VG München, Urteil v. 13.05.2020 – M 25 K 18.6074
Titel:

Verlängerung der Tilgungsfrist durch „unbeachtliche“ Verurteilungen

Normenketten:
StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 12a
BZRG § 47 Abs. 3, § 51 Abs. 1
Leitsätze:
1. Nur Verurteilungen, die nach § 51 Abs. 1 BZRG aus dem Bundeszentralregister getilgt oder zu tilgen sind, sind nach § 12a Abs. 1 StAG unbeachtlich. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da auch „unbeachtliche“ Verurteilungen zu einer Verlängerung der Tilgungsfrist von vorangegangenen „beachtlichen“ Verurteilungen nach § 47 Abs. 3 BZRG führen, sind diese bis zum Eintritt der Tilgung bzw. Tilgungsreife auch nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StAG einbürgerungsschädlich (vgl. auch BVerwG BeckRS 2014, 54184). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einbürgerung, Straffreiheit, Tilgungsfrist und Tilgungsreife, Verlängerung der Tilgungsfrist durch „unbeachtliche“ Verurteilungen, Tilgungsfrist, Tilgungsreife, Verwertungsverbot, Bundeszentralregister
Fundstelle:
BeckRS 2020, 9745

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
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Der 1984 geborene Kläger ist afghanischer Staatsbürger. Er reiste erstmals am 6. September 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seit dem 10. April 2013 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
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Am 23. Juli 2007 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu 10 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Am 10. Dezember 2014 verurteilte das Amtsgericht Freising den Kläger wegen vorsätzlichen Besitzes in Tateinheit mit Führen einer verbotenen Waffe zu 50 Tagessätzen á 30 EUR. Laut Auskunft des Bundesamtes für Justiz vom 15. November 2017 werden beide Eintragungen im Bundeszentralregister bei künftiger Straffreiheit gleichzeitig am 10. Dezember 2024 tilgungsreif.
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Am 8. März 2018 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Mit Bescheid vom 26. November 2018 lehnte der Beklagte die Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband ab. Er führt aus, dass der Kläger die Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG nicht erfülle, da er wegen einer Straftat verurteilt worden sei. Die strafrechtlichen Verurteilungen überschreiten die in § 12a StAG genannte Bagatellgrenze um mehr als das Dreifache.
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Mit Schreiben vom 12. Dezember 2018, eingegangen bei Gericht am 13. Dezember 2018, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,
der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Verurteilung aus dem Jahre 2014 gemäß § 12a StAG unbeachtlich sei. Dies führe auch dazu, dass die Tilgungsfrist seiner vorangegangenen strafrechtlichen Verurteilung nicht durch die „unbeachtliche“ neuere Verurteilung verlängert werden dürfe. Aus diesem Grund, sei die Verurteilung aus dem Jahre 2007 nicht mehr zu berücksichtigen. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Unbescholtenheitserfordernis des § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG, der eine gescheiterte Integration in Staat und Gesellschaft sanktioniere. Eine gescheiterte Integration liege bei dem Kläger jedoch gerade nicht vor.
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Der Beklagte beantragte in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2020 die Klage abzuweisen.
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Zur Ergänzung des Sachund Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Einbürgerung, § 113 Abs. 5 VwGO.
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Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG setzt u. a. voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Dies ist hier wegen der Verurteilungen des Klägers aus den Jahren 2007 und 2014 nicht der Fall.
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Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Unbeachtlichkeit nach § 12a Abs. 1 StAG liegen nicht vor. Danach bleiben bei der Einbürgerung Verurteilungen zu einer Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen und Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist, außer Betracht. Bei mehreren Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen sind diese zusammenzuzählen, es sei denn, es wurde eine niedrigere Gesamtstrafe gebildet; treffen Geld- und Freiheitsstrafe zusammen, entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe. Übersteigt die Strafe oder die Summe der Strafen geringfügig den Rahmen nach den Sätzen 1 und 2, so wird im Einzelfall entschieden, ob diese außer Betracht bleiben kann.
12
Die Verurteilungen des Klägers bleiben nicht nach § 12a Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG außer Betracht. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung aus dem Jahre 2007 überschreitet bereits bei isolierter Betrachtung die in § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG gezogene Beachtlichkeitsgrenze, und zwar um mehr als das Doppelte und daher nicht „geringfügig“. Weiterhin ist die - bei isolierter Betrachtung nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG unbeachtliche - Verurteilung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen aus dem Jahre 2014 gemäß § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG hinzuzurechnen.
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Beide Verurteilungen sind auch weiterhin - entgegen der Auffassung des Klägers - zu berücksichtigen. Nur Verurteilungen, die aus dem Bundeszentralregister getilgt oder zu tilgen sind, werden nicht berücksichtigt (NK-AuslR/Florian Geyer, 2. Aufl. 2016, StAG § 10 Rn. 22; HMHK/Hailbronner/Hecker, 6. Aufl. 2017, StAG § 10 Rn. 54). Erst ab Tilgung bzw. Tilgungsreife statuiert § 51 Abs. 1 BZRG ein Verwertungsverbot. Danach dürfen die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden.
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Ein früheres Verwertungsverbot ergibt sich nicht aus § 12a StAG. § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG regelt zwar unter welchen Umständen Verurteilungen außer Betracht bleiben, er begründet jedoch keine Ausnahme zu § 47 Abs. 3 BZRG oder führt zu einer vom Bundeszentralregister unterschiedlichen Tilgungsfrist im Bereich der Einbürgerung. Da auch „unbeachtliche“ Verurteilungen zu einer Verlängerung der Tilgungsfrist von vorangegangenen „beachtlichen“ Verurteilungen nach § 47 Abs. 3 BZRG führen, sind diese bis zum Eintritt der Tilgung bzw. Tilgungsreife auch nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG einbürgerungsschädlich (GK-StAR/Berlit, 5. Aufl. 2015, StAG § 12a Rn. 16; vgl. auch BVerwG, U.v. 5.6.2014 - 10 C 4/14 - Rn. 16, in dem ebenfalls eine „unbeachtliche“ spätere Verurteilung zur Verlängerung der Tilgungsfrist geführt hat).
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Die beiden Verurteilungen des Klägers sind, bei künftiger Straffreiheit, erst am 10. Dezember 2024 tilgungsreif. Dementsprechend hat er zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Einbürgerung, da die Einbürgerungsvoraussetzung der Straffreiheit nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG nicht erfüllt ist.
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Die Klage ist somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff ZPO.