VG München, Gerichtsbescheid v. 02.03.2021 – M 9 K 20.3526
Titel:

Kein Anspruch auf Familiennachzug zu deutscher Staatsangehörigen bei Handschuhehe

Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2 Alt.1, § 25 Abs. 5, § 28 Abs. 1 S. 1
VwGO § 75 S. 1
Leitsätze:
1. Bei einer Eheschließung in Abwesenheit beider Partner im Ausland gegen Zahlung eines Brautgeldes steht nicht fest, dass eine nach deutschem Recht wirksame Ehe geschlossen wurde. In diesem Fall ist nicht offenkundig, dass ein Anspruch nach § 28 Abs. 1 S. 1 AufenthG besteht, sodass die Voraussetzungen für ein Absehen von dem Visumserfordernis nach § 5 Abs. 2 S. 2 Alt.1 AufenthG nicht vorliegen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer umfangreicheren Korrespondenz zur Vorlage gültiger Papiere aufgefordert und einem Verweis auf das Visumsverfahren fehlt es an einer Untätigkeit iSd § 75 S. 1 VwGO. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Visumspflicht, Fehlender Pass, Handschuhehe, Familiennachzug, Eheschließung, Stellvertreterehe, Brautgeld, Visumsverfahren, Untätigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 17255

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger und begehrt mit seiner Klage eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner am ... November … geborenen Tochter, die deutsche Staatsangehörige ist.
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Der Kläger reiste ursprünglich am 16. Februar 2007 zu Studienzwecken in das Bundesgebiet ein, heiratete am 11. Februar 2009 eine marokkanische Staatsangehörige, Frau F. A., wurde am 30. September 2013 aufgrund endgültig nicht bestandener Prüfung exmatrikuliert und mit Bescheid vom 20. November 2013 unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert. Nachdem die Anträge im Gerichtsverfahren zurückgenommen worden waren wurde die Ausreisepflicht des Klägers bis zum Ergebnis des Gerichtsverfahrens seiner damaligen Ehefrau zurückgestellt. In der Folgezeit wurden die Grenzübertrittsbescheinigungen verlängert. Die damalige Ehefrau des Klägers legte am 15. März 2016 ein Flugticket für Beide vor und nahm bei dieser Vorsprache den Bescheid vom 15. März 2016 über die Anordnung eines einjährigen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 6 AufenthG gegen Unterschrift entgegen. Das Ehepaar ist nicht ausgereist. In der Folgezeit haben sowohl der Kläger, als auch seine damalige Ehefrau, sich weiter im Bundesgebiet um Aufenthaltstitel bemüht und eine Reihe von Klagen und Eilanträgen beim Verwaltungsgericht München gestellt, die erfolglos blieben. Die Ehe wurde geschieden.
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Der Bescheid vom 15. März 2016 über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für ein Jahr wurde bestandskräftig. Eine Ausreise des Klägers aus dem Schengenraum ist nach Aktenlage nicht erfolgt.
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Nach Aktenlage hat der Kläger zwischenzeitlich in Italien gewohnt und dort ein Asylverfahren durchgeführt. Seine damalige Ehefrau Fatima A. hat im Mai 2016 das Bundesgebiet verlassen (Blatt 534ff Behördenakte). Der Kläger hat nach Angaben seines Bevollmächtigten außerdem durch seinen Bevollmächtigten am 13. Dezember 2019 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Antrag auf politisches Asyl gemäß Artikel 16a Abs. 1 GG gestellt (Blatt 579 Behördenakte) und diesen - soweit aus einem früheren Verfahren bekannt - wieder zurückgenommen.
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Mittlerweile hat der Kläger in Marokko eine Stellvertreterehe mit der deutschen Staatsangehörigen I. L. geschlossen. Ausweislich der von seinem Bevollmächtigten vorgelegten Unterlagen über die Eheschließung wurde diese am 2. Mai 2017 in Marokko in Abwesenheit beider Eheleute durch deren Väter unter Vereinbarung einer Zahlung von 10.000 € als Brautgeld, das vorher dem Vater der Ehefrau bezahlt wurde, geschlossen. Aus dem Dokument ergibt sich, dass dabei eine marokkanische Adresse angegeben und ein marokkanischer Pass der Ehefrau vorgelegt wurde.
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Aktuell verfügt der Kläger nicht über gültige Personalpapiere, sondern lediglich einen abgelaufenen marokkanischen Reisepass sowie einen abgelaufenen italienischen Aufenthaltstitel (Blatt 629 Behördenakte). Eine Registrierung bei der deutschen Botschaft für einen Termin zur Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung wegen Eheschließung wurde im Juli 2019 durch den Kläger vorgenommen (Blatt 659 Behördenakte).
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Mit Schreiben vom 21. Februar 2020 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers beim Landratsamt München die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung zu der am 5. November 2019 geborenen gemeinsamen Tochter, die deutsche Staatsangehörige ist. Das Verfahren wurde gemäß Artikel 3 Abs. 3 BayVwVfG an die Antragsgegnerin abgegeben.
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Der Kläger hat am 27. August 2020 eine Duldung erhalten, die wegen fehlendem gültigen Pass verlängert wurde, zuletzt bis 26.Februar 2021.
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Mit Schriftsatz vom 3. August 2020 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Untätigkeitsklage gemäß § 75 Abs. 2 VwGO auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und beantragte,
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Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis
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zu erteilen.
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Hilfsweise: den Antrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung
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des Gerichts zu bescheiden.
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Bereits am 20. Februar 2020 sei ein Antrag nach § 28 Abs. 1 Ziffer 2 AufenthG zur Familienzusammenführung gestellt worden. Der Kläger und das Kind und die Mutter lebten zusammen. Die Tochter werde durch den Antragsteller gemeinsam mit der Mutter betreut und versorgt. Dass Sorgerecht werde ebenfalls gemeinsam ausgeübt. Durch die Geburt eines deutschen Kindes sei die Sperrwirkung der Ausweisung entfallen. Straftaten lägen nicht vor. Der Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts und der Sprachkenntnisse sei bei Familiennachzug nicht erforderlich. Die Verpflichtung zur Visastellung in Marokko mit Ausreise und Abwarten einer Möglichkeit der Wiedereinreise führe zu einer überlangen Abwesenheit zum Schaden des Kindes. Die Wartezeit bei der deutschen Botschaft betrage auch ohne Corona 11 - 12 Monate. Dem Antragsteller stehe zumindest ein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu und das Gericht dürfe aus prozessökonomischen Gründen diesbezüglich durchentscheiden. Die Beklagte habe über den Antrag nicht entschieden und die aufschiebende Wirkung sei anzuordnen, da der Bescheid vom 15. März 2016 nicht vollzogen werden dürfe. § 84 Abs. 1 AufenthG beziehe sich ausdrücklich nicht auf eine Ausreiseaufforderung.
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Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 1. Oktober 2020:
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Klageabweisung
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Aktuell gelte der Bescheid vom 15. März 2016 mit der Sperrwirkung des Wiedereinreise - und Aufenthaltsverbot von einem Jahr, da der Kläger den Schengen-Raum nicht verlassen habe. Der Kläger habe keinen gültigen Pass. Von der Visumspflicht werde nach dieser Sachlage nicht abgesehen.
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Die Beteiligten wurde zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte sowie die Akten in den bisherigen Gerichtsverfahren im Ausländerrecht und auf den Beschluss und die Akten im Eilverfahren M 9 S 20.3527 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, § 84 VwGO.
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Ebenso wie in der Vielzahl der früheren Verfahren fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis. Aktuell hat der Kläger keinen gültigen Pass, § 5 Abs. 1 Nr.4 AufenthG. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, warum davon abgesehen werden sollte, dass der Kläger seine Passpflicht nach § 3 AufenthG erfüllt. Der Kläger ist außerdem nicht im Besitz des erforderlichen Visums zum Familiennachzug, § 5 Abs. 2 S.1 Nr. 1 AufenthG, da er sich im Bundesgebiet ohne Aufenthaltserlaubnis aufhält, aus Italien wieder einreiste und sein einziges vor vielen Jahren erteiltes Visum Studienzwecke betraf.
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Vorliegend ist auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Familiennachzug zu Ehefrau und Tochter gemäß § 28 AufenthG vorliegen, § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt.1 AufenthG, aufgrund dessen von der Nachholung des Visumsverfahrens abgesehen werden kann. Bereits tatbestandlich liegt diese Voraussetzung nicht vor, da kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG besteht. Unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen über eine Heirat in Abwesenheit der Beteiligten gegen Bezahlung eines Brautgeldes von 10.000,- € an den Vater sind die Voraussetzungen für eine im Bundesgebiet gültige, wirksame Ehe nicht dargelegt. In der Heiratsurkunde ist zwar der Name korrekt bezeichnet, jedoch als Wohnort eine Adresse in Marokko und als Identitätsnachweis ein marokkanischer Pass angegeben. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass das Zustandekommen der Ehe von einer erheblichen Geldsumme abhängig gemacht wurde, bedarf es diesbezüglich einer Überprüfung, ob der Kläger eine nach deutschem Recht wirksame Ehe geschlossen hat, da beide Partner nicht anwesend waren. Demzufolge ist aktuell auch offen, ob der Kläger tatsächlich Elternteil eines minderjährigen Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit ist, der zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis beanspruchen kann. Wenn keine wirksame Ehe vorliegt gilt für ihn nicht die gesetzliche Vermutung der Vaterschaft. Ein Abstammungsnachweis, der nach Auffassung der Kammer regelmäßig nur durch einen Vaterschaftstest zuverlässig geführt werden kann, liegt nicht vor. Nach Aktenlage hat der Kläger auch die Vaterschaft nicht anerkannt. Eine gemeinsame Sorgerechtserklärung ist ebenfalls nicht aktenkundig. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht offenkundig, dass ein Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besteht. Es ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte zur Prüfung im Einzelnen auf die Durchführung des dafür vorgesehenen Visumsverfahrens besteht. Ungeachtet dessen wird darauf hingewiesen, dass ein Anspruch nur angenommen werden kann, wenn die sonstigen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen und hier bereits ein gültiger Pass fehlt.
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Sonstige Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels sind nicht erkennbar, insbesondere liegen die Voraussetzungen für einen Aufenthalt aus humanitären Gründen nicht vor. Die Tatsache, dass der Pass des Klägers ungültig ist und deshalb einer Ausreise oder Abschiebung nach Marokko entgegensteht, führt nicht zu einem Aufenthalt aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Auf § 25 Abs. 5 Satz 3 und Satz 4 AufenthG wird verwiesen, wonach vorliegend durch den Kläger schuldhaft zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses nicht erfüllt werden.
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Soweit der Bevollmächtigte des Klägers vorträgt, die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage lägen vor und eine Durchentscheidung des Gerichts sei geboten, trifft beides nicht zu. Zum einen blieb nach Aktenlage die Antragsgegnerin nicht untätig, sondern hat den Kläger in einer umfangreicheren Korrespondenz zur Vorlage gültiger Papiere aufgefordert und auf das Visumsverfahren verwiesen; der Bevollmächtigte hat selber mitgeteilt, dass der Kläger bereits bei der Botschaft registriert sei. Es ist keine Untätigkeit, wenn mit dem Bevollmächtigten rechtlich mögliche Verfahren erörtert werden. Es fehlt deshalb bereits an der Voraussetzung, dass über den Antrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden wurde, § 75 Satz 1 VwGO. Ungeachtet der Sperrwirkung der Ausweisung und des fehlenden Passes geht die Annahme fehl, dass nach dieser Sach- und Rechtslage die Voraussetzungen für eine Durchentscheidung durch das Gericht nur ansatzweise vorliegen könnten.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708ff ZPO.