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OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 17.05.2021 – 13 U 365/21
Titel:

Klage unmittelbar auf Werklohnzahlung bei Abnahmereife möglich

Normenkette:
BGB § 631 Abs. 1, § 640 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Im Falle der Abnahmereife kann unmittelbar auf Zahlung des Werklohns geklagt werden, wenn der Werkbesteller die Abnahme zu Unrecht verweigert; im Zahlungsantrag liegt ein konkludentes Abnahmeverlangen. (Rn. 9)
Schlagworte:
Werklohnklage, Vergütung, Fälligkeit, Abnahme, Abnahmereife, verweigert, konkuldent, Abnahmeverlangen
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 18.12.2020 – 1 O 6623/19
Fundstellen:
MDR 2021, 1060
BauR 2022, 782
BeckRS 2021, 16207
NZBau 2021, 539
LSK 2021, 16207
NJW-RR 2021, 948

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. Dezember 2020, Az. 1 O 6623/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf den geltend gemachte Restwerklohn zutreffend bejaht.
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1. Die Beklagte hat weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen des Landgerichts begründen würden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist daher von dem im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung, noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die erstinstanzliche Entscheidung beruhen würde (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Berufung in erster Linie der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung dient und das Berufungsgericht daher an die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist. Eine neue Tatsachenfeststellung ist nur als Ausnahme vorgesehen, soweit in erster Instanz die Feststellungen nicht vollständig und nicht überzeugend getroffen worden sind (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Beweiswürdigung ist generell Aufgabe des erstinstanzlichen Tatrichters. Allerdings können sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen ergeben (BGH, Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03 -, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 - VIII ZR 214/15 - Rn.16, juris). Hat sich das Erstgericht mit den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt - ist die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze - und ist auch das Berufungsgericht von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung überzeugt, so sind die Feststellungen bindend. Eine Partei kann dann nicht in zulässiger Weise ihre eigene Würdigung an die Stelle derjenigen des Erstgerichts setzen.
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Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Soweit das Beweismaß betroffen ist, hat der Tatrichter ohne Bindung an Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Jedoch setzt das Gesetz keine von allen Zweifeln freie Überzeugung voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2015 - VIII ZR 161/14 - Rn. 11, juris).
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2. Das Landgericht hat sich aufgrund der Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin und Auswertung der vorgelegten Anlagen hinsichtlich der vorgerichtlichen Korrespondenz nachvollziehbar die Überzeugung gebildet, dass die Klägerin die elektrische Einbindung der gelieferten und montierten Komponente nicht schuldete. Der Senat teilt diese Überzeugung.
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Diese Feststellungen werden von der Beklagten mit der Berufung auch nicht angegriffen. Die Beklagte führt in der Berufungsschrift lediglich aus, dass der Werklohn mangels Abnahme nicht fällig sei, die Beklagte verweigere die Abnahme zu Recht. Der Auftrag der Beklagten habe darin bestanden, im Ergebnis eine funktionsfähige automatische Gasfackel zu erhalten. Voraussetzung hierfür sei eine EDVmäßige Einbindung, die bis heute fehle. Auf die detaillierte, schlüssige und nachvollziehbare Begründung des Landgerichts, dass keine elektrische Einbindung geschuldet war, geht die Beklagte nicht ein.
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3. Entgegen der Annahme der Beklagten konnte die Klägerin mit der Begründung, sie habe ihre Werkleistung frei von (wesentlichen) Mängeln erbracht, auch direkt auf Werklohnzahlung klagen.
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a) Zwar liegt eine Abnahme nicht vor, weder eine förmliche Abnahme im Sinne des § 640 Abs. 1 BGB noch eine fiktive gemäß § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB; für letztere fehlt es an der erforderlichen Fristsetzung seitens der Klägerin.
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b) Im Falle der Abnahmereife kann aber unmittelbar auf Zahlung des Werklohns geklagt werden, wenn der Werkbesteller die Abnahme zu Unrecht verweigert; im Zahlungsantrag liegt ein konkludentes Abnahmeverlangen. Hierüber bestand in Rechtsprechung und Literatur vor Einführung des § 640 Abs. 1 S. 3 BGB a. F. (fiktive Abnahme) mit Wirkung vom 1. Mai 2000 Einigkeit (BGH, Urteil vom 10. Juni 1999 - VII ZR 170/98 -, Rn. 22, juris; Urteil vom 18. Dezember 1980 - VII ZR 43/80 -, Rn. 23, juris).
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aa) Wie das Landgericht sieht auch der Senat keinen Anlass, von dieser Auffassung abzurücken. Der Unternehmer kann bei Abnahmereife der erbrachten Werkleistung auch dann direkt auf Werklohnzahlung klagen, ohne zuvor gerichtlich Abnahme erstritten zu haben, wenn er dem Besteller zuvor keine Frist zur Abnahme gesetzt hat, der Besteller jedoch unter Benennung von Mängeln die Abnahme vorläufig (unberechtigt) verweigert. Mit der ergänzenden Regelung der fiktiven Abnahme hat der Gesetzgeber lediglich eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen, mit der der Werkunternehmer eine Abnahme herbeiführen kann, die dann sämtliche Abnahmewirkungen hat, also nicht nur Fälligkeitsfragen betrifft, sondern auch den Übergang der Beweislast für Mängel sowie den Beginn der Verjährung von Gewährleistungsansprüchen. Die Schaffung dieser Regelung in § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a. F. mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen hat eine Verbesserung der Stellung von Zahlungsgläubigern verfolgt. Dieser Gesetzeszweck ergibt sich schon aus dem Namen des Gesetzes sowie aus der Beschreibung von „Problem“ und „Lösung“, die sowohl dem Gesetzentwurf vom 23. Juni 1999 als auch der Beschlussempfehlung nebst Bericht des Rechtsausschusses vom 21. Februar 2000 vorangestellt war. Damit wäre die Annahme unvereinbar, dass der Auftragnehmer nunmehr den Weg über den Versuch der Herbeiführung einer fiktiven Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a. F. bzw. - seit 1. Januar 2018 - über § 640 Abs. 2 BGB nehmen müsse. Vielmehr sprechen die Gesetzesmaterialien gegen eine Absicht des Gesetzgebers, an der bereits damals bekannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Werklohnklage bei unberechtigter vorläufiger Abnahmeverweigerung etwas zu ändern (Weyer NZBau 2014, 421 [422], m. w. N.). Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des Instituts der fiktiven Abnahme die Rechtsstellung des Unternehmers verbessern, ihm aber keine bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten abschneiden (MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., BGB § 640 Rn. 49). Die Regelung zur zusätzlichen Möglichkeit einer fiktiven Abnahme kann also vernünftigerweise nicht dazu führen, den bisher bestehenden direkten Weg der Klage auf Werklohnzahlung für abnahmereif erbrachte Werke zu verhindern (ebenso BeckOGK/Kögl, 1. Januar 2021, BGB § 640 Rn. 66).
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Deswegen kann ein Werkunternehmer bei Abnahmereife weiterhin sofort auf Werklohnzahlung klagen, gleichgültig ob der Werkbesteller die Abnahme vorher ernsthaft und endgültig oder nur vorläufig - im Hinblick auf die fehlende Beseitigung (zu Unrecht) geltend gemachter Mängel - verweigert hat. Das dürfte nach wie vor die herrschende, jedenfalls aber weit überwiegende Meinung sein (OLG Koblenz, Beschluss vom 3. Januar 2014 - 5 U 1310/13 - Rn. 9, juris, mit zustimmender Anmerkung von Jansen NJW 2014, 1188; LG Frankfurt a. M., Urteil vom 25. September 2013 - 2-16 S 54/13 -, Rn. 20, juris; BeckOGK/Kögl, 1. Januar 2021, BGB § 640 Rn. 66; Messerschmidt in: Messerschmidt/Voit: Privates Baurecht, 3. Aufl., BGB § 640 Rn. 238, a. E., Rn. 240; MüKoBGB/Busche, 8. Aufl., BGB § 640 Rn. 50; Palandt/Retzlaff, BGB, 80. Aufl., § 641 Rn. 2, dort als herrschende Meinung bezeichnet; Werner/Pastor: Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 1754; Weyer NZBau 2014, 421 [422]; Breitling, NZBau 2017, 393 [394]).
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bb) Einzelne abweichende Stimmen in der Literatur (Henkel, MDR 2003, 913 [916]; BeckOK BGB/Voit, 57. Ed. 1. Mai 2020, BGB § 640 Rn. 28; Scheuch, NJW 2018, 2513) überzeugen nicht. Sie würden in letzter Konsequenz bedeuten, dass ein Unternehmer bei (vorläufiger) Verweigerung der Abnahme durch den Besteller zunächst auf Abnahme klagen müsste und erst nach Rechtskraft der Entscheidung hierüber - bei größeren Bauprozessen also häufig erst etliche Jahre später - eine weitere Klage auf Werklohnzahlung erheben könnte. Die Rechtsstellung des Unternehmers würde dadurch - entgegen der Intention des Gesetzgebers und ohne zwingende Notwendigkeit - erheblich verschlechtert. Der Unternehmer hätte erst sehr viel später die Aussicht, erstmals einen (vorläufig) vollstreckbaren Zahlungstitel zu erlangen. Darüber hinaus können sich die Prozesskosten verdoppeln, die der Werkunternehmer auch bei einem Obsiegen dann selbst tragen müsste, falls der diesbezügliche Erstattungsanspruch im Falle der Insolvenz des Prozessgegners nicht mehr durchsetzbar sein sollte.
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Dies gilt erst recht angesichts der seit 1. Januar 2018 geltenden Umgestaltung der fiktiven Abnahme durch § 640 Abs. 2 BGB. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die Absicht verfolgt, die fiktive Abnahme „effektiver auszugestalten“ (BT-Drucksache 18/8486, S. 48) und die Rechtstellung des Unternehmers dadurch weiter zu verbessern, dass der Besteller die Verweigerung der Abnahme mit der Behauptung zumindest eines konkreten Mangels verbinden muss und dass die Abnahmefiktion auch bei Vorliegen wesentlicher Mängel eintreten kann, wenn der Besteller auf die Fristsetzung hin schweigt oder eine bloße Weigerung ohne Benennung irgendeines Mangels ausspricht. Allerdings hat der Gesetzgeber bei den mit der Abnahmeverweigerung zu benennenden Mängeln eine Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Mängeln bewusst nicht vorgenommen, da diese Unterscheidung im Einzelfall schwierig sei und oftmals erst im gerichtlichen Verfahren festgestellt werden könne. Dadurch erneut entstehende Unklarheit über den Eintritt der Abnahmefiktion solle vermieden werden (BT-Drucksache 18/8486, S. 48). Dies bedeutet, dass der Besteller auch allein durch die Behauptung eines unwesentlichen Mangels bei der Abnahmeverweigerung den Eintritt der Abnahmefiktion verhindern kann (vgl. dazu Breitling, NZBau 2017, 393 f., mit Beispielen).
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Der Senat regt zur Kostenersparnis die Rücknahme der Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).