VG München, Urteil v. 13.02.2020 – M 10 K 19.1886
Titel:
Herstellungsbeitrag für Entwässerungseinrichtung: Durchfahrt als selbstständiger Gebäudeteil
Normenkette:
VwGO § 88, § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Selbstständige Gebäudeteile sind solche Gebäudeteile, die baulich und funktionell vom restlichen Gebäude abgegrenzt sind. Selbstständig sind jedenfalls funktionell unterschiedlich genutzte Gebäudeteile, die etwa durch Brandwände abgeteilt sind und über einen eigenen Zugang verfügen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Garagen, die mit Wohnhäusern verbunden sind, lässt eine Tür in der Garage, die eine Verbindung zu den Wohnräumen schafft, die Selbstständigkeit der Garage grundsätzlich entfallen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herstellungsbeitrag für die öffentliche Entwässerungseinrichtung, Selbstständiger Gebäudeteil (bejaht), Erdgeschossige Durchfahrt zwischen zwei im Dachgeschoss aneinander gebauten Wohngebäuden, erdgeschossige Durchfahrt zwischen zwei im Dachgeschoss aneinander gebauten Wohngebäuden, funktionelle Trennung, Türen zu Wohngebäuden, äußeres Erscheinungsbild
Fundstelle:
BeckRS 2020, 7933
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 27. März 2019 wird insoweit aufgehoben, als ein Beitrag über 4.003,82 EUR hinaus festgesetzt worden ist.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Herstellungsbeitrag für die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Beklagten.
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Die Beklagte betreibt eine öffentliche Einrichtung zur Abwasserbeseitigung auf der Grundlage ihrer Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung vom 20. Dezember 2012 (Entwässerungssatzung - EWS). Zur Deckung des Aufwandes für die Herstellung der Entwässerungseinrichtung erhebt die Beklagte Beiträge auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS/EWS) vom 21. November 2013. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS wird der Beitrag nach der Grundstücksfläche und der Geschossfläche der vorhandenen Gebäude berechnet. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 4 BGS/EWS werden Gebäude oder selbstständige Gebäudeteile, die nach der Art ihrer Nutzung keinen Bedarf nach Anschluss an die Schmutzwasserableitung auslösen oder nicht angeschlossen werden dürfen, bei der Ermittlung der Geschossfläche nicht herangezogen, außer das Gebäude oder der selbstständige Gebäudeteil hat tatsächlich eine Schmutzwasserableitung.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks …straße 21 im Gemeindegebiet der Beklagten (Fl.Nr. …, Gemarkung …). Auf diesem befindet sich ein Altbestand (Wohnhaus mit Erd- und Dachgeschoss), an das im Jahr 2018 ein Einfamilienwohnhaus (mit Erd- und Dachgeschoss) angebaut wurde. Hierdurch sind zwei getrennte Wohneinheiten entstanden. Im Dachgeschoss grenzen diese unmittelbar aneinander an; im Erdgeschoss befindet sich zwischen den beiden Wohneinheiten eine Durchfahrt (33,03 m²), die mit zwei Toren verschlossen ist. In den zwei Seitenwänden der Durchfahrt zu den Wohngebäuden hin ist jeweils eine Tür eingelassen, durch die man in den Heizungs- bzw. Hauswirtschaftsraum der jeweiligen Wohneinheit gelangt. Die Hauseingangstüren zu den jeweiligen Wohngebäuden befinden sich nicht im Durchfahrtsbereich.
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Mit Bescheid vom 27. März 2019 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Beitrag zur öffentlichen Entwässerungseinrichtung für den Neubau in Höhe von 4.593,40 EUR fest. Bei der Ermittlung der Geschossfläche zur Berechnung des Beitrags berücksichtigte die Beklagte den Durchfahrtsbereich mit 33,03 m².
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Die Klägerin hat mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 18. April 2019, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage erhoben und beantragt wörtlich:
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Der Beitragsbescheid der Beklagten vom 27. März 2019 wird aufgehoben, soweit ein Verbesserungsbeitrag über 4.003,82 EUR hinaus festgesetzt wird.
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Zur Begründung wird vorgetragen, zwischen den Parteien sei alleine streitig, ob die im angefochtenen Bescheid mit einer Fläche von 33,03 m² berücksichtigte Pkw-Durchfahrt zur Beitragsbemessung herangezogen werden dürfe. Im Übrigen sei der Bescheid der Beklagten rechtmäßig. Die Durchfahrt diene dazu, mit Fahrzeugen von der Grundstückszufahrt im vorderen Bereich in den hinteren Bereich des Gartens und dem dort befindlichen Nebengebäude zu gelangen. Die Durchfahrt sei von beiden Wohngebäuden durch wärmegedämmte Außenwände bzw. Brandwände abgegrenzt, unbeheizt und verfüge lediglich über eine geglättete Bodenplatte ohne weiteren Bodenbelag. Sie habe keinen eigenen Wasser- oder Abwasseranschluss. Die Durchfahrt sei aus energetischen und optischen Gründen an beiden Seiten mit jeweils einem Tor verschlossen. In der Durchfahrt befänden sich zwei nicht notwendige Türen. In die dahinterliegenden Funktionsräume gelange man primär aus dem jeweiligen Haus. Bei der Durchfahrt handle es sich um einen selbstständigen Gebäudeteil, der nicht zur Veranlagung herangezogen werden dürfe. Die Durchfahrt sei baulich und funktionell vom restlichen Gebäude abgegrenzt, da sie durch Brandwände abgeteilt sei und über eigene Zugänge verfüge. Darüber hinaus diene sie einem eigenen, von den beiden Wohngebäuden abgegrenzten Zweck. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aufgrund der Türen zu den Funktionsräumen der jeweiligen Wohneinheiten. Diese Türen erleichterten allenfalls den Zugang zu den Funktionsräumen; eine zwingende Notwendigkeit hierfür bestehe jedoch nicht.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung wird vorgetragen, die Pkw-Durchfahrt sei kein selbstständiger Gebäudeteil. Es fehle an der baulichen und funktionellen Trennung, weil über die im Durchgang vorhandenen Türen der Heizungs- bzw. der Hauswirtschaftsraum der jeweils anliegenden Wohneinheit betreten werden könne. Über die im Heizungs- und Hauswirtschaftsraum weiter vorhandenen Türen bestehe eine Verbindung zu den sonstigen Wohnräumen der jeweiligen Wohneinheit. Eine funktionelle Trennung entfalle auch deswegen, weil aufgrund der Türen in der Durchfahrt eine direkte Zugangsmöglichkeit zwischen den beiden Wohneinheiten bestehe.
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Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2020 replizierte die Klagepartei, dass die Türen in der Durchfahrt die bauliche und funktionelle Selbstständigkeit der Durchfahrt nicht beseitigten. Der bloße Zugang allein führe nicht dazu, dass ein Gebäudeteil als bauliche und funktionelle Einheit mit der angrenzenden Wohnnutzung anzusehen sei. Maßgeblich sei bei einer typisierenden Betrachtungsweise, ob die Nutzung der Durchfahrt unabhängig von der Wohnnutzung möglich sei. Da hier keine zwingende Notwendigkeit für einen unmittelbaren Zugang zwischen den Gebäudeteilen bestehe, bleibe es bei der Selbstständigkeit. Sowohl der Heizungs- als auch der Hauswirtschaftsraum verfügten über einen eigenen Zugang aus der jeweils zugehörigen Wohneinheit. Die Durchgangsmöglichkeit von einer Wohneinheit in die andere führe auch nicht zu einem anderen Ergebnis. Beide Wohneinheiten seien über ihre jeweiligen Hauseingänge selbstständig nutzbar. Auch handle es sich bei einer Durchfahrt, einem Hauswirtschafts- und einem Heizungsraum um keine planmäßige, in die Wohnnutzung integrierte Verbindung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Klage richtet sich nach dem ausdrücklichen Rechtsschutzbegehren der Klägerin (§ 88 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) nur insoweit gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2019, als darin aufgrund der Berücksichtigung der Durchfahrt bei der Beitragsberechnung ein Herstellungsbeitrag für die öffentliche Entwässerungseinrichtung über 4.003,82 EUR hinaus festgesetzt worden ist.
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2. Insoweit ist die Klage zulässig und vollumfänglich begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. März 2019 ist in dieser Hinsicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Unabhängig von Fragen der Wirksamkeit der zugrunde liegenden Satzungen scheidet eine Heranziehung der Durchfahrt mit 33,03 m² als beitragspflichtige Geschossfläche im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS jedenfalls aus, da die Durchfahrt nach § 5 Abs. 2 Satz 4 BGS/EWS als selbstständiger Gebäudeteil ohne Anschlussbedarf und ohne tatsächlichen Anschluss anzusehen ist. Der Herstellungsbeitrag war demgemäß um 589,58 EUR (33,03 m² x 17,85 EUR/Beitragssatz gemäß § 6 Abs. 1b) BGS/EWS) zu mindern. Der angefochtene Bescheid war daher insoweit aufzuheben, als ein Herstellungsbeitrag über 4.003,82 EUR hinaus festgesetzt wurde.
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Nach § 5 Abs. 2 Satz 4 BGS/EWS werden Gebäude oder selbstständige Gebäudeteile, die nach der Art ihrer Nutzung keinen Bedarf nach Anschluss an die Schmutzwasserableitung auslösen oder nicht angeschlossen werden dürfen, nicht herangezogen; das gilt nicht für Gebäude oder selbstständige Gebäudeteile, die tatsächlich eine Schmutzwasserableitung haben.
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a) Selbstständige Gebäudeteile sind nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. grundlegend: BayVGH, U.v. 17.7.2002 - 23 B 02.594 - BeckRS 2002, 26664 Rn. 27) solche Gebäudeteile, die baulich und funktionell vom restlichen Gebäude abgegrenzt sind. Der selbstständige Gebäudeteil kann sowohl vertikal wie auch horizontal vom Rest des Gebäudes abgegrenzt sein. Selbstständig sind jedenfalls funktionell unterschiedlich genutzte Gebäudeteile, die etwa durch Brandwände abgeteilt sind und über einen eigenen Zugang verfügen.
18
Bei Garagen, die mit Wohnhäusern verbunden sind, lässt eine Tür in der Garage, die eine Verbindung zu den Wohnräumen schafft, die Selbstständigkeit der Garage grundsätzlich entfallen (BayVGH, B.v. 30.12.2004 - 23 ZB 04.2995 - BeckRS 2004, 34192; BayVGH, U.v. 1.3.2012 - 20 BV 11.2536 - BeckRS 2012, 51969). Garage und Wohnhaus haben in einem solchen Fall einen funktionellen Zusammenhang, insbesondere da sich Einkaufsgut einfacher ins Wohnhaus verbringen lässt und bei ungünstiger Witterung ein leichterer Zugang zum Haus besteht.
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In anderen Fällen wird dagegen angenommen, dass bauliche Verbindungen von Gebäudeteilen oder Gebäuden, die funktionell nicht notwendig sind, die Selbstständigkeit des Gebäudeteils nicht aufheben (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2005 - 23 ZB 05.2520 - BeckRS 2005, 39658 zu einem Parkdeckgebäude, das über einen Zugang zu einem direkt angebauten Kaufhaus verfügt; BayVGH, U.v. 21.10.2003 - 23 BV 03.940 - BeckRS 2003, 31484 zu Hackschnitzellagerhallen; s. auch den Grenzfall BayVGH, B.v. 17.1.2007 - 23 ZB 06.2936 - BeckRS 2007, 28981 zu einem Getränkemarkt mit angeschlossenem Lager). Eine funktionelle Trennung zwischen den Gebäudeteilen kann so stark sein, dass eine gleichwohl vorhandene bauliche Verbindung in den Hintergrund tritt (vgl. hierzu: Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Stand: Oktober 2019, Teil IV, Frage 27, Nr. 3.3.1).
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Im konkreten Fall geht es um eine Pkw-Durchfahrt, bei der wegen der auf dem klägerischen Grundstück anderweitig ausreichend vorhandenen Stellplätze (vgl. den genehmigten Bauplan) nicht von einer Garagennutzung auszugehen ist. Auf eine solche Durchfahrt ist insbesondere die vorgenannte Rechtsprechung zu Garagen nicht unmittelbar anwendbar. Einschlägige diesbezügliche Rechtsprechung existiert, soweit ersichtlich, nicht.
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Unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Maßstäbe, die sich aus der oben dargestellten Rechtsprechung entnehmen lassen, ist die Pkw-Durchfahrt vorliegend als selbstständiger Gebäudeteil im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 4 BGS/EWS anzusehen.
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Zwar bewirken die zwei Türen zu den Wohngebäuden, die in die Seitenwände der Durchfahrt eingelassen sind, einen baulichen Zusammenhang zwischen den Wohneinheiten und der Durchfahrt, zumal dadurch eine Durchgangsmöglichkeit zwischen den beiden Wohngebäuden geschaffen wird.
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Aber diese bauliche Verbindung zwischen Durchfahrt und Wohngebäuden ist funktionell nicht notwendig und tritt überdies angesichts der starken funktionellen Trennung von Durchfahrt und Wohngebäuden in den Hintergrund. Vorliegend haben die Wohngebäude und die Durchfahrt verschiedene, voneinander abgrenzbare und nicht aufeinander bezogene Funktionen. Die Durchfahrt ist von ihrem Zweck her gerade nicht auf eine bestimmte Nutzung bezogen. Sie soll gerade für die Pkw-Durchfahrt freigehalten werden. Der Durchfahrtsbereich ist nicht funktionell mit den Wohngebäuden verbunden, da er dazu dient, in den hinteren Teil des Gartens (zu dem Nebengebäude) zu gelangen. Hier verhält es sich gerade anders als in den Fällen der Garagen, die durch eine Tür mit einem Wohnhaus verbunden sind; bei diesen besteht der oben beschriebene funktionelle Zusammenhang zum Wohnhaus. Für eine funktionelle Trennung von Wohnen und Durchfahrt spricht vorliegend auch, dass sich die Hauseingangstüren nicht im Durchfahrtsbereich befinden (in diese Richtung auch die - nicht unmittelbar einschlägigen - Beispiele zu einem Durchgang zwischen Garage und Wohngebäude bei Wuttig/Thimet, a.a.O., Abbildungen 9, 10). Hinzu kommt, dass die Türen keinen bestimmungsgemäßen Durchgang zwischen den Wohnräumen der verschiedenen Wohneinheiten ermöglichen, da jeweils Funktionsräume dazwischen liegen.
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Der Annahme der Selbstständigkeit der Durchfahrt steht vorliegend auch nicht entgegen, dass die Durchfahrt nach ihrem äußeren Erscheinungsbild in die Wohngebäude integriert und optisch nicht als selbstständiger Gebäudeteil wahrnehmbar ist (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 14.11.2005, a.a.O.).
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b) Der selbstständig zu beurteilende Durchfahrtsbereich löst nach der Art seiner Nutzung auch keinen Anschluss an die Schmutzwasserableitung aus und ist auch nicht tatsächlich angeschlossen (§ 5 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 BGS/EWS).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.