LG München I, Endurteil v. 09.03.2020 – 10 HK O 1745/19
Titel:
Technische Voraussetzungen sind keine dem Handelsvertreter zur Verfügung zu stellenden Unterlagen
Normenkette:
HGB § 86a Abs. 1
Leitsatz:
Die Zurverfügungstellung der technischen Voraussetzungen für den Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr ist keine Unterlage iSv § 86a Abs. 1 HGB. Es fehlt an dem erforderlichen Tatbestandsmerkmal der „Erforderlichkeit“. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Handelsvertreter, Unterlage, technische Voraussetzungen
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Urteil vom 16.12.2021 – 23 U 1704/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 55902
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 55.586,47 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend.
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Die Klägerin ist Pächterin einer Autobahntankstelle und mit der Beklagten über einen am 15.09./21.06.2006 (Anlage 1) geschlossenen Vertriebsvertrag verbunden.
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Die Klägerin verkauft aufgrund des Vertriebsvertrages im Namen und für Rechnung von der Beklagten Kraft- und Schmierstoffe. Gem. § 2 b des Vertrages erhält die Klägerin Provisionen für die Kraftstoffverkäufe im Bargeschäft und im Kreditsystemverfahren. Bezüglich der nicht bar abzuwickelnden Geschäfte trafen die Parteien unter dem 21.06./10.07.2006 eine Zusatzvereinbarung (Anlage K 2). Auf Grund der Zusatzvereinbarung hat die Klägerin anteilig Gebühren- und Disagobelastungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr zu tragen; die Wirksamkeit dieser Vereinbarung ist zwischen den Parteien streitig. Die Anteile der Klägerin an den Gebühren- und Disagobelastungen zieht die Beklagte von den Provisionen der Klägerin ab.
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Aufgrund der Zusatzvereinbarung wurden der Klägerin auf Basis der Absatz- und Umsatzzahlen der Jahre 2016 und 2017 Gebühren/Kosten in Höhe von insgesamt 36.915,49 € belastet.
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Diesen Betrag fordert die Klägerin von der Beklagten zurück.
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Die Klägerin ist der Auffassung, die Zusatzvereinbarung zum Vertriebsvertrag sei unwirksam. Denn die Klägerin werde aufgrund der Kostenbeteiligung gemäß §§ 306 Abs. 1, Abs. 2, 307 Abs. 2 Nr. 3, 310 Abs. 1 BGB unangemessen benachteiligt. Dies bereits deshalb, weil der Aufwand für die Klägerin bei Zahlung per Kredit- oder EC-Karte wesentlich aufwändiger sei, als bei einer Barzahlung. Dies belege auch eine Studie der Deutschen Bundesbank über die Kosten der Bargeldzahlung im Einzelhandel. Der Einsatz von Kredit- und Debitkarten sei für den Handelsvertreter mit keinerlei Ersparnis verbunden. Während der Tankstellenbetreiber durch das Kartengeschäft nur mehr Aufwand zu verzeichnen habe, habe das Kartengeschäft für die Beklagte nur Vorteile. Denn die über die Karten abgewickelten Umsätze würden sofort gutgeschrieben, im Übrigen entfalle auch das Ausfallrisiko der Beklagten. Ein Großteil bei der Beklagten von dem Kreditunternehmen in Rechnung gestellten Beträge entfalle nämlich darauf, dass die Zahlungen per Karte garantiert werden. Aus diesem Grund sei es mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen nicht vereinbar, wenn die Beklagte die durch die Übernahme des Ausfallrisikos an die Kreditkartenunternehmen zu zahlenden Gebühren an die Klägerin weiterbelaste. Die Regelung des § 86 b HGB werde durch das Vorgehen der Beklagten praktisch in ihr Gegenteil verkehrt. Die Klägerin werde zusätzlich auch dadurch belastet, dass die Kreditkartengebühren prozentual abgerechnet würden, während die Provisionen seit 2006 gleichgeblieben seien. Der Klägerin als Handelsvertreterin sei es zudem auch nicht möglich, die Preise zu kalkulieren und festzusetzen, um auf diese Weise die Kartenkosten zu reduzieren.
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Insgesamt sei die Gestaltung der Zusatzvereinbarung somit mehr als unausgewogen und somit treuwidrig.
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Bei der Zusatzvereinbarung handelte es sich gerade nicht um eine Vergütungsregelung für die Hauptleistung. Es sei deshalb nicht zutreffend, dass die Zusatzvereinbarung der richterlichen Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff BGB entzogen sei. Richtigerweise handele es sich um eine Regelung, über die Tragung von Kosten, die der Beklagten entstanden seien, weil sie Vereinbarungen mit verschiedenen Kreditkartenunternehmen getroffen habe.
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Es handele sich auch nicht um die Regelung eines Entgeltes für eine sogenannte echte Neben- oder Zusatzleistung, sondern schlicht über die Übernahme von Kosten, die der Beklagten entstanden seien.
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Die Klägerin zahle hier für etwas, ohne dass sie selbst eine adäquate Gegenleistung dafür erhalte. Es sei praktisch ausschließlich die Beklagte, die von dem Kreditkartengeschäft profitiere.
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Die Klägerin beantragt zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 36.915,49 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über Basiszins von 12.750,41 € ab dem 01.01.2016 bis zum 15.12.2018 und von 11.937,78 € ab dem 01.01.2017 bis zum 15.12.2018 und von 12.227,30 € vom 01.01.2018 bis zum 15.12.2018 und 9 Prozentpunkte Zinsen über Basiszins ab 16.12.2018 von 36.915,49 € zu zahlen.
Den darüber hinausgehenden Antrag aus der Klageschrift vom 08.08.2019 und dem Schriftsatz vom 15.11.2019 nahm die Klägerin zurück.
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Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
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Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe keinen begründeten Anspruch auf Rückerstattung gezahlter Gebühren. Denn die Zusatzvereinbarung zum Vertriebsvertrag sei wirksam. Ein Verstoß gegen § 86 a Abs. 1 HGB liege nicht vor. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des BGH vom 17.11.2016 (NJW 2017, 662). Es liege auch kein Verstoß gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB vor. Die Vereinbarung benachteilige den Handelsvertreter nicht unangemessen. Ein Verstoß gegen das gesetzliche Leitbild des § 86 a Abs. 1 BGB liege nicht vor. Es handele sich bei der Zusatzvereinbarung über die Gebührenbelastung um eine Vergütungsregelung für die Hauptleistung, die der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 entzogen sei. Dies gelte auch, wenn man die Gebührenbeteiligung als Entgelt für eine Neben- oder Zusatzleistung ansehen würde. Der Inhaltskontrolle unterlägen nur Klauseln, die Entgelte für die Erfüllung eigener gesetzlicher Pflichten des Verwenders zum Gegenstand hätten. Eine solche Verpflichtung der Beklagten liege hier gerade nicht vor. Die Verpflichtung der Klägerin, auch Karten als Zahlungsmittel anzunehmen, diente der Wettbewerbsfähigkeit der Tankstelle und diese liege sowohl im Interesse der Klägerin als auch der Beklagten. Eine Kostenfreiheit der Kartenzahlungen sei auch nicht handelsüblich gemäß § 87 d HGB. Es sei auch nicht etwa unzulässig oder treuwidrig, Kartenzahlungen gegenüber Barzahlungen wegen eines geringeren Aufwandes niedriger zu verprovisionieren. Denn der Aufwand bei einer Kartenzahlung sei, entgegen der Behauptung der Klägerin, tatsächlich niedriger als bei einer Barzahlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.01.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
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Der Kläger hat keinen begründeten Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von zuletzt 36.915,49 € aus ungerechtfertigter Bereicherung.
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Die streitgegenständliche Zusatzvereinbarung (Anlage K 2) ist nach Auffassung der Kammer wirksam. Die von den Provisionen der Klägerin in Abzug gebrachte Gebührenbeteiligung erfolgte somit nicht ohne Rechtsgrund.
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Die streitgegenständliche Regelung ist nicht wegen Verstoßes gegen § 86a Abs. 1, Abs. 3 HGB unwirksam. Denn die Zurverfügungstellung der technischen Voraussetzungen für den Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr ist keine Unterlage im Sinne von § 86 a Abs. 1 HGB. Es fehlt an dem erforderlichen Tatbestandsmerkmal der „Erforderlichkeit“. Auf die Erwägungen des BGH im Urteil vom 17.11.2016 - VII ZR 6/16, NJW 2017, 662 ff. wird Bezug genommen.
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Ein Rückzahlungsanspruch ist auch nicht gemäß § 87 d HGB gerechtfertigt.
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Denn die Klägerin kann gem. § 87d HGB Ersatz ihrer im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandenen Aufwendungen nur verlangen, wenn dies handelsüblich ist. Es liegen schon keine Anhaltspunkte vor, welche die Annahme von Handelsüblichkeit rechtfertigen würde. Zudem haben die Parteien eine von § 87 d HGB abweichende Vereinbarung getroffen, die § 87 d HGB vorgeht (vgl. Baumbach/Hopt HGB § 87 d, Rdnr. 2 und 6, 38. Auflage 2018). § 87 d ist dispositiv in den Grenzen des § 138 BGB. Anhaltspunkte für eine Sittenwidrigkeit der streitgegenständlichen Regelung liegen nicht vor.
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Die streitgegenständliche Vereinbarung über die Verteilung der EC-Karten-/Kreditkartengebühren ist auch nicht gemäß §§ 306 Abs. 1 und 2, 307 Abs. 1 und 1 Nr. 1, 310 Abs. 1 BGB unwirksam. Unangemessen benachteiligt werden würde die Klägerin durch die streitgegenständliche vertragliche Vereinbarung nur dann, wenn diese von einem gesetzlichen Leitbild bzw. wesentlichen Rechten und Pflichten abweichen würde.
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Die streitgegenständliche Regelung unterliegt der richterlichen Inhaltskontrolle, da es sich nicht um eine Preis- bzw. Preisnebenvereinbarung handelt. Es handelt sich nicht um eine Vergütungsregelung, sondern um eine Kostenumlage.
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Es existiert kein gesetzliches Leitbild, wonach es allein der Beklagten obliegen würde, Forderungen aus dem vermittelten Geschäft einzuziehen (vgl. insoweit z.B. § 87 Abs. 4 HGB). § 87b HGB ist nicht tangiert, da die Zusatzvereinbarung nicht die Höhe der Provision der Klägerin selbst regelt. § 86 a HGB enthält eine abschließende Regelung; somit kommt es nicht in Betracht, eine Verpflichtung der Beklagten die Voraussetzungen für den Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr kostenlos zur Verfügung zu stellen aus sich aus § 86 BGB ergebenden allgemeinen Treuepflichten herzuleiten.
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Selbst wenn man einen Verstoß gegen ein gesetzliches Leitbild annehmen würde, kann eine Abweichung von einem gesetzlichen Leitbild nicht in einem Maße festgestellt werden, die zur Unwirksamkeit der Vereinbarung führen würde.
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Die Klägerin hebt darauf ab, dass Kartenzahlungen, obwohl mit einem höheren Aufwand verbunden, gegenüber Barzahlungen geringer provisioniert würden. Tatsächlich handelt es sich aber bei der vorliegenden Regelung nicht um eine Provisionsregelung, sondern um eine Beteiligung an den Kosten und Gebühren, die die Einführung der Kartenbezahlsysteme mit sich bringt.
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Selbst die von der Beklagten vorgelegten Studie „Kosten der Bargeldzahlung im Einzelhandel“ (Anl. B 39) berücksichtigt, kann eine Unangemessenheit der streitgegenständlichen Regelung nicht festgestellt werden. Aus der vorgelegten Studie ergibt sich, dass die Dauer eines Bezahlvorgangs von der Höhe des Betrags abhängt und schon bei Zahlbeträgen zwischen 50,00 € und 100,00 € die Bezahlvorgänge bei Barzahlungen und Kartenzahlungen gleich lange dauern. Dass bei einer Autobahntankstelle überwiegend Kleinbeträge unter 10,00 € bezahlt werden, bei denen die Barzahlung deutlich weniger lange dauert als die Kartenzahlung ist nicht vorgetragen und liegt auch nicht nahe. Zudem dürfte die Anzahl von sehr alten Kunden, bei denen ausweislich der Studie Bezahlvorgänge im bargeldlosen Verkehr deutlich länger dauern, an eine Autobahntankstelle eher gering sein. Somit ist es fernliegend, dass der Zeitaufwand der Klägerin infolge der Kartenzahlungen unangemessen hoch ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei Zahlungen mit der weit verbreiteten EC-Karte die Klägerin lediglich mit einem geringen Gebührenanteil von 0,10 % netto belastet wird. Schließlich profitiert von der Einführung der Kartenbezahlsysteme nicht allein die Beklagte, sondern auch die Klägerin. Zum einen nimmt die Beklagte der Klägerin den Inkassoaufwand bei Kreditkartenzahlungen im Eigengeschäft der Klägerin ab. Zum anderen ist der wirtschaftliche Betrieb einer Autobahntankstelle ohne bargeldlose Zahlungsmöglichkeit wohl nicht möglich, eine Autobahntankstelle, die lediglich Barzahlungen akzeptiert wäre nicht wettbewerbsfähig. Die Klägerin würde ohne die von der Beklagten geschaffene Möglichkeit der bargeldlosen Zahlung selbst mit den entsprechenden Unternehmen Verträge schließen und Zahlungsverpflichtungen eingehen müssen, um ihren Kunden die bargeldlose Zahlung zu ermöglichen.
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Zudem werden der Klägerin werden nicht die gesamten infolge der Bereitstellung der Kartenzahlsysteme entstehenden Gebühren und Kosten belastet, sondern nur anteilige Kosten. Dafür, dass diese Kostenverteilung unangemessen oder treuwidrig wäre, liegen keine Anhaltspunkte vor.
Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 91 Abs. 1, 709, 269 Abs. 3 ZPO.
Streitwert: § 3 ZPO.