eine Unverhältnismäßigkeit der zwangsweisen Vorführung ergibt sich nicht allein aus dem Umstand, dass die Klägerin möglicherweise unverschuldet (wegen Krankheit) den Anhörungstermin nicht hatte wahrnehmen können. Vielmehr ist von einer Unverhältnismäßigkeit bei unverschuldeter Nichterfüllung nur auszugehen, wenn konkrete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Pflichtige ohne die Gründe, die er nicht zu vertreten hatte, seine Pflicht erfüllt hätte und er zur baldigen Erfüllung seiner Pflicht bereit und in der Lage ist (vgl. Wernsmann in BayVwZVG-Kommentar, Art. 37 Rn. 11). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin hat zu keiner Zeit vorgetragen, zur Erfüllung der Verpflichtung zum Erscheinen vor der Expertendelegation bereit zu sein. Konkrete Anhaltspunkte die auf einen entsprechenden Willen schließen lassen würden, sind - auch unter Berücksichtigung ihres langen Aufenthalts im Bundesgebiet ohne hinreichende Bemühungen zur Erlangung eines Passes - nicht ersichtlich. Zur fehlenden Mitwirkungsbereitschaft hat der Senat bereits im Beschluss vom 2. Dezember 2019 Ausführungen gemacht (19 CE 19.651 - Rn. 9):
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"Die im Oktober 2010 in das Bundesgebiet eingereiste Antragstellerin (laut ihrem Asylvorbringen ist dies über den Luftweg erfolgt; entsprechende Nachweise hat die Antragstellerin nicht vorgelegt) hat zwar im Oktober 2013 auf Veranlassung des Antragsgegners einen Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft in Äthiopien mit der Beschaffung einer Geburtsurkunde beauftragt und - nachdem dieser Anwalt im Juni 2017 von der Liste der Vertrauensanwälte gestrichen worden war - auf nochmalige Aufforderung des Antragsgegners im Februar 2018 einen neuen Vertrauensanwalt mandatiert. Eine Identitätsklärung ist aber während des gesamten Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet nicht erfolgt (wobei ihr die Erfolglosigkeit des früheren Vertrauensanwalts aufgrund dessen grundsätzlicher Verfehlungen, die zur Streichung von der Liste der Vertrauensanwälte geführt haben, nicht vorzuwerfen ist). Bislang hat die Antragstellerin aber nicht dargelegt, dass sie neben der - durch den Antragsgegner geforderten - Beauftragung der Vertrauensanwälte weitere (insbesondere auch naheliegende) Schritte zur Identitätsklärung ergriffen hat, um das seit 18. September 2014 anhängig gemachte Passersatzpapierverfahren zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Der Senat hält die pauschale (ohne Angabe entsprechender Umstände und Bemühungen) aufgestellte Behauptung für unglaubhaft, die Antragstellerin habe keinen Kontakt zu ihrer Familie (ihre Mutter und ihr Bruder leben in Äthiopien, der Vater war bereits vor ihrer Ausreise verstorben) und Freunden in Äthiopien. Es mag sein, dass sie über diese Personen keine Geburtsurkunde erhalten kann. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, einen Identitätsnachweis mit Hilfe dieser Personen zu erlangen. Die Antragstellerin, die im Rahmen ihres Asylvorbringens angegeben hat, Passbilder für Ausweise zuhause gehabt, aber keine Personalpapiere besessen zu haben, hat im Bundesgebiet unterschiedliche Namen und jedenfalls vier verschiedene Geburtsdaten verwendet. Letztere hat sie dem neuen Vertrauensanwalt auch erst nach Aufforderung durch den Antragsgegner mitgeteilt (was - wie erwähnt - bislang ebenfalls noch nicht zu einem Identitätsnachweis geführt hat). Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragstellerin zumindest eine falsche Personalie (Name, Geburtsdatum oder letzte Wohnanschrift) angegeben hat, sodass während der gesamten Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet eine Klärung ihrer Identität ausgeschlossen war. Dafür spricht auch, dass ihre am 1. Mai 2016 im Bundesgebiet an einem Hirntumor verstorbene Stiefschwester, die zuletzt im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG war, einen äthiopischen Pass erhalten hat (wenn die Antragstellerin insoweit anmerkt, die Passerlangung habe bei der Schwester drei Jahre gedauert, ist festzustellen, dass die Antragstellerin nunmehr seit über neun Jahren ohne Identitätsbeleg im Bundesgebiet lebt). Der angeblich im Bundesgebiet lebende Cousin der Antragstellerin konnte anhand der von ihr angegebenen Personaldaten des Cousins ebenfalls nicht ausfindig gemacht werden. Die langjährig unzureichende Mitwirkung bei der Identitätsklärung weist ein der vorsätzlichen Identitätstäuschung vergleichbares Gewicht auf; dadurch wird die Beseitigung des Ausreisehindernisses fortwährend verhindert."
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An diesen Ausführungen hält der Senat mangels entgegenstehender Anhaltspunkte fest.
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Aufgrund dieser Sachlage kann zum einen offenbleiben, ob - was das Verwaltungsgericht ebenfalls ausdrücklich offengelassen hat - die Anforderungen an ein ärztliches Attest aus § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG auf den gesetzlich nicht geregelten Fall des Nachweises einer krankheitsbedingten Unzumutbarkeit einer zwangsweisen Vorführung im Inland gemäß § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG anwendbar sind (wofür nach vorläufiger Auffassung des Senats aber wohl eher wenig spricht), und zum anderen, ob die verwaltungsgerichtliche Auffassung zutrifft (wofür einiges spricht), dass - selbst bei Anlegung geringerer als der in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG aufgestellten Maßstäbe - das vorgelegte Attest zur Glaubhaftmachung einer unverschuldeten Verhinderung nicht genüge, weil im Attest weder die psychische Erkrankung im Einzelnen genannt worden sei noch daraus ersichtlich werde, ob die Klägerin persönlich vorstellig geworden sei und eine Untersuchung stattgefunden habe. Des Weiteren bedarf es keiner Entscheidung, wie sich der Umstand auswirkt, dass die Klägerin den Bescheid vom 11. September 2019 - trotz des am 11. Oktober ausgestellten Attestes und noch laufender Klagefrist - hat bestandskräftig werden lassen.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es im Hinblick auf § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG nicht.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).