Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.04.2020 – 10 ZB 20.536
Titel:

Ausweisung eines an paranoider Schizophrenie erkrankten türkischen Staatsangehörigen

Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 3, § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 8
StGB § 63
Leitsätze:
1. Ein straffällig gewordener Ausländer hat keinen Anspruch darauf, so lange in der Therapieeinrichtung in der Bundesrepublik zu verbleiben, bis seine Erkrankung geheilt ist und keine negative Gefahrenprognose mehr besteht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse erlangen erst bei der Vollstreckung der Abschiebungsanordnung/-drohung Bedeutung und lassen die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung unberührt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung eines an paranoider Schizophrenie erkrankten türkischen Staatsangehörigen, Maßregelvollzug, Wiederholungsgefahr, Abschiebungsverbot, Zulassung der Berufung, Gewaltdelikt, Gefahrenprognose, Ausweisung, Behandelbarkeit der Erkrankung, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, faktischer Inländer
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 17.10.2019 – M 27 K 17.974
Fundstelle:
BeckRS 2020, 9473

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen die Ausweisungsverfügung der Beklagten weiterverfolgt, ist zulässig, aber unbegründet.
2
Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; 2.) oder besonderer rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; 3.) zuzulassen.
3
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 - 2 BvR 657/19 - juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
4
Seine klageabweisende Entscheidung begründet das Verwaltungsgericht mit der nach wie vor vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr schwerwiegender Straftaten. Es stützt sich dabei im Wesentlichen auf die gutachterliche Stellungnahme des I.-A.-Kl. nach § 67e StGB vom 11. Juni 2019. Diese kommt zusammenfassend zum Ergebnis, dass beim Kläger mit erneuten Straftaten, vergleichbar dem Indexdelikt (schwere Körperverletzung), mit hoher Wahrscheinlichkeit gerechnet werden müsse, wenn die psychotische Symptomatik wieder zunehme. Im Rahmen eines aggressiven Übergriffes unter ausgeprägter florid-psychotischer Symptomatik sei durchaus die Tötung eines Menschen durch den Kläger vorstellbar. Mit der Zunahme der psychotischen Symptomatik sei bei fehlender oder unregelmäßiger Medikamenteneinnahme innerhalb von Wochen oder Monaten zu rechnen. Eine regelmäßige Medikamenteneinnahme sowie eine Tagesstruktur seien aber beim Kläger momentan außerhalb eines stationären Behandlungssettings nicht zu erwarten. Ein sozialer Empfangsraum sei nicht vorhanden. Der Plan des Klägers, zu seiner Mutter zu ziehen, sei mit der Gefahr einer baldigen psychischen Verschlechterung und der damit einhergehenden Gefahr erneuter Straftaten verbunden. Er habe einer Entlassung in eine betreute Einrichtung nicht zugestimmt. Der Kläger habe - so das Verwaltungsgericht - keinen aufenthaltsrechtlichen Anspruch darauf, so lange in der Therapieeinrichtung zu verbleiben, bis er geheilt sei. Es liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor, dem ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber stehe. Auch wenn es für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung nicht darauf ankomme, ob die Erkrankung des Klägers in der T. behandelt werden könne, so habe die Behandelbarkeit mit in die Abwägungsentscheidung einzufließen. Sowohl des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14. Juni 2019 gingen davon aus, dass psychiatrische Erkrankungen in der T. behandelt werden könnten und es zu keiner wesentlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes komme. Die Ausweisungsentscheidung sei auch nicht unverhältnismäßig. Der Kläger sei zwar faktischer Inländer, aber nicht beruflich integriert. Es sei davon auszugehen, dass er die türkische Sprache beherrsche. In der T. lebe noch eine Schwester des Klägers. Er sei volljährig und nicht mehr auf die Unterstützung der Eltern angewiesen. Vielmehr unterstütze er selbst seine Mutter mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente.
5
Zur Begründung seines Zulassungsantrags bringt der Kläger sinngemäß vor, dass die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 und Abs. 5 AufenthG nicht nur inhaltlich nicht geprüft, sondern nicht erkannt worden seien. Es bestünden Zweifel, ob der Kläger in der T. mit hinreichender Sicherheit eine angemessene Behandlung erfahre. Denn weder der stationäre Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik noch die spätere Unterbringung in der Nervenheilanstalt in der T. hätten einen Behandlungserfolg zur Folge gehabt. Es sei jedenfalls davon auszugehen, dass sich die Erkrankung im Zielstaat verschlimmern werde. Der Kläger habe in der T. keine sozialen Bindungen. Er sei faktischer Inländer. Durch das Verwaltungsgericht sei nicht einmal festgestellt worden, ob er die türkische Sprache beherrsche. Berufliche Integrationsleistungen habe der Kläger wegen seiner Erkrankung nicht erbringen können. Der erhöhte Ausweisungsschutz des § 53 Abs. 3 AufenthG sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Es fehle an einer ausreichenden Differenzierung, wo die Grenze zwischen der Gefährlichkeit einer Erkrankung und der Gefährlichkeit eines Verhaltens aufgrund einer Erkrankung liege. Auch spiele die Tatsache, dass der Kläger unter der Lockerungsstufe C die Klinik verlassen dürfe und nicht auffällig werde, eine entscheidungserhebliche Rolle. Zudem sei zu prüfen, ob und inwieweit der Therapieerfolg und die Therapiemöglichkeiten durch eine Abschiebung beeinträchtigt würden. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Unterbringung habe auf die Gefährlichkeit des Klägers keine Auswirkungen, sei unzutreffend. Andernfalls sei eine Unterbringung im Maßregelvollzug sinnlos. Derartiges werde in der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (10 ZB 17.1469) auch nicht behauptet. Zu einer Kooperation im Hinblick auf die Entlassungsplanung sei der Kläger krankheitsbedingt nicht in der Lage. Wegen der Eigenschaft als faktischer Inländer sei die Ausweisung in jeden Fall unverhältnismäßig.
6
Damit hat der Kläger jedoch die die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragenden Annahmen nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Dies gilt zunächst für die nach Auffassung des Verwaltungsgerichts im maßgeblichen Zeitpunkt bestehende erhebliche Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit anderer. Maßgeblicher Prognosezeitpunkt für die Frage der Wiederholungsgefahr ist der Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung bzw. - im Verwaltungsstreitverfahren - der Entscheidung des Gerichts über die Ausweisung. Für diesen Zeitpunkt ergibt sich aus der Stellungnahme des I.-A.-Kl. vom 11. Juni 2019 und dem Beschluss des Landgerichts München I vom 19. September 2019, dass eine Aussetzung der Maßregel auf Bewährung nicht in Betracht kommt, weil noch nicht zu erwarten ist, dass der Kläger außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67d Abs. 2 AufenthG). Diese Gefahrenprognose hat das Klinikum und ihm folgend das Verwaltungsgericht nicht aufgrund der abstrakten Gefährlichkeit der Erkrankung, an der der Kläger leidet, sondern aufgrund seines in der Vergangenheit gezeigten persönlichen Verhaltens getroffen. Die Gefährlichkeit des Klägers tritt deshalb zu Tage, weil derzeit außerhalb des Maßregelvollzugs nicht sichergestellt werden kann, dass er die Medikamente, die der Verbesserung des Krankheitsbildes und damit der Reduzierung seiner Gefährlichkeit dienen, zuverlässig einnimmt. Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag hat das Verwaltungsgericht bei der Legalprognose ausschließlich auf das (krankheitsbedingte) persönliche Verhalten des Klägers und nicht auf die Erkrankung als solche abgestellt. Die durch die Erkrankung abstrakt bestehende Gefahr der Begehung von Straftaten realisiert sich beim Kläger dadurch, dass er ohne die Bedingungen einer gesicherten Unterbringung seine Medikamente nicht zuverlässig einnimmt. Auf die vom Kläger thematisierte Abgrenzung zwischen der abstrakten Gefährlichkeit der Erkrankung und des krankheitsbedingten Verhaltens kommt es daher nicht an.
7
Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die bisherigen Erfolge im Therapieverlauf (Lockerungsstufe C) nicht zu einem Wegfall oder einer ausschlaggebenden Reduzierung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr führen. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des Klinikums vom 11. Juni 2019 und dem Beschluss des Landgerichts München I vom 19. September 2019. Entscheidend ist, dass der Kläger nur bei entsprechender antipsychotischer Medikation in der Lage ist, seine Handlungen zu steuern. Ohne den gesicherten Rahmen des Maßregelvollzugs ist die erforderliche Medikation nicht gesichert, weil der Kläger sich weigert, in eine betreute Einrichtung zu ziehen. Er möchte wieder bei seiner Mutter wohnen. Der Einwand seines Bevollmächtigten, die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Klägers dürfe nicht zu dessen Lasten gehen, weil er krankheitsbedingt nicht einsichtsfähig sei, ändert daran nichts. Die Legalprognose des Klägers stellt sich - unabhängig von Verschuldenserwägungen - nur dann positiver dar, wenn sichergestellt ist, dass er auch außerhalb des Maßregelvollzugs seine Medikamente zuverlässig einnimmt. Dies ist nach Auffassung der behandelnden Ärzte nur in einer betreuten Einrichtung der Fall. Er weigert sich aber, in einer betreuten Einrichtung zu wohnen, weil er dann mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente für die Wohn- und Betreuungskosten aufkommen müsste und seine Mutter nicht mehr finanziell unterstützen könnte (Stellungnahme des Klinikums vom 11. Juni 2019, S. 5).
8
Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht nehme an, die Unterbringung habe auf die Gefährlichkeit des Klägers keine Auswirkungen, unterliegt er offensichtlich einem Missverständnis. Das Verwaltungsgericht hat lediglich festgestellt, dass die Tatsache einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht per se die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger entfallen lässt, und sich dabei auf die Entscheidungen des Senats vom 13. Oktober 2017 (10 ZB 17.1469), 7. Februar 2018 (10 ZB 17.1386) und 1. Februar 2019 (10 ZB 18.2455) bezogen. Die vom Kläger im Zulassungsantrag angeführte Entscheidung 10 ZB 17.1469 hat das Verwaltungsgericht zitiert, um den Unterschied zwischen einer bei einer Ausweisungsentscheidung zu treffenden ordnungsrechtlichen Prognose und einer Maßnahme nach § 63 StGB herauszuarbeiten (vgl. hierzu Rn. 14 des oben genannten Beschlusses). Das Zitat des Klägers im Zulassungsantrag stammt auch nicht aus diesem Beschluss, sondern aus dem Beschluss vom 7. Februar 2018 (10 ZB 17.1386), der sich (Rn. 9) mit der indiziellen Bedeutung von Entscheidungen nach § 67d Abs. 2 StGB für die Legalprognose bei einer Ausweisungsentscheidung befasst. Dies ist im vorliegenden Fall aber nicht entscheidungserheblich, weil mit Beschluss des Landgerichts München I vom 19. September 2019 die Fortdauer der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Maßregel gerade nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
9
Ohne Auswirkungen auf die im maßgeblichen Zeitpunkt zu treffende Gefahrenprognose bleiben auch etwaige Auswirkungen einer Ausweisung/Abschiebung auf den Therapieerfolg. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf verwiesen, dass der Kläger keinen Anspruch darauf hat, so lange in der Therapieeinrichtung in der Bundesrepublik zu verbleiben, bis seine Erkrankung geheilt ist und keine negative Gefahrenprognose mehr besteht. Bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB handelt es sich um eine Maßregel des Strafrechts. Diese ist grundsätzlich unabhängig von den Maßnahmen zu verhängen, die anderen Stellen, etwa den Verwaltungsbehörden, zur Verfügung stehen. Das Ausweisungsrecht stellt nicht darauf ab, ob eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit schuldhaft verursacht wurde, sondern ausschließlich darauf, ob der betroffene Ausländer auch künftig weiter straffällig werden wird. Für die Erfüllung der Ausweisungsvoraussetzungen kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene aufgrund der Entscheidung des Strafgerichts verpflichtet ist, sich aktuell einer Maßregel nach § 63 StGB zu unterziehen. Die gesetzlichen Vorschriften stellen allein auf die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ab, nicht aber darauf, ob der Betroffene gemäß § 63 StGB untergebracht werden muss (vgl. zum Anspruch auf Durchführung einer Drogentherapie BVerwG, B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 9; B.v. 13.3.2017 - 10 ZB 17.226 - juris Rn. 9 f.). Hauptziel der Ausweisung ist die Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet. Dieses Ziel kann mit Blick auf § 456a StPO auch im Fall einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus schon vor Beendigung der Unterbringung erreicht werden, wenn die Vollstreckungsbehörde von der Vollstreckung dieser Maßregel absieht (BayVGH, B.v. 1.2.2019 - 10 B 18.2455 - juris Rn. 7).
10
Der Kläger legt in seinem Zulassungsantrag nicht hinreichend dar, inwiefern das Verwaltungsgericht - wie behauptet - den besonderen Ausweisungsschutz für ihn als ARBberechtigten türkischen Staatsangehörigen nicht ausreichend berücksichtigt haben soll. Das Verwaltungsgericht hat ausführlich begründet (UA S. 16 bis 18), dass durch das den Verurteilungen vom 19. Juni 2007 und 8. Mai 2014 zugrunde liegende persönliche Verhalten des Klägers auch noch gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die Taten des Klägers seien gegen das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit gerichtet gewesen. Auch gegenwärtig bestünden die Gefahr der Dekompensation und eine hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung entsprechender Straftaten. Hiermit setzt sich der Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrags nicht auseinander.
11
Die Frage, ob die Erkrankung des Klägers in der T. (erfolgreich) behandelbar ist, hat keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung. Die Frage eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) erlangt erst bei der Vollstreckung der Abschiebungsanordnung/-drohung Bedeutung und lässt die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung unberührt (BayVGH, B.v. 1.2.2019 - 10 ZB 18.2455 - juris Rn. 10; B.v. 12.8.2019 - 10 ZB 19.1004 - juris Rn. 6; B.v. 13.1.2020 - 10 ZB 19.1599 - juris Rn. 14; B.v. 28.1.2020 - 10 ZB 19.2452 - juris Rn. 6; OVG Bremen, U.v. 5.7.2019 - 2 B 98.18 - juris Rn. 12 m.w.N.). Dennoch hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Interessenabwägung geprüft, ob Abschiebungsverbote wegen etwaiger fehlender Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung des Klägers in der T. bestehen (UA S. 26) und kam unter Heranziehung einer amtlichen Auskunft des Bundesamtes und des aktuellen Lageberichts des Auswärtigem Amtes zum Ergebnis, dass sowohl Behandlungsmöglichkeiten in geschlossenen Einrichtungen als auch ambulant vorhanden seien. Zudem ist der Kläger von Ende 2003 bis Ende 2005 in der T. psychiatrisch behandelt worden. Der Kläger hat im Übrigen nicht substantiiert dargelegt, dass es trotz grundsätzlich bestehender Behandlungsmöglichkeiten, die ihm auch individuell zugänglich sind, zu einer lebensbedrohenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes im Sinne von § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG kommen werde. Seine Stellung als faktischer Inländer ist insoweit nicht maßgeblich. Im Rahmen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ist auch nicht entscheidungserheblich, ob die Behandlungsmöglichkeit letztendlich zur Heilung der Erkrankung führt.
12
Der Kläger hat mit seinem Zulassungsvorbringen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei verhältnismäßig, nicht ernsthaft in Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Stellung als „faktischer Inländer“ eine Ausweisung nicht grundsätzlich unverhältnismäßig macht, sondern es hierbei auf den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem der Betreffende weiter straffällig werden wird, das gefährdete Rechtsgut, familiäre Bindungen, sowie den Grad der Verwurzelung im Gastland und den der Entwurzelung vom Heimatland ankommt. Die Annahme der Verwaltungsgerichts, der Kläger beherrsche die türkische Sprache, ist offensichtlich zutreffend, da die Mutter des Klägers, mit der er ab 2010 zusammenlebte, kein Deutsch spricht (Stellungnahme des Klinikums vom 11. Juni 2019, S. 2), er bis zu seinem 14. Lebensjahr in der T. gelebt und sich von Dezember 2003 bis Dezember 2005 zur Behandlung seiner Erkrankung in der T. aufgehalten hat. Zudem lebt die Schwester des Klägers in der T.. Auch die Schutzwürdigkeit der Beziehung zu seiner Mutter hat das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. Die mangelnde berufliche Integration des Klägers in der Bundesrepublik ist deshalb im Rahmen der Abwägungsentscheidung von Bedeutung, weil er sich trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keine berufliche Position erarbeitet hat, die ihm nach seiner Entlassung aus der psychiatrischen Einrichtung die Eingliederung erleichtern würde, und er daher bei einer Rückkehr in die T. in beruflicher Hinsicht nicht schlechter steht als hier. Es kommt nicht darauf an, ob den Kläger an der fehlenden beruflichen Integration ein „Verschulden“ trifft. Bezüglich der Legalprognose wird auf die Ausführungen von oben verwiesen. Stichhaltige Argumente, die das Ergebnis der Abwägung zweifelhaft erscheinen ließen, enthält das Zulassungsvorbringen nicht.
13
2. Die Berufung ist auch nicht wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
14
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 - 10 ZB 18.1768 - Rn. 11; B.v. 14.2.2019 - 10 ZB 18.1967 - juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
15
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Auf die Frage, „auf Grundlage welcher Faktoren eine abstrakte Gefährlichkeit einer Krankheit von der Gefährlichkeit durch ein krankheitsbedingtes Verhalten zu unterscheiden ist“, kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil ausschlaggebend für die Legalprognose das (krankheitsbedingte) persönliche Verhalten des Betreffenden ist. Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist, „welche Anforderungen an die Feststellungen zur Behandlung spezieller psychischer Probleme im Zielstaat zu stellen sind“, weil ein wegen fehlender Behandelbarkeit einer Erkrankung im Zielstaat bestehendes Abschiebungsverbot die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung unberührt lässt. Bei der Frage, „ob die insofern völlig pauschalen Festhaltungen des Verwaltungsgerichts als ausreichend zu erachten sind“, zeigt schon die Formulierung, dass sie auf eine einzelfallbezogene Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung gerichtet ist. Ein weitergehender Klärungsbedarf wird nicht aufgezeigt. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Abschiebung eines faktischen Inländers ist aufgrund der erforderlichen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
16
3. Die Zulassungsbegründung genügt auch nicht den Anforderungen an die Darlegung besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
17
Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen vor, wenn der konkret zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von normalen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abgehoben ist, d.h. wenn er sich im Schwierigkeitsgrad von den in anderen Verfahren zu entscheidenden Fragen signifikant unterscheidet. Die Schwierigkeit des Falles ist aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts und im Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung zu beurteilen (Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2018, § 124 Rn. 43 u. 51, jew. m.w.N.).
18
Solche besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten lassen sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Er bringt nur vor, die - seiner Meinung nach - bestehenden ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ließen auch auf besondere rechtliche Schwierigkeiten schließen. Allein aus der Tatsache, dass ein psychisch kranker, faktischer Inländer ausgewiesen wird, kann aber nicht auf besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten geschlossen werden. Das Verwaltungsgericht hat sich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung an der diesbezüglichen obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert. Zudem wird die Frage einer angemessenen Behandlung der psychischen Erkrankung des Klägers in der T. erst im Fall der Abschiebung rechtlich relevant.
19
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
20
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
21
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).