LG Bamberg, Teilurteil v. 22.04.2020 – 11 O 544/18
Titel:

Anspruch auf Unterlassung des Betreibens von Rückkühlanlagen mit Umhausung auf Nachbargrundstück

Normenketten:
BayBO Art. 6 Abs. 1, 9
BGB § 823 Abs. 2, § 1004 Abs. 1
ZPO § 301 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Rückkühlanlagen mit Umhausung sind keine gebäudeähnlichen Anlagen iSv Art. 6 BayBO. (Rn. 23 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassungsanspruch, Beseitigungsanspruch, Wohnfrieden, Teilurteil, Rückkühlanlage, quasinegatorischer Anspruch
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Urteil vom 04.05.2021 – 5 U 176/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 28.01.2022 – V ZR 99/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 57620

Tenor

Die Klage wird im Hauptantrag abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flurnummer … der Gemarkung Bamberg. Sie betreibt auf diesem Grundstück unter der Anschrift … ein Hotel. Auf der Rückseite des Hotels befinden sich 12 Gästezimmer mit Balkon sowie eine zum Aufenthalt von Gästen vorgesehene Terrasse. Die Zimmer bzw. Balkone und die Terrasse blicken auf ein zwischen der … Straße und der … Straße gelegenes Grundstück, auf dem die Beklagte unlängst ein Bauvorhaben verwirklicht hat, zu dem unter anderem auch ein Lebensmittelmarkt im Erdgeschoss gehört.
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Die für den Lebensmittelmarkt erforderlichen zwei Rückkühlanlagen wurden auf diesem Nachbargrundstück an der Grenze zum Grundstück der Klägerin mit einem Abstand von weniger als 3 m errichtet. Die Maße der Rückkühlgeräte betragen 5,55 m x 1,33 m x 1,85 m und 4,81 m x 1,24 m x 1,80 m. Sie wurden auf einer Grünfläche errichtet, die an sich bauplanungsrechtlich von jeglicher Bebauung frei zu halten ist.
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Die Errichtung der Rückkühlanlagen wurde durch Bescheid der Stadt Bamberg vom 05.09.2018 baurechtlich genehmigt. Eine Ausnahmegenehmigung hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächenregelungen wurde für die Rückkühlanlagen in diesem Bescheid nicht erteilt, die Stadt Bamberg ging vielmehr davon aus, dass die Rückkühlanlagen unter dem Gesichtspunkt der Abstandsflächenregelungen nicht relevant seien. Der Bescheid vom 05.09.2018 ist bestandskräftig.
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Die Klägerin meint, sie könne wegen einer Verletzung der Abstandsflächenregelung des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBauO die Beseitigung der Rückkühlanlagen verlangen. Die Rückkühlanlagen seien gebäudegleiche Anlagen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBauO und müssten daher die Abstandsflächenregelungen einhalten. Eine Anwendung der Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 9 BayBauO auf gebäudegleiche Anlagen komme nicht in Betracht.
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Die Klägerin meint in diesem Zusammenhang weiter, die öffentlich rechtliche Genehmigung entfalte keine Bindungswirkung im Hinblick auf das privatrechtliche Rechtsverhältnis der Parteien. Die Rechtmäßigkeit des Bescheids könne und müsse von den Zivilgerichten vielmehr uneingeschränkt überprüft werden.
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Die Klägerin trägt schließlich vor, es sei zu erwarten, dass von den Rückkühlanlagen Schallemissionen von bis zu 63 dB(A) ausgingen. Die Grenzwerte der TA Lärm würden tags wie nachts überschritten. Insbesondere im Bereich der an der Grundstücksgrenze gelegenen Terrasse des Hotels der Klägerin sei mit höheren Werten zu rechnen, als sie bei bisherigen Messungen festgestellt wurden.
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Die Klägerin beantragt daher:
1. Der Beklagten wird untersagt, auf dem vom Bebauungsplan 114 F der Stadt Bamberg für das Gebiet zwischen … Straße und … Straße - „…“ erfassten Plangebiet in einem Abstand von weniger als 3 m zum Grundstück der Klägerin Flurstück … der Gemarkung Bamberg Rückkühlanlagen zu betreiben.
2. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.
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Hilfsweise zu 1. beantragt die Klägerin weiter:
Der Beklagten wird untersagt, auf dem vom Bebauungsplan 114 F der Stadt Bamberg für das Gebiet zwischen … Straße und … -Str. - „…“ - erfassten Plangebiet zum Grundstück der Klägerin Flurnr. … Gemarkung Bamberg hin Kühlanlagen/Rückkühlanlagen und Klimageräte sowie andere emittierende technische Anlagen in der Weise zu betreiben, dass die für Kerngebiete geltenden Emissionsrichtwerte von 60 dB(A) in der Zeit von 06.00-22.00 Uhr und von 45 dB(A) in der Zeit von 22.00 Uhr - 06.00 Uhr an dem nach Ziffer 2.3 der TA Lärm maßgeblichen Emissionsort am Gebäude der Klägerin in der … in Bamberg überschritten werden.
Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren angedroht.
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Hilfshilfsweise:
Die Beklagte wird verpflichtet, auf dem vom Bebauungsplan 114 F der Stadt Bamberg für das Gebiet zwischen … und … Str. - „Qu …“ - erfassten Plangebiet zum Grundstück der Klägerin Flurstück … Gemarkung Bamberg hin geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die von ihr dort betriebenen technischen Anlagen (Klimagerät, Kühlanlage/Rückkühlanlage) so zu betreiben, dass von dieser keine, nach dem Stand der Technik vermeidbare, schädliche Umwelteinwirkung auf das Grundstück der Klägerin dringt.
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Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
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Sie meint, die Rückkühlanlagen seien unter dem Gesichtspunkt der Abstandsflächen nicht relevant, da von ihnen keine gebäudegleichen Wirkungen ausgingen.
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Sie meint außerdem, der Bescheid der Stadt Bamberg vom 05.09.2018 binde aufgrund seiner Tatbestandswirkung auch die Zivilgerichte.
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Die Beklagte trägt weiter vor, die von den Rückkühlanlagen ausgehenden Emissionen hielten die Werte der TA Lärm ein. Von den Anlagen gehe daher keine oder allenfalls eine unwesentliche Beeinträchtigung für das klägerische Grundstück aus. Die bislang gemessenen Werte von tags 39,8 dB(A) und nachts 35,8 dB(A) würden nicht überschritten. Auf der Terrasse sei die Lärmeinwirkung sogar geringer.
14
Die Beklagte macht schließlich geltend, eine Beseitigung der Anlagen sei für sie, die Beklagte, mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. Die Rückkühlanlagen könnten insbesondere unter Denkmalschutzgesichtspunkten nicht an einer anderen Stelle errichtet werden, ohne sie könne der Lebensmittelmarkt jedoch nicht weiter betrieben werden.
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Eine Beweisaufnahme hat bislang nicht stattgefunden.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 03.07.2019 und 11.03.2020 sowie auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist im Hauptantrag unbegründet.
18
Streitgegenstand des Hauptantrags ist die Beseitigung der Rückkühlanlagen gem. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 6 BayBO wegen der Nichteinhaltung der Abstandsflächenregelungen, die von der letztgenannten Vorschrift vorgegeben werden.
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Dieser Streitgegenstand ist zu unterscheiden von einem Anspruch auf Unterlassung einer von der Anlage ausgehenden Geräuschbelästigung, der auf eine gänzlich andere Rechtsfolge abzielt (OLG München, Urteil vom 11.04.2018, 3 U 3538/17). Insbesondere impliziert ein Anspruch auf Unterlassung einer Geräuschbelästigung nicht zwingend eine Beseitigung oder Verlegung der Anlagen, da das dabei geschuldete Rechtsschutzziel unter Umständen auch auf andere Weise, etwa durch Anbringung einer Dämmung, erreicht werden kann. Für die Begründetheit des Hauptantrages kommt es daher nicht auf die zwischen den Parteien streitige Tatfrage an, welche konkreten Lärmbelästigungen von den Anlagen ausgehen bzw. ausgehen werden, dies ist vielmehr nur für die Hilfsanträge relevant.
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Ein derartiger Anspruch auf Beseitigung gem. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 6 BayBO steht der Klägerin jedoch nicht zu.
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Allgemein anerkannt ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass landesrechtliche Vorschriften über die einzuhaltenden Abstandsflächen Schutzgesetze sind, deren Verletzung grundsätzlich Abwehransprüche gem. §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB begründet.
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Vorliegend sind die Vorgaben des Art. 6 BayBO jedoch nicht verletzt.
23
Die Rückkühlanlagen sind offensichtlich kein oberirdisches Gebäude im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 BayBO. Sie sind auch keine gebäudegleiche Anlage im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO.
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Bei der Frage, ob von einer Anlage „Wirkungen wie von Gebäuden“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO ausgehen, ist auf den Sinn und Zweck der Abstandsflächenregelungen abzustellen. Abstandsflächen dienen dabei in erster Linie dazu, die ausreichende Belüftung, Belichtung und Besonnung der Gebäude sicherzustellen, außerdem spielen auch Aspekte des Brandschutzes eine Rolle (OVG Weimar, Urteil vom 14.03.2012, 1 KO 261/07). Daneben ist jedenfalls nach herrschender Meinung auch der Aspekt des sogenannten Wohnfriedens relevant (OVG Weimar, a.a.O.; OVG Saarlouis, Urteil vom 28.11.2000, 2 R 2/2000, Rnr. 32; VGH München, Urteil vom 03.12.2014, 1 B 14.819).
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Bei der Beurteilung, ob von einer Anlage Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO ist daher in erster Linie auf die körperliche bzw. optische Wirkung einer Anlage oder Einrichtung im Raum abzustellen, die auf das Bedürfnis des Nachbarn nach ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie nach ausreichendem Schutz vor optischer Beengung und Wahrung der Privatsphäre in gleicher Weise und Intensität einwirken kann wie ein Gebäude. Insoweit spielt die Größe der Anlage eine wesentliche Rolle (VGH München, Urteil vom 28.07.2009, 22 BV 08.3427).
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Im vorliegenden Fall ist nicht dargetan oder ersichtlich, dass sich die streitgegenständlichen Rückkühlanlagen unter irgendeinem dieser angesprochenen Gesichtspunkte wesentlich auswirken. Insbesondere ist das Maß von 2 m Höhe, ab dem in der Regel von einer gebäudegleichen Anlage ausgegangen werden muss, nicht überschritten. Eine nachteilige Auswirkung der Rückkühlanlagen unter dem Gesichtspunkt der Belichtung, Besonnung und Belüftung des klägerischen Grundstücks, ein Eindruck der optischen Beengung durch die Anlagen oder irgendwelche Beeinträchtigungen des Brandschutzes werden auch von der Klägerin nicht behauptet. Die Rückkühlanlagen wirken sich auch unter dem Gesichtspunkt des sogenannten Wohnfriedens nicht nachteilig aus. Unter „Wohnfrieden“ versteht man den Schutz der Privatsphäre vor Einblicken anderer in die eigene private Lebensführung und umgekehrt vor dem unerwünschten Miterleben der privaten Lebensäußerungen anderer. Dieser Wohnfrieden kann nicht, jedenfalls nicht in jeder Hinsicht, mit dem Immissionsschutz gleichgesetzt werden (OVG Saarlouis, a.a.O.). Einerseits können Immissionen, die unter Lärmschutzgesichtspunkten unerheblich sind, etwa Musikhören oder Gespräche in normaler Lautstärke, unter dem Gesichtspunkt des Wohnfriedens durchaus als erheblich störend empfunden werden, während andererseits ein rein technischer Lärm, wie er hier von den streitgegenständlichen Rückkühlanlagen ausgeht, auch bei einer erheblichen Lärmbelästigung unter diesem Gesichtspunkt irrelevant ist. Allein die bloße Beeinträchtigung der privaten Lebensführung oder hier der gewerblichen Tätigkeit durch eine vom Nachbargrundstück ausgehende Lärmbelästigung als solche ist daher unter dem Gesichtspunkt des Wohnfriedens nicht relevant und damit nicht maßgeblich für die Frage, ob eine Anlage eine gebäudegleiche Anlage im Sinne des Abstandsflächenrechtes ist.
27
Selbst wenn man jedoch die Rückkühlanlagen als gebäudegleiche Anlage ansehen würde, so greift doch jedenfalls die Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. ein. Diese Vorschrift ist auf gebäudegleiche Anlagen analog anzuwenden, da sich sonst das unsinnige Ergebnis ergäbe, dass eine an sich unzulässige gebäudegleiche Anlage dann nach Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO zulässig werden könnte, wenn sie mit einer Einhausung versehen und damit zum Gebäude im Sinne dieser Vorschrift würde, auch wenn die Einhausung keinerlei positive Auswirkungen im Hinblick auf die für das Erfordernis der Abstandsflächen maßgeblichen Aspekte hätte, sondern sich vielmehr in der Regel unter dem Gesichtspunkt der Belüftung, Belichtung und Besonnung oder des Brandschutzes sogar nachteilig auswirken würde (OLG München, a.a.O.).
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Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO sind im Übrigen unproblematisch gegeben. Die Anlagen können naturgemäß nicht von Menschen betreten werden, sie sind bzw. enthalten keine Feuerstellen und sie halten das Höchstmaß von 9 m Länge und 3 m Höhe ein.
29
Irrelevant ist schließlich, dass die Anlagen gegen planungsrechtliche Vorgaben hinsichtlich des Freihaltens von Grünflächen verstoßen. Insoweit handelt es sich um Regelungen, die ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienen, keine drittschützende Wirkung entfalten und damit nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommen.
30
Die Klage ist somit im Hauptantrag aus Rechtsgründen bereits entscheidungsreif.
31
Hinsichtlich des gestellten Hilfsantrags muss dagegen vor einer Entscheidung durch ein Sachverständigengutachten über die Frage Beweis erhoben werden, welche Lärmbeeinträchtigungen von den streitgegenständlichen Anlagen ausgehen bzw. ausgehen werden und ob deshalb die für einen Unterlassungsantrag erforderliche Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr besteht.
32
Das Gericht macht daher von der Möglichkeit des Teilurteils gemäß § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gebrauch.