LG München I, Endurteil v. 12.10.2020 – 10 HK O 357/18
Titel:
Frist zur Vorlage eines Schiedsgutachtens im Zivilprozess
Normenketten:
ZPO § 356, § 431, § 1029
BGB § 319, § 814
HGB § 250 Abs. 2
Leitsätze:
1. Haben die Parteien vereinbart, dass bei Streitigkeiten über die Höhe des variablen Kaufpreises ein Wirtschaftsprüfer entscheiden solle, handelt es sich um einen Schiedsgutachtenvertrag und nicht um eine Schiedsvereinbarung. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat der Kläger im Zivilprozess das Schiedsgutachten nicht eingereicht, muss die Klage nicht "als derzeit unbegründet" abgewiesen werden. Vielmehr kann dem Kläger zunächst eine Frist entsprechend den §§ 431, 356 ZPO gesetzt werden (Anschluss an BGH BeckRS 1988, 1827). (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schiedsgutachtenvertrag, Schiedsabrede, Vorlage im Prozess, Fristsetzung, Klageabweisung als "zur Zeit unbegründet"
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 26.01.2022 – 7 U 6362/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 56001
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 445.977,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.11.2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 75 % und der Beklagte 25 %.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.731.319,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten u.a. über Ansprüche der Klägerin aus einem Unternehmenskaufvertrag.
2
Mit Unternehmenskaufvertrag vom 12.11.2014 (Anl. K1, B 1) verkaufte der Beklagte seine Anteile an der … (im Folgenden: …) zu einem fixen Kaufpreis in Höhe von 16.500.00,00 € sowie einem variablen Kaufpreis an die Klägerin. Der variable Kaufpreis errechnete sich aus dem Jahresergebnis der … sowie dem Jahresergebnis der von dieser zu 100 % beherrschten … (im Folgenden …) jeweils zum 31.12.2015 und sollte mindestens 7.000.000,00 € betragen (vgl. § 3.2. des Kaufvertrags). Gem. § 2.2.2. d) i.V.m. § 13 des Kaufvertrags sollte bei Streit über den variablen Kaufpreis ein neutraler von der Kammer in … zu benennender Wirtschaftsprüfer über die Höhe des variablen Kaufpreises verbindlich entscheiden. Der Beklagte hatte zudem gem. § 4 des Kaufvertrags Anspruch auf die Auszahlung von Dividenden bezogen auf das Geschäftsjahr 2015.
3
Vor Abschluss des Unternehmenskaufvertrags führte die Klägerin in der Zeit ab Juni 2014 eine Due Dilligence durch.
4
Der Beklagte war bis zum 31.12.2016 Geschäftsführer der … und …. Vom 19.11.2014 bis 21.07.2015 war der Mitarbeiter der Klägerin … weiterer Geschäftsführer der … und … (Anl. K 16 und K 17). Nach der Abberufung des … wurde im Jahr 2016 zunächst … vom 02.08.2016 bis 20.01.2017 … bzw. vom 27.07.2016 bis 30.11.2016 … und nach dem Ausscheiden des Beklagten als Geschäftsführer … als weitere Geschäftsführerin bestellt. Die internen Zuständigkeiten der Geschäftsführer ergeben sich aus der Geschäftsordnung Anl. F zum Kaufvertrag.
5
Die … und die … befassen sich im Kern mit der ambulanten und stationären Versorgung von Patienten mit Sauerstoff. Zur Versorgung der Patienten werden häufig, z.B. auch mit Krankenkassen, zum Teil langfristige Mietverträge über Sauerstoffgeräte abgeschlossen. Umsatzerlöse aus derartigen Mietverträgen wurden bis einschließlich 31.12.2015 nicht periodengerecht zugeordnet, sondern bilanziell sofort im Jahr des Vertragsschlusses in voller Höhe verbucht, eine passive Rechnungsabgrenzung erfolgte nicht. Der für das Jahr 2014 für die … aufgestellte Jahresabschluss erhielt ein uneingeschränktes Testat der Wirtschaftsprüfung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft …. Auf der Gesellschafterversammlung vom 27.11.2015 beschlossen die Parteien einstimmig die Feststellung der Jahresabschlüsse 2014 für die …; den Jahresabschluss 2014 für die … stellte der Beklagte auf und am 03.08.2015 fest (Anl. B 5.1 und B 5.2). Nach Abschluss des Geschäftsjahres 2015 stellte der Beklagte die Jahresabschlüsse 2015 für die … und …, denjenigen für die … unter Mitwirkung von Stb. … auf (Anl. K 3); die … Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erteilte der … am 30.06.2016 in Bezug auf den Jahresabschluss 2015 ein uneingeschränktes Testat (Anl. K 2).
6
Der Beklagte übermittelte der Klägerin die aufgestellten Jahresabschlüsse der … (testiert) und der … nach Maßgabe des Kaufvertrags (Anl. B 6). Die Klägerin machte von ihrem Recht der umfassenden Prüfung der Jahresabschlüsse Gebrauch. Die Prüfungszeit lief bis 27.07.2016. Der Beklagte fasste am 28.06.2016 den Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses 2015 der … (Anl. B 7).
7
Die Jahresabschlüsse 2015 waren gem. § 2.2.2. a) des Kaufvertrags auf der Grundlage der geltenden Bilanzrichtlinien aufzustellen. Diese Jahresabschlüsse enthielten folgende für die Ermittlung des variablen Kaufpreises maßgebliche Ergebnisse.
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…: Umsatzerlöse: € 10.712.133,31 €; EBIT: 2.565.816,92 €
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…: Umsatzerlöse: € 5.185.786,88 €; EBIT: 628.883,79 €
8
Stb. … errechnete im Auftrag des Beklagten - wie vertraglich vereinbart - auf Basis der vorgenannten Ergebnisse einen variablen Kaufpreis in Höhe von 8.991.968,70 € (Anl. K 4, B 8) und teilte den Parteien diesen Betrag unter Offenlegung der Berechnung mit Schreiben vom 28.06.2016 mit.
9
Die Klägerin beauftragte die Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft … (im Folgenden: …) jedenfalls mit der Überprüfung der Berechnung des variablen Kaufpreises. … erkannte zwar eine mögliche Problematik „passive Rechnungsabgrenzung“, bestätigte jedoch den variablen Kaufpreis von 8.991.968,70 € ohne Vorbehalt.
10
Die Klägerin bezahlte mit Wertstellung zum 06./07. Juli 2016 einen variablen Kaufpreis in Höhe von 8.991.968,70 € (Anl. B 10). Zuvor hatte die Klägerin per E-Mail gegenüber dem Beklagten die zeitnahe Bezahlung des mitgeteilten variablen Kaufpreises angekündigt.
11
Auf der Gesellschafterversammlung vom 16.08.2016 wurde der Jahresabschluss 2015 einstimmig festgestellt (Anl. K 3, B11). Die Parteien waren der Überzeugung, die Jahresabschlüsse 2015 entsprächen den handelsrechtlichen Vorschriften.
12
Nach dem Ausscheiden des Beklagten aus der … und der … erstellte Stb. … die Jahresabschlüsse 2016 wie in den Jahren zuvor. Die Steuerberaterkanzlei … PartnergesellschaftmbH, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Steuerberatungsgesellschaft (im Folgenden …) überprüfte die Jahresabschlüsse 2016 und beanstandete die fehlende korrekte Rechnungsabgrenzung gem. § 250 Abs. 2 HGB. In der Folge wurden die Jahresabschlüsse 2015 zunächst von Stb. …, dann durch die … und … selbst korrigiert (vgl. Anl. K 5 - K 7). Die Steuerberaterkanzlei … errechnete einen variablen Kaufpreis in Höhe von 8.151.711 € (Anl. K 8).
13
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Höhe des bezahlten variablen Kaufpreises korrekt oder zu hoch angesetzt wurde.
14
Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der Differenz aus dem von ihr bezahlten variablen Kaufpreis und dem von der Steuerberaterkanzlei … errechneten variablen Kaufpreis in Höhe von 8.151.711,00 €, somit 840.257,70 €.
15
Auf Basis der Jahresabschlüsse Anl. K 2 und K 3 für da Jahr 2015 wurden an den Beklagten bezogen auf die … und … Dividenden in Höhe von 319.302,50 € bzw. 109.368,15 €, insgesamt 500.670,65 € ausgekehrt (Anl. K 9 und K 10). Aus der Berechnung der Steuerberaterkanzlei … ergeben sich auszukehrende Dividenden bezogen auf die … und … in Höhe von 313.045,00 € bzw. 79.170,00 €, insgesamt somit 392.215,00 € (vgl. Anl. K 11). Die Klägerin begehrte zunächst Rückzahlung von an den Beklagten ausgeschütteten Dividenden in Höhe der sich aus diesen Zahlen ergebenden Differenz in Höhe von 108.455,65 €. Seit das Schiedsgutachten vorliegt, hält die Klägerin insoweit schriftsätzlich noch eine Forderung in Höhe von 73.842,00 € für begründet.
16
Vorgerichtlich korrespondierten die Parteien über die hier streitgegenständlichen und weitere Ansprüche der Klägerin. Der Beklagte war nicht bereit bis spätestens 31.10.2017 auf die Einrede der Verjährung zu verzichten (Anl. K 12 - K 15). Auf Antrag der Klägerin erging Mahnbescheid über 1.731.319,00 €, der Beklagte legte form- und fristgerecht Widerspruch ein. Die Klägerin reduzierte Ihre Forderungen sodann auf letztlich noch streitgegenständliche 948.713,35 € und erklärte den Rechtsstreit in Höhe von 782.605,65 € für erledigt. Der Beklagte schloss sich dieser Teilerledigungserklärung nicht an.
17
Die Klägerin behauptet, im Zuge der Erstellung des Jahresabschlusses 2016 habe sich herausgestellt, dass der noch unter der Geschäftsführung des Beklagten erstellte Jahresabschluss zum 31.12.2015 unter Verletzung zwingender Vorschriften des HGB, insbesondere § 250 Abs. 2 HGB erstellt worden sei. Die Handhabung der Verbuchung der Einkünfte aus Mietverträgen über Sauerstoffgeräte verstoße gegen die zwingende Vorschrift des § 250 Abs. 2 HGB. Der von dem Beklagten behauptete Ausgleich zwischen aktiven und passiven Rechnungsabgrenzungsposten sei durch nichts belegt und grob rechtsirrig. Zudem seien Gewinne gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind; die von dem Beklagten geübte Praxis verstoße auch gegen diesen Grundsatz.
18
Rechtsfolge der falschen Bilanzierung sei gem. § 256 Abs. 5 AktG analog die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse 2015. Die Feststellungsbeschlüsse seien ebenfalls unwirksam. Im Zeitpunkt der Zahlung des variablen Kaufpreises und der Ausschüttung der Dividenden für das Jahr 2015 habe somit kein wirksam auf- und festgestellter Jahresabschluss 2015 vorgelegen. Somit fehle es an eine Rechtsgrundlage für die Zahlung des variablen Kaufpreises und die Ausschüttung der Dividende. Insofern sei es irrelevant, ob der variable Kaufpreis gemeinsam ermittelt worden sei, was im Übrigen nicht der Fall sei. Ebenso wenig komme es darauf an, ob die Klägerin bei der Erstellung der Jahresabschlüsse mitgewirkt habe oder nicht, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Denn der Beklagte sei zu der Zeit als die Jahresabschlüsse 2015 zu erstellen waren alleiniger Geschäftsführer gewesen und habe sich auf den Sachverstand des Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers … verlassen.
19
Die Klägerin behauptet bei korrekt aufgestellter Bilanz sei von folgenden für die Ermittlung des variablen Kaufpreises relevanten Parametern auszugehen:
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…: |
Umsatzerlöse: € 10.341.386,39 €; EBIT: |
2.195.070,38 € |
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…: |
Umsatzerlöse: € 5.054.851,02 €; EBIT: |
497.946,76 € |
20
Auf Basis der vorgenannten Parameter errechne sich gem. § 3.2. des Kaufvertrags ein zutreffender Kaufpreis in Höhe von 8.151.711 € (Anl. K 8). Die Klägerin habe daher einen gem. § 812 BGB begründeten Rückzahlungsanspruch in Höhe von 840.257,70 €.
21
Die Klägerin ist der Auffassung, die Klage sei zulässig. Denn die Parteien hätten eine Schiedsgutachterklausel vereinbart, die den ordentlichen Rechtsweg gerade nicht ausschließe. Da eine Wirtschaftsprüferkammer … nicht existiere gehe die Schiedsgutachterklausel ohnehin ins Leere.
22
Die Zahlung des zu hohen Kaufpreises beinhalte kein Anerkenntnis der Klägerin. Die Klägerin habe sich - wie der Beklagte auch - über die Richtigkeit der Berechnung des von der Klägerin bezahlten variablen Kaufpreises im Irrtum befunden. Es handele sich um einen offenen, beiderseitigen Kalkulationsirrtum. Spätestens mit dem Rückforderungsschreiben vom 27.09.2017 habe die Klägerin ein etwaiges Anerkenntnis konkludent angefochten. Hilfsweise erklärte die Klägerin in der Klageschrift die Anfechtung erneut. Die Klägerin führt aus, Einigung der Parteien sollte die sein, den variablen Kaufpreis auf der Basis korrekter Jahresabschlüsse zu berechnen, somit sei das Ergebnis der Berechnungen schlicht den tatsächlichen Gegebenheiten gem. § 313 BGB anzupassen. Gleiches gelte, wolle man annehmen, die Richtigkeit der ausgeschütteten Dividenden sei dadurch anerkannt worden, dass die Klägerin an der Feststellung der unrichtigen Jahresabschlüsse 2015 mitgewirkt habe. Zum einen seien diese Beschlüsse wie bereits ausgeführt nichtig. Zum anderen habe keine Abstimmung stattgefunden.
23
Da sich die vor Kaufvertragsabschluss durchgeführte Due Dilligence lediglich auf Vorgänge bis 31.12.2014 bezogen habe, komme es nicht darauf an, ob die falsche bilanzielle Behandlung der Mietverträge hätte erkannt werden können oder müssen. Im Übrigen hätte der Beklagte bzw. dessen Steuerberater … den Eindruck erweckt, dass die Bilanzierung dieser mehrjährigen Verträge ohne die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens richtig sei.
24
Schließlich schließe auch die Einschaltung von … die Rückforderung nicht aus. Denn die Klägerin habe lediglich die Berechnung des variablen Kaufpreises prüfen sollen. Eine regelrechte Abschlussprüfung habe die Klägerin nicht vorzunehmen gehabt. Gegenstand des Gesprächs bei dem Treffen vom 22.06.2016 sei die Plausibilitätskontrolle der wesentlichen den Jahresabschlüssen 2015 zu Grunde liegenden Annahmen. … habe sich auf die Angaben des Stb. … betr. das Thema Wesentlichkeit verlassen.
25
Das nun vorliegende Schiedsgutachten sei verwertbar, die Entscheidung des Schiedsgutachters unanfechtbar. Das Schiedsgutachten sei weder einseitig zu Lasten des Beklagten erstellt, noch grob unrichtig oder grob unbillig. Das Schiedsgutachten komme, wie sich aus der von dem Schiedsgutachter ermittelten Höhe der Überzahlung ergebe, keinesfalls nur zu Ergebnissen, die einseitig zu Lasten des Beklagten gingen. Ein Wirtschaftsprüfer müsse auch nicht die relevanten Geschäftszahlen immer selbst ermitteln, sondern dürfe sich auf die Vorarbeiten eines anderen Wirtschaftsprüfers als Abschlussprüfer verlassen. Aus dem Schiedsgutachten ergebe sich, dass der Beklagte 445.977,42 € zuviel an Kaufpreis erhalten habe und hinsichtlich der Dividenden eine Überzahlung in Höhe von 73.842,00 € vorliege.
26
Die Klägerin behauptet zudem, die für das Jahr 2015 an den Beklagten ausbezahlten Dividenden seien wegen der unrichtigen Jahresabschlüsse 2015 ebenfalls falsch berechnet und damit zu hoch ausbezahlt worden. Die Klägerin habe daher auch insoweit einen gem. § 812 BGB begründeten Rückzahlungsanspruch.
27
Die Klägerin sei auch hinsichtlich der Rückforderung der ausgeschütteten Dividenden aktivlegitimiert als Alleingesellschafterin der … und …. Im Übrigen liege jedenfalls eine zulässige gewillkürte Prozessstandschaft vor. Die Klägerin sei wirtschaftlich allein berechtigt. Eine etwaige Umstellung dieses Klageantrags auf Zahlung an die … und … sei sachdienlich, die Ansprüche seien nicht verjährt. Die Klägerin behauptet, die Befugnis zur Geltendmachung der Ansprüche auf Dividendenrückzahlung und die Beantragung des Mahnbescheids sei mit der Geschäftsführerin der … und … abgestimmt worden.
28
Die Klägerin ist der Auffassung, die Klage habe sich in Höhe von 782.604,95 € erledigt infolge der Neuerstellung der Jahresabschlüsse 2015, weil erst infolge der Neuerstellung der Jahresabschlüsse 2015 der variable Kaufpreis und die Dividendenansprüche des Beklagten korrekt festgestellt worden seien. 139.061,39 € der ursprünglichen Gesamtforderung habe sich zudem durch den Abschluss von Vergleichen vom 16.03.2018 und 30.04.2018 mit … bzw. dem Beklagten erledigt (vgl. Anl. K 27, K 28). Sollte sich der Beklagte dieser Erledigungserklärung nicht anschließen, müsse das Verhalten des Beklagten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über die Kosten gem. § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO Berücksichtigung finden. Denn hätte der Beklagte zumindest zeitweise aus die Einrede der Verjährung verzichtet, hätten die Parteien hinreichend Zeit gehabt und das vorliegende verfahren wäre höchstwahrscheinlich überflüssig geworden.
29
Die Klägerin beantragt:
- 1.
-
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 840.257,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.11.2017 zu zahlen.
- 2.
-
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 78.257,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.11.2017 an die Firma … zu zahlen.
- 3.
-
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 30.198,15 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.11.2017 an die Firma … zu zahlen.
- 4.
-
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in Höhe von 782.605,65 € erledigt ist.
30
Der Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
31
Der Beklagte ist der Auffassung die Klage sei unzulässig, weil der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten auf Grund der Schiedsvereinbarung § 2 Ziffer 2.2.2. d) nicht eröffnet sei. Ein etwaiges Schiedsgutachten hätte die Klägerin jedenfalls spätestens bis zum ersten Termin zur mündlichen Verhandlung beibringen müssen. Die Klage sei hinsichtlich der Rückforderung eines Teils des bezahlten variablen Kaufpreises zu diesem Zeitpunkt unschlüssig und unbegründet. Das später vorgelegte Schiedsgutachten sei völlig neuer Sachvortrag bzw. Streitgegenstand nach Ablauf der Verjährungsfrist; die verjährungshemmende Wirkung der Klage umfasse diesen neuen Lebenssachverhalt nicht.
32
Zum Schiedsgutachten trägt der Beklagte vor, dieses sei grob unbillig und grob unrichtig zu Lasten des Beklagten erstellt worden, da der Schiedsgutachter die für ihn geltenden Grundsätze der Berufssatzung und die dazu ergangenen Bestimmungen für Wirtschaftsprüfer bei der Erstellung des Gutachtens, insbesondere auch die Prüfungsstandards für Wirtschaftsprüfer nach PS 320 nicht beachtet habe und gegen § 43 WPG verstoßen habe. Denn der Schiedsgutachter habe die relevanten Sachverhalte weder selbst ermittelt, noch fundiert und gewissenhaft überprüft, sondern von Dritter Seite ermittelte Sachverhalte ungeprüft übernommen und Schätzungen vorgenommen. Der Schiedsgutachter habe sein Gutachten auf Daten der …, eines Parteivertreters der Klägerin gestützt und auch das Prozedere der Datenerhebung nicht dokumentiert. Der Beklagte behauptet, 60 % der Sauerstoffpatienten würden während der Behandlung versterben, diesen Umstand berücksichtige das Gutachten nicht. Zudem seien keine aktiven Rechnungsabgrenzungsposten berücksichtigt worden. Der Schiedsgutachter habe gegen das Gebot der Unparteilichkeit verstoßen. Das Schiedsgutachten könne daher nicht Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein.
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Der Beklagte behauptet, für jedermann sei erkennbar gewesen, dass bei den Jahresabschlüssen keine passiven und aktiven Rechnungsabgrenzungsposten verbucht sind. Die Klägerin habe bereits bei Ankauf der Geschäftsanteile volle Kenntnis darüber, wie die Jahresabschlüsse 2011 bis 2013 erstellt worden seien. Dieser Umstand sei für die Parteien nicht von Bedeutung gewesen, da eine periodengerechte Abgrenzung nur zu einer für den Wert des Unternehmens unerheblichen Verschiebung von Umsatz und Betriebsausgaben führen würde, insbesondere auch deshalb, weil sie sich ausgleichen und kompensieren, wenn die Abgrenzungen vollständig und korrekt vorgenommen werden. Überdies beziehe sich das in § 3 Ziffer 3.2. des Kaufvertrags für die Abschreibungsmethodik vorausgesetzte „going concern“- Prinzip auf jedwede Aktivierung und Passivierung in den Jahresabschlüssen 2015 analog zu den Jahresabschlüssen 2011 bis 2013 was die Ermittlung des variablen Kaufpreises angehe; bei den Rechnungsabgrenzungsposten handele es sich um Aktiva und Passiva. Für den Unternehmenswert seien die RAP's gleichgültig. Dies ergebe sich aus dem Vergleich der konsolidierten Umsatzzahlen bzw. EBIT 2014 und 2015. Aus Sicht der Klägerin als Bilanzempfängerin wäre die Erfassung der RAPs völlig bedeutungslos. Weil der Kaufpreis von den Parteien gemeinsam ermittelt werden sollte, hätten die Parteien im Kaufvertrag § 2 Ziffer 2.2.2. a) bis e) einen festen Modus vereinbart und Rechtssicherheit zu schaffen und sich auf die Höhe des zu zahlenden variablen Kaufpreises geeinigt. Der Klägerin sei es aus Rechtsgründen verwehrt, diese Rechtssicherheit rückwirkend ex ante wieder außer Kraft zu setzen.
34
Die Beklagte behauptet, die Jahresabschlüsse 2015 für die … und die … seien zutreffend, der variable Kaufpreis in Höhe von 8.991.986,70 € sei korrekt ermittelt worden.
35
Im Übrigen habe es dem weiteren von der Klägerin eingesetzten Geschäftsführer … gleichermaßen oblegen die Jahresabschlüsse für 2015 aufzustellen und zu kontrollieren. Bereits in 2014 beginnend habe ein von der Klägerin benannter Geschäftsführer das volle Einsichts-, Informations- und Kontrollrecht gehabt. Auf Grund der Due Dilligence sei der Klägerin die buchhalterische Handhabung von Verträgen mit Kunden über einen Jahreswechsel hinausgehend oder mit einer Laufzeit von mehreren Jahren bekannt gewesen. Die Klägerin habe volle Kenntnis gehabt, dass keine periodische passive oder aktive Rechnungsabgrenzung in den Jahren 2011 bis 2013 erfolgt sei und die Klägerin sei gleichermaßen wie die Beklagte davon ausgegangen, dass diese Art und Weise der Bilanzierung den geltenden Bilanzrichtlinien bzw. dem Handelsgesetzbuch entspreche. Die Klägerin habe auch an der Aufstellung der Jahresabschlüsse 2015 mitgewirkt. Aus der von der Klägerin vorgelegten Anlage K 24 ergebe sich, dass die Klägerin bereits am 06.06.2016 von … den Hinweis erhalten habe, dass die Rechnungsabgrenzung in den Jahren 2014 und 2015 nicht ordnungsgemäß erfolgt sein könnte und die Empfehlung hatte, dies an Hand der Arbeitspapiere des Wirtschaftsprüfers zu überprüfen
36
Der Beklagte behauptet, der Klägerin sei spätestens seit dem Gespräch vom 22.06.2016 welches im Zuge der Prüfungen durch … stattfand bekannt gewesen, dass keine periodische passive oder aktive Rechnungsabgrenzung vorgenommen wurde. Gleichwohl seien keine Bedenken gegen die Jahresabschlüsse 2015 erhoben worden und keine Überprüfung der wirtschaftlichen Wesentlichkeit einer Rechnungsabgrenzung vorgenommen. Die Klägerin habe sich somit der Einschätzung des Wirtschaftsprüfers … angeschlossen und ihrerseits die Rechnungsabgrenzung als wirtschaftlich unwesentlich anerkannt und akzeptiert.
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Weil die Klägerin in dieser Kenntnis die Jahresabschlüsse und die Gewinnfeststellung für 2015 beschlossen und trotz unterbliebener Abgrenzung den variablen Kaufpreis bezahlt und den Gewinn an den Mitgesellschafter ausbezahlt habe, könne beides nicht zurückfordern. Die Berufung auf eine etwaige Nichtigkeit der Beschlüsse wäre treuwidrig. Der Einwand der fehlenden Rechnungsabgrenzung sei verwirkt.
38
Zwischen den Parteien habe absolute Einigkeit betreffend die Jahresabschlüsse 2015 und den ermittelten Kaufpreis bestanden. Dies ergebe sich aus der Zahlung des Kaufpreises und der einstimmigen Feststellung der Jahresabschlüsse 2015. Spätestens mit der Feststellung der Jahresabschlüsse 2015 sei der variable Kaufpreis als verbindlich anerkannt worden. Die Klägerin sei auch keinem Irrtum unterlegen und hätte jedenfalls sämtliche Umstände zwingend erkennen können und müssen. Die Klägerin habe aus ihrer Sicht schlicht die Anwendung der handelsrechtlichen Vorschriften falsch eingeschätzt. Es fehle an einem Anfechtungsgrund. Beide Parteien hätten die Jahresabschlüsse 2015 alt für rechtswirksam und richtig erstellt eingeordnet, der Beklagte sei noch heute dieser Auffassung. Es handle sich lediglich um einen Irrtum über die Rechtslage. Die Klägerin habe lange Zeit bevor sie das Schreiben vom 27.09.2017 verfasste volle Kenntnis über ihren vermeintlichen Irrtum gehabt. Jedenfalls liege ein Fall der grob fahrlässigen Unkenntnis vor. Die Anfechtung wegen Irrtums sei zudem nicht unverzüglich, sondern erstmals und somit verspätet in der Klageschrift vom 30.01.2018 erklärt worden. Der Beklagte verweist zudem auf den Hinweis von … vom 06.06.2016 und die Bitte von … nach Erläuterung des Periodenabgrenzungsverfahrens 2014 und 2015. Gleichwohl habe die Klägerin nie um Erläuterung gebeten. Anlässlich der Besprechung Ende Juni/Anfang Juli 2016 habe Herr Stb … die Vorgehensweise bei der Erstellung des Testats erläutert und darauf hingewiesen, dass keine periodengerechte Abgrenzung erfolgt sei.
39
Der Beklagte behauptet, die Jahresabschlüsse der … und der … für das Jahr 2015 (Anl. K 2 und K 3) seien vollständig und richtig auch unter Beachtung der §§ 250 ff BGB ohne periodengerechte Abgrenzung der Umsatzerlöse und Betriebsausgaben erstellt worden. Die konkrete Erfassung der Mietverträge hätte einen enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand erfordert und sei nahezu unmöglich, die Geschäftsvorfälle hätten zudem keinen oder bestenfalls einen geringen Ergebnisertrag erbracht und hätten keine Auswirkungen auf das Jahresergebnis gehabt. Es sei daher zu Recht auf die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten verzichtet worden (Grundsatz der Wesentlichkeit und Grundsatz der Wirtschaftlichkeit). Auch bei zutreffender Abgrenzung würde sich an dem variablen Kaufpreis von 8.991.968,70 € nichts ändern. Im Übrigen habe die Klägerin nicht beachtet, dass eine Rechnungsabgrenzung nicht nur passiv, sondern auch aktiv zu erfolgen habe, der Wert der passiven Abgrenzung werde durch die aktive Abgrenzung fast vollständig kompensiert. Gerade im Bereich Personal, Fahrtkosten und Sachmittel müsse zu Beginn des Vertragsverhältnisses ein hoher Aufwand betrieben werden (vor dem Abschlussstichtag 31.12.2015), der sich auf das Vertragsverhältnis nach dem Abschlussstichtag auswirke. Zudem müsse konsequenterweise auch von Jahr 2015 nach 2016 und von 2014 auf 2015 vollständig abgegrenzt werden, es könne zudem nicht einseitig auf 2016 abgegrenzt werden, weil auch im Jahr 2014 Umsätze verbucht seien, die erst im Jahr 2015 angefallen seien. Die habe die Klägerin bei den Jahresabschlüssen 2015 neu nicht beachtet, weshalb diese grob unbillig und grob fehlerhaft und deren Parameter absolut untauglich für die Berechnung des variablen Kaufpreises seien.
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Die Jahresabschlüsse 2015 alt und die entsprechenden Feststellungsbeschlüsse seien auch nicht nichtig, da es an einer wesentlichen Auswirkung auf die Ertrags- und Vermögenslage fehle. Im Übrigen komme es auf eine etwaige Nichtigkeit auch nicht an, weil sich die Parteien verbindlich auf den zu zahlenden variablen Kaufpreis geeinigt hätten. Die Klägerin habe nicht nur eine Überprüfung des nach der Formel übermittelten Kaufpreises, sondern auch der Jahresabschlüsse 2015 alt vorgenommen. Es sei von Herrn … konkret erläutert worden, dass wegen des hohen Aufwands davon abgesehen worden sei, die Rechnungsabgrenzungsposten bilanziell zu erfassen und sich kein erheblicher Unterschied ergeben würde, würde man abgrenzen.
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Wegen der Geltendmachung der Erstattung von Gewinnausschüttungen für die Jahre 2015 sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert. Sollte die Klägerin ihren Klageantrag ändern in Ansprüche der … und …, sei Verjährung eingetreten.
42
Der Beklagte meint, dass es an einem erledigenden Ereignis fehle, da die im Mahnverfahren geltend gemachte Mehrforderung zu keinem Zeitpunkt begründet gewesen sei. Hinsichtlich der Positionen 4-7 des Anspruchsschreibens vom 27.09.2017 sei die Klägerin nie aktivlegitimiert gewesen.
43
Das Gericht hat der Klägerin mit Beschluss vom 30.11.2018 gem. §§ 431, 356 BGB analog eine Frist von 12 Monaten zur Beibringung des Schiedsgutachtens gesetzt. Das Schiedsgutachten des Wirtschaftsprüfers/Steuerberaters … von der …, auf den sich die Parteien verständigt hatten, ging am 21.11.2019 bei Gericht ein.
44
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 30.11.2018 und 15.06.2020 Bezug genommen.
45
Die Klägerin verkündete Herrn …, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, …, der … Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, …, der … Steuerberatungsgesellschaft mbH, … und der … Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, … den Streit. Ein Streitbeitritt erfolgte nicht.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist lediglich um zuerkannten Umfang begründet und war daher im Übrigen abzuweisen.
I.
47
Das Landgericht München ist auf Grund wirksamer Gerichtsstandsvereinbarung örtlich zuständig.
48
Die Parteien haben in § 14.2. des Kaufvertrags die Anwendung deutschen Rechts vereinbart.
49
Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet. § 2 Ziffer 2.2.2. d) beinhaltet keine Schiedsvereinbarung i.S.d. § 1029 ZPO, sondern lediglich die Vereinbarung, dass bei Streitigkeiten über die Höhe des variablen Kaufpreises ein Wirtschaftsprüfer entscheiden soll. Es handelt sich somit um einen Schiedsgutachtenvertrag. Da die Parteien durch die Vereinbarung der Schiedsgutachterklausel zu erkennen gegeben haben, dass Streitigkeiten über die Höhe des zu zahlenden variablen Kaufpreises durch einen Schiedsgutachter zu klären sind, ist diese Schiedsgutachterklausel analog anzuwenden, wenn nachträglich Streitigkeiten über die Höhe des variablen Kaufpreisanteils entstehen. Eine Schiedsgutachterklausel ist auslegungsfähig (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2001 - VIII ZR 235/00). Die Klausel Ziffer 2.2.2. d) des Kaufvertrages (Anl. K 1) ist vernünftigerweise dahingehend auszulegen, dass statt der nicht existenten Wirtschaftsprüferkammer … die Wirtschaftsprüferkammer … Schiedsgutachterstelle ist. Die Parteien wollten Streitigkeiten über die Höhe des Kaufpreises ersichtlich der staatlichen Gerichtsbarkeit entziehen und diese Streitigkeiten von einem Schiedsgutachter klären lassen. Da die von den Parteien gewählte Wirtschaftsprüferkammer … nicht existiert, ist der Vertrag dahingehend auszulegen, dass die diesem Standort nächstgelegende Wirtschaftsprüferkammer diejenige ist, die die Parteien gewählt hätten.
II.
50
Die Klägerin hat einen gem. § 812 Abs. 1 BGB begründeten Anspruch auf Rückzahlung von 445.977,42 €. In dieser Höhe liegt eine Überzahlung der Klägerin vor. Denn der Beklagte hatte lediglich Anspruch auf Zahlung eines variablen Kaufpreises in Höhe von 8.545.991,28 €, hat aber 8.991.968,70 € von der Klägerin erhalten. Die Höhe des geschuldeten Kaufpreises und damit die Höhe der Überzahlung steht auf Grund des Schiedsgutachtens vom 18.11.2019 verbindlich fest.
51
1. Die Klägerin hat das vereinbarte Schiedsgutachten zwar nicht mit der Klage, jedoch innerhalb der gerichtlich gesetzten Frist vorgelegt.
52
Haben die Parteien wie im vorliegenden Fall eine Schiedsgutachterklausel vereinbart ist es grundsätzlich zulässig und richtigerweise auch erforderlich, zunächst eine Frist entsprechend den §§ 431, 356 ZPO zu setzen (Kappel S. 81; München OLGR 2000, 43; Düsseldorf VersR 1962, 705, 706; BGH NJW-RR 1988, 1405: Fristsetzung möglich; Gehrlein VersR 1994, 1009, 1013: Fristsetzung möglich). Von dieser Möglichkeit hat die Kammer Gebrauch gemacht. Es liegt im Ermessen des Tatrichters, von einer sofortigen Abweisung „als zurzeit unbegründet“ abzusehen und zunächst entsprechend §§ ZPO § 356, ZPO § 431 ZPO eine derartige Frist zu setzen (vgl. Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, Vorb. § 1025 Anm. 3 L; Rosenberg-Schwab, § 177 III 4; Stein-Jonas-Schlosser, Vorb. § 1025 Rdnr. 32; Röhl, Vorb. § 1025 Rdnr. 50; Dahlen, NJW 1971, NJW Jahr 1971 Seite 1757; verneinend: OLG Düsseldorf, NJW-RR 1986, NJW-RR Jahr 1986 Seite 1061).
53
2. Die Ansprüche der Klägerin sind nicht verjährt.
54
Die streitgegenständlichen Bereicherungsansprüche verjähren innerhalb von 3 Jahren gem. § 195 BGB. Der Lauf der Verjährungsfrist wurde durch die Einleitung des gerichtlichen Mahnverfahrens unterbrochen gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB.
55
Die Parteien haben für die Einholung eines Schiedsgutachtens keinen zeitlichen Rahmen vorgegeben. Es ist zwar zutreffend, dass Streitigkeiten über die Höhe des Kaufpreises sicherlich möglichst zeitnah einer Klärung zugeführt werden sollten, weshalb der Klägerin auch das Recht zur Prüfung des von dem Beklagten ermittelten Kaufpreises zugebilligt wurde. Einer Streitpartei steht grundsätzlich die dreijährige Verjährungsfrist zur Verfügung, um mögliche Ansprüche zu erkennen und mit der gegnerischen Partei eine einvernehmliche Lösung des Streits herbeizuführen. Da die Klagepartei die Auffassung vertrat bzw. vertritt, dass vorliegend ein gerichtliches Gutachten einzuholen ist, durfte die Klägerin den Termin zur Güteverhandlung/Hauptverhandlung abwarten. Nach Auffassung der Kammer ist der für die Verjährungsunterbrechung wesentliche Sachvortrag, dass der Kaufpreis auf Basis der im Kaufvertrag getroffenen Vereinbarung falsch ermittelt wurde, somit auf Basis der kaufvertraglichen Vereinbarungen ein geringerer Kaufpreis geschuldet ist, als von der Klägerin an den Beklagten bezahlt wurde; die behauptete Überzahlung ist Gegenstand des Klageantrags. Es ist lediglich zur Klärung der zutreffenden Höhe des variablen Kaufpreises statt eines gerichtlichen Gutachtens ein Schiedsgutachten beizubringen. In Anbetracht dieser Erwägungen geht die Kammer davon aus, dass die vorliegende Klage die Verjährung unterbrochen hat, die Schiedsgutachterklausel nicht den Streitgegenstand bestimmt. Da das im Rahmen des Schiedsgutachtens aufzuarbeitende Zahlenmaterial sehr umfangreich ist, möglicherweise auch nicht nur das Zahlenmaterial des Jahresabschlusses 2015 zu betrachten ist, der Schiedsgutachter auch die Parteien anzuhören haben dürfte und die Auswahl eines Schiedsgutachters durch eine WPK einige Zeit in Anspruch nimmt, hat die Kammer eine Frist vom 12 Monaten zur Beibringung des Schiedsgutachtens für angemessen erachtet.
56
3. Eine Überzahlung in Höhe von 445.977,42 € steht auf Grund der Schiedsgutachtenvereinbarung für die Parteien verbindlich fest.
57
Die Bindung des Gerichts an das Schiedsgutachten des Wirtschaftsprüfers … vom 18.11.2018 ist nicht gemäß § 319 BGB erloschen.
58
a. Gem. § 319 BGB erlischt die Bindung des Gerichts an ein Schiedsgutachten im Fall einer von den Parteien oder dem Gutachter herbeigeführten rechtserheblichen Verzögerung. An die Annahme einer rechtserheblichen Verzögerung sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine rechtserhebliche Verzögerung liegt nicht vor. Auf die Erwägungen unter Ziffer 2 wird verwiesen. Zudem kann als gesichert gelten, dass die Klärung der hier streitigen Fragen auch mit Hilfe eines vom Gericht bestellten Sachverständigen erhebliche Zeit in Anspruch genommen hätte.
59
b. Die Bindung des Gerichts an das Schiedsgutachten des Wirtschaftsprüfers … ist auch nicht wegen grober Unbilligkeit bzw. grober Unrichtigkeit gem. § 319 BGB erloschen.
60
Das Schiedsgutachten ist nicht deshalb grob unbillig bzw. unrichtig, weil der Schiedsgutachter die Berechnung der Rechnungsabgrenzungsposten auf Basis der von der … überlassenen Excel-Dateien vorgenommen hat, welche die Mitarbeiter der … bzw. … dem Rechnungswesen der Gesellschaften entnommen und der … für die Zwecke der Abschlussarbeiten für die Geschäftsjahre 2016 ff überlassen hatten. Übernommen hat der Schiedsgutachter nämlich lediglich die Ausgangsdaten und nicht die für die Abschlussarbeiten 2016 ff erforderlichen Berechnungen. Dass die von dem Schiedsgutachter für die hier streitgegenständlichen Zeiträume 2015 und 2014 übernommenen Daten grob unrichtig oder falsch sind hat der Beklagte nicht behauptet. Schließlich hat der Beklagte an Hand der Geschäftsdaten die Jahresabschlüsse 2014 und 2015 für die Gesellschaften selbst aufgestellt. Somit ist es auch nicht grob unbillig oder unrichtig, dass der Schiedsgutachter diese Daten für die Erstellung des Schiedsgutachtens verwendet hat. Aus den Geschäftsdaten der Gesellschaften ergeben sich die Verträge, welche eine Laufzeit von einem Jahr oder länger hatten. Der Schiedsgutachter hat Verträge mit einer Laufzeit von 12 Monaten und Verträge mit einer längeren Laufzeit gesondert erfasst, Verträge mit einer kürzeren Laufzeit als einem Jahr vernachlässigt und auf diese Weise die passiven Rechnungsabgrenzungsposten zum 31.12.2014 und zum 31.12.2015 ermittelt.
61
Der Schiedsgutachter ist auch in nachvollziehbarer Weise auf den Einwand des Beklagten eingegangen, dass es zu vorzeitigen Vertragsbeendigungen, zum Beispiel wegen Todes der Patienten komme. Denn Erlöse zukünftiger Perioden sind infolge der Bildung der Rechnungsabgrenzungsposten in den Erlösen nicht mehr vorhanden. Dass diese Vorgehensweise grob unbillig ist, weil auf diese Weise in wesentlichem Umfang und somit grob unbillig Erlöse erfasst werden, die tatsächlich nicht mehr angefallen sind, erschließt sich nicht. Schließlich wurden auch Verträge mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr nicht berücksichtigt.
62
Dass der Schiedsgutachter keine aktive Rechnungsabgrenzung vorgenommen hat macht das Schiedsgutachten ebenfalls nicht grob unbillig bzw. unrichtig. Auch wenn es sein mag, dass Aufwand zu Beginn eines Mietverhältnisses höher ist, ergibt sich daraus nicht, dass der von den Gesellschaften zu tragende Aufwand für die Mitarbeiter auch zu Beginn eines Mietverhältnisses angefallen ist. In aller Regel werden die Gehälter der Mitarbeiter monatlich, nämlich periodisch ausbezahlt. Dass dies vorliegend anders gehandhabt wurde, ist nicht ersichtlich. Dass andere Kosten in einer Höhe anfallen, die zu einer wesentlichen Verschiebung von Aufwand führen, ist nicht ersichtlich. Dass Ausgaben vor dem Bilanzstichtag getätigt wurden, die entsprechenden Leistungen jedoch erst nach dem Bilanzstichtag erbracht werden ergibt sich aus dem Sachvortrag des Beklagten nicht.
63
Die Korrektur der Methodik der EBIT-Berechnung fällt jedenfalls wegen der sich daraus ergebenden Differenzbeträge im Verhältnis zum Gesamtkaufpreis nicht wesentlich ins Gewicht. Eine grobe Unrichtigkeit bzw. Unbilligkeit des Schiedsgutachtens deshalb jedenfalls nicht angenommen werden.
64
Die fehlende Rechnungsabgrenzung verstößt, wie der Schiedsgutachter zutreffend ausführt, gegen § 250 Abs. 2 HGB und somit gegen zwingende Bilanzierungsvorschriften. Es spielt keine Rolle, dass die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten u.U. sehr aufwändig und kostenintensiv ist. Die Unrichtigkeit der Bilanzierung kann auch nicht hingenommen werden, weil sie nicht wesentlich ist. Maßgebend ist, ob eine Unrichtigkeit oder ein Verstoß gegen die Bilanzierungsvorschriften nach Art oder Bedeutung allein oder zusammen mit anderen Unrichtigkeiten oder Verstößen nach den Umständen des konkreten Falles bezogen auf die Gesamtaussage der Rechnungslegung i.S.v. § 264 Abs. 2 geeignet ist, sich auf die Entscheidung eines vernünftig und objektiv denkenden Adressaten der Rechnungslegung, der sich auf die Aussagen in dem Abschluss nebst Lagebericht verlässt, auszuwirken. Die streitgegenständlichen Mietverträge sind das Kerngeschäft der …-Gesellschaften. Deren zutreffende bilanzielle Behandlung ist per se wesentlich. Auf Basis des Wesentlichkeitsprinzips kann allenfalls auf die Darstellung kleinerer, regelmäßig wiederkehrender Posten verzichtet werden; dem hat der Schiedsgutachter hinreichend Rechnung getragen, indem Verträge mit einer Laufzeit von weniger als 12 Monaten nicht berücksichtigt wurden. Da es sich auch nach der Darstellung des Beklagten um eine Vielzahl, nämlich mehrere tausend Verträge handelt, kommt eine Vernachlässigung dieser Mietverträge nicht in Betracht, auch wenn der einzelne Mieterlös sich lediglich auf 300,00 € bis 500 € pro Jahr und Sauerstoffgerät belaufen sollte. Allein auf Grund eines hohen Erfassungsaufwands kann daher nicht von Vorneherein auf eine Rechnungsabgrenzung verzichtet werden. Das Ergebnis des Schiedsgutachtens zeigt, dass die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten zu einer wesentlichen Veränderung des zu zahlenden Kaufpreises führt. Das zwischen den Parteien vereinbarte „going-concern-Prinzip“ kann keinesfalls eine gesetzeswidrige Bilanzierung abdecken.
65
Der Rückforderung der Überzahlung steht nicht § 814 BGB entgegen. Denn § 814 BGB fordert positive Kenntnis, dass die Leistung auf eine nicht bestehende Schuld erfolgt. Kennen müssen bzw. grob fahrlässige Unkenntnis ist insofern nicht ausreichend.
66
Der Rückforderung der Überzahlung steht weder ein Anerkenntnis noch eine verbindliche Einigung über die Höhe des zu zahlenden restlichen Kaufpreises entgegen.
67
Denn die Parteien haben zum Zeitpunkt der Zahlung übereinstimmend angenommen, die für die Berechnung des Kaufpreises maßgeblichen Unternehmenskennzahlen seien unter Anwendung der geltenden gesetzlichen Bilanzierungsrichtlinien ermittelt worden. Hierüber befanden sich die Parteien jedoch - wie sich aus dem Schiedsgutachten ergibt - im Irrtum. Der Kaufpreis ist daher nach dem Grundsatz des Wegfalls/Fehlens der Geschäftsgrundlage anzupassen (vgl. BeckOK BGB, Hau/Poseck, 55. Edition, Rn. 33-34). Der Klägerin kann nicht entgegengehalten werden, dass Gelegenheit zur Überprüfung des von dem Stb. … errechneten Kaufpreises hatte und von den von ihr eingeschalteten Wirtschaftsprüfern auf die Problematik der fehlenden Rechnungsabgrenzung hingewiesen wurde. Denn die Klägerin hatte nicht die Verpflichtung die Jahresabschlüsse der … Gesellschaften im Rahmen einer eingehenden Abschlussprüfung zu überprüfen. Es genügte eine Plausibilitätsprüfung. Im Rahmen dieser Plausibilitätsprüfung war sie nicht verpflichtet, der von … mitgeteilten Ansicht des Stb. …, eine Rechnungsabgrenzung sei aus Wesentlichkeitsgründen unterblieben, nachzugehen. Hier kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Jahresabschluss 2015 der … von einem Wirtschaftsprüfer testiert wurde und diesem Testat grundsätzlich Vertrauen geschenkt werden kann. Dass der Klägerin bzw. ihren Wirtschaftsprüfern Einzelheiten zu den Gründen der unterbliebenen Rechnungsabgrenzung erläutert wurden, vermutet der Beklagte nur. Eine Beweisaufnahme war daher insoweit nicht erforderlich. Das Festhalten an dem auf Grund unrichtiger Unternehmenskennzahlen ermittelten Kaufpreises ist für die Klägerin unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen auch nicht zumutbar. Schließlich wollten beide Parteien den Kaufpreis von auf Basis der geltenden Bilanzierungsrichtlinien gewonnenen Parametern von Stb. … ermitteln lassen.
III.
68
Der Feststellungsantrag ist unbegründet. Die Klage war insoweit abzuweisen. Es fehlt an einem erledigenden Ereignis. Die Klage war in Höhe des im Mahnverfahren noch geltend gemachten Mehrbetrags von Anfang an nicht begründet. Stellt sich im Laufe eines Rechtsstreits heraus, dass die Klage von Anfang an unbegründet war, ist diese Erkenntnis kein erledigendes Ereignis. Dass hinsichtlich der im Mahnverfahren geltend gemachten Mehrforderungen ein begründeter Zahlungsanspruch gegen den Beklagten selbst bestand, lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
IV.
69
Die Klägerin hat aus keinem Rechtsgrund einen begründeten Anspruch auf Rückzahlung von Gewinnausschüttungen, die nach Behauptung der Klägerin an den Beklagten von der … bzw. der … zu viel ausbezahlt wurden. Die Klage war daher insoweit abzuweisen.
70
Es kann dahinstehen, ob der Beklagte tatsächlich Gewinnausschüttungen in einer Höhe erhalten hat, die ihm tatsächlich nicht zustehen. Denn die Forderungen der Klägerin sind insoweit jedenfalls verjährt. Die Klägerin hat in der Klagebegründung die Prozessstandschaft nicht offengelegt, sondern ohne weitere Ausführungen Gewinnausschüttungen der … bzw. der … an die Klägerin zurückgefordert. Erst mit der Replik hat die Klägerin vorgetragen, in gewillkürter Prozessstandschaft zu klagen, ohne jedoch zu einer Ermächtigung seitens der … bzw. der … weiter vorzutragen.
71
Im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft darf jemand ein fremdes Recht aufgrund einer ihm von dem Beklagten erteilten Ermächtigung im eigenen Namen im Prozess verfolgen, wenn er ein eigenes schutzwürdiges Interesse hat. Ein eigenes schutzwürdiges Interesse mag die Klägerin als Konzernmutter haben. Die Prozessführungsermächtigung wurde jedoch nicht offengelegt. Die Prozessführungsermächtigung ist - anders als die Einzugsermächtigung - offen zu legen, wenn nicht für alle Beteiligten außer Zweifel steht, dass der Rechtsstreit im Wege gewillkürter Prozessstandschaft geführt wird (vgl. BGH NZG 2008, 711), da der Prozessgegner die Möglichkeit haben muss, sich auf die besondere Art des prozessualen Vorgehens einzustellen. Dass die Klägerin in Prozessstandschaft handelte, ergibt sich auch nicht ohne Zweifel aus den gegebenen Umständen. Die für die Zulässigkeit der Klage gebotene Offenlegung der Prozessstandschaft ist auch für die Verjährung von Bedeutung, da die verjährungshemmende Wirkung der Klage erst in dem Moment eintritt, in dem die Prozessstandschaft offengelegt wird oder offensichtlich ist. Die Prozessstandschaft muss somit vor Ablauf der Verjährungsfrist offengelegt werden. Die Offenlegung wirkt nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zurück. Erst im Termin vom 15.06.2020 hat die Klägerin zu ihrer Ermächtigung die Forderungen der … bzw. der … geltend zu machen vorgetragen und eine solche Ermächtigung offengelegt. Es kann dahinstehen, ob die Ermächtigung insoweit tatsächlich erteilt wurde oder nicht. Denn jedenfalls wirkt die spätere Offenlegung einer bei Klageerhebung bereits erteilten Ermächtigung nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zurück (vgl. OLG Hamburg, NJW 2019, 1005). Der Prozessstandschafter muss sich auf die erteilte Ermächtigung berufen und muss zum Ausdruck bringen, dass ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend gemacht wird. Daran fehlt es vorliegend in der Klageschrift.
V.
Nebenforderungen: §§ 286 ff BGB.
VI.
Kosten:
72
Es bestand kein Anlass dem Beklagten aus Billigkeitsgründen die infolge der im Mahnverfahren noch geltend gemachten Mehrforderung aufzuerlegen. Der Beklagte war nicht verpflichtet einen Verjährungsverzicht zu erklären oder der Klägerin in sonstiger Weise zuzuarbeiten.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.
Streitwert: § 3 ZPO.