SG Nürnberg, Urteil v. 08.12.2020 – S 12 VS 5/18
Titel:

Wehrdienstbeschädigung und orthopädisches Hilfsmittel

Normenketten:
SGG § 80, § 81
BVG § 9 Abs. 1, § 10, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 8
OrthV § 5, 16
Leitsatz:
Diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen zählen nicht zu den orthopädischen Schuhzurichtungen, sondern zu den versorgungsfähiges Hilfsmittel der Orthopädieverordnung. (Rn. 34 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wehrdienstbeschädigung, Teilverlust Vorderfuß, Diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen, Ausdauerübungen, Rennradfahren, Klickpedalsystem, Druckentlastung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 52470

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 08.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2018 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger zwei diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen zu gewähren.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand

1
Zwischen den Parteien ist die Gewährung von Hilfsmitteln in Form von Fußbettungseinlagen streitig.
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Der 1966 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.07.1987 bis zum 30.11.1988 Soldat bei der Bundeswehr. Während der Dienstzeit erlitt er am 20.09.1987 einen Wegeunfall mit dem Motorrad, bei welchem er zahleiche Verletzungen erlitt.
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Mit Bescheid vom 01.02.1989 gewährte die Beklagte dem Kläger einen Ausgleich nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 100 v.H. ab dem 20.09.1987 und in Höhe von 60 v.H. ab dem 01.05.1988 bis zum 30.11.1988 (Ende der Dienstzeit). Dabei erkannte sie als Wehrdienstbeschädigungsfolgen (WDB-Folgen) im Sinne von § 81 SVG an:
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Muskelverschmächtigung am linken Bein und Reststörung nach Schädigung der Peronaeus-Nerven, in Fehlstellung verheilter, operativ behandelter Unterschenkelbruch links mit Weichteilschädigung und nachfolgender Pseudarthrose, Teilverlust des linken Vorfußes (1. - 3. Zehen), knöchern durchbauter operativ versorgter offener Oberschenkelbruch links, verheilter Bruch der Elle links, Gehirnerschütterung (folgenlos abgeklungen).
5
Im weiteren Verlauf wurde schließlich mit Bescheid des damals zuständigen Amtes für Versorgung und Familienförderung vom 17.01.2001 der Grad der Schädigung (GdS) des Klägers in Abänderung des Bescheides vom 22.01.1992 unter Berücksichtigung von § 30 Abs. 1, 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit 50 v.H. anerkannt und die WDB-Folgen nach § 81 SVG ab dem 01.03.2000 wie folgt bezeichnet:
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Gebrauchsminderung des linken Beines nach Oberschenkel- und Unterschenkelbruch, Teilverlust des linken Vorderfußes, geringe Restlähmung des Wadenbeinnerves links, Muskelminderung, Zirkulationsstörungen und Schädigung der Haut am linken Unterschenkel und Fuß, Teilkontraktur der verbliebenen Fußgelenke links, Knorpelschädigung und Innenmeniskusteilresektion linkes Kniegelenk; in leichter Fehlstellung und geringer Funktionsstörung knöchern verheilter Ellenbruch links; reizlose Narben Stirnbereich rechts, an beiden Beinen und an den Beckenkämmen, große empfindliche Narbe linker Unterschenkel und Fuß.
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Das vormals zuständige Amt für Versorgung und Familienförderung sowie die Beklagte gewährten dem Kläger im Laufe der Zeit bereits mehrfach Hilfsmittel u.a. in Form von diabetes-adaptierten Fußbettungen, zuletzt 2015.
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Am 19.02.2018 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Hilfsmittelgewährung und leitete den Kostenvoranschlag vom 08.12.2017 für zwei diabetes-adaptierten Fußbettungen für Konfektionsschuhe sowie ein paar Bettungseinlagen an die Beklagte weiter.
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In einem Telefongespräch mit einer Mitarbeiterin der Beklagten am 28.02.2018 erklärte der Kläger, dass er nicht an Diabestes erkrankt sei, aber die Fußbettung für seine anerkannte Wehrdienstbeschädigung (WDB) optimal sei. Er benötigte die Einlagen für Radrennschuhe. Der Radsport werde in der Freizeit und nicht organisiert im Verein betrieben. Das Tragen von orthopädischen Sportschuhen sei für das Rennrad aufgrund des Klicksystems der Pedale nicht geeignet.
10
Die Beklagte hielt u.a. Rücksprache mit dem beratenden Arzt Dr. D.. Dieser gab am 06.03.2018 an, dass eine Versorgung mit Einlagen und Fußbettung für konfektionierte Schuhe aufgrund der Versorgung mit orthopädischen Schuhen nicht möglich sei. Orthopädische Schuhe würden einzeln und nach Maß gefertigt werden. Sie seien so individuell und bedarfsgerecht gefertigt, dass eine Einlagenversorgung nicht notwendig und zweckmäßig sei. Sollte eine Versorgung mit Einlagen und Fußbettung ausreichen, wären keine orthopädischen Schuhe nötig. Aufgrund der Angaben des Klägers seien jedoch orthopädische Schuhe nötig und Einlagen für den allgemeinen Gebrauch nicht ausreichend. Außerdem habe der Kläger bereits orthopädische Sportschuhe erhalten. Eine Versorgung mit einem weiteren Paar Sportschuhe sei nicht möglich. Zudem fahre der Kläger in der Freizeit Rad und nicht im Verein, so dass die Notwendigkeit für die Gewährung der beantragten Hilfsmittel nicht gesehen werde.
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Mit Bescheid vom 08.03.2018 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Sie gab an, dass die Voraussetzungen nach § 16 der Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmittel und über Ersatzleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (Orthopädieverordnung - OrthV) nicht erfüllt seien. Eine Einlagenversorgung allein sei vorliegend nicht ausreichend. Aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen sei von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit orthopädischer Schuhe nach § 5 OrthV auszugehen. Zudem lasse die OrthV eine Mehrfachversorgung mit Sportschuhen nicht zu.
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In seinem dagegen erhobenen Widerspruch vom 20.03.2018 gab der Kläger am 21.03.2018 und am 26.04.2018 u.a. an, dass in der Vergangenheit eine Versorgung mit diabetes-adaptierten Fußbettungen sowie Einlagen erfolgt sei. Das Radfahren sei ihm ärztlich aufgrund der Schädigungsfolgen empfohlen worden. Dazu seien orthopädische Sportschuhe nicht geeignet.
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In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. D. vom 11.07.2018 erläuterte dieser, dass das Tragen von Konfektionsschuhen für den Kläger aus medizinischen Gründen nicht möglich sei. Einlagen oder Schuhzurichtungen könnten nicht zusätzlich übernommen werden. Allerdings bestehe hier ein Sonderfall, da die Einlagen nur beim Radfahren getragen werden sollen und Sportschuhe nicht benutzt werden könnten. Die Übernahme von stützenden und bettenden Einlagen in Sonderanfertigung gemäß Position 08.03.07. der Produktgruppe 08 Einlagen sei anzuraten.
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Aus einer internen Kurzmitteilug der Beklagten vom 23.07.2018 geht hervor, dass dem Kläger auf seinen Antrag vom 07.02.2018 mit Bescheid vom 06.03.2018 gemäß § 5 Abs. 2 OrthV orthopädische Sportschuhe bewilligt worden seien. Dadurch sei gewährleistet, dass er am Reha-Sport bzw. an Versehrtenleibesübungen teilnehmen könne. Die beantragten Einlagen seien somit nicht notwendig, um das Ziel (Linderung der Leiden, Vermeidung von Verschlimmerungen) zu erreichen und würden das notwendige Maß überschreiten. Zudem käme eine Bewilligung nach § 16 OrthV nur in Betracht, wenn auch die Krankenkasse zur Leistung verpflichtet wäre. Diese sei nur zur Leistung verpflichtet, wenn die Grundbedürfnisse des Klägers mit diesem Hilfsmittel sichergestellt werden könnten. Dies treffe auf die sportliche Betätigung im Allgemeinen nicht zu. Ein Anspruch auf Gewährung bestimmter Hilfen zur Ausübung bestimmter besonderer Sportarten besteht nicht. Daher sei die Krankenkasse nicht zur Leistung verpflichtet, so dass eine Versorgung nach § 16 OrthV nicht in Betracht komme.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
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Dagegen wendet sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit seiner am 06.09.2018 beim Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage. Er begehrt weiterhin die Versorgung mit zwei diabetes-adaptierten Fußbettungen.
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Nach Ermittlungen zum aktuellen gesundheitlichen Zustandes des Klägers holte das Gericht ein Gutachten von Dipl.-Med. W. ein.
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Dieser gab in seinem Gutachten vom 25.04.2019 an, dass der Kläger orthopädisches Schuhwerk habe, aber beim Fahrradfahren Klick-Pedale mit Spezialschuhen benutze und hierfür die diabetes-adaptierte Fußbettung benötige. Die sportliche Betätigung sei ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Aufgrund der Beinverletzungen des Klägers seien große Bereiche der sportlichen Betätigung verschlossen (Fußball, Skifahren, Wandern etc.). Medizinisch sinnvoll seien Ausdauerübungen, die den Fuß und das Kniegelenk links weniger durch Stöße oder äußere Einwirkungen belasten. Dies sei in erster Linie durch das Radfahren möglich. Grundsätzlich wäre der Kläger in der Lage mit dem vorhandenen orthopädischen Schuhwerk auf einem normalen Fahrrad zu fahren. Medizinisch angezeigt wäre eine Weichbettung, analog einer diabetes-adaptierten Fußbettung, bei der Benutzung von Rennradspezialschuhen am Klickpedalsystem zur Druckentlastung des linken Fußes. Die Bettungen und Einlagen würden nur für Rennradspezialschuhe bei einem Klickpedalsystem am Rennrad benötigt werden, wobei das Fahrradfahren insgesamt der Stabilisierung der Verletzungsfolgen am linken Bein zugutekomme.
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Nach dem Antrag des Klägers auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG vom 24.05.2019 erstellte letztlich Dr. F. am 31.10.2019 ein Gutachten, welches am 31.12.2019 bei Gericht einging.
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Dieser stellte in seinem Gutachten fest, dass es nur durch die Ausübung ausdauersportlicher Tätigkeiten, insbesondere Radfahren, möglich sei, eine ansonsten ausstehende korrigierende, sehr aufwändige und einschneidende und mit Gefahren verbundene operative Sanierung / Funktions- und Stellungsverbesserung aufzuschieben bzw. zu kompensieren. Die Fußbettungen und die Einlagen würden den Zweck erfüllen, eine verbesserte Adaption der schon per se als schwierig zu bezeichnenden Fehlstellungen und Fehlhaltungen im Bereich des Vorfußes, des Mittelfußes und der Zehen, sowie der zunehmenden Verschlimmerung des oberen und unteren Sprunggelenks mit den entsprechenden statischen Auswirkungen im Fußbereich auszugleichen. Dies sei sowohl für konfektionierte Schuhe, als auch für die benötigten Spezialschuhe notwendig, die der Kläger zu seiner sportlichen Betätigung aufgrund seiner speziellen Bedürfnisse benötige. Die Verwendung der entsprechenden Einlagen in Sportschuhen / Radklickschuhen, wie sie vom Kläger zur sportlichen Betätigung und zum Erhalt der körperlichen Fitness notwendig werden, stelle eine Notwendigkeit dar, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Degeneration des Kniegelenks und die Muskelminderung.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Personalmanagement der Bundeswehr vom 08.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bundesamtes für Personalmanagement der Bundeswehr vom 10.08.2018 aufzuheben und dem Kläger zwei diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
23
Sie gibt mit einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme von Dr. Z. vom 21.02.2020 am 14.05.2020 an, dass das Gutachten nach § 109 SGG nicht geeignet sei, eine andere Einschätzung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen. Unabhängig davon, dass der Radsport beim Kläger medizinisch notwendig sei, sei dieser kein allgemeines Grundbedürfnis. Die Krankenkasse gewähre nur die Versorgung von allgemeinen Grundbedürfnissen und damit einen Basisausgleich der Folgen der Behinderung. Hilfsmittel würden nur gewährt werden, wenn sie die Auswirkungen der Behinderungen im gesamten täglichen Leben beseitigen oder mildern und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens darstellen. Der Kläger begehre die Einlagen zu Ausübung einer sportlichen Betätigung, welche gerade kein Grundbedürfnis darstelle. Dr. Z. gab zudem an, dass, wenn es zu den persönlichen Bedürfnissen des Klägers gehöre, Rennrad zu fahren, diabetes-adaptierte Schuheinlagen aus dem Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenkasse zu erstatten seien. Ob das Maß des Notwendigen überschritten werde, könne diskutiert werden, auch wenn die Vorteile dieser optimierten Hilfsmittelausstattung für den Kläger überwiegen würden. Die Weichbettung des Stumpfes durch diabetesadaptierte Einlagen würde eventuell unbemerkten Verletzungen vorbeugen. Prognostisch würde die Anschaffung diabetes-adaptierter Schuheinlagen, sowie der Ersatz und die Erneuerung der Hilfsmittel bei Verschleiß nach § 13 Abs. 1 BVG lohnen, da die normale körperliche und sportliche Betätigung des Klägers mit harmonischen Bewegungsformen ((Renn)-Radfahren) das Risiko für eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen eher mindere.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Sozialgerichtsakten, auf den Inhalt der beigezogenen Akten und auf die Niederschrift des Termins der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Sozialgericht Nürnberg ist sachlich und örtlich gemäß §§ 51, 57 SGG zuständig.
26
Die ordnungsgemäß und fristgerecht eingereichte Klage ist zulässig.
27
Sie ist auch begründet.
28
Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung der beantragten Hilfsmittel in Form zweier diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen. Der Bescheid der Beklagten vom 08.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
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Gemäß § 80 Abs. 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist eine WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.
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Der Kläger hat unstreitig eine WDB aufgrund des Unfalls vom 20.09.1987 erlitten. Beim Kläger ist ein GdS unter Berücksichtigung von § 30 Abs. 1, 2 BVG mit 50 v.H. anerkannt und die WDB-Folgen sind nach § 81 SVG wie folgt bezeichnet: Gebrauchsminderung des linken Beines nach Oberschenkel- und Unterschenkelbruch, Teilverlust des linken Vorderfußes, geringe Restlähmung des Wadenbeinnerves links, Muskelminderung, Zirkulationsstörungen und Schädigung der Haut am linken Unterschenkel und Fuß, Teilkontraktur der verbliebenen Fußgelenke links, Knorpelschädigung und Innenmeniskusteilresektion linkes Kniegelenk; in leichter Fehlstellung und geringer Funktionsstörung knöchern verheilter Ellenbruch links; reizlose Narben Stirnbereich rechts, an beiden Beinen und an den Beckenkämmen, große empfindliche Narbe linker Unterschenkel und Fuß.
31
Die Versorgung des Klägers nach dem BVG umfasst nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BVG u.a. Heilbehandlungen (§§ 10 bis 24a BVG).
32
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG wird Heilbehandlung Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um den Beschädigten entsprechend den in § 4 Abs. 1 SGB IX genannten Zielen eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Die Heilbehandlung umfasst dabei nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BVG auch die Versorgung mit Hilfsmitteln, wobei nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BVG die Vorschriften für die Leistungen, zu denen die Krankenkasse (§ 18c Abs. 2 Satz 1 BVG) ihren Mitgliedern verpflichtet ist, für die Leistungen nach Satz 1 entsprechend gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Versorgung mit Hilfsmitteln umfasst auch die Ausstattung mit orthopädischen Hilfsmitteln (§ 13 Abs. 1 BVG).
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Gemäß § 24a BVG wurde die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates u.a. Art, Umfang und besondere Voraussetzungen der Versorgung mit Hilfsmitteln einschließlich Zubehör sowie der Ersatzleistungen (§ 11 Abs. 3 BVG) näher zu bestimmen (§ 24a Buchst. a) BVG) bzw. näher zu bestimmen, was als Hilfsmittel und als Zubehör im Sinne des § 13 Abs. 1 gilt (§ 24a Buchst. b) BVG). Dies hat die Bundesregierung durch die Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmittel und über Ersatzleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (Orthopädieverordnung - OrthV) getan. § 3 Nr. 3 OrthV bestimmt, dass orthopädische Hilfsmittel insbesondere orthopädische Schuhe sind, wobei orthopädisches Schuhwerk in § 5 OrthV näher bestimmt wird. Danach werden orthopädische Schuhe als Paar für den Straßengebrauch, in leichterer Ausführung für den Hausgebrauch, als Sportschuh oder als Badeschuh geliefert. Orthopädische Sportschuhe erhält, wer an entsprechenden Versehrtenleibesübungen (§ 10 Abs. 3 BVG) oder an entsprechendem Rehabilitationssport (§ 12 Abs. 1 BVG) regelmäßig teilnimmt (§ 5 Abs. 2 OrthV). Nach § 5 Abs. 4 OrthV sind Schuhe orthopädisch zuzurichten, wenn dies als Hilfe ausreicht; es sollen nicht mehr als vier Paar Schuhe jährlich zugerichtet werden. Nach § 16 Satz 2 OrthV werden andere Hilfsmittel auch als Hilfsmittel geliefert, deren Lieferung nicht durch andere Vorschriften dieser Verordnung geregelt ist oder für die nicht Ersatzleistungen zustehen, zu deren Lieferung jedoch die Krankenkasse ihren Mitgliedern verpflichtet ist (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BVG).
34
Vorliegend ist das vom Kläger begehrte Hilfsmittel - diabetes-adaptierte Fußbettungseinlagen - zwar nicht von § 5 OrthV im Sinne einer orthopädischen Schuhzurichtung umfasst, es gehört jedoch zu den anderen Hilfsmitteln im Sinne des § 16 OrthV.
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Unstreitig leidet der Kläger an gesundheitlichen Einschränkungen die unteren Extremitäten betreffend. Diese Gesundheitsstörungen werden aus medizinischer Sicht ohne entsprechendes Training im Laufe der Zeit eine weitere Verschlimmerung erfahren, so dass auch weitere Operationen beim Kläger notwendig sein werden. Dies bestätigen im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren alle befragten Ärzte. Wie der gerichtliche Gutachter Dipl.-Med. W. in seinem Gutachten vom 25.01.2019 eindrucksvoll ausführt, sind aufgrund der Beinverletzungen des Klägers für ihn große Bereiche der sportlichen Betätigung verschlossen (Fußball, Skifahren, Wandern etc.). Ausdauerübungen, die den linken Fuß und das linke Kniegelenk des Klägers weniger durch Stöße oder äußere Einwirkungen belasten, sind jedoch medizinisch sinnvoll. Dies ist in erster Linie durch das Radfahren möglich. Medizinisch angezeigt ist bei der Benutzung von Rennradspezialschuhen mit Klickpedalsystem eine Weichbettung, analog einer diabetes-adaptierten Fußbettung, zur Druckentlastung des linken Fußes des Klägers.
36
Das Gericht hat sich im Rahmen des Studiums der Aktenlage gefragt, warum der Kläger nicht einfach mit den vorhandenen orthopädischen Sportschuhen Fahrrad fährt. Es hat sich dem Gericht bis zur mündlichen Verhandlung am 08.12.2020 nicht erschlossen, warum beim Kläger gerade Spezialschuhe für das Klickpedalsystem bei Rennrädern notwendig sind. Diese Fragestellung konnte der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll klären. Hierbei schilderte und zeigte er, dass er mit normalen oder orthopädischen Sportschuhen aufgrund der bestehenden und anerkannten WDB kein Gefühl auf den Pedalen eines „normalen“ Fahrrades hat. Dies führt nach den Angaben des Klägers dazu, dass er von den Pedalen abrutscht und sich dadurch verletzt, was nicht zur Verbesserung der bereits bestehenden Schäden beiträgt. Durch das Klickpedalsystem bei Rennrädern ist er jedoch fest mit dem Fahrrad verankert und kann nicht von den Pedalen abrutschen. Er schützt sich so vor weiteren Verletzungen und kann die medizinisch erforderliche sportliche Betätigung zur Verhinderung der Verschlimmerung seiner Leiden ausüben.
37
Dipl.-Med. W. führt hierzu in seinem Gutachten für das Gericht aus, dass das Fahrradfahren insgesamt der Stabilisierung der Verletzungsfolgen am linken Bein des Klägers zugutekommt. Auch Dr. F. bestätigt in seinem Gutachten nach § 109 SGG, dass es nur durch die Ausübung ausdauersportlicher Tätigkeiten, insbesondere durch das Radfahren, möglich sei, eine ansonsten beim Kläger ausstehende korrigierende, sehr aufwändige und einschneidende und mit Gefahren verbundene operative Sanierung / Funktions- und Stellungsverbesserung aufzuschieben bzw. zu kompensieren. Die Verwendung der entsprechenden Einlagen in Sportschuhen / Radklickschuhen, wie sie vom Kläger zur sportlichen Betätigung und zum Erhalt der körperlichen Fitness notwendig sind, stellt eine Notwendigkeit dar, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Degeneration des Kniegelenks und die Muskelminderung. Auch der beratende Arzt der Beklagten führte bereits am 11.07.2018 dazu aus, dass beim Kläger ein Sonderfall besteht und die Übernahme von stützenden und bettenden Einlagen in Sonderanfertigung gemäß Position 08.03.07. der Produktgruppe 08 Einlagen anzuraten ist. Dies wurde durch Dr. Z. am 21.02.2020 ebenfalls bestätigt. Er gibt an, dass die Vorteile der optimierten Hilfsmittelausstattung für den Kläger überwiegen. Die Weichbettung des Stumpfes durch diabetesadaptierte Einlagen beugt eventuell unbemerkte Verletzungen vor. Prognostisch lohnt sich die Anschaffung von diabetes-adaptierten Schuheinlagen, sowie der Ersatz und die Erneuerung der Hilfsmittel bei Verschleiß nach § 13 Abs. 1 BVG, da die normale körperliche und sportliche Betätigung des Klägers mit harmonischen Bewegungsformen ((Renn)-Radfahren) das Risiko für eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen mindert.
38
Im Ergebnis bestätigen alle Mediziner - auch die Ärzte der Beklagten - die Notwendigkeit der Einlagenversorgung zusätzlich zur Notwendigkeit der orthopädischen Schuhzurichtung. Es ist beim Kläger gerade nicht so, dass aufgrund des unstreitig notwendigen, individuellen und bedarfsgerechten orthopädischen Schuhwerks eine Einlagenversorgung nicht notwendig und zweckmäßig ist. Die Versorgung mit den begehrten Einlagen ist vielmehr notwendig und auch zweckmäßig, denn nur so können die in § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG normierten Gründe für die Gewährung von Heilbehandlungen, zu denen auch die Gewährung von Hilfsmitteln gehört, nämlich die Zunahme des Leidens zu verhüten, die Folgen der Schädigung zu erleichtern und eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben der Gemeinschaft zu ermöglichen, erfolgreich realisiert werden. Insoweit sieht das Gericht hier keinen Widerspruch zu den Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, da sich die Notwendigkeit der Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel aus §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BVG ergibt. Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auch die Mobilität und Fortbewegung gehört. Diesem Grundbedürfnis trägt die Gewährung des Hilfsmittels Rechnung.
39
Vorliegend handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung aufgrund der beim Kläger bestehenden besonderen Bedürfnissen, die medizinischen von allen Seiten befürwortet und als notwendig angesehen wird, so dass aus der Sicht des Gerichts die begehrten Fußbettungseinlagen zu gewähren sind.
40
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und orientiert sich am Ergebnis in der Hauptsache.
41
Gegen das Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung nicht gegeben, da Streitgegenstand eine Klage ist, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, welche einen Wert von 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Ein Grund, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, ist für das Gericht nicht ersichtlich.