VG Augsburg, Urteil v. 10.06.2021 – Au 5 K 20.2694
Titel:

Nutzungsänderung eines Druckereigebäudes zu Technologieentwicklungsunternehmen – Stellplatznachweis

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5
BayBO Art. 47 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 Nr. 2, Art. 55 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Stellplatzfragen werden im Rahmen der Baugenehmigung nur geprüft, wenn die Gemeinde eine entsprechende Stellplatzsatzung als örtliche Bauvorschrift nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO erlassen hat. Fehlt eine entsprechende örtliche Bauvorschrift, wird die Erfüllung der Stellplatzpflicht im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht geprüft. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Löst eine Änderung oder Nutzungsänderung einen – rechnerisch ermittelten – Mehrbedarf an Stellplätzen aus, so ist dieser nachzuweisen. Ist dies nicht der Fall, sind keine zusätzlichen Stellplätze nachzuweisen. Die Baurechtsbehörde darf einen Bauantrag, der keine den Stellplatzbedarf berührenden Änderungen des bereits genehmigten Vorhabens zum Gegenstand hat, nicht zum Anlass nehmen, eine neue Stellplatzberechnung zu verlangen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Fehlen für die bisher bestehende oder genutzte bauliche Anlage von Anfang an oder auf Grund der heutigen Anforderungen Stellplätze, so müssen diese im Falle der Änderung oder Nutzungsänderung nicht nachträglich geschaffen werden, da sie nicht änderungsbedingt sind. Die Nichterfüllung der aus der früher genehmigten Nutzung ausgelösten Stellplatzpflicht bleibt unbeachtlich. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. In ihrem Bestand geschützt sind (nur) solche Nutzungen, die formell oder zumindest materiell rechtmäßig ausgeübt werden oder wurden. Die für die bisherige Nutzung erforderlichen Stellplätze können also nur „angerechnet“ werden bzw. zur Anwendung des Art. 47 Abs. 1 S. 2 BayBO führen, wenn die bisherige Nutzung formell und/oder materiell rechtmäßig ist. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
5. Soweit vom Grundsatz abgewichen wird, Stellplätze auf dem eigenen Grundstück zu schaffen und die Stellplätze stattdessen in der Nähe des Grundstücks herzustellen, ist deren Benutzung als Stellplatz öffentlich-rechtlich zu sichern. Als öffentlich-rechtliche Sicherung wird die Einräumung einer beschränkt-persönlichen Dienstbarkeit zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde für üblich und erforderlich erachtet. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung, Nutzungsänderung von Druckereigebäude zu Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt, Medizintechnik, Stellplatznachweis, Sicherung mittels Dienstbarkeit, Keine Bestandsschutz vermittelnde vorherige legale Nutzung, Nutzungsänderung von Druckereigebäude zu Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik, keine Bestandsschutz vermittelnde vorherige legale Nutzung, örtliche Bauvorschrift, Duldung, Abstandsfläche
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22888

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die von ihr geplante Nutzungsänderung „Umnutzung eines Druckereigebäudes zu einem Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik“ an einem Bestandsgebäude. In Frage steht der Stellplatzbedarf.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung .... Das Grundstück ist mit einem Bestandsgebäude bebaut, das zuvor im Rahmen eines Druckereibetriebes genutzt wurde. Die 1990 errichteten Gebäude (Bürogebäude und Halle) wurden nach und nach erweitert. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „GE nördlich der ...-Straße, I. Planungsabschnitt“ der Stadt ... sowie der Stellplatzsatzung der Stadt ... vom 18. Februar 2009 in der Fassung vom 29. September 2015.
3
Mit Baugenehmigung vom 9. April 1997 (Az. ...) wurde die Erweiterung des Betriebsgebäudes mittels Anbau im Norden an die bestehende Halle genehmigt. Grundlage des Genehmigungsantrags durch die damalige Grundstückseigentümerin war eine Mitteilung des Architekten der Bauherrin, die erforderlichen 60 KfZ-Stellplätze seien auf zwei Grundstücke verteilt: 28 Kfz-Stellplätze auf Fl.Nr. ... und ... Stellplätze auf Fl.Nr. ... In Ziffer VI. 44 der Baugenehmigung vom 9. April 1997 ist als Auflage formuliert, dass für den Neubau insgesamt mindestens 24 Kfz-Stellplätze erforderlich und entsprechend den genehmigten Plänen bis zum Beginn der jeweiligen Nutzung herzustellen sind. Ziffer VI. 45 bestimmt, dass die auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... nachgewiesenen Stellplätze zu Gunsten des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung ... dinglich zu sichern sind. Gleichzeitig ist hierfür eine beschränkt-persönliche Dienstbarkeit zu Gunsten des Freistaates Bayern, vertreten durch das Landratsamt, zu bestellen.
4
Mit Bauantrag Gz. ... wurde von der damaligen Grundstückseigentümerin die Baugenehmigung zum Anbau einer Werkshalle an die Südseite des Betriebsgebäudes beantragt. In den Antragsunterlagen wurde ausgeführt, im Rahmen der Erweiterung erhöhe sich der Stellplatzbedarf auf 61 Kfz-Stellplätze. Diese würden auf dem Grundstück des Betriebsgebäudes Fl.Nr. ... nachgewiesen. Somit werde die geforderte Grunddienstbarkeit in Ziffer 45 der Baugenehmigung vom 9. April 1997 zu Gunsten des ... gegenstandslos. Bestandteil der Baugenehmigungsunterlagen ist u.a. ein Freiflächengestaltungsplan, der auf Fl.Nr. ... KfZ-Stellplätze nachweist. Zum Bauantrag ... wurde mit Bescheid vom 19. Juni 1997 die Baugenehmigung erteilt mit der Auflage Ziffer V. 25, dass für den Anbau mindestens drei zusätzliche Kfz-Stellplätze auf dem Grundstück erforderlich sind.
5
Unter dem Gz. ... wurde von der damaligen Grundstückseigentümerin die Baugenehmigung für die Erweiterung des Druckereigebäudes durch eine Be- und Entladehalle/Vordach beantragt. Räumlich betraf diese Erweiterung an vielen Stellen Grundstücksbereiche des Grundstücks Fl.Nr. ..., die zuvor als Stellplatzflächen genutzt waren. Infolgedessen war als Bestandteil der Baugenehmigungsunterlagen im Rahmen des Stellplatznachweises ausgeführt, dass der nunmehrige Bedarf von 63 KfZ-Stellplätzen wie folgt erfüllt werden solle: zehn KfZ-Stellplätze würden auf den im Freiflächenplan eingezeichneten Stellplätzen 1 - 10 auf dem Grundstück Fl.Nr. ... geschaffen. Die restlichen 53 KfZ-Stellplätze würden auf dem nahegelegenen Grundstück Fl.Nr. ... geschaffen. Diese Stellplätze würden durch die notarielle Eintragung einer Grunddienstbarkeit auf dem Grundstück Fl.Nr. ... zu Gunsten des Grundstücks Fl.Nr. ... gesichert. Hierzu wurde ein gesonderter Bauantrag gestellt (Gz. ...), mit dem die Baugenehmigung für die Errichtung von Parkplätzen für die Verlagsdruckerei ... im Rahmen einer notariellen Eintragung einer Grunddienstbarkeit auf dem Grundstück Fl.Nr. ... zugunsten des Grundstücks Fl.Nr. ... beantragt wurde. Gegenstand der Antragsunterlagen war ein Lageplan für das Bauvorhaben „Errichtung von Parkplätzen für die Verlagsdruckerei Kessler im Rahmen einer notariellen Eintragung einer Grunddienstbarkeit auf dem Grundstück Fl.Nr. ... zugunsten des Grundstücks Fl.Nr. ... “ sowie der schon im Verfahren ... vorgelegte Stellplatznachweis für das Bauvorhaben „Erweiterung des Druckereigebäudes durch eine Be- und Entladehalle“ vom 15.09.2000 mit einem Gesamtbedarf von 63 Stellplätzen. Zudem wurde in der „Anlage zum Bauantrag: Begründung zur Errichtung von Stellplätzen“ ausgeführt, durch den Bau der Be- und Entladehalle sowie des Vordachs könnten auf Fl.Nr. ... nur noch 10 KfZ-Stellplätze untergebracht werden. Die notwendigen restlichen 53 KfZ-Stellplätze würden deshalb auf dem nur wenige Meter entfernten Grundstück Fl.Nr. ... geschaffen. Zur Sicherung dieser Stellplätze werde auf Fl.Nr. ... notariell eine Grunddienstbarkeit zugunsten Fl.Nr. ... eingetragen. Zur Gesamtzahl der sich auf Fl.Nr. ... befindlichen bzw. bereitzustellenden Stellplätze ist ausgeführt, dass dort insgesamt 64 KfZ-Stellplätze notwendig seien: 53 KfZ-Stellplätze für die hier erforderliche Übernahme der Grunddienstbarkeit zugunsten Fl.Nr. ..., 11 KfZ-Stellplätze für eine auf Fl.Nr. ... mit Baugenehmigung vom 29.01.1997 (Az.: ...) errichtete Lagerhalle. Über diese Zahl hinaus würden weitere Stellplätze zur Verfügung gestellt. In der Folgezeit wurde das Baugenehmigungsverfahren auf Bitten der Bauherrin mehrfach zurückgestellt, da die erforderliche Grunddienstbarkeit nicht vorgelegt werden konnte. Letztlich wurde das Erweiterungsvorhaben mit Baugenehmigungsbescheid vom 8. Juni 2006 (Gz. ...) unter der aufschiebenden Bedingung (Ziffer 2 des Bescheids) erteilt, dass bis Baubeginn die dingliche Sicherung (Grunddienstbarkeit) der auf dem Grundstück Fl.Nr. ... nachgewiesenen Stellplätze dem Landratsamt ... vorgelegt wird. Der Freiflächengestaltungsplan zu Fl.Nr., der zwölf KfZ-Stellplätze auf diesem Grundstück vorsieht, wurde mit Genehmigungsstempel zur Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 Gegenstand der Baugenehmigung. Mit Schreiben vom 21.Juli 2006 legte die damalige Bauherrin dem Landratsamt eine Kopie der Grunddienstbarkeit für die Sicherung der Stellplätze vor. Ausweislich der Urkunde ... vom 30. Mai 2006 des Notars Dr.,, räumte der Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... (dienendes Grundstück) für sich und seine Rechtsnachfolger im Eigentum 1. dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... (herrschendes Grundstück) sowie 2. der Stadt, das Recht ein, die auf dem dienenden Grundstück befindlichen Stellplätze unentgeltlich auf Dauer mitzubenutzen und zu diesem Zwecke das dienende Grundstück jederzeit, ungehindert und unentgeltlich, jedoch auf eigene Gefahr, zu betreten und mit Fahrzeugen aller Art zu befahren. Der Ausübungsbereich dieser Dienstbarkeit ist in dem einen Bestandteil dieser Vereinbarung bildenden Lageplan rot eingezeichnet. Beigefügt ist ein Auszug aus dem Katasterkartenwerk zu Fl.Nr., ausweislich dessen sich auf dem Grundstück insgesamt 65 Kfz-Stellplätze befinden. Auf dem Schreiben vom 21. Juli 2006, beim Landratsamt ... eingegangen am 24. Juli 2006, ist verfügt: „I.: Kg. II: Bitte zum Vorgang:, Handzeichen des Bearbeiters“.
6
Mit hier streitgegenständlichem Antrag vom 21. Juni 2019 (Az. ...) beantragte die Klägerin beim Beklagten, vertreten durch das Landratsamt ... (künftig: Landratsamt), die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung „Umnutzung eines Druckereigebäudes zu einem Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik“. Im Bauantrag war zu den Stellplätzen angegeben, im Bestand seien 77 KfZ-Stellplätze errichtet, davon im Bestand 12 auf dem Baugrundstück und 65 auf dem Grundstück Fl.Nr., gesichert durch Grunddienstbarkeit.
7
Mit Schreiben vom 9. August 2019, eingegangen beim Landratsamt am 13. August 2019, reichte die Klägerin eine überarbeitete Stellplatzberechnung (auf der Grundlage der Stellplatzsatzung der Stadt ...) ein. Zum Technologieentwicklungsunternehmen (bezeichnet als Betrieb 1) wurde, ausgehend von 40 Beschäftigten in Verwaltung/Entwicklung und Produktion, ein Stellplatzbedarf von insgesamt gerundet 54 Kfz-Stellplätzen sowie gerundet 27 Fahrradstellplätzen angegeben. Für eine potentielle Nutzung des aktuell ruhenden Betriebs auf Grundstück Fl.Nr. ... als Druckerei/Lagerverwaltung (bezeichnet als Betrieb 2) wurde - unter Annahme von zehn Beschäftigten - ein Stellplatzbedarf von gerundet elf Kfz-Stellplätzen ermittelt. Für Betrieb 1 und Betrieb 2 ergebe sich so ein Stellplatzbedarf von 65 Kfz-Stellplätzen, der durch die insgesamt vorhandenen 77 Kfz-Stellplätze abgedeckt sei.
8
Die Gemeinde ... erteilte am 22. Juli 2019 das gemeindliche Einvernehmen (als Angelegenheit der laufenden Verwaltung) zum Baugenehmigungsantrag mit der Auflage, dass dauerhaft sicherzustellen sei, dass die Stellplätze auf dem Grundstück Fl.Nr. ... zur Verfügung stehen und der Nutzung nicht entzogen werden.
9
Im August 2019 teilte das Landratsamt der Klägerin mit, dass die für den Betrieb 1 erforderlichen 54 Stellplätze, soweit auf dem Fremdgrundstück gelegen, dinglich zu sichern seien. Mit Aktenvermerk des Landratsamtes vom 17. Juni 2020 zum Gespräch mit Vertretern der Klägerin vom selben Tag wurde ausführt, die bestehende grundbuchrechtliche Sicherung zur Mitbenutzung der Stellplätze reiche für die erforderliche dingliche Sicherung der Stellplätze nicht aus. In der letzten Genehmigung „aus dem Jahr 2010“ (gemeint wohl: zum Verfahren 3/106-2001-WA) sei die Sicherung von 65 Stellplätzen mittels Grundbucheintrag in der Baugenehmigung beauflagt worden. Dies sei jedoch nicht entsprechend umgesetzt worden, es sei nur das Mitbenutzungsrecht eingetragen. Eine Einigung zur grundbuchrechtlichen Sicherung der Stellplätze erreichte die Klägerin weder mit den Alteigentümern der Fl.Nr. ... noch mit den Sprechern der jetzigen Eigentümergemeinschaft.
10
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ die Klägerin Klage erheben und beantragen,
11
den Beklagten zu verpflichten, die am 21. Juni 2019 betreffend das Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... beantragte Genehmigung der Nutzungsänderung (Umnutzung eines ehemaligen Druckereigebäudes zu einem Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik) zu erteilen.
12
Zur Begründung wurde vorgetragen, streitig in Bezug auf die begehrte Baugenehmigung sei allein der erforderliche Stellplatznachweis im Umfang von 54 KFZ-Stellplätzen. 12 davon seien auf dem streitgegenständlichen Grundstück nachgewiesen, die übrigen 42 Stellplätze stünden auf dem Grundstück Fl.Nr. ... zur Verfügung. Dieses Grundstück sei im Grundbuch mit einer Dienstbarkeit (Urkunde vom 30.5.2006) dahingehend belastet, dass „1. dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... sowie 2. der Stadt ... das Recht eingeräumt ist, die auf dem dienenden Grundstück befindlichen Stellplätze unentgeltlich auf Dauer mitzubenutzen und zu diesem Zweck das dienende Grundstück jederzeit, ungehindert und unentgeltlich, jedoch auf eigene Gefahr, zu betreten und mit Fahrzeugen aller Art zu befahren“. Auf dem dienenden Grundstück Fl.Nr. ... stünden insgesamt 65 KFZ-Stellplätze zur Verfügung. Die bisherige Absicherung auf dem dienenden Grundstück sei bisher von allen Beteiligten als ausreichend angesehen worden, um den Stellplatznachweis für die auf dem Grundstück Fl.Nr. ... ehemals betriebene Druckerei zu führen. Zur Zeit der Bestellung der Dienstbarkeit habe die Druckerei ca. 160 Beschäftigte gehabt, also mehr als viermal so viele Mitarbeitende wie jetzt die Klägerin. Zwar sei einzuräumen, dass das Gesetz eine Dienstbarkeit zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsicht - also hier des Freistaates Bayern - und nicht nur zugunsten der Gemeinde als erforderlich ansehe. Bisher sei jedoch indes die Absicherung durch die Stadt ... in jeder Hinsicht als ausreichend angesehen worden. Auch reiche die rechtlich abgesicherte Mitbenutzung zweifelsfrei aus, anderes ergebe sich auch nicht aus der Kommentierung der einschlägigen Vorschrift des Art. 47 BayBO. Im Ergebnis widerspreche auch die jetzt vom Landratsamt geforderte Absicherung dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, da zuvor die grundbuchmäßig abgesicherte Mitbenutzung hinsichtlich der deutlich größeren Beschäftigungszahl des Druckerei-Betriebs als ausreichend angesehen worden sei. Seit der damaligen Genehmigung hätten sich die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen nicht verändert. Vielmehr sei der aufgrund der geringeren Beschäftigungszahl im klägerischen Betrieb erforderliche Stellplatzbedarf sogar geringer. Die Klägerin habe deshalb darauf vertrauen dürfen, dass sich die rechtliche und tatsächliche Beurteilung nicht ändern werde. Auch die Stadt ... als Satzungsgeberin habe die bisherige Absicherung trotz der früher deutlich höheren Mitarbeiterzahl als ausreichend angesehen. Im Übrigen lasse § 6 der Stellplatzsatzung der Stadt ... ausdrücklich Abweichungen zu.
13
Der Beklagte beantragt mit Schreiben vom 9. Februar 2021,
14
die Klage abzuweisen.
15
Die grundbuchrechtliche Sicherung zur Mitbenutzung der Stellplätze sei vorliegend nicht ausreichend. Die erforderlichen Stellplätze müssten dem Bauvorhaben (Nutzungsänderung) konkret zugeordnet werden. In der Baugenehmigung aus dem Jahr 2010 sei die Sicherung der damals erforderlichen 65 Stellplätze mittels Grundbucheintrag in der Baugenehmigung beauflagt worden. Dies sei jedoch bislang noch nicht entsprechend umgesetzt worden. Eine privatrechtliche Einigung bzw. Änderung der vorliegenden Grunddienstbarkeit zwischen der Klägerin und dem Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung ... sei bislang nicht zustande gekommen. Somit könnten die für die Nutzungsänderung erforderlichen Stellplätze nicht (nur) dem Bauvorhaben konkret zugeordnet werden, da für die Sicherung der Stellplätze eine jederzeitige, alleinige Nutzbarkeit der Stellplätze erforderlich sei. Eine Abweichung von der Stellplatzsatzung sei bisher weder beantragt worden, noch liege das gemeindliche Einvernehmen hierzu vor. Die Baugenehmigung könne deshalb noch nicht erteilt werden.
16
Die Klägerin ließ mit Schriftsatz vom 22. Februar 2021 erwidern, aufgrund der hier gegebenen Nutzungsänderung sei Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO zu beachten. Die hier streitgegenständliche Nutzungsänderung löse gerade keinen Mehrbedarf an zusätzlichen Stellplätzen aus, sodass es zu keiner erneuten Prüfung der Stellplatzsituation kommen könne. Aus einschlägiger Kommentierung und Rechtsprechung ergebe sich, dass allein zu ermitteln sei, ob die Nutzungsänderung einen Mehrbedarf an Stellplätzen hervorrufe. Der Bestand bleibe dabei völliger außer Betracht. Dieser sei bestandsgeschützt. Seien für den Altbestand nicht genügend Stellplätze vorhanden, brauchten die fehlenden Stellplätze nicht zusätzlich zum Mehrbedarf, der durch die Nutzungsänderung ausgelöst werde, hergestellt werde. Entstehe durch die Änderung kein Mehrbedarf, könne die Baurechtsbehörde die Änderung grundsätzlich nicht zum Anlass nehmen, den Nachweis von Stellplätzen zu verlangen, die schon für die bisherige Anlage oder Nutzung gefehlt hätten. Da vorliegend die Nutzungsänderung gerade keinen Mehrbedarf auslöse, komme es auf die Erfüllung der bisherigen Stellplatzforderung nicht an. Wie bereits schon ausgeführt worden sei, sei die erforderliche Stellplatzanzahl auf dem eigenen Grundstück bzw. mittels Grunddienstbarkeit auch auf Grundstück Fl.Nr. ... nachgewiesen. Dass ein Mitbenutzungsrecht nicht als ausreichend angesehen werde, sei weder aus Rechtsprechung noch Literatur erkennbar. Im Übrigen lägen zudem die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung nach § 6 der Stellplatzsatzung vor, die höchst vorsorglich mit Schreiben vom 22. Februar 2021 beim Landratsamt beantragt worden sei. Mit Schreiben vom 31. Mai 2021 wurde klagebegründend ergänzt, es sei bereits ausgeführt worden, dass die von den Rechtsvorgängern der Klägerin vorgelegte Absicherung der Stellplätze nach Form und Umfang völlig ausreiche. Der Beklagte habe bei der Prüfung des Bauantrags ... nachdrücklich die Vorlage der Dienstbarkeit mit insgesamt sechs Schreiben zwischen dem 10. Mai 2001 und 21. November 2005 eingefordert. Nach Vorlage der Dienstbarkeit im Juli 2006 sei am 8. Juni 2006 die begehrte Baugenehmigung erteilt worden. Der Beklagte habe die Dienstbarkeit unbeanstandet zum Vorgang genommen. Auch der Übergang der Liegenschaft von Rechtsvorgängern nun auf die Klägerin sei vom Beklagten kommentarlos zur Kenntnis genommen worden, ohne die Stellplatzfrage nochmals aufzugreifen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte nun die Grunddienstbarkeit plötzlich nicht mehr als ausreichend anerkenne, obwohl sich die Umstände weder tatsächlich noch rechtlich geändert hätten.
17
Das Landratsamt leitete den Antrag auf Abweichung von § 6 der Stellplatzsatzung der Stadt ... mit Schreiben vom 25. Februar 2021 weiter und bat um Mitteilung, ob hierzu das gemeindliche Einvernehmen erteilt wird.
18
Mit Beschluss vom 20. April 2021 wurde die Stadt ... zum Verfahren notwendig beigeladen. Eine Äußerung ist nicht erfolgt.
19
In der Sache wurde am 10. Juni 2021 mündlich verhandelt. Über den Hergang der mündlichen Verhandlung wird auf das hierzu gefertigte Protokoll sowie im Übrigen ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Die als Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage zum Baugenehmigungsantrag vom 21. Juni 2019 (...), eingegangen beim Beklagten am 23. Juli 2019, statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung für die Nutzungsänderung „Umnutzung eines Druckereigebäudes zu einem Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik“, § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -. Das genehmigungspflichtige Vorhaben ist mangels Erfüllung des Stellplatznachweises nicht genehmigungsfähig.
21
1. Die von der Klägerin beabsichtigte Nutzungsänderung ist baugenehmigungspflichtig nach Art. 55 Abs. 1 BayBO.
22
Mit der Nutzungsaufgabe der Liegenschaft zu Zwecken der Druckerei soll das streitgegenständliche Gebäude bei Realisierung des klägerischen Vorhabens eine andere Zweckbestimmung erhalten. Von dieser Zweckbestimmung als Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik gehen andere öffentlich-rechtliche Anforderungen aus und es werden von der neuen Nutzung aus dem Blickwinkel der maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften andere Aspekte berührt (Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 141. EL März 2021, Art. 55 Rn. 28), so beispielsweise im Bereich des Brandschutzes und des Lärms. Vorliegend ist hierzu auch nichts anderes nach Art. 55 Abs. 1 BayBO i.V.m. Art. 56 - 58, 72 und 73 bestimmt.
23
2. Die Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Baugenehmigung nach Art. 68 der Bayerischen Bauordnung - BayBO - i.V.m. Art. 59 Satz 1 BayBO liegen nicht vor. Insbesondere sind die nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 c) i.V.m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO nach der Stellplatzsatzung der Beigeladenen als örtliche Bauvorschrift erforderlichen Stellplätze nicht nachgewiesen.
24
a) Stellplatzfragen werden im Rahmen der Baugenehmigung gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 c) BayBO nur geprüft, wenn die Gemeinde eine entsprechende Stellplatzsatzung als örtliche Bauvorschrift nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO - und sei es auch integriert in einen Bebauungsplan, vgl. Art. 81 Abs. 2 i.V. m. § 30 BauGB - erlassen hat. Fehlt eine entsprechende örtliche Bauvorschrift, dann wird die Erfüllung der Stellplatzpflicht im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht geprüft (Decker in Busse/Kraus, Art. 81 Rn. 171 und Wolf in Busse/Kraus, Art. 59 Rn. 66). Solche Stellplatzsatzungen konkretisieren, was in Art. 47 BayBO dem Grunde nach zur Herstellungspflicht von Stellplätzen bei der Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von Anlagen (Art. 2 Abs. 1 Satz 4 BayBO) geregelt ist. Die Gemeinden können die dort genannten Parameter - benannt mit Zahl, Größe und Beschaffenheit - nach ihren Vorstellungen regeln, nicht hingegen den sich aus Art. 47 BayBO grundsätzlich ergebenden Bedarf an Stellplätzen. Auch enthält die Norm des Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO keine Kompetenz zur Regelung der Situierung und Anordnung von Stellplätzen auf einem Baugrundstück, also über die Lage der Stellplätze (Grünewald in BeckOK BauordnungsR Bayern, 17. Ed. 1.11.2019, BayBO Art. 81 Rn. 122; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 81 Rn. 164 f.).
25
Hier hat die beigeladene Stadt ... gerade eine solche rechtskonforme Stellplatzsatzung auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO erlassen, die nach § 1 der Stellplatzsatzung das gesamte Stadtgebiet und damit auch das Vorhabensgrundstück umfasst. Abweichende Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans „GE nördlich der ...-Straße, I. Planungsabschnitt“, die nach § 1 Abs. 2 Stellplatzsatzung unverändert fortgälten, gibt es nicht, ebenso keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamheit der Satzung. Nach § 3 Abs. 1 der Stellplatzsatzung ist die Klägerin somit verpflichtet, mit dem Bau- bzw. Freistellungsantrag durch die Bauvorlagen nachzuweisen, dass die erforderlichen Stellplätze vorhanden sind bzw. hergestellt werden. Die sich aus § 2 Abs. 1 der Stellplatzsatzung i.V.m. den im Anhang Nr. 1 festgelegten Richtwerten ergebende Anzahl an benötigten Stellplätzen (u.a. 54 KfZ-Stellplätze) ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
26
b) Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO entbindet vorliegend die Klägerin nicht davon, die notwendigen Stellplätze herzustellen.
27
aa) Entsprechend der eingeschränkten Satzungskompetenz der Gemeinde entfaltet Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO grundsätzlich auch bei Vorliegen einer Stellplatzsatzung weiterhin Rechtswirksamkeit.
28
bb) Nach Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO sind bei Änderungen oder Nutzungsänderungen von Anlagen Stellplätze in solcher Zahl und Größe herzustellen, dass die Stellplätze die durch die Änderung zusätzlich zu erwartenden Kraftfahrzeuge aufnehmen können.
29
Dabei ist zu ermitteln, ob die Änderung/Nutzungsänderung einen Mehrbedarf an Stellplätzen hervorruft und wenn ja, in welcher Höhe. Der Bestand bleibt dabei außer Betracht. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Bestand Bestandsschutz genießt, dass in diesen Bestand also grundsätzlich - abgesehen von Art. 54 Abs. 4 BayBO - nicht eingegriffen werden kann. Ermittelt wird der Mehrbedarf durch einen rechnerischen Vergleich zwischen dem Stellplatzbedarf der geänderten Anlage und dem Stellplatzbedarf des Altbestandes. Rein rechnerisch wird der Stellplatzbedarf des Altbestandes ermittelt und von dem - ebenfalls rein rechnerisch - ermittelten Sollbestand abgezogen. Löst eine Änderung oder Nutzungsänderung einen - rechnerisch ermittelten - Mehrbedarf aus, so ist dieser nachzuweisen; ist dies nicht der Fall, sind keine sind keine zusätzlichen Stellplätze nachzuweisen. Die Baurechtsbehörde darf also einen Bauantrag, der keine den Stellplatzbedarf berührenden Änderungen des bereits genehmigten Vorhabens zum Gegenstand hat, nicht zum Anlass nehmen, eine neue Stellplatzberechnung zu verlangen (vgl. zum Ganzen: Würfel in Busse/Kraus, BayBO, Art. 47 Rn. 62 ff. unter Hinweis auf VGH Mannheim Urt. v. 14. 3. 2001 - 8 S 2257/00, BauR 2002, 69; BayVGH, U.v. 8.10.2020 - 2 B 20.301 - juris Rn. 45; BayVGH, U.v. 14.8.2008 - 2 BV 06.540 - juris; Jäde, PdK Bayern F 3: BayBO, 6. Fassung 2017, Art. 47 BayBO Rn. 3.2).
30
Fehlen für die bisher bestehende oder genutzte bauliche Anlage von Anfang an oder auf Grund der heutigen Anforderungen Stellplätze, so müssen diese im Falle der Änderung oder Nutzungsänderung nicht nachträglich noch geschaffen werden, da sie nicht änderungsbedingt sind. Die Nichterfüllung der aus der früher genehmigten Nutzung ausgelösten Stellplatzpflicht bliebe unbeachtlich (BayVGH, B.v. 22. 4. 2004 - 20 B 03.2531 - juris; BayVGH, U.v. 8.10.2015 - 1 BV 14.1795 - BeckRS 2015, 56147, Rn.28; OVG Hamburg U.v. 10. 4. 2003 - 2 Bf 432/99, ZfIR 2004, 295). Diese Rechtslage folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO, der ausdrücklich nur die Herstellung von Stellplätzen für die durch die Änderung zusätzlich zu erwartenden Kraftfahrzeuge vorschreibt. Es wäre nicht sachgerecht, diese Vorschrift entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut extensiv auszulegen. Denn nur die Erhöhung des Stellplatzbedarfs durch die bauliche Änderung oder Nutzungsänderung, nicht aber ein bereits bei der bisherigen rechtmäßigen Nutzung bestehender Stellplatzmangel, ist ein sachlich gerechtfertigter Grund dafür, von einem Bauherrn im Zusammenhang mit der Änderung die Herstellung von Stellplätzen zu verlangen (BayVGH, U.v. 17. 11. 1978 - 333 II 73 - juris Rn. 37).
31
Vorliegend war zuletzt mit Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 (...) ein Stellplatzbedarf von 63 KfZ-Stellplätzen für die damalige Nutzung als Druckereigebäude angenommen worden. Der nun für die geplante Nutzung als Technologieentwicklungsunternehmen mit Schwerpunkt Medizintechnik ermittelte Stellplatzbedarf an 54 KfZ-Stellplätzen liegt rechnerisch darunter.
32
cc) Der „Altbestand“ aus der Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 (Gz. ...) entfaltet vorliegend keinen Bestandsschutz vermittelnde Wirkung, da die dortige aufschiebende Bedingung in Ziffer 2 des Bescheids, dass die dingliche Sicherung (Grunddienstbarkeit) der auf dem Grundstück Fl.Nr. ... nachgewiesenen Stellplätze vorgelegt werde, nicht erfüllt ist. Im Bestand geschützt sind aber nur formell und/oder materiell legale Nutzungen.
33
- Wie soeben unter 2. b) bb) ausgeführt, ist die sich aus Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO ergebende Anrechnung von tatsächlich vorhandenen oder auch nur fiktiven Stellplätzen, die auf die bisherige Nutzung entfallen, Folge des Bestandsschutzes, den die bisherigen Nutzungen genießen. In ihrem Bestand geschützt sind dabei aber, wie auch sonst, (nur) solche Nutzungen, die formell oder zumindest materiell rechtmäßig ausgeübt werden oder wurden (BayVGH, B.v. 22. 4. 2004 - 20 B 03.2531 - juris, Rn. 19). Die für die bisherige Nutzung erforderlichen Stellplätze können also nur „angerechnet“ werden bzw. zur Anwendung des Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO führen, wenn die bisherige Nutzung formell und/oder materiell rechtmäßig ist (BayVGH, U.v. 8.10.2015 - 1 BV 14.1795 - BeckRS 2015, 56147, Rn. 28; BayVGH, B.v. 11.11. 2002 - 2 ZB 02.2472 - juris Rn. 3 für formell und materiell rechtswidrige vorherige Nutzung; Würfel in Busse/Kraus, BayBO, Art.47 Rn. 69; Jäde, PdK Bayern F 3: BayBO, Art. 47 Rn. 3.2).
34
- Die im Jahr 2006 vorgelegte Grunddienstbarkeit genügt nicht zur Erfüllung der Nebenbestimmung (aufschiebender Bedingung) aus Ziffer 2 der Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 (Gz. ...), da sie den Anforderungen des Art. 47 Abs. 3 Satz 2 BayBO nicht entspricht. Sie ist nicht geeignet, Bestandsschutz zu vermitteln.
35
Entsprechend der eingeschränkten Satzungskompetenz der Gemeinde entfaltet auch Art. 47 Abs. 3 Nr. 2 BayBO grundsätzlich weiterhin Rechtswirksamkeit. Nach Art. 47 Abs. 3 BayBO stehen dem Bauherrn verschiedene Möglichkeiten offen, die Stellplatzpflicht zu erfüllen: auf dem Baugrundstück (Art. 47 Abs. 3 Nr.1 BayBO), durch Ablösevertrag (Art. 47 Abs. 3 Nr. 3 BayBO) oder durch Herstellung der notwendigen Stellplätze auf einem geeigneten Grundstück in der Nähe des Baugrundstücks, wenn dessen Benutzung für diesen Zweck gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde rechtlich gesichert ist (Art. 47 Abs. 3 Nr. 2 BayBO). In der Gesetzesbegründung zum Entwurf der Bayerischen Bauordnung 1961 (Landtags-Drs. 04/ III 260 - 1, S. 48, zu Art. 62 BayBO (1962)) ist ausgeführt, dass die Verpflichtung zur Schaffung von privaten Stellplätzen oder Garagen bereits geltendes Recht und in der Reichsgaragenverordnung enthalten sei. Die Verpflichtung zur Schaffung privater Stellplätze finde ihre Begründung darin, dass es bei dem ständig steigenden Kraftfahrzeugverkehr nicht vertretbar sei, dass der Eigentümer eines Grundstücks die öffentlichen Verkehrsflächen mit dem Abstellen von Kraftfahrzeugen für Bewohner oder die ständigen Benutzer oder Besucher seines Grundstücks belaste. Aus Gründen der Gefahrenabwehr müsse ihm die Verpflichtung auferlegt werden, die notwendigen Stellplätze selbst zur Verfügung zu stellen. Soweit vom Grundsatz abgewichen werde, Stellplätze auf dem eigenen Grundstück zu schaffen und die Stellplätze stattdessen in der Nähe des Grundstücks herzustellen, sei deren Benutzung als Stellplatz öffentlich-rechtlich zu sichern. Als solch öffentlich-rechtliche Sicherung wird nach h.M. gleichermaßen üblich wie erforderlich erachtet die Einräumung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde (Würfel in Busse/Kraus, BayBO, Art. 47 Rn. 152 mit Hinweis auf Formulierungsvorschlag der Landesnotarkammer; Hensel in Spannowsky/Manssen: BeckOK Bauordnungsrecht in Bayern, 18. Ed. Stand 1.11.2019, Art. 47 Rn. 91). Nur damit kann im Verhältnis zur Bauaufsichtsbehörde nachgewiesen und abgesichert werden, dass die Grundstückseigentümer des dienenden und des herrschenden Grundstücks (unabhängig von der vom Klägerbevollmächtigten thematisierten Frage, ob hier Personengleichheit besteht oder nicht) die Nutzung des dienenden Grundstücks für Stellplätze nicht bilateral verändern. Das Erfordernis der Bestellung zugunsten des Trägers der Bauaufsicht folgt aus dem Gesetzeswortlaut.
36
Die vorliegend in Bezug genommene Grunddienstbarkeit aus der Urkunde ... vom 30. Mai 2006 des Notars Dr., ... genügt diesen Anforderungen nicht.
37
Der Rechtsvorgänger der Klägerin hatte im Genehmigungsverfahren Gz. ... den Stellplatznachweis über die (teilweise) Situierung der Stellplätze auf dem in der Nähe gelegenen Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... gewählt und hierzu dem Beklagten die Grunddienstbarkeit aus der Urkunde ... vom 30. Mai 2006 des Notars Dr.,, vorgelegt. Darin räumte der Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... (dienendes Grundstück) für sich und seine Rechtsnachfolger im Eigentum 1. dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... (herrschendes Grundstück) sowie 2. der Stadt, das Recht ein, die auf dem dienenden Grundstück befindlichen Stellplätze unentgeltlich auf Dauer mitzubenutzen und zu diesem Zwecke das dienende Grundstück jederzeit, ungehindert und unentgeltlich, jedoch auf eigene Gefahr, zu betreten und mit Fahrzeugen aller Art zu befahren. Der Ausübungsbereich dieser Dienstbarkeit ist in dem einen Bestandteil dieser Vereinbarung bildenden Lageplan rot eingezeichnet und ein Auszug aus dem Katasterkartenwerk zu Fl.Nr. ... beigefügt. Weder ist damit aber die Grunddienstbarkeit zugunsten des Trägers der Bauaufsicht, nämlich dem Landratsamt ..., als sachlich und örtlich zuständiger unterer Kreisverwaltungsbehörde (Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LKrO und Art. 3 Abs. 1 Nr. 1a BayVwVfG) eingetragen - die beigeladene Stadt ... hat die Aufgabe der Bauaufsicht gerade nicht inne, noch ist die Kammer der Auffassung, dass das in der Grunddienstbarkeit eingeräumte Mitbenutzungsrecht an den sich auf dem Grundstück Fl.Nr. ...befindlichen Parkplätzen ausreichend ist, dem Gesetzeszweck der Entlastung des öffentlichen Straßenraums Rechnung zu tragen. Zwar ist zutreffend, dass mit Baugenehmigung vom 20. Juni 2006 (Gz. ...) auf Fl.Nr. ... die Errichtung von 67 Parkplätzen genehmigt wurde und damit eine Anzahl von Parkplätzen, die über die zugunsten Fl.Nr. ... gesicherten 53 Parkplätze hinausgeht. Es ist aber unbekannt und rechtlich nicht bestimmt, welchen einzelnen oder ggf. mehreren Bauvorhaben die übrigen, sich auf dem „Parkplatzgrundstück“ Fl.Nr. ... befindlichen Parkplätze zugeordnet sind und welcher absolute Stellplatzbedarf im Ganzen mittels dieses Grundstücks abgedeckt werden soll. In diesem Kontext, der gerade keine klare Zuordnung einzelner Parkplätze zum Bauvorhaben Gz.: ... bestimmt, vermag ein allgemeines Mitbenutzungsrecht an vorhandenen Stellplätzen dem Telos der rechtlichen Sicherung im Interesse der Vermeidung der Belastung des öffentlichen Straßenraums nicht zu genügen. Dies wird vorliegend gerade durch die aktuelle Situation, in der die ehemals im Rahmen des Druckereibetriebs einheitlich genutzten Grundstücke aufgrund Insolvenz an nun unterschiedliche Grundstückseigentümer veräußert wurden, umso relevanter. Diese Auffassung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung erklärt, nach seiner Kenntnis gebe es im Bereich des Straßenraums der streitgegenständlichen Grundstücke aktuell keine Probleme in Bezug auf parkende Kraftfahrzeuge.
38
c) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, der Beklagte habe seit der Kenntnisnahme der Grunddienstbarkeit im Jahr 2006 hiergegen keine Einwände erhoben, insbesondere deren Fehlerhaftigkeit im Hinblick auf die Bedingung in Ziffer 2 der Baugenehmigung vom 8. Juni 2006 nicht gerügt. Einen nach außen wirkenden Vertrauenstatbestand hat der Beklagte nicht gesetzt.
39
Es kann dahinstehen, ob die damalige Situation, wie die Beklagtenvertretern in der mündlichen Verhandlung vermuteten, möglicherweise nicht beanstandet worden war, weil die betroffenen Grundstücke sämtlich dem Druckereibetrieb zugeordnet werden konnten und man von einer Koordination der Stellplatznutzung durch die Betriebsleitung habe ausgehen können. Weder aber im Verhältnis zum Rechtsvorgänger der Klägerin noch dieser gegenüber hat der Beklagte positiv zu erkennen gegeben, er habe keine Einwände gegen die Grunddienstbarkeit. Dies hätte ein nach außen gerichtetes, aktives Tun erfordert; das bloße Abzeichnen der Grunddienstbarkeit mit dem Vermerk „Kg“ (Kenntnis genommen) und die Verfügung zum Vorgang genügt dafür nach Auffassung der Kammer nicht. Für die Schaffung eines besonderen Vertrauenstatbestandes seitens des Landratsamtes haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Auch der große Zeitraum von 2006 bis 2019 ändert an dieser Einschätzung nach Auffassung der Kammer nichts. Denn es bestand erst mit der Einreichung des klägerischen Bauantrags im Jahr 2019 für den Beklagten als Bauaufsichtsbehörde der Anlass, die Stellplatzfrage (erneut) zu prüfen. Auch könnte durch eine faktische behördliche Duldung, also ein Nichteinschreiten trotz behördlicher Kenntnis, selbst wenn sie über längere Zeit erfolgt ist, eine illegale bauliche Anlage bzw. deren Nutzung nicht legal werden bzw. ein bestehender Widerspruch einer Nutzung zum öffentlichen Recht nicht aufgelöst werden (BayVGH, B.v. 28.12.2016 - 15 CS 16.1774 - juris Rn. 33). Die Befugnis, die Nutzung einer formell und materiell illegalen baulichen Anlage zu untersagen bzw. sich vorliegend auf die Nichterfüllung der Bedingung zu berufen, kann im Übrigen auch nicht verwirkt werden. Das folgt schon daraus, dass nur Rechte, nicht aber Pflichten, hier die behördliche Pflicht für rechtmäßige Zustände zu sorgen, verwirkt werden können (BayVGH, B.v. 15.9.2006 - 15 ZB 06.2065 - juris Rn. 5 m.w.N.).
40
3. Ohne dass es entscheidend darauf ankäme, sind auch weitere Genehmigungsvoraussetzungen des Vorhabens nach Art. 68 BayBO i.V.m. Art. 59 Satz 1 BayBO nicht erfüllt.
41
aa) Zwar entspricht das Vorhaben allen bauplanungsrechtlichen Festsetzungen des vorliegend nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 a) BayBO i.V.m. § 30 Abs. 1 BauGB maßgeblichen Bebauungsplans „..., I. Planungsabschnitt“.
42
bb) Eine Entscheidungsreife nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO hinsichtlich der Genehmigungsvoraussetzung des Art. 59 Satz 1 Nr. 1 b) i.V.m. Art. 6 BayBO bzw. nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO in Bezug auf Abstandsflächen bzw. die auf Bl. 16 der Behördenakten mit dem Bauantrag beantragte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO von Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO liegt jedoch zum für die erhobene Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vor. Eine Entscheidung des Beklagten über die begehrte Abstandsflächen-Abweichung im Bereich des Technikraums neu an der südwestlichen Gebäudeecke, die nach Erlass einer Abstandsflächentiefensatzung durch die Beigeladene (Satzung über abweichende Maße der Abstandsflächentiefe gem. Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 a BayBO der Stadt ... vom 27. Januar 2021, in Kraft seit 1. Februar 2021) zwingend im Einvernehmen mit der Beigeladenen (Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO) zu erfolgen hat, ist (noch) nicht getroffen worden.
43
Im Ergebnis war die Klage somit abzuweisen.
44
4. Die Kostenentscheidung folgt § 154 Abs. 1 VwGO. Mangels Antragstellung im Verfahren nimmt die Beigeladene nicht am Kostenrisiko teil, so dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat, § 154 Abs. 3 VwGO.
45
5. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO, § 711 ZPO.