Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 28.01.2020 – Vf. 80-VI-18
Titel:

Begründungsanforderungen an eine Verfassungsbeschwerde

Normenketten:
VfGHG Art. 51 Abs. 1 S. 1
ZPO § 522 Abs. 2
BV Art. 86 Abs. 1, Art. 118 Abs. 1
Leitsätze:
Mangels ausreichender Substanziierung unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen eine zivilgerichtliche Berufungsentscheidung. (Rn. 19)
1. Der Beschwerdeführer darf sich nicht damit begnügen, irgendeine ein verfassungsmäßiges Recht verbürgende Norm der Verfassung anzuführen und als verletzt zu bezeichnen. Die bloße Behauptung, eine gerichtliche Entscheidung sei unrichtig oder fehlerhaft, genügt den Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde nicht. (Rn. 19) (red. LS Axel Burghart)
2. Rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör und hat er eine Anhörungsrügeentscheidung herbeigeführt, muss er sich mit den Gründen dieser Entscheidung auseinandersetzen. (Rn. 27) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Rechtswegerschöpfung, Willkürverbot, Grundrechtsverletzung, Verfassungsbeschwerde
Vorinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 08.11.2018 – 15 S 8616/18
AG München, Endurteil vom 21.06.2018 – 474 C 3876/18
Fundstelle:
BeckRS 2020, 483

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Der Beschwerdeführerin wird eine Gebühr von 1.500 € auferlegt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 8. November 2018 Az. 15 S 8616/18, mit dem die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 21. Juni 2018 Az. 474 C 3876/18 zurückgewiesen wurde.
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1. Im Ausgangsverfahren machte die Beschwerdeführerin als Vermieterin einer Wohnung einen Schadensersatzanspruch gegen ihre vormaligen Mieter wegen Beschädigung der Mietsache geltend. Die Mieter hatten während der Mietzeit die Wände des Wohnzimmers und des Flurs weiß gestrichen. Die Beschwerdeführerin trug vor, dass die Wände bei Übergabe der Wohnung - für die Mieter erkennbar - mit einer sehr aufwendigen Wischtechnik bzw. einer sogenannten Glättetechnik farbig gestrichen gewesen seien. Das Überstreichen der Wände mit weißer Farbe stelle eine Sachbeschädigung im Sinn von § 303 Abs. 2 StGB dar. Die Mieter schuldeten deshalb nach ihrem Auszug die Kosten für die Wiederherstellung des früheren Zustands der Wände. Ein inhaltsgleicher Anspruch ergebe sich auch aus dem Mietvertrag.
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2. Das Amtsgericht München wies die Klage der Beschwerdeführerin mit Urteil vom 21. Juni 2018 ab. Zur Begründung führte es aus, dass der Mieter während eines laufenden Mietvertrags grundsätzlich befugt sei, die Farbgestaltung einer Mietwohnung selbst zu bestimmen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Parteien des Mietvertrags im Streitfall ausdrücklich oder konkludent eine abweichende Vereinbarung getroffen hätten. Dafür genüge es nicht, dass es gegebenenfalls für die Mieter der Wohnung der Beschwerdeführerin erkennbar gewesen sei, dass die Wände im Wohnzimmer und im Flur in einer besonderen Technik gestrichen worden seien. Die Mieter hätten somit weder vorsätzlich im Sinn von § 303 Abs. 2 StGB gehandelt noch schuldhaft gegen ihre Pflichten aus dem Mietvertrag verstoßen.
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3. Die Beschwerdeführerin legte Berufung beim Landgericht München I ein, mit der sie im Wesentlichen rügte, dass ihre früheren Mieter entgegen der Ansicht des Amtsgerichts durch das Überstreichen der Wände den Tatbestand einer Sachbeschädigung erfüllt hätten. Das Amtsgericht habe zudem ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es weder den von ihr beantragten Sachverständigenbeweis zum Zustand der Wände bei Übergabe der Wohnung noch den beantragten Zeugenbeweis zu der Tatsache erhoben habe, dass die Wände im Wohnzimmer und im Flur erkennbar in einer besonderen Technik gestrichen worden seien und bei Abschluss des Mietvertrags als selbstverständlich vorausgesetzt worden sei, dass sie nicht übermalt werden dürften.
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Mit Beschluss vom 7. August 2018 wies das Landgericht München I darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Zur Begründung führte es aus, dass eine Sachbeschädigung durch die Mieter nicht vorliege, wenn und soweit die Benutzung der Wohnung einem vertragsgemäßen Gebrauch entspreche und keine substanzielle Schädigung des Mietobjekts erfolge. Der Mieter sei während der Dauer des Mietvertrags in der farblichen Gestaltung der Wände weitgehend frei. Solange - wie im Streitfall - nach Rückgabe der Mietsache ein ordnungsgemäßer Zustand durch schlichte Malerarbeiten zu erreichen sei, liege keine Sachbeschädigung vor. Die Beklagten hätten auch nicht gegen ihre vertragliche Pflicht zur Rückgabe der Wohnung in ordnungsgemäßem Zustand verstoßen. Die Rückgabe der Wohnung mit weiß gestrichenen Wänden sei zweifellos ordnungsgemäß. Im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs zulässige Veränderungen müsse der Mieter nicht beseitigen. Eine anderweitige Vereinbarung hätten die Parteien des Mietvertrags nicht getroffen. Der Prozessbevollmächtige der Beschwerdeführerin habe erklärt, dass vor bzw. bei Abschluss des Mietvertrags von der Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich geäußert worden sei, dass die Wände nicht überstrichen werden dürften; dies sei lediglich als selbstverständlich vorausgesetzt worden. Allein aus der Art des Anstrichs, selbst wenn dessen aufwendige Anbringung für die Mieter erkennbar gewesen wäre, folge aber nicht automatisch, dass dieser nicht verändert werden dürfe. Soweit die Beschwerdeführerin für sich als selbstverständlich vorausgesetzt habe, dass ein Überstreichen der Wände nicht erfolgen dürfe, und auch die Maklerin hiervon ausgegangen sei, hätte dies den Mietern mitgeteilt werden müssen.
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Mit Schriftsatz vom 20. August 2018 nahm der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin zu dem Hinweis Stellung und lehnte zugleich den Vorsitzenden Richter der zuständigen Zivilkammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
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Der Befangenheitsantrag wurde mit Beschluss des Landgerichts vom 2. Oktober 2018 als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin verwarf das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 29. Oktober 2018 als unzulässig.
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Mit Schriftsatz vom 2. November 2018 trug der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin weiter zur Befangenheit des Vorsitzenden Richters am Landgericht vor.
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Das Landgericht München I wies die Berufung mit dem angegriffenen Beschluss vom 8. November 2018 zurück.
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4. Gegen den Beschluss erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 16. November 2018 Anhörungsrüge. Sie machte u. a. geltend, dass das Landgericht ebenso wie zuvor das Amtsgericht die von ihr angebotenen Beweise nicht erhoben und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.
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Mit Beschluss vom 8. Januar 2019 wies das Landgericht München I die Anhörungsrüge als unbegründet zurück. Es führte u. a. aus, dass die Beweise nicht hätten erhoben werden müssen, weil der damit unter Beweis gestellte Tatsachenvortrag als wahr unterstellt worden sei.
II.
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1. Mit der am 5. Dezember 2018 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verletzungen der Art. 86 Abs. 1 Satz 2, Art. 118 Abs. 1 und Art. 91 Abs. 1 BV.
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Ihr Prozessbevollmächtigter habe mit seinem Schriftsatz vom 2. November 2018 ein weiteres Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter gestellt, das auf neue Tatsachen gestützt worden sei. Über dieses Ablehnungsgesuch sei nicht entschieden worden. Die Zivilkammer sei deshalb bei der Fassung des angegriffenen Beschlusses nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen.
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Der lediglich mit zwei Sätzen begründete Beschluss des Landgerichts München I vom 8. November 2018 sei unrichtig. Die im Ausgangsverfahren beklagten Mieter hätten sich durch das Überstreichen der Wände einer Sachbeschädigung strafbar gemacht.
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Das Landgericht habe die von der Beschwerdeführerin angebotenen und entscheidungserheblichen Beweise nicht erhoben und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
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2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat von einer Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde abgesehen.
III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
18
Sie wird den Substanziierungsanforderungen des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG nicht gerecht.
19
1. Danach gehört zur Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, dass die behauptete Verletzung verfassungsmäßiger Rechte im Einzelnen dargelegt wird. Der Beschwerdeführer darf sich nicht damit begnügen, irgendeine ein verfassungsmäßiges Recht verbürgende Norm der Bayerischen Verfassung anzuführen und als verletzt zu bezeichnen. Es muss vielmehr - mindestens in groben Umrissen - zu erkennen sein, inwiefern durch eine Maßnahme oder Entscheidung ein solches Recht verletzt sein soll. Auf der Grundlage des Vortrags in der Verfassungsbeschwerde muss die behauptete Grundrechtsverletzung zumindest möglich erscheinen. Die bloße Behauptung, eine gerichtliche Entscheidung sei unrichtig oder fehlerhaft, genügt den Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde dagegen nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 14.2.2006 VerfGHE 59, 47/50 f.; vom 22.9.2015 BayVBl 2016, 426 Rn. 25; vom 27.2.2017 BayVBl 2018, 34 Rn. 17).
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2. Diesen Anforderungen wird die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.
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a) Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV) rügt, würde nur eine willkürliche, also unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbare, schlechthin unhaltbare, offensichtlich sachwidrige, eindeutig unangemessene Entscheidung das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzen (VerfGH BayVBl 2016, 426 Rn. 26).
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Bezogen auf den vorliegenden Fall müsste das Landgericht München I in der dargelegten willkürlichen Weise verkannt haben, dass die Beschwerdeführerin - wie sie behauptet - mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigen vom 2. November 2018 einen weiteren Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter der zuständigen Zivilkammer gestellt hat. Dies ist dem Sachvortrag der Verfassungsbeschwerde nicht zu entnehmen. Es wird lediglich ausgeführt, dass der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 2. November 2018 ein auf neue Tatsachen gestütztes weiteres Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter gestellt habe. Das Landgericht hat aber in den Gründen seines Beschlusses zur Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zutreffend ausgeführt, dass der Schriftsatz vom 2. November 2018 kein (ausdrückliches) Ablehnungsgesuch enthält, sondern lediglich weiteren Sachvortrag des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zur seiner Ansicht nach vorliegenden Befangenheit des Vorsitzenden. Diese wird - wie bereits in dem Ablehnungsgesuch vom 20. August 2018 - erneut mit der nach Meinung des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in früheren Verfahren begangenen Rechtsbeugung des Vorsitzenden Richters begründet. Warum die Entscheidung des Landgerichts, den Sachvortrag im Schriftsatz vom 2. November 2018 nicht als neuerlichen Befangenheitsantrag auszulegen, unter diesen Umständen willkürlich im dargelegten Sinn sein soll, legt die Verfassungsbeschwerde nicht dar.
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b) Der Sachvortrag der Beschwerdeführerin lässt auch nicht hinreichend erkennen, inwieweit die angegriffene Entscheidung das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV) verletzen soll.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs könnte bei einer gerichtlichen Entscheidung ein Verstoß gegen das Willkürverbot nur dann festgestellt werden, wenn die Entscheidung bei Würdigung der die Verfassung beherrschenden Grundsätze nicht mehr verständlich wäre und sich der Schluss aufdrängte, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Die Entscheidung dürfte unter keinem Gesichtspunkt vertretbar sein, sie müsste schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig, eindeutig unangemessen sein. Selbst eine zweifelsfrei fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts begründet deshalb für sich allein noch keinen Verstoß gegen das Willkürverbot (vgl. VerfGH vom 13.1.2005 VerfGHE 58, 37/41; vom 8.2.2019 - Vf. 67-VI-17 - juris Rn. 23; vom 24.5.2019 - Vf. 23-VI-17 - juris Rn. 69).
25
Die Beschwerdeführerin führt lediglich aus, dass das Landgericht die Voraussetzungen des § 303 Abs. 2 StGB verkannt habe und seine Entscheidung deshalb fehlerhaft sei. Dass die Entscheidung des Landgerichts willkürlich im dargelegten Sinn ist, legt die Verfassungsbeschwerde hingegen nicht dar. Dies gilt auch, soweit die Beschwerdeführerin - unzutreffend - behauptet, die Begründung des Zurückweisungsbeschlusses des Landgerichts erschöpfe sich in zwei Sätzen. Das Landgericht hat in dem Zurückweisungsbeschluss ausdrücklich auf seinen Hinweisbeschluss vom 7. August 2018 Bezug genommen, in dem es ausführlich und gestützt auf Rechtsprechung und Kommentarliteratur erörtert hat, weshalb das Überstreichen der Wände durch die vormaligen Mieter der Beschwerdeführerin nicht den Tatbestand des § 303 Abs. 2 StGB erfüllt.
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c) Schließlich genügt die Verfassungsbeschwerde den Anforderungen des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG auch insoweit nicht, als sie auf einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) gestützt wird.
27
aa) Rügt der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör und hat er diesbezüglich im Ausgangsverfahren eine Anhörungsrügeentscheidung herbeigeführt, muss er sich insbesondere mit den Gründen dieser Entscheidung über die Anhörungsrüge auseinandersetzen; dies gebietet der Sinn und Zweck des Gebots der Rechtswegerschöpfung (VerfGH vom 8.11.2019 - Vf. 77-VI-18 - juris Rn. 13).
28
bb) Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht. Bei ihrer Einreichung war die Anhörungsrügeentscheidung noch nicht ergangen. Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2019 hat die Beschwerdeführerin die Entscheidung vom 8. Januar 2019 über die Anhörungsrüge zwar vorgelegt, sich aber weder dort noch später in irgendeiner Weise mit deren Begründung auseinandergesetzt.
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Das Landgericht hat in seinem Beschluss vom 8. Januar 2019 ausgeführt, dass es den von der Beschwerdeführerin unter Sachverständigen- und Zeugenbeweis gestellten Tatsachenvortrag als wahr unterstellt hat. Es hat lediglich andere rechtliche Schlüsse daraus gezogen als die Beschwerdeführerin. Dies führt im Übrigen nicht zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl. VerfGH vom 27.1.2016 BayVBl 2016, 671 Rn. 29).
IV.
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Es ist angemessen, der Beschwerdeführerin eine Gebühr von 1.500 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).