VGH München, Beschluss v. 09.04.2020 – 20 NE 20.738
Titel:

Kein Recht auf Kirchgang für Katholiken während der Corona-Pandemie

Normenketten:
GG Art. 4
VwGO § 47 Abs. 6
BayIfSMV § 1 Abs. 1
Leitsatz:
Nachdem die Durchführung öffentlicher Gottesdienste wegen der Corona-Pandemie durch autonome Rechtsetzung der katholischen Kirche freiwillig ausgesetzt worden ist, fehlt gläubigen Katholiken das Rechtsschutzbedürfnis, um ihr Recht auf Teilnahme an einem Gottesdienst ihrer Glaubensgemeinschaft gerichtlich gegenüber dem Staat durchzusetzen. (Rn. 11 und 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Einstweiliger Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren, Verbot der Teilnahme an katholischen Gottesdiensten, Rechtsschutzbedürfnis, Religionsfreiheit, Heilige Eucharistie, kirchliche Rechtsetzung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 5451

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgen die Antragsteller das Ziel, den Vollzug des § 1 Abs. 1 Satz 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV - BayMBl. 2020 Nr. 158) vom 27. März 2020 einstweilen auszusetzen.
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1. Der Antragsgegner hat am 27. März 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege im Zuge der Bekämpfung der sog. Corona-Pandemie die in der Hauptsache streitgegenständliche Verordnung erlassen, deren § 1 Abs. 1 folgenden Wortlaut hat:
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㤠1 Veranstaltungs- und Versammlungsverbot
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(1) Veranstaltungen und Versammlungen werden landesweit untersagt. Dies gilt auch für Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen und Synagogen sowie die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften. Ausnahmegenehmigungen können auf Antrag von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erteilt werden, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.“
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Die Verordnung wurde am 27. März 2020 im Bayerischen Ministerialblatt (2020 Nr. 158) bekanntgemacht und auf die Bekanntmachung im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 7. April 2020 (Nr. 9/2020 S. 196) hingewiesen.
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2. Die Antragsteller, die in München wohnen, haben mit Schriftsatz vom 6. April 2020, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am 7. April 2020, einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 BayIfSM beantragt. Sie tragen zur Begründung vor, sie seien römisch-katholisch und besuchten jeden Sonntag die Heilige Messe, außerdem auch regelmäßig werktägliche Messen. Durch die angegriffene Bestimmung würden sie in ihrem Recht auf freie Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzt. Aufgrund der ausnahmslosen Untersagung aller Zusammenkünfte in Kirchen hätten sie im gesamten Freistaat Bayern schon seit dem 18. März 2020 keine Heilige Messe mehr besuchen können. Die Teilnahme an der Liturgie der römisch-katholischen Kirche sei Kern der Ausübung ihrer Religionsfreiheit. Die Feier der Heiligen Eucharistie durch den Priester in der Heiligen Messe sei für jeden gläubigen römisch-katholischen Christen immer wieder aufs Neue Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens. Hinzu komme, dass das Verbot nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BayIfSMV für einen Zeitraum gelte, in den mit Ostern das höchste Fest der gesamten Christenheit falle. Der Ausschluss von der persönlichen Teilnahme an der Feier der Eucharistie wirke daher besonders schwer. Der Eingriff in die Rechte der Antragsteller aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Bei der Vornahme von infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG müsse das Spannungsverhältnis zwischen dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit mit dem Grundrecht auf freie Religionsausübung in einen gerechten Ausgleich gebracht werden. Dem werde die angegriffene Bestimmung nicht gerecht. Auch die durch § 1 Abs. 1 Satz 3 BayIfSMV eröffnete Möglichkeit, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar sei, verschaffe dem Grundrecht der freien Religionsausübung keine hinreichende Geltung. Vielmehr hätte der Antragsgegner - vergleichbar der Regelung in § 4 BayIfSMV - Ausnahmetatbestände vom präventiven Verbot religiöser Zusammenkünfte schaffen müssen. Zumindest im Rahmen des Eilverfahrens müsse ermöglicht werden, religiöse Zusammenkünfte mit nicht mehr als 30 Teilnehmern und unter Wahrung eines Mindestabstands in alle Richtungen von 1,5 m durchzuführen.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 8. April 2020 haben die Antragsteller noch ergänzend vorgetragen, die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 2 BayIfSMV sei auch nicht von der Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gedeckt und daher schon deshalb unwirksam. Die von dem ausnahmslosen Verbot religiöser Zusammenkünfte Betroffenen seien nach derzeitiger Lage zu 98% nicht mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert und daher nach polizeirechtlichen Gesichtspunkten als Nicht-Störer anzusehen. Insofern fehle es an der erforderlichen erheblichen gegenwärtigen Gefahr für Dritte. Jedenfalls aber sei das Übermaßverbot verletzt.
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3. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und hat hierzu mit Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 8. April 2020 Stellung genommen. Er verweist im Wesentlichen auf die bis zum 19. April 2020 geltende Absage aller öffentlichen Gottesdienste im Gebiet der Erzdiözese München und Freising sowie auf die mit einem Gottesdienst - bei dem sich eine Vielzahl von Menschen über eine längere Zeit in unmittelbarer Nähe zueinander aufhalte - besondere Gefahrenlage. Im Übrigen bestehe die Möglichkeit, im Fernsehen, Radio und Internet Gottesdienste zu feiern; das Betreten von Kirchen zu Einzelgebeten sei ohnehin erlaubt.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
10
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nach Auffassung des Senats nicht vor.
11
Die Aussetzung des Vollzugs des § 1 Abs. 1 Satz 2 BayIfSMV ist nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung des Vollzugs einer (untergesetzlichen) Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (vgl. BVerwG, B.v. 18.5.1998 - 4 VR 2.98 - juris Rn. 3). Ein schwerer Nachteil i.S.v. § 47 Abs. 6 VwGO liegt dann vor, wenn rechtlich geschützte Interessen in ganz besonderem Maße beeinträchtigt sind und dem Betroffenen außergewöhnliche Opfer abverlangt werden (BeckOK VwGO/Giesberts, § 47 VwGO Rn. 92). Bei dieser Betrachtung ist auch zu berücksichtigen, ob der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis auf Erlass einer einstweiligen Anordnung besitzt. Das ist nicht der Fall, wenn der begehrte Rechtsschutz dem Antragsteller keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand 7/2019, § 47 Rn. 151 m.w.N.).
12
So liegt der Fall hier. Die katholische Kirche in Deutschland und Bayern hat anlässlich der Corona-Epidemie darauf hingewiesen, dass die katholische Kirche in Deutschland sich der aktuellen Herausforderung zum Coronavirus (SARS-CoV-2) stelle. Zunächst seien alle Anweisungen von staatlichen Stellen, insbesondere der Gesundheitsämter, zu beachten. Grundsätzlich gelte, dass für Maßnahmen in den Bistümern ausschließlich die Bistümer selbst verantwortlich seien, und zwar nach Maßgabe der staatlichen Behörden und der damit verbundenen Entscheidungen für Konsequenzen in den Bistümern. Alle 27 (Erz-)Bistümer haben umfangreiche Maßnahmen erlassen, dazu zählen in fast allen Bistümern auch die Entbindung von der Sonntagspflicht und der Ausfall von Gottesdiensten (vgl. https://dbk.de/themen/coronavirus/).
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Nachdem insbesondere das Erzbistum München und Freising bereits am 13. März 2020 - also schon vor Inkrafttreten der von den Antragstellern angegriffenen Bestimmung und auch vor Inkrafttreten der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 16. März 2020 (Az. 51-G8000-2020/12267), in der erstmals eine Untersagung religiöser Zusammenkünfte geregelt wurde - alle öffentlichen Gottesdienste abgesagt und die Gläubigen zunächst bis zum 3. April 2020 von der Sonntagspflicht dispensiert hatte (vgl. https://www.erzbistum-muenchen.de/news/bistum/Erzbistum-sagt-alle-oeffentlichen-Gottesdienste-ab-36411.news), hat Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, am 2. April 2020 folgendes Allgemeine Dekret gemäß can. 29 CIC mit sofortiger Wirkung erlassen (abrufbar unter https://www. erzbistum-muenchen.de/im-blick/coronavirus):
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„Um weiterhin der Ausbreitung der durch den Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten COVID-19-Erkrankungen durch die Zusammenkunft von Menschen nicht Vorschub zu leisten und insbesondere die besonders gefährdeten alten und kranken Menschen zu schützen, verfüge ich vor dem Hintergrund weitergehender Maßnahmen der Bundesregierung wie der bayerischen Staatsregierung und nachdrücklicher Empfehlung des betriebsärztlichen Dienstes der Erzdiözese München und Freising die folgenden Maßnahmen:
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1. In der Zeit bis einschließlich 19. April 2020 sage ich alle öffentlichen Gottesdienste im Gebiet der Erzdiözese München und Freising ab.
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2. Zugleich befreie ich bis zu dem genannten Datum alle Gläubigen, die sich im Gebiet der Erzdiözese München und Freising aufhalten, von der Verpflichtung zur Teilnahme an der Messfeier an Sonn- und gebotenen Feiertagen gemäß can. 1247 CIC.
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3. Taufen und Trauungen sind zu verschieben. In dringlichsten Ausnahmesituationen ist es Priestern und Diakonen erlaubt, das Sakrament der Taufe im engsten Familienkreis zu spenden. Sofern nach dem klugen Urteil des Taufspenders die Spendung der Taufe in einem Privathaus geboten ist, wird hiermit die Erlaubnis gemäß can. 860 § 1 CIC erteilt.
18
4. Hauskommunion und Krankensalbung werden allgemein eingestellt. Bei dringlicher Notwendigkeit insbesondere in lebensbedrohlichen Situationen besteht weiterhin die Verpflichtung, den Kranken und Sterbenden beizustehen und unter Beachtung der gebotenen Hygienemaßnahmen die Kommunion und die Krankensalbung zu spenden.
19
5. Requien (Totenmessen) sind als öffentliche Gottesdienste nicht erlaubt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Verstorbenen Gläubigen ist jedoch weiterhin das kirchliche Begräbnis gemäß can. 1176 CIC zu gewähren.
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6. Die Kirchen haben den Gläubigen für das persönliche Gebet zu den üblichen Zeiten offen zu stehen.
21
Dieses Dekret tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft (vgl. can. 8 § 2 CIC).“
22
Ergänzend hat Kardinal Reinhard Marx in einem veröffentlichen Brief an die pastoralen Mitarbeiter des Erzbistums ausgeführt, es gebe keine andere Möglichkeit, das Leben möglichst vieler Menschen zu retten. Die Katholiken trügen auch Verantwortung für das ganze Gemeinwesen, in dem sie lebten (vgl. https://www.erzbistum-muenchen.de/gottesdienste-veranstaltungen).
23
Deshalb muss der Senat davon ausgehen, dass jedenfalls das Erzbistum München und Freising, in dessen Gebiet sich die Antragsteller aufhalten, aus freien Stücken - und damit unabhängig von der angegriffenen Bestimmung des Antragsgegners - die Durchführung öffentlicher Gottesdienste bis zum 19. April 2020 abgesagt und die Gläubigen (und damit auch die Antragsteller) von der Pflicht zur Teilnahme an der Messfeier befreit hat, um eine weitere Ausbreitung der COVID-19-Erkrankungen zu verhindern und besonders gefährdete Personengruppen zu schützen. Die Entscheidung des Erzbistums München und Freising ist als autonome Rechtssetzung im innerkirchlichen Bereich von den Antragstellern als Mitglieder der katholischen Kirche zunächst zu respektieren. Damit haben die Antragsteller derzeit bereits aus tatsächlichen, von dem Vollzug der angegriffenen Norm unabhängigen Gründen nicht die Möglichkeit, an einem Gottesdienst ihrer Glaubensgemeinschaft teilzunehmen (vgl. hierzu auch HessVGH, B.v. 7.4.2020 - 8 B 892/20 - juris Rn. 25).
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von den Antragstellern teilweise angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 19. April 2020 außer Kraft tritt (§ 7 Abs. 1 BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht erscheint.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).