VG Augsburg, Urteil v. 12.01.2021 – Au 3 K 20.834
Titel:
Nachhilfekosten und Pauschalbetrag für Vollzeit-Pflegekinder
Normenkette:
SGB VIII § 39
Leitsatz:
Für Pflegekinder in Vollzeitpflege außerhalb des Elternhauses deckt der monatliche Pauschalbetrag auch Nachhilfekosten von 15€/Monat als Bildungsbedarf ab. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pflegekind, Übernahme der Kosten für Nachhilfe, keine Gefährdung der Versetzung, Abgeltung durch Pauschalbetrag, Jugendhilfe, Vollzeitpflege, monatlicher Pauschalbetrag, Bildungsbedarf, Nachhilfe, Englisch, monatlich 15€
Fundstelle:
BeckRS 2021, 1792
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger gesamtschuldnerisch zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Übernahme der Kosten des Nachhilfeunterrichts im Fach Englisch für ihr Pflegekind vom Träger der Jugendhilfe.
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1. Die Kläger sind Pflegeeltern des am ... 2006 geborenen Pflegekindes H., das seit Geburt bei ihnen lebt. Den Klägern wurde am 11. April 2018 auch die Personensorge für H. übertragen. Ausweislich zweier „Kinder- und Jugendpsychiatrischer Empfehlungen“ des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie ... vom 19. Juli 2018 und vom 9. November 2018 ist H. von einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung und von einer Rechtschreibstörung betroffen (vgl. Bl. 14, 15 Gerichtsakte).
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Seit dem Schuljahr 2016/2017 besucht H. die ...-Realschule in ... Ausweislich des Zwischenberichtes über den Leistungsstand für die fünfte Jahrgangsstufe stand H. im Fach Englisch zum 16. Februar 2017 auf Note 4. Das Vorrücken in die nächsthöhere Jahrgangsstufe wurde für gefährdet erachtet. Daraufhin übernahm der Beklagte im Rahmen der Jugendhilfe die Kosten für Nachhilfeunterricht im Fach Englisch ab März 2017 bis einschließlich Juli 2018. Im Rahmen ihres Berichts für die Hilfeplanfortschreibung beantragten die Kläger die Fortsetzung der Kostenübernahme für die Nachhilfe. In einer Sitzung am 22. August 2018 kam das zuständige Fachgremium des Jugendamts des Beklagten zum Ergebnis, dass der Antrag auf Fortführung der Nachhilfe im Fach Englisch abgelehnt werde, da die Rechtschreibschwäche keine Begründung für Nachhilfe im Fach Englisch darstelle und angesichts einer Note von 3 im Zeugnis keine Versetzungsgefährdung bestehe. Dieses Ergebnis wurde in die Fortschreibung des Hilfeplans vom 6. September 2018 aufgenommen. Insoweit wurde dort ausgeführt, dass Leserechtschreibschwäche keine Begründung für eine unspezifische Nachhilfe in Englisch sei. Vielmehr begründe diese gegebenenfalls eine Leserechtschreibförderung oder -therapie. Außerdem bestehe angesichts einer Note von 3 im Zeugnis keine Versetzungsgefährdung. Weiter habe sich das Fachgremium an den Richtlinien für Bildungs- und Teilhabeleistungen orientiert.
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In einer Stellungnahme der Englischlehrerinnen von H. vom 15. November 2018 wird ausgeführt, nach Absprache mit der Klägerin zu 1) befürworteten sie die Fortführung der Nachhilfe. H. stehe im Fach Englisch auf Note 4; daher sei eine kontinuierliche Unterstützung im Fach Englisch erforderlich. Auch im Hinblick auf die Rechtschreibstörung sei sehr wichtig, dass H. die Rechtschreibung und Grammatikstrukturen konstant mit einer Nachhilfelehrkraft übe (Bl. 16 der Gerichtsakte). In einer fachärztlich-psychologischen Stellungnahme der Facharztpraxis ... wird H. eine Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie; ICD-10: F 81.0) diagnostiziert. Die Diagnose beruhe auf einer multiaxialen Diagnostik. Empfohlen werde nach den Vorschriften des Schulrechts eine individuelle Unterstützung durch die Schule, ein Nachteilsausgleich bezüglich der Leseleistung und ein Notenschutz bezüglich der Rechtschreibung. Auf die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von besonderen schulischen Fördermaßnahmen werde hingewiesen.
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Nachdem die Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 10. Mai 2019 erneut um Gewährung der beantragten Leistung oder rechtsmittelfähigen Bescheid nachgesucht hatten, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juni 2019 den Antrag auf Übernahme der Nachhilfekosten in Englisch ab September 2018 für das Kind H. ab. Für den Zeitraum März 2017 bis Juli 2018 seien die Kosten einer Nachhilfe im Fach Englisch übernommen worden, weil sich aufgrund des Zwischenzeugnisses im Februar 2017 ein Unterstützungsbedarf im Fach Englisch gezeigt habe. Der neuerliche Antrag ab September 2018 und damit ab der 7. Klasse sei abgelehnt worden, weil ein jugendhilferechtlicher Bedarf für diese Nachhilfe verneint worden sei. Das Leistungsniveau von H. habe sich auf einem mittleren und damit zufriedenstellenden Wert eingependelt, was auch durch das Zwischenzeugnis im Februar 2019 bestätigt werde. Die Entscheidung über die Ablehnung ab Herbst 2018 sei nach Prüfung in einem Gremium im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen worden und im Hilfeplanprotokoll mitgeteilt worden.
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Angesichts mittlerer schulischer Leistungen im Fach Englisch ohne Gefährdung der Versetzung könne die Übernahme von Nachhilfekosten nicht im Rahmen der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege erfolgen. Zwar sei die weitere Verbesserung der Noten wünschenswert, sie sei jedoch nicht Teil des jugendhilferechtlichen Auftrags. Nachhilfekosten seien nur dann ein individueller Bedarf im Rahmen der Vollzeitpflege, wenn sie die Voraussetzung für eine gelingende Schulbiografie darstellten. Als die Schule im Februar 2017 eine Versetzungsgefährdung festgestellt habe und das Leistungsniveau mit ausreichend im Fach Englisch bewertet worden sei, habe Bedarf an weitergehender Unterstützung bestanden. Nachdem sich aber die Zensuren mit dem Jahreszeugnis der 6. Klasse auf einem mittleren Niveau eingependelt gehabt hätten, sei eine Stabilisierung eingetreten, zumal das Zwischenzeugnis im Februar 2019 die gleichen Noten aufgewiesen habe. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass H. den wesentlichen Lerninhalten nicht folgen könne oder die Lernziele nicht ansatzweise erreicht würden. Nur eine solche Situation könne aber anspruchsauslösend sein. Eine Finanzierung von Nachhilfe, die auf eine weitere Verbesserung durchschnittlicher Schulnoten abziele, sei nicht Aufgabe der Jugendhilfe. Bei dem durchschnittlichen Leistungsniveau von H. sei nicht von einer problematischen Entwicklung auszugehen, die es abzuwenden gelte.
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Ein Anspruch ergebe sich auch nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche. Bei H. seien relevante, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigende Integrationsdefizite nicht feststellbar. H. sehe sich als Teil der Klassengemeinschaft, sei sozial eingebunden, zeige sich verantwortlich und pflichtbewusst, gestalte ihre Freizeit sinnvoll, gehe ihren Hobbys nach und zeige keine dissoziativen Verhaltensweisen. Es seien insoweit keine negativen Folgen ihrer Teilleistungsschwäche erkennbar. Die Schule habe mittels Nachteilsausgleich und gegebenenfalls Notenschutz für H. die Bedingungen an die Teilleistungsstörung angepasst. Weitere anspruchsauslösende Momente seien nicht erkennbar. Daher sei an der Ablehnung festzuhalten.
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2. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von ... mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2020 zurück. Der Widerspruch führe in der Sache nicht zum Erfolg. Ein Anspruch von H. auf eine jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe scheitere bereits daran, dass sie nicht dem maßgeblichen Personenkreis zugerechnet werden könne. In den vorliegenden fachlichen ärztlichen Empfehlungen werde bereits keine eindeutige Aussage dazu getroffen, ob aufgrund der diagnostizierten Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung sowie der Rechtschreibstörung die seelische Gesundheit im Sinne des Gesetzes abweiche. Denn beide Störungen seien für sich genommen noch keine seelischen Störungen, sondern lediglich Teilleistungsstörungen, die zu einer seelischen Störung führen könnten. Jedenfalls sei dadurch die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht beeinträchtigt bzw. ein solche Beeinträchtigung nicht zu erwarten. Die Feststellung, dass bei H. kein Integrationsdefizit vorliege, sei nicht zu beanstanden. Die Schwelle einer Teilhabebeeinträchtigung sei erst erreicht, wenn die seelische Störung so intensiv sei, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtige oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lasse. Dies komme etwa bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, einer totalen Schul- und Lernverweigerung, einem Rückzug aus jedem Sozialkontakt oder einer Vereinzelung in der Schule in Betracht. Bei bloßen Schulproblemen und Ängsten, die auch viele andere Kinder und Jugendliche hätten, sei dagegen nicht zwingend ein Integrationsrisiko gegeben. Weder aus der vorliegenden schulischen Stellungnahme noch aus den Zeugnissen im betroffenen Schuljahr ergäben sich Anzeichen für eine derartige Störung in den sozialen Fähigkeiten. Vielmehr werde H. als ehrgeizige und am Lernen interessierte Schülerin eingeschätzt, die den Unterricht mit kreativen Beiträgen bereichere und sich mit ihren Mitschülerinnen gut verstehe. Auch aus der fachärztlichen Stellungnahme ergebe sich nichts Anderes.
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Auch die Pflegeeltern selbst könnten aus den Vorschriften über Beihilfen und Zuschüsse für den individuellen Bedarf des Pflegekindes keinen Anspruch auf Kostenübernahme ableiten, der nicht über die laufenden Pflegegeldleistungen gedeckt sei. Das Jugendamt ... habe durch den Erlass eines Leistungskatalogs über finanzielle Leistungen in der Jugendhilfe (Beschluss des Jugendhilfeausschusses vom 19. April 2018) von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, Art und Umfang der laufenden und einmaligen Leistungen selbst zu regeln. Danach bestehe nur dann ein Anspruch auf angemessene Lernförderung, wenn diese geeignet und erforderlich sei, um die wesentlichen Lernziele zu erreichen. Diese Bestimmung sei an die sozialrechtlichen Vorschriften für die Leistungen für Bildung und Teilhabe angelehnt, sodass zu ihrer Auslegung auf die darin enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe zurückgegriffen werden könne. Demnach sei „wesentliches Lernziel“ regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau zu erreichen. Zwar setze der Anspruch auf Lernförderung keine unmittelbare Versetzungsgefährdung voraus; es genüge ein bereits im Verhältnis zu den wesentlichen Lernzielen nicht ausreichendes Leistungsniveau. Nach den schulrechtlichen Vorschriften seien die Anforderungen erfüllt, wenn die erbrachten Leistungen zwischen Notenstufe 1 und 4 lägen. Eine Stabilisierung oder Verbesserung der Leistung darüber hinaus stelle kein wesentliches Lernziel dar. H. habe das 6. Schuljahr im Fach Englisch mit der Note 3 abgeschlossen und bei der ersten Leistungserhebung in Klasse 7 die Note 4 erbracht und damit bereits das wesentliche Lernziel eines ausreichenden Leistungsniveaus erfüllt. Damit habe prognostisch davon ausgegangen werden dürfen, dass das wesentliche Lernziel, nämlich eine Versetzung in die nächste Klassenstufe auch ohne ergänzende Lernförderung erreicht werden könne.
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3. Hiergegen haben die Kläger am 15. Mai 2020 Klage erhoben. Sie beantragen,
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unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Landratsamts ... vom 14. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von ... vom 9. April 2020 den Beklagten zu verpflichten, die angefallenen Nachhilfekosten für das Pflegekind H. für die Zeit von September 2018 bis Mai 2019 in Höhe von 150,00 EUR und die entstandenen Nachhilfekosten in Höhe von 62,50 EUR für die Zeit von September 2019 bis Januar 2020 zu bezahlen.
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Bereits im August 2018 hätten die Kläger die Fortführung der Nachhilfe für H. schriftlich beantragt. Im Hilfeplangespräch mit der zuständigen Fachkraft hätten sie weiter auf die Wichtigkeit der Fortführung der Nachhilfe hingewiesen. Die Kostenübernahme für die Nachhilfe sei abgelehnt worden, obwohl Stellungnahmen der beiden Lehrerinnen im Fach Englisch sowie der Facharztpraxis ... eingereicht worden seien. Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Die Pflicht zur Übernahme der Kosten der Nachhilfe ergebe sich aus dem Beschluss des Jugendhilfeausschusses vom 19. April 2018. Dort werde u.a. ausgeführt, dass „Lernförderung (Nachhilfe) eine Unterstützungsmaßnahme im schulischen Bereich für das Pflegekind sei, die durch Personen geleistet werde, die nicht mit Mitglieder der Pflegefamilie seien. Die Lernförderung sei von einer fachlich kompetenten Person zu leisten. Der schulische Unterstützungsbedarf des Pflegekindes sei durch die Schule/Lehrer zu bestätigen. […] Ein Anspruch auf angemessene Lernförderung bestehe dann, wenn sie geeignet und erforderlich sei, um wesentliche Lernziele zu erreichen.“ Was die wesentlichen Lernziele seien, hängen im Einzelfall von der Schulform und der Klassenstufe (vorlegend: 7. Jahrgangsstufe der Realschule) ab. Zur Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls gehöre auch die Auseinandersetzung mit den fachärztlichen Diagnosen ADHS und Leserechtschreibschwäche bei guter durchschnittlicher Intelligenz. Zudem sei die Problematik der Fremdunterbringung als Pflegekind gegenwärtig und müsse eine Rolle spielen. Da die Lehrerinnen den Fortgang der Nachhilfe für erforderlich hielten, erscheine es im Sinne einer guten Zusammenarbeit der Pflegeeltern mit der Schule angezeigt, dem Erfordernis einer angemessenen Lernförderung Rechnung zu tragen. Die Lehrer hätten auch die bis dahin diagnostizierte Rechtschreibschwäche im Blick gehabt, wobei am 10. April 2019 eine Lese- und Rechtschreibstörung festgestellt worden sei. Die Kläger hätten das Jugendamt auch darauf hingewiesen, dass es erforderlich sei, die Nachhilfe im Fach Englisch „auszulagern“ um die gute Beziehung zum Kind, die für das Pflegeverhältnis wesentlich sei, zu wahren. Die Geeignetheit ergebe sich auch aus der mit der Lernförderung in den Klassenstufen 5 und 6 der Realschule erreichten Note im Fach Englisch. Wenn im Widerspruchsbescheid argumentiert werde, eine Pflicht zur Kostenübernahme bestehe erst dann, wenn wesentliche Lernziele nicht erreicht würden, verkenne dies, dass die Lernziele im jeweiligen Lehrplan festgelegt würden. Ob die Lernziele, die das Kind dann erreiche „wesentlich“ seien oder nicht, könne nicht an einer Einzelnote festgemacht werden. Spätestens mit der Gesetzesänderung vom 1. August 2019 sei die Versetzungsgefährdung als Voraussetzung hinfällig geworden. Wenn die Verwaltung die Kostenübernahme unter Verweis auf die wesentlichen Lernziele vermeide, verschließe sie sich der Einschätzung von Lehrerinnen, Pflegeeltern und Facharzt. Angesichts der Komplexität der Bewertung schulischer Leistungen müsse die fachkundige Beurteilung der Lehrerin besondere Bedeutung haben. Die Realschule habe den Auftrag, eine breite allgemeine und berufsvorbereitende Bildung zu vermitteln. Hierzu gehörten auch Fertigkeiten im Lesen und im Schreiben, insbesondere auch in der Fremdsprache Englisch. Damit werde gewährleistet, dass der Schüler die Bildung erlerne, die er für seinen künftigen Berufsweg benötige. Zwar lasse sich eine Lese- und Rechtschreibstörung nicht beheben. Durch den Nachhilfeunterricht habe das Pflegekind aber die Möglichkeit, den neuen Stoff mit der Nachhilfelehrerin aufzuarbeiten, um so keine oder zumindest weniger Lücken aufzubauen. Aufgrund der Lese- und Rechtschreibstörung sei es für H. besonders schwer eine Fremdsprache zu erlernen. Im Fach Deutsch biete die Schule Förderunterricht an, der von H. regelmäßig besucht werde. Für das Fach Englisch gebe es an der Schule keinen ergänzenden Förderunterricht. Deshalb sei unterstützende und begleitende Nachhilfe gerade in der Fremdsprache erforderlich. Sie ziele darauf ab, trotz Leserechtschreibschwäche mit den Anforderungen des Lehrplanes mithalten zu können. Da das Fach Englisch auf bereits erworbenes Wissen aufbaue, dürften hier keine Lücken entstehen, die sich nicht mehr schließen lassen und damit den Schulerfolg insgesamt in Frage stellen würden. Das Abstellen auf eine Versetzungsgefährdung sei im vorliegenden Fall nicht angezeigt, weil Lücken in dem Fach Englisch unter den gegebenen Umständen nicht mehr aufgeholt werden könnten.
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Soweit argumentiert werde, die Auslegung der Begriffe in den Richtlinien für die einmaligen Beihilfen und Zuschüsse für Kinder und Jugendliche in Vollzeitpflege des Beklagten müsse sich an den sozialhilferechtlichen Begriffen anlehnen, führe auch dies zum Kostenerstattungsanspruch. Denn nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei Nachhilfeunterricht geeignet, wenn er dazu führe, dass sich die Leistungen stabilisierten oder gar verbesserten. Gerade im Fach Englisch, wo auf bereits Gelerntes aufgebaut werde und in höheren Jahrgangsstufen erweiterte Kompetenzen im Textverständnis und im Verfassen eigener Texte erforderlich seien, führe die kontinuierliche Förderung und Nachhilfe zur Stabilisierung.
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4. Für den Beklagten ist beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Klage sei nicht begründet. Im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung der Hilfemaßnahmen sei ab 1. Februar 2020 erneut die Kostenübernahme für Nachhilfe befürwortet worden, da die Noten im Zwischenzeugnis für das Schuljahr 2019/2020 eine gravierende Leistungsverschlechterung mit Versetzungsgefährdung offengelegt hätten.
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Streitgegenständlich sei daher der Zeitraum September 2018 bis Januar 2020. Für diesen Zeitraum sei ein Anspruch nicht gegeben. Die Voraussetzungen im Rahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche sei nicht erfüllt. Insofern werde auf den Ablehnungsbescheid und den Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Die fachärztliche Stellungnahme vom 19. April 2019 entspreche nicht den Anforderungen an ein Gutachten, weil vier Achsen im multiaxialen Klassifikationsschema fehlten.
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Ein Anspruch habe sich auch nicht im Rahmen der gewährten Hilfe zur Erziehung ergeben. Die Verbesserung schulischer Leistungen löse allein keinen Jugendhilfebedarf aus. Die Jugendhilfe sehe sich in der Pflicht zu unterstützen, wenn wesentliche Lernziele nicht erreicht würden und dies anhand der Zensuren im Zeugnis belegt werde. Dies könne durch Kostenübernahme für Nachhilfe erfolgen, wenn Brüche der Schullaufbahn zu erwarten seien. Die Versetzungsgefährdung sei ein derartiges Moment. Pflegeeltern hätten auch Zeiträume zu akzeptieren und hinzunehmen, in denen schulische Leistungen abfallen würden und dies Konflikte zwischen Beteiligten nach sich ziehe. Eine Grenze sei dann erreicht, wenn das Klassenziel nicht erreicht werde. Dies sei der Zeitpunkt, an dem die Jugendhilfe tätig werde, jedoch nicht schon im Vorfeld. Daher habe das Jugendamt für die begehrten Zeiträume keinen Hilfebedarf gesehen und die Übernahme der Nachhilfekosten abgelehnt.
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Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Verwaltungsakten und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Übernahme der Nachhilfekosten für ihr Pflegekind H. für den Zeitraum von September 2018 bis einschließlich Januar 2020 durch den Beklagten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
I.
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Die Klage ist zulässig. Die Kläger machen geltend, einen Anspruch auf Übernahme der Nachhilfekosten als Leistungen zum Unterhalt im Sinne des § 39 SGB VIII zu haben. Zur Geltendmachung eines solchen Anspruchs sind sie als Pflegeeltern, die auch Personensorgeberechtigte sind, selbst befugt.
II.
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Die Klage ist unbegründet. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich aus § 39 SGB VIII nicht.
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1. Wird - wie vorliegend für das Pflegekind der Kläger - Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII gewährt, so ist vom Träger der Jugendhilfe gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Er umfasst nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen. Die Vorschrift des § 39 SGB VIII unterscheidet dabei zwischen laufenden Leistungen im Sinne des § 39 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB VIII und einmaligen Beihilfen oder Zuschüssen nach § 39 Abs. 3 SGB VIII. Nach § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII soll der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf durch laufende Leistungen gedeckt werden. Die Regelmäßigkeit ist dann gegeben, wenn der Bedarf periodisch auftritt, wobei er nicht etwa in jedem Monat auftreten muss (Tammen in Münder/Meysen/Trenczek, SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 9). Nach § 39 Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB VIII sollen die laufenden Leistungen auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalls abweichende Leistungen geboten sind. Da alle regelmäßig wiederkehrenden Bedarfstatbestände durch laufende Leistungen abgedeckt werden, sind einmalige Leistungen im Sinne des § 39 Abs. 3 SGB VIII die Ausnahme (Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 39 Rn. 25). Einmalige Leistungen beziehen sich nämlich auf nicht wiederkehrende Bedarfstatbestände. In Zweifelsfällen ist davon auszugehen, dass der entsprechende Bedarf zu den laufenden Leistungen zählt (Tammen in Münder/Meysen/Trenczek, SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 15).
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Die Kläger erhielten im streitgegenständlichen Zeitraum Pflegegeld als laufende Leistung in Form einer Pauschale in Höhe von zunächst 1.048,- EUR bzw. seit dem 1. Juli 2019 in Höhe von 1.348,- EUR. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Erstattung der Nachhilfekosten für das Fach Englisch im streitgegenständlichen Zeitraum ergibt sich weder aus § 39 Abs. 3 SGB VIII (2.) noch im Rahmen einer vom monatlichen Pauschalbetrag abweichenden Leistung im Sinne des § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII (3.).
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2. Ein Anspruch auf Erstattung der Nachhilfekosten für das Fach Englisch ergibt sich nicht aus § 39 Abs. 3 SGB VIII.
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Die Vorschrift stellt die Gewährung einmaliger Beihilfen oder Zuschüsse in das Ermessen des Jugendhilfeträgers. Diese einmaligen Leistungen decken Bedarfstatbestände ab, die nur einmal entstehen. (Stähr in Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand 9/19, § 39 Rn. 18). Dieses Verständnis wird von den in der Vorschrift beispielhaft genannten Zwecken der einmaligen Beihilfen und Zuschüsse bestätigt, die sämtlich einmalige Sonderbedarfe benennen. Bei dem geltend gemachten Nachhilfeunterricht für fast eineinhalb Jahre handelt es sich offensichtlich nicht um einen einmaligen Bedarfstatbestand, sondern vielmehr um einen, der kontinuierlich in dem geltend gemachten Zeitraum Kosten für die wiederholt anfallenden Nachhilfestunden verursacht hat. Ob dies bei punktuell in Anspruch genommener Nachhilfe zum Bestehen einer einzelnen Prüfung möglicherweise anders zu sehen wäre, kann hier offen bleiben, da die in Anspruch genommene Nachhilfe nach dem eigenen Vortrag der Kläger gerade nicht solcher Art war, sondern vielmehr auf die langfristige Stabilisierung des Leistungsniveaus des Pflegekinds im Fach Englisch abzielte.
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Soweit in der Literatur und Rechtsprechung Kosten für Nachhilfeunterricht teilweise den einmaligen Beihilfen und Zuschüssen im Sinne des § 39 Abs. 3 SGB VIII zugeordnet werden (Stähr in Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand 9/19, § 39 Rn. 18; Fischer in Schellhorn/Fischer/Mann SGB VIII, 3. Auflage 2007, Rn. 8; nicht ganz eindeutig OVG Lüneburg, U.v. 28.7.1993 - 4 L 4683/92 - juris Rn. 32, 34), schließt sich die Kammer dem ausdrücklich nicht an. Insofern folgt die Kammer nicht der zugrundeliegenden Prämisse, zu den einmaligen Leistungen zählten auch Bedarfstatbestände, die im Vorhinein in ihrem Umfang nicht berechenbar sind. Denn einem solchen Verständnis steht schon der eindeutige Wortlaut des § 39 Abs. 3 SGB VIII entgegen, wonach diese Vorschrift nur einmalige Beihilfen oder Zuschüsse umfasst, was aber hier gerade nicht der Fall ist. Die Kosten für Nachhilfeunterricht sind auch nicht etwa deshalb aus systematischen Gründen den einmaligen Leistungen nach § 39 Abs. 3 SGB VIII zuzuordnen, weil sie nicht oder jedenfalls nicht in jedem Fall als durch den Pauschalbetrag nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII abgegolten angesehen werden könnten, (so OVG Lüneburg, U.v. 28.7.1993 - 4 L 4683/92 - juris Rn. 32; VG Göttingen, U.v. 24.2.2005 - 2 A 424/03 - juris Rn. 25). Denn wie sich aus § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII ausdrücklich ergibt, können auch im Rahmen der laufenden Leistungen nach den Besonderheiten des Einzelfalls von der Gewährung eines Pauschalbetrags abweichende Leistungen möglich und geboten sein. Handelt es sich bei den anfallenden Kosten für Nachhilfeunterricht daher wie im vorliegenden Fall nicht um einmalige, sondern regelmäßig wiederkehrende Bedarfstatbestände, kommt deren Erstattung daher nicht nach § 39 Abs. 3 SGB VIII in Betracht. Vielmehr ist in diesen Fällen zu prüfen, ob die hierfür anfallenden Kosten durch den monatlichen Pauschalbetrag bereits abgegolten sind, oder ob es sich um solche Bedarfe handelt, die wegen der Besonderheit des Einzelfalls zusätzlich zum monatlichen Pauschalbetrag zu gewähren sind.
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3. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Nachhilfeunterrichts für ihr Pflegekind im Fach Englisch im Rahmen einer vom monatlichen Pauschalbetrag abweichenden Leistung nach § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII.
29
Die nach § 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII zu gewährenden laufenden Leistungen sollen den gesamten regelmäßig wiederkehrenden Bedarf des Pflegekindes abdecken. Hierzu zählt grundsätzlich auch Bildungsbedarf (Tammen in Münder/Meysen/ Trenczek, SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 10). Soweit davon ausgegangen wird, dass Nachhilfeunterricht deshalb nicht den regelmäßig wiederkehrenden Bedarfen zugeordnet werden könne, weil er nur in besonderen Einzelfällen notwendig sei und daher nicht bei vielen Hilfeempfängern gleichermaßen bestehe (so wohl OVG Lüneburg, U.v. 28.7.1993 - 4 L 4683/92 - juris Rn. 32), folgt die Kammer dem nicht. Dieser Aspekt betrifft nicht die Anwendbarkeit von § 39 Abs. 2 und 4 SGB VIII, sondern lediglich diejenige von § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII. Es geht hierbei um die Frage, ob die Aufwendungen für Nachhilfeunterricht bereits durch den monatlichen Pauschalbetrag, durch den die laufenden Leistungen gewährt werden, abgegolten sind oder ob es sich insoweit um eine neben dem Pauschalbetrag zu gewährende Leistung handelt. Nach der Regelung des § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII stellt der monatliche Pauschalbetrag den Regelfall dar. Davon abweichende - ergänzende - Leistungen sind demgegenüber nach dem ausdrücklichen Wortlaut nur in besonderen Einzelfällen geboten. Nachhilfeunterricht wird jedoch von vielen Schülern in Anspruch genommen, so dass er im Allgemeinen nicht unter § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII subsumiert werden kann. Eine Besonderheit des Einzelfalls in diesem Sinne kann sich allerdings in quantitativer und/oder qualitativer Hinsicht aus den Umständen des Falls ergeben.
30
Hier liegen solche besonderen Umstände weder in quantitativer noch qualitativer Hinsicht vor. Denn zum einen stellen die tatsächlich angefallenen Kosten von monatlich durchschnittlich ca. 15 EUR keinen Betrag dar, von dem anzunehmen wäre, dass er nicht schon mit der Pauschale in Höhe von zunächst 1.048 EUR bzw. später 1.348 EUR abgeholten sein soll. Es handelt sich lediglich um einen kleinen Bruchteil der pauschal gewährten Leistung, sodass davon auszugehen ist, dass dieser Betrag auch unter Berücksichtigung der übrigen anfallenden Kosten gut aus der Pauschale zu bestreiten ist (zu ähnlich geringfügigen Beträgen für Vereinsmitgliedschaften VG Göttingen, U.v. 24.2.2005 - 2 A 424/03 - juris Rn. 25). Aber auch in qualitativer Hinsicht bestehen keine Besonderheiten, die für die Übernahme der Nachhilfekosten neben dem Pauschalbetrag sprechen könnten. Entscheidend für das Vorliegen einer Besonderheit im Einzelfall ist, ob der spezifische Bedarf des Kindes oder Jugendlichen erhöht ist (Tammen in Münder/Meysen/Trenczek, SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 39 Rn. 20). Dies ist im Hinblick auf Nachhilfeunterricht dann anzunehmen, wenn der Nachhilfeunterricht im Einzelfall erforderlich ist, weil das schulische Weiterkommen - d.h. entweder das Erreichen des Klassenziels oder eines möglichen höherwertigen Schulabschlusses - ohne diese Hilfe ernsthaft gefährdet wäre (OVG Lüneburg, U.v. 28.7.1993 - 4 L 4683/92 - juris Rn. 27). Diese Voraussetzungen lagen im Fall des Pflegekindes der Kläger nicht vor. Nach den vorgelegten Zeugnissen war im streitgegenständlichen Zeitraum die Versetzung der Schülerin nicht wegen ihrer Leistungen im Fach Englisch gefährdet. Vielmehr erzielte sie während der gesamten Zeit im Fach Englisch befriedigende (Note 3) Leistungen (vgl. Jahreszeugnis 2018, Zwischenbericht 2019, Jahreszeugnis 2019, Zwischenbericht 2020). Eine Gefährdung der Versetzung zeigt auch die Stellungnahme der Lehrerinnen des Pflegekindes vom 15. November 2019 nicht. Dass diese ohne Vorliegen einer Versetzungsgefährdung eine kontinuierliche Unterstützung befürworten, genügt nicht, um einen Anspruch auf Übernahme der Nachhilfekosten zu begründen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten ärztlichen Äußerungen, insbesondere der fachärztlich-psychologischen Stellungnahme vom 10. April 2019 mit der Diagnose einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie). Denn darin werden lediglich verschiedene schulische Maßnahmen, insbesondere Notenschutz und Nachteilsausgleich empfohlen, die dem Pflegekind seitens der Schule auch gewährt wurden.
III.
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Der Ausspruch über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.
IV.
32
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtsache im Hinblick auf die Klärung der Frage, ob Nachhilfekosten den einmaligen Beihilfen und Zuschüssen im Sinne des § 39 Abs. 3 SGB VIII zuzuordnen sind oder ob ihre Gewährung allenfalls im Rahmen von § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII in Frage kommt, grundsätzliche Bedeutung aufweist.