Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.04.2020 – 6 CE 20.943
Titel:

Hinausschieben oder Abbruch von beantragtem Erholungsurlaub wegen Corona-Pandemie

Normenketten:
EUrlV § 8 Abs. 2
BPersVG § 75 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 3
ZPO § 920 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Umstand, dass die Ausgangsbeschränkungen anlässlich der Corona-Pandemie es dem Antragsteller unmöglich machen, sich während des Erholungsurlaubs psychisch und körperlich zu regenerieren und deshalb der Zweck des Erholungsurlaubs nicht erreicht werden könne, zeigt keinen wichtigen Grund gemäß § 8 Abs. 2 EUrlV auf, um den Urlaub hinauszuschieben oder abzubrechen zu können (Rn. 10). (redaktioneller Leitsatz)
2. Es fällt grundsätzlich in die Risikosphäre des Beamten, wenn ein genehmigter Urlaub nicht so gestaltet werden kann wie ursprünglich geplant (Rn. 10). (redaktioneller Leitsatz)
3. Herrscht aufgrund der pandemiebedingten Situation in der Dienststelle ein stark eingeschränkter Verkehr und ist kein an sich im Urlaub befindliches Personal zusätzlich dienstlich erforderlich, ist plausibel dargelegt, dass ein Hinausschieben oder ein Abbruch des dem Antragsteller genehmigten Erholungsurlaubs nicht mit den Erfordernissen des Dienstes vereinbar ist (Rn. 11 – 12). (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei einem Antrag auf Verschiebung des Urlaubs ist der Anwendungsbereich des § 75 Abs. 3 Nr. 3 BPersVG nicht eröffnet (Rn. 13).  (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bundesbeamtenrecht, Bundespolizei, Hinausschiebung oder Abbruch von Erholungsurlaub, Corona-Pandemie, Ausgangsbeschränkungen, Wichtige Gründe, auch Absage, Hochzeit (verneint), Vereinbarkeit mit den Erfordernissen des Dienstes (verneint), Beschwerde
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 23.04.2020 – RN 1 E 20.668
Fundstellen:
BayVBl 2021, 168
BeckRS 2020, 9632
LSK 2020, 9632

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. April 2020 - RN 1 E 20.668 - wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz zur Verschiebung seines Erholungsurlaubs wegen der Beschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Er steht als Polizeihauptmeister der Bundespolizei im Dienst der Antragsgegnerin und ist bei der Bundespolizeiabteilung D. beschäftigt.
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Ihm war auf seinen Antrag vom 3. März 2020 Erholungsurlaub für die Zeit vom 24. April 2020 bis zum 4. Mai 2020 genehmigt worden. Später beantragte er, den Urlaub zu stornieren, weil zwei Hochzeitsfeiern, zu denen er eingeladen sei, aufgrund der aktuellen Kontaktbeschränkung nicht stattfänden. Gegen die Ablehnung des Antrags erhob er am 7. April 2020 Widerspruch den die Direktion Bundesbereitschaftspolizei mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2020 zurückwies.
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Daraufhin hat der Antragsteller am 23. April 2020 beim Verwaltungsgericht beantragt, die Antragsgegnerin im Weg der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, den in der Zeit vom 24. April 2020 bis 4. Mai 2020 genehmigten Urlaub zu verschieben. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. April 2020 abgelehnt.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 28. April 2020, mit der er seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz weiterverfolgt.
II.
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Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet.
6
Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und Satz 3 VwGO), rechtfertigen es nicht, dem mit dem Rechtsmittel weiter verfolgten Antrag zu entsprechen, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den in der Zeit vom 24. April 2020 bis 4. Mai 2020 genehmigten Erholungsurlaub zu verschieben.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Derartige Anordnungen, die - wie hier - durch vorläufige Befriedigung des erhobenen Anspruchs vor Klageerhebung die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumindest teilweise vorwegnehmen, setzen voraus, dass die Vorwegnahme der Hauptsache zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, um andernfalls zu erwartende schwere und unzumutbare Nachteile oder Schäden von dem Antragsteller abzuwenden (Anordnungsgrund), und dass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht (Anordnungsanspruch). Beides ist von dem Antragsteller nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen (BayVGH, B.v. 17.4.2018 - 6 CE 18.468 - juris Rn. 10).
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Im vorliegenden Fall dürfte für den bis zur Beschwerdeentscheidung vergangenen Urlaub bereits der erforderliche Anordnungsgrund entfallen sein. Jedenfalls aber fehlt es für den gesamten Urlaubszeitraum vom 24. April 2020 bis 4. Mai 2020 an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Hinausschieben oder Abbrechen des von ihm für den in Rede stehenden Zeitraum beantragten und vom Dienstherrn genehmigten Erholungsurlaubs.
9
Gemäß § 8 Abs. 2 EUrlV ist, wenn die Beamtin oder der Beamte aus wichtigen Gründen den Urlaub hinauszuschieben oder abzubrechen wünscht, dem Wunsch zu entsprechen, wenn dies mit den Erfordernissen des Dienstes vereinbar ist und die Arbeitskraft der Beamtin oder des Beamten dadurch nicht gefährdet wird. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat, liegen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 EUrlV für ein Hinausschieben des genehmigten Urlaubs im Fall des Antragstellers aus mehreren Gründen nicht vor.
10
Die Beschwerde legt bereits keine wichtigen Gründe für eine Verschiebung oder einen Abbruch des Erholungsurlaubs im Sinn des § 8 Abs. 2 EUrlV dar. Mit dem vorgebrachten Argument, dass es die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20. März 2020 über die vorläufigen Ausgangsbeschränkungen anlässlich der Corona-Pandemie dem Antragsteller unmöglich mache, sich während des Erholungsurlaubs psychisch und körperlich zu regenerieren und der Zweck des Erholungsurlaubs nicht erreicht werden könne, zeigt die Beschwerde keinen wichtigen Grund gemäß § 8 Abs. 2 EUrlV auf. Sinn und Zweck des einem Beamten zustehenden Anspruchs auf Erholungsurlaub ist es, „dass er normalerweise über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können muss, damit ein wirksamer Schutz seiner Gesundheit und seiner Sicherheit sichergestellt ist“ (EuGH, U.v. 20.1.2009 - C-350/06 und C-520/06 juris Rn. 23,25). Mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wird bezweckt, es dem Dienst leistenden Beamten zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen gewissen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (BayVGH, B.v. 18.11.2015 - 6 ZB 15.1856 - juris Rn. 8). Die Beschwerde legt keinen überzeugenden Grund dar, weshalb es dem Antragsteller - auch in Anbetracht der geltenden Ausgangsbeschränkungen - nicht möglich sein sollte, den Urlaub als Zeitraum für Erholung, Entspannung, Muße und Freizeit zu nutzen. Die aufgrund der Corona-Lage bestehenden Einschränkungen, die alle Bürger in gleicher Weise und auf ungewisse Zeit treffen, schließen eine Erholung keineswegs zwingend aus. Ein wichtiger Grund ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Hochzeitsfeiern, an welchen der Antragsteller teilnehmen wollte, entfallen sind. Es fällt grundsätzlich in die Risikosphäre des Beamten, wenn ein genehmigter Urlaub nicht so gestaltet werden kann wie ursprünglich geplant.
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Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, plausibel begründet, weshalb ein Hinausschieben oder ein Abbruch des dem Antragsteller genehmigten Erholungsurlaubs nicht mit den Erfordernissen des Dienstes vereinbar ist. Was unter den „Erfordernissen des Dienstes“ zu verstehen ist, bestimmt sich nach den organisatorischen und personalwirtschaftlichen Gegebenheiten, für deren Einschätzung dem Dienstherrn ein Beurteilungsspielraum zukommt. Dieser ist verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich dahingehend, ob der Dienstherr von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen (Willkür) angestellt hat (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2002 - 3 CE 02.2797 - juris Rn. 18).
12
Das ist hier nicht der Fall. Im Gegenteil hat sich die Antragsgegnerin nachvollziehbar auf die pandemiebedingte Situation in der Bundespolizeiabteilung D. berufen, wonach dort ein stark eingeschränkter Verkehr herrscht und kein an sich im Urlaub befindliches Personal zusätzlich dienstlich erforderlich ist. Vielmehr wird die Anwesenheit der Mitarbeiter der Bundespolizei zu ihrem eigenen Schutz und zur Einhaltung der Vorgaben der Infektionsschutzbestimmungen auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt. Entgegen der Ansicht der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht nicht den Prüfungsmaßstab des § 8 Abs. 2 EUrlV verkannt. Ihre Annahme, die Antragsgegnerin müsse darlegen und beweisen, „weshalb die Nichtleistung des Dienstes des Antragstellers für den Zeitraum seiner Verschiebung bzw. seines Abbruchs mit den Erfordernissen des Dienstes nicht vereinbar ist und die Arbeitskraft dadurch gefährdet ist,“ entspricht nicht den gesetzlichen Voraussetzungen. Der Wunsch des Beamten, seinen - beantragten und genehmigten - Urlaub hinauszuschieben oder abzubrechen, muss mit den dienstlichen Erfordernissen (im bisherigen und im neuen Urlaubszeitraum) vereinbar sein und die Urlaubsverschiebung darf nicht zu einer Gefährdung der Arbeitskraft des Beamten führen.
13
Fehl geht der Einwand der Beschwerde, der Antrag auf Verschiebung des Urlaubs sei ohne die nach § 75 Abs. 3 Nr. 3 BPersVG erforderliche Zustimmung der Personalvertretung abgelehnt worden. Zum einen dürfte der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht eröffnet sein, weil es nicht um die Festsetzung der zeitlichen Lage des Erholungsurlaubs bei Dissens zwischen dem Dienststellenleiter und den beteiligten Beschäftigten geht, sondern um die Verschiebung eines bereits einvernehmlich genehmigten Urlaubs auf Wunsch einer einzelnen Beamtin. Zum anderen wäre ein - unterstellter - Verstoß gegen § 75 Abs. 3 Nr. 3 BPersVG von vornherein ungeeignet, den von der Antragstellerin verfolgten Anordnungsanspruch auf Verschiebung des Urlaubs nach § 8 Abs. 2 EUrlV zu begründen, weil dessen materielle Voraussetzungen nicht vorliegen.
14
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).