Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 09.01.2020 – 1 AR 137/19
Titel:

Kein Vorliegen eine willkürlichen Verweisungsbeschlusses bei Streit über Anmietung einer Ferienwohnung

Normenketten:
BGB § 269, § 549 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 12, § 13, § 29, § 29a Abs. 2, § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 1
EGZPO § 9
Leitsätze:
1. Eine ausschließliche Zuständigkeit nach § 29a ZPO besteht für die Anmietung einer Ferienwohnung nicht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da umstritten ist, ob ein einheitlicher Erfüllungsort am Beherbergungsort auch dann gegeben ist, wenn - wie hier - der Gast die gebuchte Unterkunft nicht in Anspruch nimmt, ist ein Verweisungsbeschluss an den Wohnort des Gastes nicht willkürlich. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ferienwohnung, Gerichtsstand, Zuständigkeit, Mietvertrag, Verweisungsbeschluss, Bindungswirkung, Erfüllungsort, Willkürlichkeit, Mahnverfahren, Beherbergungsvertrag
Fundstellen:
ZfIR 2020, 155
BeckRS 2020, 72
LSK 2020, 72

Tenor

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Schöneberg.

Gründe

I.
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Amtsgerichtsbezirk Schöneberg hat, den Beherbergungspreis für eine Ferienwohnung in Lindau geltend. Nach ihrem Vorbringen habe die Beklagte Anfang Dezember 2018 die Ferienwohnung für zwei Personen für den Zeitraum vom 15. bis 17. Dezember 2018 zum Gesamtbetrag von 124 € gebucht, sie sei jedoch dann nicht angereist. Mit Rechnung vom 16. Dezember 2018 habe sie, die Klägerin, der Beklagten den Gesamtbetrag erfolglos in Rechnung gestellt.
2
Die Klägerin hat zunächst beim Amtsgericht Coburg einen Mahnbescheid erwirkt, gegen den die Beklagte Widerspruch eingelegt hat. Daraufhin ist das Verfahren an das im Mahnbescheidsantrag als Prozessgericht benannte Amtsgericht Lindau (Bodensee) abgegeben worden. In der Anspruchsbegründung hat die Klägerin beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Schöneberg abzugeben. Die Beklagte hat die örtliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts Lindau (Bodensee) gerügt und einer Verweisung an das Amtsgericht Schöneberg zugestimmt. Bei dem vermieteten Objekt handele es sich gemäß § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB um Wohnraum, der nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet sei. Somit gelte § 29a Abs. 2 ZPO, so dass der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten greife.
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Mit Beschluss vom 26. August 2019 hat sich das Amtsgericht Lindau (Bodensee) für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Amtsgericht Schöneberg verwiesen. Die Entscheidung beruhe auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht sei örtlich unzuständig.
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Mit Beschluss vom 28. September 2019 hat sich das Amtsgericht Schöneberg für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorlegt. Mit der Angabe des Amtsgerichts Lindau (Bodensee) als Streitgericht im Mahnverfahren habe die Klägerin in Kenntnis des Wohnorts der Beklagten zwischen den zur Auswahl stehenden Gerichten eine unwiderrufliche Wahl getroffen. Das Amtsgericht Lindau (Bodensee) sei gemäß § 29 ZPO zuständig. Es sei anerkannt, dass bei Beherbergungsverträgen und insbesondere beim Mietvertrag über eine Ferienwohnung der Beherbergungsort bzw. Ort der Ferienwohnung gemeinsamer Erfüllungsort sei. Dies gelte auch dann, wenn der Gast die gebuchte Unterkunft nicht in Anspruch nehme.
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Die Parteien sind angehört worden. Die Beklagte hat vorgebracht, es sei das Amtsgericht Schöneberg zuständig, denn sie sei nicht angereist, habe die Ferienwohnung nicht genutzt und zudem die Buchung storniert. Der Rechtsansicht des Amtsgerichts Schöneberg sei nicht zu folgen. Jedenfalls entfalte der Verweisungsbeschluss Bindungswirkung. Es werde auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 7. Juli 2008, 4 SmA 25/08, verwiesen.
II.
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Auf die zulässige Vorlage ist die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg auszusprechen.
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1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung der (örtlichen) Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor. Das Amtsgericht Lindau (Bodensee) hat sich durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 26. August 2019 für unzuständig erklärt, das Amtsgericht Schöneberg durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung vom 28. September 2019. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12; Beschluss vom 19. Februar 2013, X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 5; Beschluss vom 10. Dezember 1987, I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [juris Rn. 6]).
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Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das für die am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist und das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. September 2019, 1 AR 83/19).
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2. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Schöneberg, da der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Lindau (Bodensee) vom 26. August 2019 bindet.
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a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Auch ein sachlich zu Unrecht oder verfahrensfehlerhaft ergangener Verweisungsbeschluss entzieht sich danach grundsätzlich der Nachprüfung. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist.
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Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keinerlei Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 13 f.]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16).
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b) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die ausgesprochene Verweisung an das Amtsgericht Schöneberg nicht willkürlich und hat daher dessen Zuständigkeit begründet, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.
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aa) Das Amtsgericht Lindau (Bodensee) war für die Streitigkeit nicht gemäß § 29a Abs. 1 ZPO wegen der Belegenheit der Räumlichkeit in Lindau ausschließlich zuständig, da es sich bei der streitgegenständlichen Ferienwohnung um Wohnraum der in § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB genannten Art handelt, § 29a Abs. 2 ZPO (Weidenkaff in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 549 Rn. 15). Die Ferienwohnung ist von der Beklagten nur für wenige Tage und damit zum vorübergehenden Gebrauch gemietet worden.
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bb) Die Beklagte hat ihren allgemeinen Gerichtsstand nicht im Amtsgerichtsbezirk Lindau (Bodensee), sondern im Amtsgerichtsbezirk Schöneberg (§§ 12, 13 ZPO). Es kann offenbleiben, ob am Amtsgericht Lindau (Bodensee) der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts gegeben war, § 29 Abs. 1 ZPO. Denn jedenfalls hat sich das Amtsgericht Lindau (Bodensee) nicht willkürlich über seine Zuständigkeit hinweggesetzt.
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Der Erfüllungsort im Sinne von § 29 ZPO bestimmt sich nach materiellem Recht. Für vertragliche Verpflichtungen regelt § 269 BGB den Leistungsort, der dem Erfüllungsort entspricht. Danach hat die Leistung vorbehaltlich gesetzlicher Sondervorschriften in der Regel an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz, bei juristischen Personen den Sitz hatte. Etwas anderes gilt erst dann, wenn festgestellt wird, dass die Vertragsparteien einen anderen Leistungsort bestimmt haben oder die Umstände des Falls einen solchen ergeben (BGH, Urt. v. 24. Januar 2007, XII ZR 168/04, NJW-RR 2007, 777 Rn. 11 m. w. N.).
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Vorliegend kann nicht festgestellt werden, dass die Parteien eine besondere Zahlungsweise am Ort der Belegenheit der Ferienwohnung vereinbart haben. Bei einer Hotelunterbringung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die Annahme eines einheitlichen Erfüllungsorts am Ort des Hotels darauf gestützt, dass der Gast, der die Bestellung selbst aufgegeben und keine besondere Zahlungsweise vereinbart hat, nach der allgemeinen Verkehrssitte im Beherbergungsgewerbe die Bezahlung stets am Ort der Beherbergung zu erbringen habe, während - unabhängig von der vereinbarten Zahlungsweise - nicht allein die besondere Ortsbezogenheit der vertragstypischen Leistung genüge, um aus dessen Natur einen einheitlichen Erfüllungsort am Beherbergungsort zu begründen (BGH, NJW-RR 2007, 777 Rn. 18 und 20). Es kann offenbleiben, ob auch bei der reinen Ferienwohnungsmiete von einer entsprechenden allgemeinen Verkehrssitte auszugehen ist (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, § 269 Rn. 14; Schultzky in Zöller, ZPO, § 29 Rn. 25.12 „Beherbergungsvertrag“; LG Kempten, Urt. v. 17. Dezember 1986, S 2154/86, BB 1987, 929 [juris Rn. 5]). Denn es ist in Rechtsprechung und Literatur jedenfalls umstritten, ob ein einheitlicher Erfüllungsort am Beherbergungsort auch dann gegeben ist, wenn - wie hier - der Gast die gebuchte Unterkunft nicht in Anspruch nimmt (bejahend: LG Münster, Urt. v. 26. Februar 2018, 3 S 125/17, juris Rn. 29 f., allerdings in einer Fallkonstellation mit vereinbarter Zahlungsart „Selbstzahler vor Ort“; OLG Nürnberg, Urt. v. 28. November 1984, 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296/1297 bei getroffener Parteivereinbarung, dass die Zahlung am Ort der Beherbergung zu erbringen sei; Schultzky in Zöller, ZPO, § 29 Rn. 25.12 „Beherbergungsvertrag“; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 29 Rn. 36; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 29 Rn. 21; Smid/Hartmann in Wiecorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 29 Rn. 63; Fischer/Günter in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Aufl. 2019, Kapitel XI. Der Mietprozess Rn. 42; Bittner/Kolbe in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 269 Rn. 22; verneinend: LG Bonn, Urt. v. 11. März 1985, 2 O 51/85, MDR 1985, 588 [juris]; Werner in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, Vorb. zu §§ 701 ff Rn. 19; Bünnigmann in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 29 Rn. 28; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 29 Rn. 44 „Beherbergungsvertrag“).
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Ausgehend hiervon liegt dem Beschluss des Amtsgerichts Lindau (Bodensee) die mindestens vertretbare Annahme zugrunde, dass der Ort der Raumbelegenheit als Leistungs- und Erfüllungsort der Zahlungsverpflichtung aus dem streitgegenständlichen Mietvertrag nicht in Betracht kommt, weil der Gast - wie hier - die Buchung storniert und den Ferienort nicht aufgesucht hat (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. November 1994, 1Z AR 70/94, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 7. Juli 2008, 4 SmA 25/08, juris).
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Zwar hat die Klägerin in dem Mahnantrag das örtlich zuständige Amtsgericht Lindau (Bodensee) gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO als das für ein streitiges Verfahren zuständige Gericht benannt. Da das Amtsgericht Lindau (Bodensee) jedoch nicht gemäß § 29 Abs. 1 ZPO unzweifelhaft örtlich zuständig gewesen ist, hat es sich in dem Verweisungsbeschluss vom 26. August 2019 nicht offensichtlich unhaltbar darüber hinweggesetzt, dass die Klägerin von einem ihr zustehenden Wahlrecht - folgte man der Ansicht des Amtsgerichts Schöneberg - bereits Gebrauch gemacht hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 8]; BayObLG, Beschluss vom 9. September 1993, 1Z AR 25/93, juris).
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cc) Angesichts des übereinstimmenden, auf rechtliche Erwägungen gestützten Verweisungsbegehrens der Parteien schadet es auch nicht, dass der Verweisungsbeschluss nicht näher begründet worden ist. Dies war ersichtlich durch die Übereinstimmung der Parteien verursacht. In solchen Fällen begründet das Fehlen einer näheren Begründung nicht die Willkürlichkeit der Verweisung (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2010, Xa ARZ 14/10, NJW-RR 2010, 891 Rn. 17; Beschluss vom 27. Mai 2008, X ARZ 45/08, NJW-RR 2008, 1309 Rn. 10).