VG Würzburg, Urteil v. 30.06.2021 – W 2 K 20.1962
Titel:
Erfolgreiche Klage gegen die Nacherhebung von Wassergebühren
Normenketten:
MessEG § 37 Abs. 1 Nr. 2, § 38, § 40 Abs. 1 S. 1
MessEV § 36
Leitsätze:
1. Nach Ablauf der Eichfrist kann der Nachweis eines atypisch hohen Wasserverbrauchs nicht allein mit dem Verweis auf das abgelesene Messergebnis geführt werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine Gebührennacherhebung wegen eines tatsächlich erhöhten Wasserverbrauchs müssen in diesem Fall weitere Umstände hinzutreten, aus denen auf die Richtigkeit der Messererbnisse des nicht mehr geeichten Wasserzählers geschlossen werden kann. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wasserzähler mit abgelaufener Eichfrist, Keine Befundprüfung, Keine Richtigkeitsvermutung der Messergebnisse nach Ablauf der Eichfrist, Wassergebühren, Gebührennacherhebung, Änderungsbescheid, Wasserzähler, Richtigkeitsvermutung, Eichfrist
Fundstelle:
BeckRS 2021, 22080
Tenor
I. Der Änderungsbescheid der Beklagten vom 25. September 2018 zum Gebührenbescheid vom 19. April 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 2. November 2020 werden aufgehoben, soweit sie sich auf die Festsetzung von Wassergebühren für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 20. Februar 2018 beziehen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
I.
1.
1
Der Kläger wendet sich gegen die Nacherhebung von Wassergebühren für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 20. Februar 2018.
2
Der Kläger war bis zum 21. Februar 2018 Eigentümer des bebauten Grundstücks H., ... S., das an die öffentliche Wasserversorgungsanlage der Beklagten angeschlossen ist. Das Anwesen war seit 17. September 2013 unbewohnt.
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Am 18. Januar 2016 meldete der Kläger der Beklagten für das Grundstück einen Stand des Wasserzählers von 420 m³. Die Eichfrist des dort installierten Wasserzählers war 2013 abgelaufen. In den folgenden Jahren wurde der Zählerstand nicht abgelesen.
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Mit Bescheid vom 19. April 2018 setzte die Beklagte für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 20. Februar 2018 Wassergebühren in Höhe von 7,52 EUR fest. Sie legte eine Jahresverbrauchsmenge von 3 m³ zugrunde, indem sie den Verbrauch anhand des „Vorjahresverbrauches“ schätzte.
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Nach Eigentümerwechsel zum 21. Februar 2018 meldete der neue Eigentümer mit Email vom 15. Mai 2018 einen Zählerstand von 1679 m³. Am 22. Mai 2018 wurde der Wasserzähler mit einem Zählerstand von 1680 m³ ausgebaut und gegen einen neuen Zähler ausgetauscht.
2.
6
Mit Bescheid vom 25. September 2018, dem Kläger am 27. September 2018 zugestellt, änderte die Beklagte den Bescheid vom 19. April 2018 dahingehend ab, dass sie für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 20. Februar 2018 Wassergebühren in Höhe von 86,54 EUR erhob, weil sie nunmehr eine Jahresverbrauchsmenge von 612 m³ zugrunde lege. Dies beruhe auf einer Neuschätzung, die durch den Zählerstand vom 15. Mai 2018 und vom 22. Mai 2018 veranlasst sei. Der festgestellte Mehrverbrauch sei zeitanteilig auf den Zeitraum 1. Januar 2016 bis 20. Februar 2018 verteilt worden. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 25. September 2018 Bezug genommen.
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Entsprechende Änderungsbescheid wurden für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016 und den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2017 erlassen.
3.
8
Gegen diese Bescheide ließ der Kläger am 26. Oktober 2018 Widerspruch erheben, den er im Wesentlichen damit begründen ließ, dass der zum 22. Mai 2018 ermittelte Zählerstand nicht richtig sein könne, weil das Grundstück durchgängig unbewohnt gewesen sei, der Hauptwasserhahn spätestens seit 2015 abgedreht gewesen und ein Wasserschaden in diesem Zeitraum nicht aufgetreten sei.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2020, dem Klägerbevollmächtigten am 4. November 2020 zugestellt, wies das Landratsamt Schweinfurt den Widerspruch insgesamt zurück (Ziffer 1), legte dem Kläger die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf (Ziffer 2) und erhob eine Widerspruchsgebühr in Höhe von 304,00 EUR (Ziffer 3). Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid vom 2. November 2020 Bezug genommen.
II.
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Dagegen ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg am 4. Dezember 2020 eingegangen, Klage erheben.
11
Zur Begründung lässt er im Wesentlichen vorgetragen: Die Beklagte habe das Ablesen des Wasserzählers nicht dem Nacheigentümer des Klägers überlassen dürfen, weil dies bei einem Eigentümerwechsel die Möglichkeit zur Manipulation des Wasserverbrauchs zulasten des Alteigentümers gebe. Es werde bestritten, dass der Zählerstand von 1.679 m³ korrekt ermittelt worden sei. Jedenfalls bis zum Zähleraustausch am 22. Mai 2018 habe der Neueigentümer drei Monate lang Wasser auf Kosten des Klägers verbrauchen können. Die über zweijährige Bearbeitungszeit des Widerspruchs habe eine nachträgliche Sachverhaltsaufklärung zusätzlich erschwert. Die Beweislast müsse bei der Beklagten liegen. Diese könne sich nicht darauf berufen, dass der Kläger bei einem rechtzeitigen Austausch des Wasserzählers nicht mitgewirkt habe. Das entsprechende Aufforderungsschreiben habe ihn nicht erreicht. Im Übrigen hätte die Beklagte den Austausch des Zählers auch mit Verwaltungszwang durchsetzen können.
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Der Kläger lässt zuletzt beantragen,
1. Der Änderungsbescheid der Beklagten vom 25. September 2018 zum Gebührenbescheid vom 19. April 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 2. November 2020 werden aufgehoben, soweit sie sich auf die Festsetzung von Wassergebühren für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 20. Februar 2018 beziehen.
2. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wird für notwendig erklärt.
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Die Beklagte lässt beantragen,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Eine Befundprüfung des ausgetauschten Wasserzählers sei nach dem Ausbau nicht vorgenommen worden. Der Kläger sei jedoch im Jahr 2013 wegen des erforderlichen Austauschs des Wasserzählers angeschrieben und im Jahr 2015 schriftlich daran erinnert worden. Auch habe man ihn jährlich wegen des Ablesens des Zählerstands angeschrieben. Der Kläger habe darauf jedoch nicht reagiert.
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Mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 trennte das Gericht vom Verfahren W 2 K 20.1957 das Klagebegehren ab, soweit es sich auf die Festsetzung von Nachzahlungen für Abwassergebühren für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2017 richtet und führte es unter dem Aktenzeichen W 2 K 20.1958 fort (Ziff. 1). Es trennte das Klagebegehren ab, soweit es sich auf die Festsetzung von Nachzahlungen für Abwassergebühren für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 20. Februar 2018 richtet und führte es unter dem Aktenzeichen W 2 K 20.1959 fort (Ziff. 2). Es trennte das Klagebegehren ab, soweit es sich auf die Festsetzung von Nachzahlungen für Wassergebühren für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016 richtet und führte es unter dem Aktenzeichen W 2 K 20.1960 fort (Ziff. 3). Es trennte das Klagebegehren ab, soweit es sich auf die Festsetzung von Nachzahlungen für Wassergebühren für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2017 richtet und führte es unter dem Aktenzeichen W 2 K 20.1961 fort (Ziff. 4). Es trennte das Klagebegehren ab, soweit es sich auf die Festsetzung von Nachzahlungen für Wassergebühren für den Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 20. Februar 2018 richtet und führte es unter dem Aktenzeichen W 2 K 20.1962 fort (Ziff. 5).
16
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
17
Die Klage ist zulässig und begründet.
18
Der Änderungsbescheid vom 25. September 2018 zum Gebührenbescheid vom 19. April 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 2. November 2020 sind im verfahrensgegenständlichen Umfang rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Voraussetzung für eine Nacherhebung von Wassergebühren liegen nicht vor. Die Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabensatzung der Gemeinde Schwanfeld (BGS/WAS) vom 27. Juli 2016, aktuell i.d.F. der 1. Änderungssatzung vom 1. Januar 2020, für deren Nichtigkeit weder Anhaltspunkte vorgetragen noch ersichtlich sind, bietet dafür keine Rechtgrundlage.
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Gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 BGS/WAS vom 27. Juli 2016 wird der Wasserverbrauch grundsätzlich jährlich abgerechnet. Einem Wechsel des Gebührenschuldners durch Änderung der Eigentumsverhältnisse ist jedoch durch eine gesonderte, jeweils stichtagsgenaue Gebührenerhebung Rechnung zur tragen, wie dies für den verfahrensrelevanten Abrechnungszeitraum 1. Januar 2018 bis 20. Februar 2018 mit dem bestandskräftigen Gebührenbescheid vom 19. April 2018 geschehen ist. Dabei wurde der Verbrauch anhand des Vorjahresverbrauchs gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGS/WAS vom 27. Juli 2016 zulässigerweise geschätzt und zeitanteilig für den Abrechnungszeitraum angesetzt.
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Erweist sich der auf der Grundlage einer solchen Schätzung abgerechnete Verbrauch nachträglich als unzutreffend, ist es grundsätzlich möglich, diesem Umstand durch eine Nacherhebung von Gebühren Rechnung zu tragen. Dies setzt jedoch voraus, dass ein von der ursprünglichen Schätzung abweichender Wasserverbrauch tatsächlich nachgewiesen ist.
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Dieser Nachweis kann gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 BGS/WAS vom 27. Juli 2016 primär durch das Ablesen eines tatsächlich vorhandenen, jedoch bislang nicht abgelesenen Wasserzählers erbracht werden, sofern dieser über eine gültige Eichung i.S.v. § 36 der Verordnung über das Inverkehrbringen und die Bereitstellung non Messgeräten auf dem Markt sowie über ihre Verwendung und Eichung (Mess- und Eichverordnung - MessEV) verfügt.
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Daran fehlt es für die am 15. Mai 2018 bzw. am 22. Mai 2018 abgelesenen Daten jedoch. Die Eichfrist des Wasserzählers war bereits im Jahr 2013 abgelaufen, so dass es sich im Zeitpunkt des Ablesens im Mai 2018 gem. § 37 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über das Inverkehrbringen und die Bereitstellung von Messgeräten auf dem Markt, ihre Verwendung und Eichung sowie Fertigpackung (Mess- und Eichgesetz - MessEG) vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2722, 2723), zuletzt geändert durch Art. 87 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626), nicht mehr um einen geeichten Wasserzähler handelte.
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Eine Gleichstellung mit einem geeichten Wasserzähler gem. § 38 MEssEG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte ausweislich der vorgelegten Behördenakten keinen entsprechenden Eichantrag bei der dazu gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 MessEG i.V.m. § 1 Nr. 2 der Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Mess- und Eichwesens (Zuständigkeitsverordnung Mess- und Eichwesen - ZustVMessE) vom 15. April 2015 (GVBl. S. 76, BayRS 7141-1-W) zuständigen Stelle gestellt hat.
25
Zwar besteht nach Ablauf der Eichfrist eines Wasserzählers für dessen Messergebnisse kein „Beweisverwertungsverbot“ (statt vieler vgl. LG Bautzen, U.v. 30.4.2010 - 1 S 87/09 - zit. in BGH, U.v. 17.11.2010 - juris), jedoch fehlt es den abgelesenen Daten des Wasserzählers an der Richtigkeitsvermutung, die aus der durch die Eichung nachgewiesenen Einhaltung der gem. § 37 Abs. 4 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2 MessEG vorgeschriebenen technischen Anforderungen resultiert. Mithin kann nach Ablauf der Eichfrist der Nachweis eines atypisch hohen Wasserverbrauchs nicht allein mit dem Verweis auf das abgelesene Messergebnis geführt werden.
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Für eine Gebührennacherhebung wegen eines tatsächlich erhöhten Wasserverbrauchs müssen in diesem Fall weitere Umstände hinzutreten, aus denen auf die Richtigkeit der Messererbnisse des nicht mehr geeichten Wasserzählers geschlossen werden kann. So kann der Richtigkeitsnachweis beispielsweise durch eine zeitnah zur Ablesung durchgeführte Befundprüfung gem. § 39 Abs. 1 MessEG geführt werden, da diese in ihrem Umfang der Eichprüfung im Wesentlichen gleichgestellt ist. Eine solche Befundprüfung hat hier jedoch nicht stattgefunden.
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Andere Umstände, wie beispielsweise ein nachgewiesener Wasserrohrbruch, die für die Richtigkeit der durch den Wasserzähler im Mai 2018 gemessenen Wasserverbrauch sprechen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Im Gegenteil, der plausible und seitens der Beklagten nicht angezweifelte Vortrag des Klägers, das Grundstück sei seit 2013 unbewohnt und der Haupthahn abgedreht gewesen, sprechen tendenziell gegen den durch den Wasserzähler angezeigten Wasserverbrauch, so dass es an tatsächlichen Anhaltspunkten für eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Schätzung des Wasserverbrauchs fehlt.
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Eine Umkehr der Beweislast im Hinblick auf die fehlende Mitwirkung des Klägers beim Ablesen des Wasserzählers oder bei dessen Austausch nach Ablauf der Eichfrist kommt hingegen nicht in Betracht. So fehlt es nach Aktenlage schon tatsächlich am Nachweis, dass die Schreiben überhaupt an den Kläger versandt wurden. Denn es handelte sich um maschinell erstellte Serienbriefe, deren tatsächliche Versendung nicht dokumentiert wurde. Im Übrigen wäre es der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, den Kläger nochmals individuell wegen des Ablaufs der Eichfrist zu kontaktieren und den Austausch des Wasserzählers nötigenfalls zwangsweise durchzusetzen. Letztendlich hatte es die Beklagte auch in der Hand, nach dem Ausbau des Wasserzählers im Mai 2018 eine Befundprüfung zu veranlassen und damit Klarheit über die Richtigkeit des abgelesenen Wasserverbrauchs zu schaffen.
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Mithin verbleit es dabei, dass es für die verfahrensgegenständliche Gebührenänderung keine Grundlage gibt. Auf die Frage der zeitlichen Verteilung des gemessenen Wasserverbrauchs kommt es dabei nicht an.
30
Der Änderungsbescheid vom 25. September 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 2. November 2020 waren im verfahrensgegenständlichen Umfang aufzuheben.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.